Politisch motivierte Gewaltkriminalität

Der deutsche Dschihad: alte und neue Hotspots


Galt bis vor kurzem Pakistan als eines der wichtigsten Reiseziele deutscher Gotteskrieger, so scheinen inzwischen andere fragile Staaten an Attraktivität für Dschihadisten gewonnen zu haben. Pläne der Kern-al-Qaida, die auf Anwerbung, Ausbildung und Einschleusung der in Wasiristan geschulten Islamisten nach Westen abzielten, stoßen an ihre Grenzen. Denn die westlichen, vor allem amerikanischen Nachrichtendienste konnten zahlreiche Sicherheitslücken verschiedener Netzwerke ausnutzen. Die Kommunikation und Reisebewegungen zwischen Europa wie Deutschland und Pakistan etablierten sich als nachrichtendienstliches Beobachtungsobjekt. Kaum einer Gruppe mit Deutschlandbezug gelang es bis jetzt, ihren Plänen unbemerkt nachzugehen, was von Ausreiseversuchen in die Gebiete des Dschihad allerdings nicht gesagt werden kann.

Dr. Dr. (rus) Michail Logvinov


Veränderte Rahmenbedingungen

Dank den US-amerikanischen Hinweisen konnten die „bayerischen Taliban“ (die Sauerland-Gruppe) und die Düsseldorfer Zelle rechtzeitig verhaftet werden. Auch die Planung terroristischer Aktionen unter Beteiligung von vier Hamburger Islamisten (Sidiqi, Makanesi, Dashti, Meziche) konnte nicht aufgehen. Zudem häuften sich erfolgreiche Dronenangriffe der CIA in Nord-Wasiristan, die die Angst vor Spionen unter den Militanten schürten.

Daher setzen die Dschihadisten auf radikalisierende Propaganda, den so genannten Co-Terrorismus und schwer zu beobachtende Einzeltäter, die ohne Verbindungen zu Pakistan aktiv werden sollen. Denn viele erfolgreiche Aktionen gehen auf ihr Konto: Der Frankfurter Schütze Arid Uka scheint im Gegensatz zu herkömmlichen Terroristen dem von der al-Qaida gelobten Beispiel des US-Militärpsychiaters Nidal Malik Hasan gefolgt zu sein, der im texanischen Fort Hood 13 Soldaten erschossen und mehr als 30 verletzt hat. Der jemenitische Zweig von AQ hat 2011 in seiner Internet-Zeitschrift „Inspire“ auch Arid Uka für seine Morde gelobt. Der Mörder von Toulouse, Mohammed Merah, war zwar in der Gruppe mit dem Namen Jund al-Khilfah (JaK), zu Deutsch: Soldaten des Kalifats, ausgebildet, handelte jedoch eigenverantwortlich. Die Ereignisse in französischem Toulouse ähneln teilweise einer Szenerie, die sich am 12. November 2011 im kasachischen Taras abspielte. Dort hat ein vermutlicher JaK-Anhänger stundenlang die Stadt in Atem gehalten, indem er sich heftige Feuergefechte mit der Polizei lieferte, auch zufällige Opfer nicht scheute und sich am Ende in die Luft sprengte.


„Die Deutschen sind zum Greifen nah…“: Der Messerstecher Murat K. soll nach Denis Cuspert freigepresst werden. Keine leere Drohung, wie der Fall eines in Nigeria entführten und getöteten deutschen Ingenieurs zeigt.

