Recht und Justiz

Strafrechtliche Recht­sprechungsübersicht

§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: Hinterlistiger Überfall; plötzlicher Angriff von hinten reicht nicht. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: Mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung; Aufprall des Opfers gegen ein Möbelstück nach Schlag ins Gesicht. (...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht


§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: Hinterlistiger Überfall; plötzlicher Angriff von hinten reicht nicht. Ein Überfall ist nicht schon dann hinterlistig i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa indem er plötzlich von hinten angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, dass der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. (BGH, Beschl. v. 12.02.2013 – 2 StR 524/12)

§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – Gefährliche Körperverletzung; hier: Mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung; Aufprall des Opfers gegen ein Möbelstück nach Schlag ins Gesicht. Der Angeklagte (A.) hatte seine 16-jährige Stieftochter (G.) im November 2010, nachdem sie sich geweigert hatte, ihr Handy an ihn herauszugeben, so heftig in das Gesicht geschlagen, dass sie mit dem Kopf gegen die Bettumrandung stieß. Als sie sich danach in den Waschraum des Hauses begab, schlug er sie nochmals, dieses Mal mit der Faust gegen den Kopf, sodass die Zeugin kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Kurz danach hatte die Zeugin in der Schule einen Zusammenbruch und musste notärztlich versorgt werden.
§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend ist hierfür, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden. Dabei ist vor allem die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten zu berücksichtigen; wie etwa bei mehreren wuchtigen Faustschlägen gegen den Kopf eines neun Wochen alten Säuglings, bei massiven Schlägen gegen den Kopf des (alkoholisierten) Tatopfers sowie bei zahlreichen Schlägen in das Gesicht und gegen den Kopf einer an einer Hauswand fixierten Geschädigten, die zu längerer Bewusstlosigkeit und schweren Verletzungen führten. Eine individuelle, auf die Person des Geschädigten bezogene besondere Schädlichkeit der Einwirkung ist nicht ausreichend mit der Erwägung dargetan, dass in einem möblierten Zimmer damit zu rechnen sei, dass der Geschädigte aufgrund eines wuchtigen Schlages das Gleichgewicht verliert und mit dem Kopf gegen einen Einrichtungsgegenstand prallen könnte. Zudem begab sich die G. nach diesem Vorfall in den Waschraum, um Kleidungsstücke zu holen, ohne dass körperliche Beeinträchtigungen festzustellen waren. Dass der im Waschraum geführte Faustschlag eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit der G. zur Folge hatte, reicht für sich allein ebenfalls nicht aus, um die Eignung zur Lebensgefährdung zu belegen, zumal die G. unmittelbar anschließend nach einem weiteren Wortwechsel mit dem A. in die Schule ging. Im Übrigen ist zum Vorsatz des A. nicht ausreichend dargetan, dass er bei Ausführung der von ihm konkret gewollten und umgesetzten Tathandlungen die allgemeine Gefährlichkeit seines Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers erkannte. (BGH, Beschl. v. 16.01.2013 – 2 StR 520/12)

