Kriminalität

„Tottreten“

Fußtritte gegen den Kopf und ihre kriminalpolizeiliche Bearbeitung

Von LKD Prof. Dr. Daniel H. Heinke, Bremen1

1 Einleitung

Angriffe durch Fußtritte gegen den Kopf einer am Boden liegenden Person stellen ein erschreckend häufiges Deliktsphänomen dar.

Dabei kommt es sowohl bei der kriminalpolizeilichen Bearbeitung als auch bei der staatsanwaltschaftlichen Bewertung häufig zu Unsicherheiten, ob bei diesen Taten – trotz der häufig schweren Verletzungsfolgen – ein mindestens bedingter Tötungsvorsatz des Angreifers anzunehmen ist. Auf der Grundlage einer umfassenden Untersuchung des Verfassers zu diesem Thema sollen nachfolgend die für die kriminalpolizeiliche Praxis relevanten wesentlichen rechtsmedizinischen Erkenntnisse, bedeutsame kriminologische Faktoren sowie das Ergebnis einer empirischen Untersuchung zur Gefährlichkeitseinschätzung derartiger Taten dargestellt und Folgerungen für die strafrechtliche Bewertung abgeleitet werden.2

2 Rechtsmedizinische Grundlagen

Durch rechtsmedizinische Studien wurden mehrere hundert Fälle tödlich verlaufener Angriffe durch Fußtritte gegen eine am Boden liegende Person untersucht. Systematische Studien zur Untersuchung der Verletzungsmuster von überlebenden Opfern sind bislang hingegen nicht bekannt. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass neben der anzunehmenden hohen Dunkelziffer derartiger Taten die rechtsmedizinische Begutachtung von überlebenden Opfern von Gewalttaten auch bei schwereren Delikten leider immer noch eher die Ausnahme statt der Regel ist.

Für tödlich verlaufende Verletzungshandlungen durch Tritte lässt sich ein typischer Tathergang ableiten: Das Opfer wird hierbei durch den oder die Täter zunächst durch Schläge oder andere Arten stumpfer Gewalt angegriffen und im Laufe dieser Angriffshandlungen zu Boden gebracht, wo der oder die Täter dann durch Tritte weiter auf das Opfer einwirken.

2.1 Verletzungsbilder

Die Opfer solcher Angriffe weisen regelmäßig eine Vielzahl von Weichteilverletzungen wie Unterblutungen, Schürf- und Platzwunden am gesamten Körper, in erster Linie aber am Kopf und am Oberkörper auf. Diese Verletzungen lassen aufgrund ihrer charakteristischen Form häufiger Rückschlüsse auf das Sohlenprofil, die Schuhspitze oder den Absatz zu. Allerdings sind derart geformte Verletzungen nicht zwingend, da der Knautschzoneneffekt getragener Bekleidung oder die Form des Schuhwerks ihnen möglicherweise entgegenwirken. Darüber hinaus ist eine Identifizierung solcher spezifischer Verletzungen aufgrund einer Überlagerung durch weitere Verletzungen häufig nicht möglich.

Angriffsziele sind häufig Kopf und Hals: in über 60 Prozent der untersuchten tödlich verlaufenen Fälle wurden Verletzungen des Schädelbereiches festgestellt. Dabei erlitten die Opfer in mehr als der Hälfte der Fälle Frakturen des Schädels, häufig in Form mehrfacher Frakturen verschiedener Schädelknochen, insbesondere des Gesichts. Neben derartigen Verletzungen des Kopfes traten zudem ebenfalls in mehr als der Hälfte aller Fälle auch Frakturen der Rippen (Einzelbruch oder Rippenserienfraktur) auf.

Eine weitere typische Folge von Fußtritten gegen Kopf und/oder Oberkörper sind schließlich Verletzungen der inneren Organe, insbesondere Blutungen innerhalb des Schädels. Im Bereich der thorakalen Organverletzungen sind die im Bauchraum angesiedelten Organe häufiger betroffen als die Brustorgane, bei welchen wiederum Lungenverletzungen gegenüber den Herzverletzungen überwogen. Die Verletzungen der Lungen sind dabei insbesondere auf Anspießungen durch gebrochene Rippen zurückzuführen. Dass die Brustorgane im Verhältnis zu den Organen des Bauchraums tendenziell weniger verletzungsanfällig sind, ist dabei auf ihre geschützte Lage hinter dem Rippenbogen zurückzuführen.

Dabei sind gerade bei einer Gewalteinwirkung gegen den Bauchraum fehlende äußerlich sichtbare Verletzungen nicht für die Einschätzung der Schwere etwaiger innerer Verletzungen geeignet: Weil die Entstehung von Unterblutungen oder offenen Wunden in hohem Maße von dem Vorhandensein eines knöchernen Widerlagers abhängig ist, können auch bei massiver (stumpfer) Gewalteinwirkung gegen den Bauchraum und hierdurch verursachten schwerwiegenden Organverletzungen äußerliche Verletzungszeichen kaum oder gar nicht sichtbar sein.

2.2 Todesursachen

Hinsichtlich der Todesursachen dominierten in den untersuchten Fällen massive Schädel-Hirn-Traumata, (inneres) Verbluten sowie Multiorganversagen nach Polytrauma, teilweise auch das Einatmen (Aspiration) von Blut. Beachtenswert sind daneben aber auch die Fälle, in welchen das Opfer des Angriffs nicht unmittelbar in Folge der erlittenen Verletzungen, sondern aufgrund späterer Komplikationen verstarb.

2.3 Keine „ungefährlichen“ Tritte

Wichtig ist darüber hinaus, dass für die Gefährlichkeit der Angriffshandlung die Art des getragenen Schuhwerks nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist. Zwar vermag besonders stabiles Schuhwerk – etwa mit Stahlkappen versehene Arbeitsschuhe – bei sonst gleichen Bedingungen mehr kinetische Energie zu vermitteln, doch können auch Tritte mit so genanntem leichtem Schuhwerk (Turnschuhe, Hausschuhe) oder auch dem bloßen Fuß, wie eine biomechanische Studie ergeben hat, tödliche Verletzungen bewirken.

Auch Geschlecht, Statur, körperliche Fitness und etwaige sportliche Ausbildung des Täters vermögen zwar die bei einem solchen Angriff eingesetzte Energie zu beeinflussen, stellen aber jeweils keine Bedingung für die Lebensgefährlichkeit derartiger Tritte dar.

Da wenige Zentimeter entscheidend sein können, hängt es also bei mit einiger Wucht ausgeführten Tritten gegen den Kopf regelmäßig ausschließlich vom Zufall ab, ob durch die Tritte lebensgefährdende Verletzungen verursacht werden oder ob das Opfer mit oberflächlichen Verletzungen davonkommt.

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