Recht und Justiz

Die erkennungsdienstliche Behandlung - Teil 2

zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bzw. zum Zwecke des Erkennungsdienstes nach den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2 und 10 PolG NW bzw. 81b 2 StPO – Fortsetzung


Von Jürgen Ogrodowski, Kriminalhauptkommissar, Polizeipräsidium Köln

  • Noch einengender ist die Definition des § 81g StPO, die laut der StPO-Kommentierung von Meyer/Goßner die Wiederholung „einschlägiger“ also identischer Taten meint. Lässt der § 112a StPO noch die „Vergleichbarkeit“ von z.?B. schwerem Diebstahl (§ 243 StGB) mit dem Raub (§ 249 StGB) zu, so ist diese hier nicht mehr gegeben.
  • Meyer/Goßner bezieht die Prognose bei § 81b StPO zunächst auf gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Wiederholungs- bzw. Rückfalltäter. Bei anderen Beschuldigten sei maßgebend, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er in ähnlicher oder anderer (!) Weise erneut straffällig werden könnte. Dies wäre eine sehr weitgehende Interpretation und ließe grds. jegliche zukünftige Tat zu.
  • Am 28.06.07 entschied das OVG Niedersachsen (11LC372/06) einen solchen Fall und bezog sich auf die Vorinstanz, die das Problem wie folgt bewertete: „Hierfür reicht nicht die allgemeine Gefahr aus, dass er in Zukunft irgendwelche Straftaten begehen werde. Erforderlich sei vielmehr die Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte in Form von Betrugsstraftaten, da Anlass für die ED-Maßnahme ein Betrugsdelikt gewesen sei.“ Die Vorinstanz geht wieder sehr restriktiv mit dem Problem um. Das OVG ging nicht darauf ein, sondern begründete die Prognose für weitere Betrugstaten nur mit der einen Anlasstat.

Lösungsansatz

M.E. ist unzweifelhaft, dass die erforderliche Vergleichbarkeit vorliegt, wenn – in Anlehnung an § 112a StPO das gleiche Rechtsgut wie Eigentum oder Vermögen oder körperliche Unversehrtheit betroffen war bzw. sein wird!
Ist jemand (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung zuvor in Erscheinung getreten und begeht jetzt einen schweren Diebstahl, müsste sich demzufolge die Prognose ausschließlich auf Diebstahlsdelikte beziehen.
Ist aber jemand bislang „nur“ wegen gefährlichen Körperverletzungsdelikten oder schweren Diebstählen in Erscheinung getreten und begeht jetzt einen Raub, so könnte man m.E. häufig dennoch eine Prognose begründen, denn es erscheint (ggf. unter Einbeziehung weiterer Aspekte) sehr wohl wahrscheinlich, dass er wieder wegen Delikten in Erscheinung tritt, die die körperliche Unversehrtheit bzw. das Rechtsgut Eigentum beeinträchtigen (denn der Raub beinhaltet beide Rechtsgüter).
Ansonsten ist die Prognose immer (nur) auf die der ED-Behandlung zugrunde liegende Anlasstat zu beziehen. Kann man also bei der Prognose nicht auf zurückliegende gleichartige Delikte zurückgreifen, muss man die Wiederholungswahrscheinlichkeit nur mit der einen Anlasstat versuchen zu begründen, was unter Einbeziehung sonstiger, o.?g. Kriterien auch durchaus möglich ist. Ob zukünftig mal eine höchstrichterliche Entscheidung dazu ergeht, wie die „Artgleichheit“ des zukünftigen Wiederholungsdeliktes zu interpretieren ist, oder ob ein solche überhaupt vorliegen muss, bleibt abzuwarten.

Praxishinweis: Es sollten die zurückliegenden Taten, die die Prognose untermauern, möglichst konkret (strafrechtlicher und kriminologischer Begriff, Aktenzeichen, Verfahrensstand, Beweislage etc.) aufgezeigt werden.

Erforderlichkeit


Für beide gesetzlichen Vorschriften gilt auch noch die

Notwendigkeit = Erforderlichkeit1 der ED-Behandlung,

d. h. zu prüfen ist, ob die Maßnahme, auch ihrem Umfang nach (also jede einzelne angefertigte Unterlage), überhaupt notwendig ist für das eingangs genanntes Ziel und ob sie oder diese Einzelmaßnahmen dafür das mildeste geeignete Mittel ist! Definition nach BVerwG aus 1982 und BGH v. 23.05.05, 6 C 2.05:

…wenn der anlässlich eines Strafverfahrens gegen den Betroffenen festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – insbesondere Art, Schwere und Begehungsweise der Taten, der Persönlichkeit des Betroffenen sowie des Zeitraumes, in dem er strafrechtlich nicht oder nicht mehr in Erscheinung getreten ist – die Annahme rechtfertigt, er könne in Zukunft mit guten Gründen als Verdächtiger oder potenzieller Beteiligter an einer Straftat in Betracht kommen und die ED-Unterlagen könnten diese Ermittlungen fördern, den Betroffenen also überführen oder entlasten.



