Subjektive Sicherheit und der Einfluss sozialdemographischer Merkmale. Ergebnisse von Bürgerbefragungen
Von Prof. Dr. Anton Sterbling, Diplomsoziologe, Hochschule der Sächsischen Polizei (FH)
Mit Fragen der subjektiven Sicherheit in ihren verschiedenen Facetten beschäftigt sich eine Vielzahl älterer und neuerer sozialwissenschaftlicher und insbesondere kriminologischer und psychologscher Arbeiten, die zum Teil als Begleitforschungen praktischer Polizeiarbeit sowie lokaler oder regionaler Präventionsvorhaben durchgeführt wurden (Feltes 1995; Tücke 2000; Tücke 2002; Dölling u.a. 2003; Kury u.a. 2004; Naplava 2007; Goritzka 2008; Baier u.a. 2009). Bei anderen solcher Arbeiten handelt es sich aber auch um Teilauswertungen bundesweiter Umfragen zu verschiedenen Lebensbereichen oder um Befunde aus Wohlfahrtssurveys oder Ergebnisse international vergleichender Untersuchungen (z.B. Babl 1993; Noll 1994; Noll/Weick 2000; Dittmann 2005; Dittmann 2011).
„Verbrechensangst“, „Kriminalitätsfurcht“, „Viktimisierungsgefahren“, „Sicherheitsgefühl“ sind Begriffe, die in wissenschaftlichen Analysen und Debatten um die innere Sicherheit eine wichtige Rolle spielen (Dreher/Feltes 1998; Schneider 2001; Oberwittler/Karstedt 2004; Zimmermann 2005; Feltes u.a. 2006; Wurtzbacher 2008; Schwind 2009; Ziegleder u.a. 2011). In diesem Kontext gibt es eine Reihe gängiger Erkenntnisse und entsprechender Theoreme, die sich bewährt haben und die doch auch immer wieder erneut kontrovers diskutiert werden, so dass weitere empirische Überprüfungen durchaus sinnvoll erscheinen.
So wird häufig der „Konstruktcharakter“ der Verbrechensfurcht hervorgehoben (Reuband 1999; Kury u.a. 2004), auf die „Broken Windows-Theorie“ hingewiesen (Füllgrabe 2000; Hermann/Laue 2003), das „Kriminalitäts-Furcht-Paradoxon“ angesprochen (Schwind 2009; Herbst 2011) wie auch auf verschiedene andere, gleichsam übergreifende sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze der Kriminalitätsfurcht aufmerksam gemacht (Sterbling 2009). Auf solche theoretische Ansätze und daraus sich ergebende empirische Fragen beziehen sich die folgenden Ausführungen wie auch die gesamte Untersuchungsreihe, die diesen zu Grunde liegt.
Es handelt sich bei dieser Reihe um insgesamt sechs schriftliche Bürgerbefragungen zur subjektiven Sicherheit und Lebensqualität, die zwischen 1998 und 2012 in den Städten Hoyerswerda (1998, 2002, 2008) und Görlitz (1999, 2004, 2012) durchgeführt wurden. Dazu liegen Untersuchungsberichte in Form von Buchpublikationen (Burgheim/Sterbling 1999a; Burgheim/Sterbling 2000; Sterbling/Burgheim 2004a; Sterbling/Burgheim 2006a; Sterbling 2008; Sterbling 2013) sowie u.a. auch in dieser Zeitschrift veröffentlichte Teilergebnisse zu spezifischen Einzelaspekten vor (Burgheim & Sterbling 1999b; Sterbling & Burgheim 2004b; Sterbling & Burgheim 2006b). Befragt wurden jeweils 2.000 zufällig gezogene Bürger beider Städte aus der Bevölkerung über 14 Jahren. Die Nettorücklaufquoten lagen bei allen Untersuchungen zwischen 34 und 48 Prozent, und bei der letzten 2012 in Görlitz bei etwas über 40 Prozent. Die verwendeten Fragebogen, die zwischen 60 bis 75, größtenteils geschlossene Fragen umfassten, wurden zwar auch an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst. Die Kernfragen blieben aber identisch, so dass sowohl eine Analyse längerfristiger Entwicklungsverläufe wie auch systematische Vergleiche zwischen beiden Städten auf dieser Datengrundlage möglich erscheinen.
In den folgenden Ausführungen sollen wichtige Aspekte und Entwicklungsmuster der subjektiven Sicherheit, wie sie aus unserer Untersuchungsreihe hervorgehen, dargestellt werden. Dabei soll auch und nicht der Einfluss relevanter sozialdemographischer Variablen im Sinne der Überprüfung der angedeuteten Theoreme systematisch mit analysiert werden. Zugleich soll kenntlich gemacht werden, dass deren Veränderung im Zeitverlauf – etwa im Sinne einer fortschreitenden Alterung der befragten Bevölkerung – deutliche Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl insgesamt hat.
