Wissenschaft  und Forschung

Radikalisierung und Strafvollzug – Erkenntnisse aus dem R2PRIS-Projekt (Radicalisation Risk Assessment in Prisons, RRAP)

Das RRAP-Verfahren scheint ein vielversprechender und in dieser Form einmaliger Ansatz der Risikobewertung und des Bedrohungsmanagements im Justizvollzug zu sein. Nach dem Studium der Forschungsliteratur kamen die involvierten Wissenschaftler zu Recht zu dem Schluss, dass die radikalisierungsrelevanten Risikofaktoren im Gefängnis auf drei Ebenen liegen: auf der individuellen, auf der intersubjektiven (zwischen den Gefangenen) und auf der Ebene des Umfeldes sowie des Vollzugsmanagements.


Dementsprechend richten sich zwei im Rahmen des Projekts entwickelte Instrumente der (strukturellen) Risikobeurteilung an die Gefängnisleitung und die Mitarbeiter der AVD, Sozialen sowie Werkdienste. Mit einem Screener lassen sich überdies individuelle Risikofaktoren der radikalisierungsgefährdeten Gefängnisinsassen erheben. Mit Blick auf das Vollzugsmanagement (erster Beurteilungsschritt) unterscheiden die Entwickler sechs relevante Faktoren:

  1. den Umgang mit und die Unterbringung von Extremisten,
  2. die Zusammenarbeit des Justizvollzugs mit den Sicherheitsbehörden,
  3. das Wissen der Mitarbeiter über die Radikalisierungsindikatoren,
  4. die personelle Ausstattung der Hafteinrichtungen,
  5. den Belegungsgrad und
  6. die (inhumane) Behandlung der Gefangenen.


Auf der intersubjektiven Ebene (zweiter Beurteilungsschritt), die die strukturellen Risiken des Gefängnismanagements verstärken kann, sind von Bedeutung:

  1. das Vorhandensein extremistischer Netzwerke und/oder
  2. extremistischer Religionsauffassungen bzw. Ideologien wie bspw. des „Knastislams“,
  3. die Anwesenheit charismatischer extremistischer Insassen und/oder
  4. von Mitarbeitern mit extremistischen Einstellungen,
  5. die „Grüne Hilfe“ durch extremistische Organisationen,
  6. die „virtuelle“ Präsenz terroristischer Organisationen in Form von extremistischen Publikationen,
  7. die Anwesenheit terroristischer „VIPs“ mit entsprechenden Zugängen zu der Gefängnispopulation und Rekrutierungsfähigkeiten.


Im dritten Beurteilungsschritt sollen radikalisierungsgefährdete Personen anhand folgender Merkmale identifiziert werden (Stand 2017):

  1. Gewalthistorie,
  2. Antisoziale Einstellungen,
  3. Kombination aus Persönlichkeitskrise und niedriger Selbsteinschätzung,
  4. psychische Störungen,
  5. Viktimisierungsgefühle,
  6. Entfremdung,
  7. Bedürfnis, einer stärkenden Religion/Ideologie anzugehören,
  8. Streben nach Wiedergutmachung krimineller Taten,
  9. Spirituelle Suche,
  10. Extrapunitive Schuldzuweisung,
  11. Politische Missstände,
  12. Bedürfnis nach physischem Schutz.


Abschließend werden im vierten Analyseschritt die Koexistenz und die Interaktion der Risikofaktoren in der jeweiligen JVA bewertet. „Radicalisation is a process of change and change is a dynamic process. The change implied by the radicalisation of prisoners stems from the coexistence and interaction between a number of factors among the most important are those mentioned above. The main processes by which vulnerable prisoners become radicalised are conversion and recruitment. These processes usually occur in specific conditions created by the interaction between individual factors, radicalising agents, and confinement conditions. Failure to take into consideration all the three categories of factors would result in an incomplete understanding of the phenomenon of radicalisation within a specific prison that will consequently compromise any efforts to prevent it“ (S. 82).

Quelle: Ionescu, Andreea et al. (2017): R2PRIS. Methodological Framework: State of the Art Analysis and Collection of Approaches, Timisoara.