Internationaler Terrorismus

„Was Terroristen wollen!“

Konsequenzen für die polizeiliche Analyse und Öffentlichkeitsarbeit im Kontext des islamistischen Terrorismus

Von KR André Malick, Hamburg

1 Einleitung

Seit Jahren ist die Gefahr eines islamistischen Terroranschlags in Deutschland „abstrakt hoch“ (so z.B. der Berliner Innensenator Geisel, zit. in RBB-Online.de 2016). In Deutschland wurden im Dezember 2017 mehr als 720 Personen als sog. Gefährder gelistet, Menschen also, denen ein Anschlagsversuch unmittelbar zuzutrauen ist (vgl. Spiegel-Online 2017).

Auf den Begriff, eine mögliche Definition und die mit der Kategorisierung einhergehenden Probleme soll nicht weiter eingegangen werden. Lediglich die Tatsache, dass eine so große Zahl von Gefährdern schwer und vor allem nur personalaufwendig lückenlos zu überwachen wäre sowie die Unsicherheit, eben gerade nicht zu wissen, wer konkret einen Anschlag plant, werden für die weiteren Überlegungen bedeutsam sein. Es geht um die Frage „was Terroristen eigentlich wollen“ und welche Konsequenzen für die polizeiliche Analyse und Öffentlichkeitsarbeit (nicht nur, aber insbesondere im Kontext des islamistischen Terrorismus) daraus gezogen werden können. In der Kürze des Beitrages liegt begründet, dass dieses komplexe Thema auf Kernaussagen beschränkt bleiben muss. Auch will der Verfasser nicht vorgeben es „besser zu wissen“ und Lösungen rezeptartig parat zu haben. Es ist und bleibt ganz offensichtlich ein nicht oder zumindest nur schwer lösbares Dilemma, und Anliegen ist vielmehr, dieses verstehbarer und dennoch für polizeiliches Handeln nutzbar zu machen.

2 Was Terroristen wollen

2.1 Terrorismus als analytischer und abgrenzender Begriff

Obwohl landläufig der Begriff des Terroristen weit gefasst verwendet wird, so ist es doch gerade aus analytischer, aber auch aus grundsätzlich erkenntnisgewinnender Sicht nützlich, diesen eng zu verstehen. Es sollte also nicht allgemeinkriminelles Handeln oder offensichtlich krankhaftes Verhalten, im Übrigen ebenso wenig wie nicht gewaltsames Agieren (z.B. „Cyberterrorismus“) oder staatliche Vorgehensweisen („Staatsterrorismus“) als Terrorismus bezeichnet werden. Der Verfasser folgt hier u.a. Richardson (2007: 28 f., ganz ähnlich auch Hoffmann 2007; Waldmann 1998), wonach Terrorismus bedeutet, für politische Zwecke planmäßig und gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen. Nicht politisch motivierte Akte sind einfach „nur“ Verbrechen, jedoch keine terroristischen Taten. Der Zweck von Terrorismus ist die Verkündigung einer Botschaft, nicht aber, den Feind zu besiegen. Der Akt selbst sowie die Opfer sind symbolisch bedeutsam, noch gesteigert durch eine Schockwirkung. Die psychologische Wirkung soll größer sein als der tatsächliche (physische) Schaden. Die Strategien zielen darauf ab, eine ungleich größere Aufmerksamkeit zu erhalten, als man objektiv (was bspw. die Anzahl der Mitglieder, die Ausrüstung und die Fähigkeiten betrifft) zubilligen würde. Opfer und zu erreichendes Publikum sind nicht identisch, vielmehr sind die Opfer Mittel zum Zweck, wie bspw. der Beeinflussung des Verhaltens einer Regierung oder (im größeren Maßstab) einer Gesellschaft. Opfer sind entweder zufällig gewählt oder repräsentieren eine größere Gruppe. Ganz bewusst richtet sich Terrorismus gegen Zivilisten. Bereits diese Einengung verweist auf rationales, geplantes Vorgehen, und gerade auch aus diesem Grund sollen die Ausführungen im Folgenden durch den Komplex des Motivs – so individuell verschieden und höchstpersönlich diese jeweils vermutlich sind – ergänzt werden.

2.2 Motive

Terroristen verfolgen zwar langfristig (jeweils unterschiedliche) politische Ziele, alle möglichen Terrorbewegungen haben jedoch gemeinsame sekundäre Motive – sie wollen Rache üben, Öffentlichkeit herstellen, Unruhe stiften, Repression provozieren, Stärke zeigen. Richardson (2007) fasst diese sekundären und unmittelbaren Motive in drei Begriffen zusammen: Rache, Ruhm und Reaktion.