Auch deutschstämmige Dschihadisten mischen bei der Propagandaarbeit kräftig mit. Über die altbekannten „Szenestars“ auf dem Boden des Dschihad wie die Brüder Chouka hinaus sind seit vor kurzem auch weitere Personen am Werk, so dass sich in jüngster Zeit erneute Aufrufe an gewaltbereite Islamisten mehren, Anschläge in Deutschland zu verüben. Der Verfassungsschutz warnt konsequenterweise vor Einflussnahme aus dem Ausland. Nicht ohne Grund: Der Österreicher Mohamed Mahmoud soll in Ägypten einen Brückenkopf geschaffen und eine „Abteilung für Übersetzungen“ der Globalen Islamischen Medienfront reaktiviert haben. Infolge der Pro-NRW-Provokationen sowie der Proteste in der islamischen Welt gegen den Mohammed-Schmähfilm ließen die deutschstämmige Akteure keine Gelegenheit aus, zu Morden an Rechtsextremisten, Politikern und vermeintlichen Befürwortern der „Erniedrigung des Propheten“ aufzurufen. Auch von Geiselnahmen, Aktionen nach dem Merah-Vorbild und der Dschihadpflicht im Ausland ist die Rede.
Dass die westlichen Nachrichtendienste die Rolle der radikalisierenden Propaganda sehr ernst nehmen, bestätigt bspw. die Tötung des Chefpropagandisten der AQ im Jemen, Anwar al-Awlaki. Auch deutschstämmige Akteure lenkten die Aufmerksamkeit der USA auf sich. So hat das US-Außenministerium am 26. Januar 2012 drei aus Deutschland stammende Islamisten auf die Liste der internationalen Terroristen gesetzt. Es handelt sich um die Brüder Yassin und Monir Chouka aus Bonn und Mevlüt Kar, einen Deutsch-Türken aus Ludwigshafen.1 Der amerikanische Präsident Obama soll zudem laut Medienberichten die Gebrüder Chouka zum Abschuss durch CIA-Drohnen freigegeben haben. Die Bonner gelten nämlich als Kämpfer, Rekrutierer, Logistiker und Propagandisten für die in Pakistan und Afghanistan agierende „Islamische Bewegung Usbekistans” (IBU). Mevlüt Kar wird vorgeworfen, als Logistiker und Rekrutierer für die „Islamische Dschihad-Union” (IJU) zu fungieren. Ein libanesisches Gericht verurteilte ihn bereits in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft für den Versuch, eine al-Qaida-Zelle im Libanon zu gründen.

Alte Hotspots: Pakistan und Afghanistan 

Wegen der Präsenz in Afghanistan – die Bundesrepublik ist drittgrößter Truppensteller nach den USA wie Großbritannien, und trägt die Verantwortung für die Aufstandsbekämpfung im Norden des Landes – gilt das „Böse[s] Vaterland“ (so der Titel eines Propagandastreifens) als „legitimes“ Angriffsziel. Von 2009 an traten mehrere deutschstämmige Islamisten in einem Dutzend Propagandastreifen der al-Qaida & Co. mit unverblümten Drohungen gegen die Bundesrepublik auf – sie suchten die Bundestagswahlen zu manipulieren, die Öffentlichkeit wie die deutsche Regierung zu erpressen und die Antikriegsstimmung zu schüren, um einen Bundeswehrabzug aus Afghanistan zu erzwingen. Zugleich hatten sie gezielte Rekrutierungsarbeit mit verschiedenen Methoden betrieben.
Einerseits sprachen einige „Auswanderer“ die vermeintliche individuelle Pflicht an, sich am Dschihad zu beteiligen. Andererseits setzten sie Deutschland als „Gebiet des Unglaubens“ in Szene und riefen die Islamisten auf, der Macht der „Ungläubigen“ zu entkommen, um den Islam „komplett“ praktizieren zu können. Orte wie Afghanistan, Pakistan, Somalia oder der Jemen, an denen „die Muslime mit dem Gottesdienst des Jihades die Shari’a anstreben oder ausgesprochen haben“ seien dabei besonders empfehlenswert. Bereits während der Vorbereitung auf die Auswanderung greife die Pflicht, den Beitrag zum Dschihad zu leisten sowie sich körperlich fit zu halten.


Naschid-Dschihadisten wissen um die Bedeutung solcher Kriegsschauplätze wie Tschetschenien für deutsche Dschihad-Touristen.