§§ 240, 22, 23 StGB – Versuchte Nötigung durch anwaltliches Mahnschreiben; hier: „Inkassoanwalt für Masseninkasso“. Ab März 2009 hatte der Ö. den Gewinnspieleintragungsdienst „e.“ über die von ihm in der Schweiz gegründete T. AG vertrieben, wobei diese sich externer – überwiegend in der Türkei ansässiger – Call-Center bediente. Auch die Verträge wurden telefonisch abgeschlossen; hierbei erteilten die Kunden auch die Ermächtigung zum Lastschrifteinzug. Eine Eintragung der Kunden als Teilnehmer an Gewinnspielen erfolgte nicht. Gleichwohl ließ Ö. die Teilnehmerbeiträge bei den Kunden mittels des Lastschriftverfahrens einziehen. Nachdem es bei immer mehr Kunden aus unterschiedlichen Gründen zu Rücklastschriften gekommen war, wollte Ö. diese Kunden durch ein Anwaltsschreiben so einschüchtern, dass sie die in Wahrheit unberechtigten Forderungen bezahlten. In dem Schreiben war u.a. zu lesen (Auszüge): „Ich fordere Sie hiermit auf, die obige Gesamtforderung hier eingehend bis spätestens zum […] auf mein (...) Konto zu überweisen. Nach fruchtlosem Ablauf obiger Frist wird meine Mandantin ihre Forderung – ohne weitere Ankündigung – gerichtlich geltend machen; hierdurch würden Ihnen ganz erhebliche zusätzliche Kosten und Unannehmlichkeiten entstehen. So würde im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung auch öffentlich, dass Sie vereinbarungsgemäß auch zu Gewinnspielen nicht jugendfreien Inhalts angemeldet wurden. Die möglichen Folgen einer gerichtlichen Auseinandersetzung können von Negativeinträgen bei bekannten Kreditauskunfteien bis hin zu Konten- und Gehaltspfändungen reichen. Dies alles lässt sich vermeiden, wenn Sie nun Ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen und Zahlung leisten. Sollte die obige Gesamtforderung von Ihnen dennoch nicht fristgerecht gezahlt werden, behält sich meine Mandantin darüber hinaus vor, den Sachverhalt der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Überprüfung wegen des Verdachts eines Betruges vorzulegen.“ Insgesamt ließ Ö. ab dem 9. Juni 2009 bis Mitte Juli 2009 8.873 Briefe an Kunden von „e.“ und „w.“ versenden, was insgesamt zu einem Geldeingang in Höhe von 190.940,97 Euro auf den vom Angeklagten eingerichteten Konten führte. Es ist jedoch nicht sicher, ob die Kunden „nur aufgrund der Androhung mit einer Strafanzeige und nicht schon aufgrund des Drucks eines anwaltlichen Mahnschreibens gezahlt haben“.
Eine Nötigung setzt voraus, dass mit einem Übel gedroht wird, wobei das Übel empfindlich sein muss. Außerdem muss die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck gemäß § 240 Abs. 2 StGB als verwerflich anzusehen sein. Der Angeklagte (A.) hatte es Ö. ermöglicht, seine Berufsbezeichnung als Anwalt einzusetzen, um dadurch generell die Position der Adressaten als faktisch aussichtslos erscheinen zu lassen. Letztlich sollten auf diese Weise juristische Laien durch die Autorität eines Organs der Rechtspflege zur Hinnahme der nur scheinbar vom A. stammenden Wertungen veranlasst werden. Der A. wollte, dass sie sich lediglich noch vor die Wahl gestellt sahen, entweder – als kleineres Übel – die Forderungen des Ö. sofort zu erfüllen, ohne dass es aus seiner Sicht darauf ankam, ob die Forderungen berechtigt waren oder nicht, oder andernfalls mit größeren Übeln rechnen zu müssen. Im Übrigen kann der Täter auch aus einer (versuchten) Nötigung etwas erlangen. (BGH, Beschl. v. 05.09.2013 – 1 StR 162/13)

§ 263 Abs. 1 StGB – Betrug; hier: „Ping“- Anrufe aufs Handy. Die drei Angeklagten hatten mindestens 785.000 Mobiltelefonnummern mittels Computer so kurz angewählt, dass die Angerufenen keine Möglichkeit hatten, das Gespräch anzunehmen. Zahlreiche Angerufene riefen deshalb die Nummer zurück, ohne zu wissen, dass es sich um eine teure, nutzlose Mehrwertdienstnummer (0137-Nummer für 0,98 €) handelte.
Das Vorgehen der Angeklagten (A.) stellt einen vollendeten Betrug dar. Das für eine Täuschung erforderliche ernsthafte Kommunikationsanliegen liege darin, dass alle vernommenen Geschädigten bestätigt hatten, dass sie von einem Anruf eines Bekannten ausgegangen seien und nur deswegen zurückgerufen hätten. Es liege auch ein stoffgleicher Schaden vor, weil ein Teilbetrag der von den Telekommunikationsanbietern eingezogenen Gelder an die A. fließen sollte. Mindestens 660.000 Telefonate wurden mit 0,98 Euro berechnet, so dass den Anrufern ein Schaden i.H.v. 645.000 Euro entstand. Selbst wenn man einen Abschlag von 20% vornähme, weil möglicherweise nicht alle Geschädigten die Rechnungen der Telekommunikationsanbieter bezahlt haben, beläuft sich der Gesamtschaden auf mindestens 516.000 Euro. Nur aufgrund der Aufmerksamkeit der Bundesnetzagentur war den drei A. kein Geld ausgezahlt worden. (BGH, Entscheidung v. 27.03.2014 – 3 StR 342/13)

