Recht und Justiz

Das neue Recht der Vermögensabschöpfung

Die verwunschenen Wege insbesondere der Wertersatzeinziehung (Teil 1)

Von Staatsanwalt Dr. Peter Karfeld, Bad Kreuznach1

1 Einstieg

Lord Byron hatte so seine eigenen Vorstellungen von der Juristerei: „Sollte ich einmal einen Sohn haben, soll er etwas Prosaisches werden: Jurist oder Seeräuber.“ Ein Blick in die neuen, zum 1.7.2017 grundlegend geänderten Vorschriften zur Vermögensabschöpfung, insbesondere die §§ 73 ff StGB sowie §§ 421 ff, 459g ff StPO, gibt dem britischen Dichter zweifelsohne recht: Sie sind sachlich und leidenschaftslos gefasst, aber auch klar und nachvollziehbar für Rechtsanwender wie Polizei und Justiz oder den Rechtsunterworfenen (Einziehungsadressat, z.B. Täter oder Dritter)?

Bis zum heutigen Tag tut sich die Rechtspraxis mit diesem Regelungswerk schwer. Rechtspfleger beackern den gerade in Insolvenzsachen besonders schweren Boden des Vollstreckungsverfahrens; Polizei und Staatsanwaltschaft sind bereits in manchen Fallkonstellationen über die Fallstricke der Wertersatzeinziehung, insbesondere bei der Anwendung des § 73d StGB, gestolpert. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte das neue Recht eigentlich zu einer Vereinfachung und konsequenteren Abschöpfung des Vermögens unter Einbeziehung der Opferinteressen führen2. Aber wie ist es dann mit dem angeblich in den §§ 73, 73c StGB beibehaltenen Bruttoprinzip, den damit verbundenen Problemen bei der Ermittlung und Festsetzung von Taterträgen (§ 73 StGB) und mehr noch bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten bei der Wertersatzeinziehung (§ 73d StGB)?

Mit vorliegendem Beitrag soll der geschätzten Leserschaft ein hoffentlich gewinnbringender Einblick in das neue Vermögensabschöpfungsrecht gewährt werden; quasi in Fortführung des m.E. sehr anschaulichen Beitrags meines Kollegen in der vorherigen Ausgabe3, unter Zuhilfenahme von Fallbeispielen und ohne Anspruch auf erschöpfende Darstellung. Nicht erläutert werden soll die Abschöpfung von Tatprodukten (z.B. Falschgeld), Tatmitteln (z.B. Laptop) oder Tatobjekten (illegale Waffen). Hier gab es keine wesentlichen Änderungen, § 74 StGB entspricht weitgehend der alten Rechtslage.

2 Bruttoprinzip – Wie war das noch einmal?

Seit 1992 wird bei der Vermögensabschöpfung das Bruttoprinzip angewendet. Danach sind die aus der Tat erlangten Vermögenswerte insgesamt, d.h. ohne Abzug von etwaigen Aufwendungen oder Gegenleistungen, abzuschöpfen. Soweit der Grundsatz! Allerdings war nach alter Rechtslage selbst innerhalb der Strafsenate des BGH die Bestimmung des „Erlangten“ insbesondere in den Fällen des Eingehungsbetruges kontrovers diskutiert und auch behandelt worden. Bis zur vorliegenden Reform vom 1.7.2017 war es nicht gelungen, einheitliche und klare Leitlinien für die praktische Handhabung des Bruttoprinzips zu entwickeln. Ob es der Gesetzgeber nunmehr geschafft hat, den sich nach bisheriger Rechtslage ergebenden Unklarheiten mit den neu gefassten Vorschriften zum Einziehungsrecht effektiv zu begegnen, erscheint angesichts der mehrstufigen „Regel- und Ausnahme“ – Beziehungen insbesondere in den §§ 73, 73d StGB allerdings weiter fraglich.

2.1 Bruttoprinzip nach neuer Rechtslage

Abgeschöpft wird gemäß § 73 StGB zunächst einmal – in Übereinstimmung mit der alten Rechtslage – grundsätzlich der Tatertrag beim Täter bzw. Teilnehmer oder – unter den (engeren) Voraussetzungen des § 73b StGB – beim Dritten, und zwar im Regelfall „brutto“. Für die in der Praxis nicht seltenen Fälle, dass das ursprüngliche „Erlangte“ beim Tatbeteiligten bzw. Dritten nicht mehr vorhanden ist, muss zumindest dessen Wert eingezogen werden, § 73c StGB. Was konkret abzuschöpfen ist, regelt nunmehr § 73d StGB. Hier findet in begrenztem Umfang das Nettoprinzip Anwendung. Das neue Einziehungsrecht ermöglicht zudem – und dies ist neu – die Einziehung von Gegenständen, die zwar nicht einer konkreten Straftat zugeordnet werden können, jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit aus (irgendeiner) anderen Straftat herrühren, § 73a StGB. Mitunter uferlosen Auslegungen hat der BGH4 als Revisionsinstanz jüngst unter Hinweis auf eine insoweit erhöhte Darlegungspflicht des Tatgerichts einen Riegel vorgeschoben.

2.2 Umfang der Vermögensabschöpfung: Immer Brutto?

In der Praxis bereitet jedoch die Frage, was denn genau eingezogen werden muss, größere Schwierigkeiten: Grundsätzlich ist das aus der Tat „Erlangte“ i.S.d. § 73 StGB dann recht problemlos zu bestimmen und einzuziehen, wenn es noch beim Einziehungsadressaten vorhanden ist. Klassische Fälle sind Sachen aller Art wie Diebesgut, gelegentlich auch Forderungen. Die Bestimmung des „Erlangten“ kann jedoch im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten; z.B. bei der in Wirtschaftsstrafsachen typischerweise auftretenden Fragestellung, welche ersparten Aufwendungen bzw. weiteren abschöpfungsrelevanten Aspekte – z.B. verbesserte Marktposition – im Zusammenhang mit der konkreten Tat stehen und welche nicht. Noch schwieriger gestaltet sich die Konkretisierung des Abschöpfungsumfangs bei der Wertersatzeinziehung nach § 73c StGB. In diesen Fällen ist ja das ursprünglich „Erlangte“ beim Einziehungsadressaten nicht mehr vorhanden. Und weil § 73c StGB bereits systematisch in untrennbarem Zusammenhang mit dem neu geschaffenen § 73d StGB steht, ist bei jeder Wertersatzeinziehung auch zu prüfen, ob eine wertende Korrektur in Form von Abzügen vorzunehmen ist oder nicht. Sind z.B. vom Täter getätigte Aufwendungen abziehbar? Wenn ja, welche und in welchem Umfang? Wie sieht es bei Austauschverträgen z.B. dem betrügerisch erschlichenen Kauf einer Sache mit der durch den Täter in Vertragserfüllung erbrachten Gegenleistung aus? An dieser Stelle ist ein Blick auf die Rechtsnatur vermögensabschöpfender Maßnahmen hilfreich. Viele der durch den Gesetzgeber geschaffenen und für die Rechtspraxis wichtigen Vorschriften der §§ 73 ff StGB, §§ 421 ff, 459g ff StPO sind hiervon geprägt und – angesichts des nicht immer eindeutigen Wortlauts – dadurch besser auslegbar.

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