Recht und Justiz

Remember Ireland - Das Gefängnis der Nation

Von Martin Glauert, Kassel

„Typisch irisch“ soll es sein, und das ist angeblich feucht und vergnügt. So karren Kleinbusse die Besucher Dublins in die Whiskeydestillerie Jameson, die weltberühmte Guinnessbrauerei und anschließend ins Vergnügungsviertel Temple Bar in einen Pub mit Musik, wo Paddy auf der Fiddle spielt. Unser Weg aber führt in den Knast. Kilmainham Gaol ist eines der größten Gefängnisse in Europa – heute zum Glück außer Betrieb. An kaum einem anderen Ort kommt man dem Selbstverständnis der Iren so nah. Ein bisschen starke Nerven braucht es, dann kann man eintauchen in die irische Seele, den ernsteren Teil.


Abschiedsbrief, Detail

Grau und grimmig wirkt der Kasten, und es liegt nicht nur an der frühen Morgenstunde, dass wir im Vorhof frösteln. Im Mauerwerk erkennt man deutlich die Stellen, wo die Galgen befestigt waren, an denen Verurteilte öffentlich gehängt wurden. Über der Eingangstür droht ein rätselhaftes Steinrelief: Drachen mit schrecklich aufgerissenen Mäulern und spitzen Zähnen haben sich ineinander verbissen, um den Hals tragen sie schwere Ketten. Tobt hinter diesen Mauern das wilde Böse oder wird es hier gezähmt?

Endlich öffnet sich das massive Gefängnistor aus schwarzem Metall und es erscheint ein freundlicher Wärter. „Rein geht es immer leichter als raus“, meint er grinsend, ein echter Knastphilosoph! „Gefängnisse werden nicht als Museen oder Denkmäler gebaut“, sagt Colin, „am Anfang war dies ein ganz normales Kittchen.“ Die Verhältnisse um 1770 waren allerdings chaotisch, es ging drunter und drüber. In einem alten Lederband sind handschriftlich penibel die Namen der Inhaftierten, die Vergehen und ihre Strafen aufgezählt: Das „Stehlen eines Laibes Brot“ oder eines Hemdes führte zu wochenlanger Haftstrafe in einer dunklen und schmutzigen Zelle. Der Boden war feucht, die Einrichtung bestand lediglich aus einem Strohlager. Ein wenig Licht fiel nur durch ein Mauerloch oben in der Wand, das direkt auf die Straße führte. Dies war die einzige Verbindung zur Außenwelt. Außer Luft und Licht konnte durch diese Öffnung allerdings auch ein lebhafter Handel stattfinden, wenn man nur genügend Geld besaß. Speisen, Schnaps und sogar Ausbruchswerkzeuge fanden so ihren Weg zu den Gefangenen. Da die Wärter herzlich bestechlich waren, herrschte im Inneren des Gefängnisses zeitweise ein chaotischer Trubel mit Trinkgelagen, Prostitution und Orgien. 1782 hieß es in einem Parlamentsbericht: „Schnaps und alle Sorten von Likör werden den Gefangenen ständig angereicht, die sich in einem ununterbrochenen Zustand der Trunkenheit befinden.“ Wegen der unhaltbaren moralischen Missstände (oder war es etwa Neid?) wurde das Gefängnis geschlossen und stand lange leer.


Gefängnishof

„Als es 20 Jahre später wieder geöffnet wurde, war die Welt eine andere geworden“, erklärt Niall Berghin, Supervisor und Kurator des Gefängnismuseums. „Die Menschen, die jetzt hierher kamen, waren politische Gefangene, irische Freiheitskämpfer gegen die Unterdrückung durch die Briten. 130 Jahre lang war Kilmainham ein patriotisches Gefängnis.“ Mit seinen hellblauen Augen, dem roten Dreitagebart und seinem leidenschaftlichen Temperament verkörpert er geradezu selbst das Thema des Museums. Wir folgen ihm über den Gefängnishof in den Zellentrakt. Die Schritte hallen in den engen Fluren. Eisentüren quietschen beim Öffnen und schlagen dann mit hartem Klang wieder zu. Die Gänge sind dunkel und feucht wie in einem Keller. Wir sind froh um unsere Jacken und uns ist dennoch kalt. Wie mag es wohl den Gefangenen ergangen sein, ohne Heizung und warme Kleider?


Relief über dem Gefängniseingang


Von den Holztüren ist die Farbe längst abgeblättert. Durch das runde Guckloch lugen wir in eine Zelle. Sie ist kleiner als gedacht, wie soll da ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl hinein gepasst haben? Zur schlimmsten Zeit, während der großen Hungersnot, mussten sich sechs Menschen diesen Raum teilen, unvorstellbar erscheint es uns, die konnten gar nicht alle gleichzeitig liegen, sondern mussten sich mit dem Schlafen und Stehen abwechseln. Damals war das Gefängnis überfüllt, immerhin gab es hier garantiert eine Mahlzeit am Tag, während draußen die Menschen verhungerten. „Dass die Menschen deshalb Straftaten begingen, nur um ins Gefängnis zu kommen, ist durchaus möglich“, räumt Niall ein. Als sich die Lage entspannte, wurden dann Einzelzellen eingeführt, die Gefangenen sollten isoliert werden, um über ihre Vergehen nachzudenken und zu bereuen.


Der „moderne“ Zellenbau

Längst ist der Trakt verlassen und leer. Aber woher kommen dann die Schritte? Ganz offensichtlich aus der Nachbarzelle. Dort hat man eine künstlerische Installation eingerichtet. Neugierig schiebt der Besucher die Metallplatte vor dem Guckloch zur Seite und sieht wie ein Wärter hindurch. Man erblickt einen bärtigen Gefangenen, der unruhig auf und ab geht und dabei die außen hörbaren Schritte hervorruft. Der Gefangene geht zum Fenster, nachdenklich schaut er hinaus. Er dreht sich um. Plötzlich bemerkt er den Zuschauer, wird ärgerlich, läuft auf die Tür zu und schaut den heimlichen Beobachter von Auge zu Auge an. Ertappt und erschrocken lässt man die Klappe fallen.

Seite: 123weiter >>