Befunde zur subjektiven Sicherheit und deren Entwicklung
Kury und Obergfell-Fuchs stellten im Jahr 2003 zur Entwicklung der Verbrechensfurcht in Ost- und Westdeutschland seit der deutschen Vereinigung fest: „Relativ rasch nach der Wende (1991) waren die Ängste der Ostdeutschen, Opfer einer Straftat zu werden, hiernach bereits ausgeprägter als bei den Westdeutschen. Das ist vor dem Hintergrund der erheblichen Verunsicherung direkt nach der Wende, der rasch zunehmenden Kriminalitätsbelastung, des Erlebens der „Unfähigkeit“ der Polizei, das „Kriminalitätsproblem“ in den Griff zu bekommen und der Zunahme der Kriminalitätsberichterstattung in den Medien verständlich. 1991 war dieser Prozess bereits voll im Gange. (...) Im Laufe der Zeit dürften sich die Bürger mehr und mehr an die neue Situation gewöhnt haben, was auch zu einem Rückgang der Verbrechensfurcht ab 1996 beigetragen haben dürfte. Ab 1996 sinken die Verbrechensfurchtwerte in beiden Landesteilen mit Ausnahme des Jahres 2000, wo sich jeweils ein kurzfristiger Anstieg zeigt. Auch nähern die Verbrechensfurchtwerte sich in beiden Landesteilen insbesondere 2002 erheblich an. Im Vergleich zu 1991 erreichen sie in Westdeutschland etwa denselben Wert, in Ostdeutschland sinken sie deutlich ab.“ (Kury/Obergfell 2003, S. 12; Noll/ Weick 2000; Dittmann 2005). Lag der Anteil der Menschen, die sich in Ostdeutschland „große Sorgen“ über die Kriminalitätsentwicklung machten, zwischen 1994 und 1997 noch über 70 Prozent und zwischen 1997 und 2001 noch über 60 Prozent, so sank dieser Anteil sodann bis 2004 auf etwa 40 Prozent (Statistisches Bundesamt 2006, S. 535). Im Jahr 2009 machten sich in Ostdeutschland nur noch 37 Prozent und in Westdeutschland 33 Prozent wegen der Kriminalitätsentwicklung „große Sorgen“ (Dittmann 2011, S. 297 f).
Gegenüber dem allgemeinen Trend eines starken Anstiegs der Kriminalitätsfurcht bis Mitte der 1990er Jahre und eines tendenziellen Rückgangs in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und danach ergaben unsere ersten Untersuchungen in Hoyerswerda und in Görlitz eine gewisse Verzögerung im Sinne eines Beharrens auf einem relativ hohen Niveau der Kriminalitätsfurcht bis Ende der 1990er Jahre – ein Niveau, das nicht nur deutlich höher als in westdeutschen Städten, z.B. in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen, lag (Feltes u.a. 1995; Tücke 2000), sondern sich teilweise auch auffällig ungünstiger als die Vergleichswerte in Ostdeutschland darstellten. In unseren Untersuchungen ließ sich erst nach 2000 und in den Folgejahren bis mindestens 2004 eine Verbesserung des allgemeinen Sicherheitsgefühls und danach eine Stagnation bzw. erneute tendenzielle Verschlechterung feststellen, die sich teilweise auch durch den rapiden Wandel der Altersstruktur der Bevölkerung erklären lässt (Sterbling 2010).
Wie immer wieder herausgestellt und empirisch belegt wurde, muss die subjektiv empfundene Furcht, Opfer einer strafbaren Handlung zu werden, nicht mit der tatsächlichen Bedrohungssituation übereinstimmen. Zudem ist die Kriminalitätsfurcht recht ungleich in der Bevölkerung verteilt. Sie hängt ebenso von der persönlichen Lebenssituation und von den früheren Erfahrungen ab wie mit bestimmten sozialdemographischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht zusammen. Gleichwohl ist Kriminalitätsfrucht ein aussagekräftiger Indikator der Lebensqualität (Reuband 1992).
Um die Entwicklungen der Kriminalitätsfurcht im gesamten Zeitraum der sechs durchgeführten Untersuchungen, also zwischen 1998 und 2012, valide und ausreichend differenziert zu erfassen, wurde auf einen Satz von acht Fragen zurückgegriffen, die sowohl eine systematische intertemporale Betrachtung wie auch Vergleiche zwischen den Städten Görlitz und Hoyerswerda ermöglichen. Zudem soll die Relevanz einzelner sozialdemographischer Merkmale (Alter, Geschlecht, Stadtteil u.ä.) im Sinne der angesprochenen Theoreme mitreflektiert werden. Dabei kann man die Fragen zur Kriminalitätsfurcht drei verschiedenen Bereichen zuordnen.
Dem affektuellen oder emotionalen Bereich der subjektiven Sicherheit sind folgende Fragen zuzurechnen: a) „Wie sicher fühlen Sie sich oder würden Sie sich fühlen, wenn Sie hier in Ihrer Wohngegend nachts draußen alleine sind bzw. alleine wären?“, b) „Wie sicher fühlen Sie sich in Ihrer Wohngegend?“, c) „Haben Sie in Ihrer Wohngegend nachts draußen alleine Angst, Opfer einer Straftat zu werden?“, d) „Fürchten Sie sich davor, nachts allein in Ihrer Wohnung zu sein?“
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