Und aus einem Urteil des VGH Baden-W. v. 18.12.03:

…das alle Unterlagen gerade für die Aufklärung solcher Taten geeignet und erforderlich sein müssen, für die im konkreten Fall die Wiederholungsgefahr begründet werden kann. Dies setzt einen hinreichenden Zusammenhang zwischen der Art der erhobenen Daten und der Art der Begehungsweise der zu besorgenden Taten voraus.



Diese Notwendigkeit ist z.?B. nicht gegeben, wenn aktuelle und umfassende Unterlagen vorliegen. Insoweit haben die genannten Fristen bezüglich einer erneuten ED-Behandlung in den BKA-Richtlinien und dem NW-Erlass aus hiesiger Sicht nur ermessenskanalisierenden Charakter (zumal sich die Fristen teilweise noch widersprechen).

Erstes Problem


Wann sind die Unterlagen nicht mehr aktuell, woran kann man dies festmachen?
Zitat aus einem Urteil des niedersächsischen OVG (11LC372/06 unter Hinweis auf OVG Magdeburg v. 30.01.06):

„Die Herstellung der neuen Lichtbilder und Fingerabdrücke ist erforderlich, wenn seit der Anfertigung der alten Unterlagen mehrere Jahre (hier 9) vergangen sind und die Bilder/Abdrücke nicht mehr für Identifizierungszwecke geeignet sind, zumal die Betroffene damals erst 19 Jahre alt war. Es wurde (nachvollziehbar) unterstellt, dass das Aussehen von Personen solchen Alters (naturgemäß) in der Folgezeit erheblichen Veränderungen unterliegen kann. Diesem Gesichtspunkt trage auch das Personalausweisgesetz Rechnung, wonach die Gültigkeitsdauer von Personalausweisen bei Personen, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur fünf Jahre beträgt.



Diese Zeitspanne reduzierte das OVG Münster mit Urteil vom 21.02.2008 Az.: 11 LB 417/07:
In Anlehnung an Ziff. 5.2.2 der BKA-Richtlinien ist eine Zeitspanne von 5 Jahren ausreichend, da „insbesondere durch spätere Verletzungen, aber auch durch chemische oder mechanische Beanspruchungen oder den natürlichen Alterungsprozess sich Veränderungen der Hauptoberfläche einstellen können“.
Nach VG Göttingen vom 21.10.09 (1 A 180/09) können MINDERJÄHRIGE schon nach 3 Jahren erneut ed-behandelt werden.
In praxi: bei einem Arbeiter im Bauhandwerk kann es schon nach 4 Wochen entsprechende Veränderungen geben, die eine erneute ED-Behandlung notwendig machen. Folglich sollte immer eine EINZELFALLPRÜFUNG i.?S.?d. Fragen „Hat sich das Aussehen entscheidend verändert? Wäre eine Identifizierung eher unwahrscheinlich?“ vorgenommen werden!


Zweites Problem


Die Notwendigkeit soll weiter dann grds. nicht gegeben sein, wenn ED-Maßnahmen in Bezug auf bestimmte Delikte in aller Regel gar keine Rolle spielen können z.?B. bei einer Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr oder Unterhaltspflichtverletzungen oder auch häuslicher Gewalt (denn da ist der Täter in aller Regel bekannt bzw. „deliktsimmanent“ bzw. Handlung ist „ohne Außenwirkung“. Dies ist m.E. aber eine Begründungsfrage: z.?B. kann eine gezeigte hohe kriminelle Energie bei der häuslichen Gewalt auch eine wahrscheinliche Gewaltbereitschaft z.?N. zukünftiger anderer – außenstehender – Geschädigter begründen; außerdem kann auch der bekannte TV zukünftig flüchtig sein und er kann von Zeugen wiedererkannt werden. Das Libi-Material kann dann Observations- und Fahndungszwecken dienen , so z.?B. auch möglich beim – mehrfachen – unerlaubten Entfernen vom Unfallort i.?S.?v. § 142 StGB; einer Nötigung im Straßenverkehr2.
Die Notwendigkeit der Maßnahme ergibt sich demzufolge anhand einer Abwägung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil dieser sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist.
Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere danach zu differenzieren, in welchem Umfang beispielsweise auch nach einem Verfahrensabschluss noch Verdachtsmomente bestehen. Wären diese ausgeräumt, wäre eine ED-Maßnahme nicht mehr notwendig. Auch kommt es darauf an, welcher Art das Delikt ist, je schwerer es wiegt, je höher der Schaden für die Rechtsgüter und die Allgemeinheit zu veranschlagen ist und je größer die Schwierigkeiten einer Aufklärung sind, desto mehr Gewicht erlangt das oben beschriebene öffentliche Interesse.

Fortsetzung folgt


Anmerkungen

  • Die Notwendigkeit ist besonders streng zu prüfen, was der Gesetzgeber auch durch die gesonderte Erwähnung im Gesetzestext unterstrichen hat
  • vgl. LG Zweibrücken, Beschl. v. 23.09.1999 – 1 Qs 126/99. VG Köln vom 27.01.11 -20 K 1086/10 und VG Augsburg vom 11.03.10 – Au 5 K 09.1283 – lehnen eine ED bei Beziehungstaten/nicht anonymen TV grds. ab !!!