Rache ist dabei das überragende Thema und allgegenwärtig. Auch die vorherrschenden islamistischen Terrorideologien der al-Q’aida und seit einigen Jahren des Islamischen Staates (IS) haben immer wieder die Bedeutung der Rache am (eigentlich ja abstrakten) Westen in den Vordergrund gestellt. Rache üben zu wollen hängt hier auch mit (persönlichen oder kollektiven, sowohl ethnischen und kulturellen wie auch sozialen) Erniedrigungs- bzw. Demütigungserfahrungen zusammen. Rachegefühle sind höchst starke, intrinsisch motivierte, kaum stillbare Bedürfnisse, die im konkreten Fall Menschen eben zu Handlungen treiben können, die ohne diese Gefühle niemals begangen würden, die z.B. kulturell-normativ, auch ethisch zu verwerflich und kaum zu rechtfertigen wären, als dass „normale Menschen“ diese ohne weiteren Selbstzweck begehen würden. In aller Regel sind Terroristen jedoch „normale Menschen“.

Für die Analyse ist der zweite Aspekt Ruhm aber ebenso nützlich: Er geht über das zentrale Ziel des Terrorismus, Aufmerksamkeit erregen zu wollen, hinaus, ist mehr als schlichtes Ansehen. Es bedeutet einen „Nimbus von Ruhm, Größe und Prestige […] für sich und für ihre Sache, um die Erniedrigung wettzumachen, die sie ihrer Ansicht nach erlitten haben. Die Führer wollen auf nationaler und zunehmend globaler Ebene berühmt werden. Den Anhängern genügt es, von ihrer Gemeinschaft verehrt zu werden.“ (Richardson 2007: 133). Den Tätern wird umso mehr Publizität zuteil, je größer die Opferzahl und je innovativer die Taktik ist, je größer der Symbolwert, je schändlicher das Verbrechen sich darstellt (vgl. Richardson 2007: 134). Schon die bloße Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe kann in einem gewissen Maß Ruhm einbringen. Organisationen wie der IS spielen damit, verehren ihre Märtyrer, sagen dies all denen voraus, die in ihrem Namen Angst und Schrecken verbreiten.

Terroristen wollen, das ist der dritte obengenannte Aspekt, eine Reaktion hervorrufen. Allesamt sind sie handlungsorientierte Menschen, die – mehr oder weniger - in ebenso handlungsorientierten Gruppen operieren. Terroristen kommunizieren durch ihre Aktionen mit Dritten (vgl. Malick 2011: 19; Richardson 2007: 138; Waldmann 2003: 38 bezeichnet Terrorismus gar als „besonders brutale Form der Verbreitung einer Botschaft“). Mit ihrer Tat demonstrieren sie ihre Existenz und Stärke. Dies ist nach Ansicht des Verfassers der entscheidende Punkt in der Prognose: wann, wie und wo es sich mehr lohnt zuzuschlagen und wo weniger. Eine erwünschte Reaktion kann von der entsprechenden Berichterstattung über die Erfüllung konkreter Forderungen oder eine repressive Überreaktion des Staates bzw. der Sicherheitsbehörden bis zur Provokation eines Krieges (und wenn es nur die optimistische Fantasie ist, so leitet sie sich doch rational ab) reichen.

Die erhoffte Reaktion ist elementare Grundlage des Terrorismus als „Kommunikationsstrategie“ (Münkler 2006: 188). Darüber hinaus können Terroristen ihre Existenz nur durch ihre Taten beweisen – und kommunizieren so nicht nur mit ihren Widersachern, sondern im Übrigen auch mit ihren Anhängern und Unterstützern in der ganzen Welt. Und natürlich reagieren Staaten (und können in der Regel ja auch gar nicht anders, obgleich sie damit mehr im Interesse der Terroristen handeln als im eigenen und in dem der Opfer) und rufen dabei wiederum Reaktionen auf ihre Aktionen hervor. Reaktionen bestätigen des Terroristen Stärke, tragen seine Botschaft weiter, bringen ihm Ruhm und das Gefühl, Erniedrigungen wettgemacht und Rache geübt zu haben – in der Überzeugung, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen und im Grunde altruistisch gehandelt zu haben (vgl. Malick 2011).

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