Die Propaganda aus Pakistan verfehlte ihre Wirkung nicht. Denn der Anstieg der Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche islamistische Terrorverdächtige war laut BKA „rasant“. Im April 2010 belief sich die Zahl der „Ermittlungsverfahren mit islamistischem Hintergrund“ auf 350 Fälle – „so viele wie noch nie“, berichtete der BKA-Präsident. Dabei hingen auch die Reisebewegungen der deutschen Dschihadisten in Ausbildungslager im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet mit dem höheren Fallaufkommen zusammen. Seit Anfang 2009 beobachteten die Sicherheitsbehörden, dass sich Reisen aus Deutschland in Ausbildungslager häuften. Ermittler gingen davon aus, dass sich allein 2009 mehr als 30 junge Menschen nach Afghanistan oder Pakistan abgesetzt hätten. Es können jedoch mehr gewesen sein, denn die deutschen Sicherheitsbehörden können nachweislich nicht alle Reisebewegungen registrieren (vgl. die „Hamburger“ bzw. „Berliner Reisegruppe“). 2009 wollten laut Verfassungsschutz 138 Personen aus Deutschland ein Ausbildungslager in Pakistan besuchen. 2010 gingen die Behörden von 40 Islamisten mit Deutschlandbezug in Afghanistan/Pakistan aus. Nach inoffiziellen Angaben versuchten 2009 ca. zehn Personen monatlich nach Pakistan zu reisen, 2010 und 2011 belief sich die Zahl auf ca. fünf Möchtegern-Gotteskrieger im Monat.
Neben Afghanistan und Pakistan galt eine Koranschule in Dammaj im Jemen als „Pilgerstätte“ radikalisierter Islamisten mit Deutschlandbezug. Zwischen fünf und zehn Deutschen sollten sich im Norden des Landes aufgehalten haben, wobei ein Netzwerk im Inland für Koranstudien warb und die finanzielle Unterstützung leistete.
Sowohl das deutlich nachgelassene Propagandaaufkommen als auch bestätigte Tötungen deutschstämmiger Gotteskrieger 2009 und im Vorfeld eines vermeintlichen Komplotts gegen Europa und Deutschland 2010 lassen den Schluss zu, die deutschen Gruppen in Pakistan seien dezimiert. „Deutsche Taliban“ gelten inzwischen als aktionsunfähig: „Nach dem Tod vieler Mitglieder der DTM durch Kampfhandlungen war der Fortbestand der DTM bereits seit Mitte 2010 unklar. Es ist mittlerweile wahrscheinlich, dass die DTM zerschlagen ist“, berichtete der Berliner Verfassungsschutz.3 Auch der Anführer der Splittergruppe, Fatih Temelli alias „Abdul Fettah al-Mujahir”, wurde Ende Juni 2012 verhaftet, nachdem er sich aus dem Iran in die Türkei abgesetzt hat. Anfang 2012 ging der BND von ca. 20 Personen aus Deutschland in Afghanistan und Pakistan aus.
Die Bonner Islamisten Chouka betreiben jedoch ihre Propagandaarbeit unbeirrt weiter. Es besteht allerdings ein nicht unbedeutender qualitativer Unterschied zum Zeitraum zwischen 2009 – 2010. Während die Choukas früher ausdrücklich für Leben und Kämpfen in Pakistan warben, waren danach immer mehr Angriffe in Deutschland zum Schwerpunkt der Propaganda geworden. Im Streifen mit dem Titel „Böses Vaterland“, der Ende 2011 produziert und Mitte Februar 2012 online eingestellt wurde, behauptete Abu Adam abermals, dass „die deutschen Politiker und die deutschen Kräfte, die im Hintergrund für die Juden arbeiten“ der „Hauptfeind“ seien. Zugleich drohte er Anschläge auf zivile Ziele aus Rachemotiven an: „Warum sollen die Muslime in Angst leben und ihr in Sicherheit? Warum leben wir im Krieg und in Deutschland, das uns bekriegt, herrscht eine friedliche Atmosphäre”, so der fleißige Propagandist. Der Dschihad in Deutschland sei nur eine Frage der Zeit: „Selbst wenn die deutsche Bundeswehr 70 mal aus Afghanistan ausrücken wird, so werden wir die Deutschen weiter bekämpfen. Wir werden sie solange bekämpfen bis wir ausreichende Rache genommen haben für ihre Verbrechen und bis Allahs Erde unter der Führung seiner Diener steht.”
Auch sein Bruder rief in einer Audiobotschaft „die Umma“ zur Aktion auf: „[...] Aber geehrter Bruder, sicherlich kommst du an Streichhölzer oder du schaffst es Züge zu entgleisen. Und wenn du es nicht schaffst, sie zu töten, dann schade ihrer Wirtschaft, zerstöre ihre Gebäude, vor allem die staatlichen, und die Gebäude in denen sie den Genuss des irdischen Lebens genießen. Beispielsweise die Diskotheken, die Einkaufszentren und die Restaurants. Mach ihre Spaßgesellschaft zunichte! Erinnere sie an die Reichskristallnacht! Sorge für Schlagzeilen und lass sie in Trauer und Angst leben! [...] Lass deiner Kreativität freien Lauf. Wichtig dabei ist, dass es sichtbar ist, dass deine Tat eine Tat im Namen des Islams war.“ In einer Audiobotschaft mit dem Titel „Der Ritter von Toulouse“ pries Monir Chouka den Attentäter Merah als Helden und rief europäische Muslime zu ähnlichen Aktionen auf.

