Recht und Justiz

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§ 113 Abs. 1 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; hier: Wegfahren mit einem Pkw zur Vermeidung einer Polizeikontrolle. § 127 StGB – Bildung bewaffneter Gruppen; hier: Spontaner Personenzusammenschluss. § 177 Abs. 1 Nr. 1, § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Vergewaltigung; hier: Fortwirken einer Gewalteinwirkung bei der ersten Vergewaltigung auf nachfolgende Vergewaltigungen.. (...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht

§ 113 Abs. 1 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; hier: Wegfahren mit einem Pkw zur Vermeidung einer Polizeikontrolle. Unter Widerstand ist eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Nach dem Schutzzweck des § 113 StGB muss die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn – unmittelbar oder mittelbar über Sachen – körperlich spürbar sein. Bloße Flucht vor der Polizei ist kein (gewaltsamer) Widerstand, auch wenn dadurch gegebenenfalls Dritte gefährdet oder unvorsätzlich verletzt werden. (BGH, Beschl. v. 15.01.2015 – 2 StR 204/14)

§ 127 StGB – Bildung bewaffneter Gruppen; hier: Spontaner Personenzusammenschluss. Der Angeklagte (A.) hielt sich nachts in einem von einem Mitglied der Black Jackets – einer rockerähnlichen Gruppierung – betriebenen Prostitutionsbetrieb auf, als es zu Provokationen durch die in Rivalität stehenden Mitglieder der Red Legions kam, die sich zu diesem Zeitpunkt in einem gegenüberliegenden Gebäude befanden. Als sich eine Gruppe von ca. 30 Mitgliedern der Red Legions dem Prostitutionsbetrieb näherte, bewaffneten sich dort der Präsident der Black Jackets, vier weitere Personen, darunter der ebenfalls zu den Black Jackets zählende Bruder des A., und A., der nicht zu den Black Jackets gehört, gemeinsam aus dem in dem Prostitutionsbetrieb vorhandenen Waffenarsenal, wobei u.a. der A. einen Baseballschläger und der Präsident der Black Jackets eine geladene Pistole nahm. Anschließend stellten sich diese Personen unter der Führung des Präsidenten der Black Jackets, der mehrere Schüsse auf die entgegenkommenden Mitglieder der Red Legions abgab, dieser Personengruppe entgegen, um die Macht der Black Jackets zu demonstrieren.
Für den Begriff „Gruppe“ gibt es keine gesetzliche Definition. Nach dem Wortsinn ist eine Gruppe – im Gegensatz zu einer bloßen Ansammlung von Einzelpersonen – eine Mehrheit von Personen, die durch ein gemeinsames Merkmal verbunden sind und sich insbesondere zu einem gemeinsamen Zweck (hier: gemeinsame Machtdemonstration) zusammengeschlossen haben. Ab welcher Personenzahl eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB zu sehen ist, kann nicht allgemeingültig festgelegt werden und ist unter Berücksichtigung des Normzwecks und nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kann bereits die Zahl von drei Personen reichen. Bei einer räumlich verteilten Gruppe ist hingegen eine höhere Personenanzahl notwendig. Der hier festgestellte Zusammenschluss von sechs Personen reicht insoweit jedenfalls aus. Gruppe im Sinne des § 127 StGB kann auch eine spontan gebildete Gruppierung sein, die aufgrund ihrer inneren Struktur zu koordiniertem Handeln fähig ist. (OLG Stuttgart, Beschl. v. 07.08.2014 – 2 Ss 444/14)

§ 177 Abs. 1 Nr. 1, § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Vergewaltigung; hier: Fortwirken einer Gewalteinwirkung bei der ersten Vergewaltigung auf nachfolgende Vergewaltigungen. Der Angeklagte (A.) wendete bei Durchführung des ersten Geschlechtsverkehrs mit seiner Tochter Gewalt an, um ihren Widerstand gegen den sexuellen Übergriff zu brechen. Unmittelbar nach dem ersten Vorfall drohte er seiner Tochter, nichts weiter zu erzählen, ansonsten werde er sie, ihren Bruder und die Mutter umbringen.
Der BGH stellte fest: Dass die Gewalteinwirkung des A. bei der ersten Tat in allen weiteren (65) Fällen fortgewirkt habe, erweise sich schon im Hinblick auf den langen Tatzeitraum von 1998 bis 2002 und fehlende Feststellungen zur konkreten Anwendung von Gewalt in weiteren Fällen, die die ursprüngliche Wirkung der ersten Gewalthandlungen verstärkt und erneuert haben sollen, als rechtsfehlerhaft. Ein allgemeines „Klima der Bedrohung und Einschüchterung“ reicht für die Annahme fortwirkender Gewalt zwecks Durchführung des Geschlechtsverkehrs nicht aus. (BGH, Beschl. v. 07.01.2015 – 2 StR 463/14)

§ 177 Abs. 1 Nr. 1, § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB – Vergewaltigung; hier: Androhung einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Der Angeklagte (A.) war darüber enttäuscht, dass sich die Zeugin M. , mit der er eine sexuelle Beziehung unterhielt, einem anderen Mann zugewandt hatte. Er suchte deren Freundin Me. auf, die ihm gestattete, bei ihr zu übernachten. Beide lagen im Bett und unterhielten sich, wobei die Me. den A. zu trösten versuchte. Er begann damit, ihre Brüste und Oberschenkel zu berühren, was sie mit Hinweis darauf, dass er mit ihrer Freundin „zusammen“ sei, ablehnte. Der A. erklärte: „Ich hol mir eh das, was ich will. Du wirst schon sehen“. Außerdem erklärte er, die Me. werde schon sehen, was passieren würde, wenn sie jemandem von seiner Annäherung erzählen würde. Dann „drehte sich der A. auf diese und drang von oben mit seinem Glied vaginal in die Geschädigte ein“.
Diese Feststellungen genügen nicht, den Schuldspruch wegen sexueller Nötigung mit Gewalt zu tragen (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Sie beschreiben letztlich nur den Sexualakt. Nicht jede sexuelle Handlung kann aber, nur weil sie körperlich wirkt, schon als Gewalt zur Erzwingung ihrer Duldung angesehen werden. Es liegt auch kein Fall der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) vor. Die Ankündigung, die Geschädigte werde „schon sehen“, was passiert, lässt auch unter Berücksichtigung der Umstände offen, welche Folgen zu erwarten sein sollten. (BGH, Beschl. v. 05.02.2015 – 2 StR 5/15)

Seite: 12weiter >>