§ 263 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 StGB – Betrug; hier: Vermögensschaden beim Sportwettenbetrug. Die Angeklagten zumeist gemeinsam, aber auch allein, platzierten bei verschiedenen Wettanbietern in Europa und Asien zu verbindlichen Quoten angebotene Wetten auf die Ergebnisse von Fußballspielen, auf deren Ausgang sie durch Zahlungen an Spieler oder Schiedsrichter Einfluss genommen hatten.
Bereits mit Abschluss des Wettvertrages ist bei manipulierten Sportwetten mit fester Quote die Betrugshandlung unabhängig von einer Gewinnauszahlung vollendet. Der Vermögensschaden ist bereits mit Abschluss des Wettvertrages zu bejahen. Er bestimmt sich nach der Wahrscheinlichkeit des gewetteten Spielausgangs. Diese erhöht sich durch eine nicht offen gelegte Manipulation und mindert sich durch den Geldwert des Anspruchs des Wettanbieters. (BGH, Urt. v. 20.12.2012 – 4 StR 125/12, 4 StR 55/12)

II. Prozessuales Strafrecht


Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 3d MRK, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 92 GG, § 172 Nr. 1a GVG, § 68 Abs. 3, § 68a Abs. 2 S. 1 StPO, §§ 95, § 96, 238, § 247a StPO – Unwirksame Sperrerklärung für audiovisuelle Vernehmung eines V-Manns der Polizei. Der Antragsteller (Ast.) begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners, der (abgeschirmten) Vernehmung einer von der Frankfurter Polizei geführten Vertrauensperson in einem derzeit beim dortigen Landgericht geführten Strafprozess zuzustimmen. Der Ast. ist einer von ursprünglich fünf Angeklagten, die in einem Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft beschuldigt werden, gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (50 kg Kokain) Handel getrieben zu haben. Das Kokain sollte aus Südamerika auf dem Seeweg über Hamburg eingeführt, dort von der von Vertrauensperson „Jens“ in Empfang genommen und an die Angeklagten weitergeleitet werden. Mit Schreiben vom 11. Januar 2013 bat der Vorsitzende Richter um Mitteilung des vollständigen Namens der Vertrauensperson „Jens“, weil eine „unmittelbare Befragung der Vertrauensperson von größter Wichtigkeit“ und seine Vernehmung als Zeuge im Verfahren daher beabsichtigt sei. Mit Schreiben vom 6. Februar 2013 teilte das Hessische Ministerium des Innern und für Sport dem Landgericht mit, dass dem Ersuchen gem. § 96 StPO nicht entsprochen werden könne, weil die gewünschte Auskunft dem Wohl des Landes Hessen Nachteile bereiten würde. Weitere Begründungen wurden angefügt.
Angesichts der Weiterentwicklung des Strafprozessrechts und der Kommunikationstechnik in den letzten Jahren sind Sperrerklärungen einer obersten Dienstbehörde i.S.d. § 96 StPO in der Regel unwirksam, soweit sie sich auf eine vom zuständigen Strafgericht für zulässig und erforderlich gehaltene Zeugenvernehmung einer Vertrauensperson der Polizei beziehen und durch eine audiovisuelle Vernehmung dieser Person unter Nutzung weiterer strafprozessualer Möglichkeiten des Zeugenschutzes deren Enttarnung verhindert werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Vertrauensperson maßgeblich an Planung und Organisation der Straftat, die Gegenstand des jeweiligen Strafverfahrens ist, mitgewirkt hat. Insoweit mögen zwar die einzelnen als Schutzmaßnahmen für „Jens“ in Betracht gezogenen Vorkehrungen für sich allein nicht ausreichen, um ihn hinreichend vor einer Enttarnung zu schützen. Durch eine Kumulierung der Maßnahmen kann jedoch einerseits eine Enttarnung der Vertrauensperson verhindert und andererseits den Interessen des Antragstellers an einer möglichst unmittelbaren Beweiserhebung weitgehend Rechnung getragen werden. (VGH Kassel, Beschl. v. 29.05.2013 – 8 D 1006/13, 8 B 1005/13)

III. Sonstiges


Zum Begriff der „laufenden Kommunikation“ bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ). Ein Beitrag zu den gebotenen legislativen Konsequenzen aus der Online-Durchsuchungs-Entscheidung des BVerfG, v. Richter am LG U. Buermeyer, Berlin und Rechtliche Zulässigkeit der sog. Quellen-TKÜ, Vermerk des Generalbundesanwalts beim BGH (beides in Der Strafverteidiger, 2013, 470 – 478).