Kriminalität

Cyber-Jihad

Das Internet als vitales Instrument für Islamismus und slamistischen Terrorismus

Von Dr. rer. pol. Stefan Goertz,
Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei, Lübeck

1. Einleitung:


Die islamistisch-terroristischen Anschläge der Jahre 2015 und 2016 in Frankreich, Belgien, Dänemark und Deutschland (u.a. am 7.1.2015, 13.11.2015, 14.7.2016, 22.3.2016, 14.2.2015, 18.7.2016 und am 24.7.2016) zeigen ganz evident, dass der islamistische Terrorismus, sowohl der homegrown-Terrorismus – ideologisch basierend auf Islamismus, Salafismus und Jihadismus – als auch der internationale Terrorismus, auch in der europäischen Gesellschaft einen fruchtbaren Nährboden gefunden hat.1

So verzeichnen die deutschen Verfassungsschutzbehörden seit spätestens 2012 einen ungebrochenen Zulauf zur islamistischen, politisch-salafistischen und jihadistischen Szene in Deutschland und Europa.2 Das Bundesamt für Verfassungsschutz analysiert im aktuellsten Verfassungsschutzbericht von 2016 eine „neue Dimension des Terrors“3, so dass davon auszugehen ist, „dass der IS Pläne für weitere Anschläge in Europa, und damit auch in Deutschland, verfolgt“4. Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen geht aktuell davon aus, dass „jederzeit mit einem salafistisch motivierten Terroranschlag zu rechnen ist“5.
Wichtig ist es mit Blick auf die vier Funktionen Cyber-Jihads für den Islamismus und islamistischen Terrorismus festzustellen, dass mit dem Ausrufen des sog. „Islamischen Staates“ (IS) im Sommer 2014 eine neue Ära der islamistisch-jihadistischen Rekrutierung und Radikalisierung angebrochen ist. Über 35 000 Individuen aus über 100 Ländern haben sich als internationale Kämpfer dem IS in Syrien und im Irak angeschlossen, deren überwiegender Teil einer oder mehrerer Formen der Propaganda des Cyber-Jihad gefolgt sind.6 Über 900 der ausländischen IS-Kämpfer in Syrien und im Irak wurden aus Deutschland rekrutiert – die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen – wovon die Mehrheit die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.7 Selbst wenn die Erstansprache des/der Radikalisierten, der Erstkontakt, über die islamistische Szene der realen Welt erfolgt, wird die anschließende Ideologisierung und Ausbildung im wesentlichen durch den Cyber-Jihad vorangetrieben, zeigen Analysen des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz und des deutschen Bundeskriminalamtes.8
Dieser Beitrag identifiziert vier wesentliche Funktionen des Cyber-Jihads und untersucht im folgenden deren vitale Bedeutung für Islamismus, Salafismus und islamistischen Terrorismus:

  • Kommunikations- und Steuerungsinstrument
  • Propagandainstrument
  • Rekrutierungs-, Motivations- und Radikalisierungsinstrument
  • Elektronische Angriffe

Seit dem 11. September 2001 besteht ein Konsens innerhalb der sicherheitspolitischen Forschung, dass online Kommunikation von vitaler Bedeutung für den islamistischen Terrorismus ist. „Strategische Kommunikation durch terroristische Anschläge“ ist zum Schlagwort der sicherheitspolitischen Diskussion geworden.9 Die Existenz des Internets wird von verschiedenen Studien gar als Voraussetzung ausgemacht, dass eine terroristische Organisation wie Al Qaida bereits länger als 20 Jahre existiert, während empirisch betrachtet, terroristische Gruppen durchschnittlich weniger als ein Jahr lang existieren.10 Ebenso unstrittig ist, dass der sog. „Islamische Staat“ (IS) ohne die Existenz des Internets und der sozialen Medien nicht solch dramatisch viele europäische und westliche Anhänger für seinen Jihad in Syrien und im Irak und für terroristische Anschläge in westlichen Staaten hätte gewinnen können.11 Das World Wide Web ist das derzeit wichtigste und am häufigsten benutzte Kommunikations- und Propagandamedium der islamistischen und jihadistischen Szene, da es grenzüberschreitend schnelle Kommunikation und Interaktion sowie eine Teilhabe an Personenschicksalen und Ereignissen an weit entfernten Jihad-Schauplätzen ermöglicht. Das Web 2.0 dient islamistischen und jihadistischen Organisationen, Netzwerken, Gruppen und auch islamistischen Einzeltätern (lone wolves) als virtuelle Universität des Islamismus, des Salafismus und des Jihadismus.


Jihadistische Propaganda aus dem Internet: Ein Jihadist vor dem Bundestag in Berlin

2. Funktionen des Cyber-Jihads

2.1. Kommunikations- und Steuerungsinstrument

Das Web 2.0 wird als kostengünstiges, leicht zu bedienendes und dadurch höchst effektives Instrument der Verbindungsaufnahme, Weitergabe von Informationen, Meldungen, Anweisungen und Aufträgen genutzt. Dazu dienen sowohl offen zugängliche (Instant-Messaging-Dienste) als auch verschlüsselte Plattformen. Die Qualität der seit der Jahrtausendwende von jihadistischen Akteuren genutzten Seiten, Blogs und Foren hat sich qualitativ rasant entwickelt. Seit einigen Jahren kommen die sozialen Netzwerke als weitere virtuelle Ebene hinzu, die äußerst populär für die Kommunikation und eine schnelle Weitergabe von Informationen sind. Aktivisten und Sympathisanten des islamistischen und jihadistischen Spektrums nutzen online-Kontaktnetzwerke, um automatisiert zu Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen einzuladen. Der IS verbreitete zwischen 2012 und 2013 relativ präzise Angaben zu über 10 000 eigenen Einsätzen im Irak und über 1000 gezielten Tötungen. Adressaten waren sowohl die muslimische Welt im Allgemeinen als auch die irakischen und syrischen Streitkräfte im Speziellen.12 Diese Kommunikation von taktischem Vorgehen und taktischen Resultaten kann als Teil einer psychologischen Kriegsführung analysiert werden, um beim militärischen Gegner Angst und Entsetzen zu erzeugen. Die panische Flucht der jahrelang von den US-Truppen ausgebildeten und modern ausgerüsteten irakischen Soldaten bei der Eroberung Mossuls im Sommer 2014 wurde mit über 40 000 Tweets des IS pro Tag begleitet.13

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