Amok, Selbstmordattentat oder terroristischer Amoklauf?
Von Dr. Dorothee Dienstbühl, Professorin an FHöV NRW
Eine kriminologische Betrachtung
Das Jahr 2016 wird als ein Jahr der Gewalt in europäischer und insbesondere deutscher Erinnerung bleiben. Es beginnt mit den massenhaften, brutalen Übergriffen in der Neujahrsnacht in Köln, Hamburg und anderen Städten und endet im Dezember mit dem Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Berliner Breitscheidplatz mit 12 Toten und 55 Verletzten. Vor allem der Juli ist geprägt von Terror, Hass und Gewalt.
Nur wenige Tage nach dem Terroranschlag in Nizza wurde Deutschland innerhalb einer Woche durch vier Bluttaten erschüttert. Insgesamt zehn Menschen wurden dabei getötet, 60 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Die kurze Aufeinanderfolge an unterschiedlichen Orten schwächte das kollektive Sicherheitsempfinden. Gleichzeitig verschwammen die Begriffe von Amok und Terror. Die Ereignisse zeigten, wie schwierig es inzwischen ist, die richtigen Begriffe für die verschiedenen Verbrechen zu finden. Doch die Unterscheidung ist relevant, um sie verstehen und einzuordnen zu können.
Ein Monat der Gewalt: Juli 2016
Nach dem Terroranschlag vom 14. Juli 2016 in Nizza, der 84 Menschen das Leben kostete und 308 verletzte, befand sich Frankreich erneut in einem Zustand des Schreckens und der Trauer. Kaum in diesen versetzt, läutete ein vermeintlicher Putschversuch am 15./16. Juli 2016 gewalttätige und tiefgreifende Entwicklungen in der Türkei ein. Während man in Europa noch versuchte, diese Krisenereignisse und deren Folgen zu begreifen, wurde auch Deutschland von Hass und Gewalt heimgesucht.
Am 18. Juli 2016 bestieg der 17-jährige afghanische Flüchtling Muhammad R. (Name laut Papieren: Riaz Khan A.) in Ochsenfurt eine Regionalbahn in Richtung Würzburg und ging etwa 15 Minuten später mit einem Beil und einem Messer unter Allahu-Akbar-Rufen auf die Fahrgäste los. Er verletzt fünf Menschen, darunter eine Familie aus Honkong schwer, den Vater lebensgefährlich. Durch eine Notbremsung kam der Zug zum Stehen, der Täter floh und schlug einer Spaziergängerin, die mit ihrem Hund draußen war, mit dem Beil zweimal ins Gesicht. Ein Spezialeinsatzkommando aus München war aufgrund eines anderen Einsatzes in der Nähe und reagierte umgehend. Als sie den Täter unweit des Zuges aufspürten, griff dieser mit seinen Waffen einen Polizisten an und musste von der Polizei erschossen werden.
Am frühen Freitagabend des 22. Juli 2016 eröffnet der 18-jähriger Deutsch-Iraner Ali David S. das Feuer auf Menschen im Olympia-Einkaufszentrum in München Moosach. Er tötet neun Menschen und verletzt 35 weitere zum Teil schwer, bevor er sich selbst mit einem Kopfschuss richtete. Zuvor hat er via Facebook versucht, gezielt junge Menschen in das dort befindliche McDonald´s Schnellrestaurant zu locken. Aufgrund diverser Fehlmeldungen in sozialen Netzwerken von angeblichen weiteren Gewalttaten in München, wird zeitweise von einem Terroranschlag durch mehrere Täter ausgegangen. Die Behörden bitten die Menschen, in ihren Wohnung zu bleiben, die Verkehrsbetriebe halten stundenlang den Verkehr an, viele Münchner nehmen in der Gefahrenlage völlig fremde Menschen in ihren Wohnungen auf, um sie in Sicherheit zu bringen. Die Einstufung der Tat als geplanter Amoklauf eines Einzelnen wird im Nachhinein durch die polizeilichen Ermittlungen bestätigt.
Am 24. Juli 2016 erschüttert die Meldung eines Angriffes in Reutlingen mit einem langklingigen Messer auf offener Straße Deutschland erneut. Ein syrischer Asylbewerber (21) tötet eine 45-jährige Frau auf offener Straße, die laut Medienberichten schwanger gewesen sein soll, und verletzt fünf weitere Personen zum Teil schwer. Er schlug mit dem langen Messer die Scheiben eines Autos ein und verletzte dabei zwei Personen, im Anschluss verletzte er einen 23-jährigen Mann in einer Gaststätte im Gesicht schwer, zwei weitere Frauen wurden durch seine ungezielte Aggression ebenfalls verletzt. Auf der Flucht läuft der 21-jährige Täter vor ein vorbeifahrendes Auto, wird angefahren und kann durch die Polizei gestellt werden. Die Gewalttat erschütterte Reutlingen immens. Obwohl der Gewaltrausch nur ca. sieben Minuten andauerte, blieb neben dem toten Opfer und den fünf verletzten Menschen, entsetzte und geschockte Passanten zurück, die die brutale Tat mitansehen mussten. Die Polizei richtete vor Ort ein Kriseninterventionsteam ein.
Noch am selben Abend des 24. Juli 2016 folgt die nächste Gewalttat im öffentlichen Raum. Der syrische Asylbewerber Muhammad D. (27) sprengte sich im Eingangsbereich eines Musikfestivals im fränkischen Ansbach in die Luft und verletzt 15 weitere Menschen zum Teil schwer. Den selbst gebastelten Sprengsatz, den er in einem Rucksack mit sich führte, wollte er während eines Konzertes auf dem Festivalgelände zünden. Aufgrund dessen, dass er keine Eintrittskarte besaß, wurde ihm der Einlass verweigert, was zur Selbstsprengung vor dem Gelände führte und somit die Besucher höchstwahrscheinlich vor einer noch schlimmeren Bluttat bewahrte.
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