Neuer Hotspot: Somalia

2011 zeichnete sich zudem ein weiterer neuer Trend ab, der die deutschen Sicherheitsbehörden beunruhigte: Nach BND-Erkenntnissen zog es deutsche Islamisten ab dann verstärkt nach Afrika und Somalia wurde zu einem neuen Hotspot. 2011 gab es sechs registrierte Ausreiseversuche deutscher Islamisten gen Pakistan, während sich zwölf Personen nach Somalia absetzen wollten. Vier von ihnen gelang die Einreise. „Obwohl bislang deutschsprachige Propagandavideos aus Somalia, wie sie seit Jahren aus dem pakistanischen Wasiristan bekannt sind, ausblieben, gelingt die Rekrutierung deutscher Muslime mit einigem Erfolg. So sollen beispielsweise in somalischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen einige junge Männer erfolgreich angeworben worden sein. Ob ihnen bereits die Ausreise gen Somalia gelang, ist nicht bekannt“, berichtet Florian Flade. Von den „Deutschen Shabab“ im Raum Bonn schrieben die Medien unter Verweis auf einen LKA-Bericht. Als „Ansprechpartner und Ratgeber für Leute, die die aktive Teilnahme am Dschihad beabsichtigen“, galt laut dem Bericht der 39 Jahre alte Hussein Kassim M., alias Scheich Hussein, der als Kopf der „Deutschen Shabab“ fungieren soll. Es verwundert vor diesem Hintergrund nur wenig, dass die Polizei nach dem Bombenfund am Bonner Hauptbahnhof bei der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Verdächtigtenbeschreibung den in Mogadischu geborenen Omar D. und Abdirazak B. festgenommen hat. Denn beide saßen bereits 2008 in Untersuchungshaft, weil sie angeblich einen islamistisch motivierten Selbstmordanschlag in Somalia begehen wollten.
Im Juni 2012 ist in Tansania von der Polizei ein international gesuchter Terrorist, Emrah Erdogan, festgenommen worden. Laut dem Generalbundesanwalt ist der Angeschuldigte hinreichend verdächtig, „sich von Mai 2010 bis Januar 2011 als Mitglied an Al Qaida und anschließend bis Juni 2012 an der in Somalia agierenden Al Shabab beteiligt zu haben. […] Zudem soll er versucht haben, einen seiner Brüder zur Begehung eines schweren Raubes anzustiften, um Geld für Al Qaida zu beschaffen.“ Der im Sommer 2010 nach Pakistan ausgewanderte Wuppertaler mit dem Kampfnamen „Salahaddin“ sorgte im Herbst 2010 für Alarmstimmung und Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen in Deutschland, indem er in mehreren Telefonaten mit dem BKA vor angeblichen Terroranschlägen warnte. Anfang 2011 setzte er sich nach Kenia ab und schloss sich den mit AQ verbündeten Al-Shabaab-Milizen an. „Seit Juni 2011 hatte er Zugang zur Führungsspitze der Organisation. Zu seinen Aufgaben gehörte es unter anderem, Rekruten ideologisch auf den bewaffneten Jihad einzuschwören. Zudem war er in die Bemühungen von Al Shabab eingebunden, Gelder zu beschaffen und neue Kämpfer zu gewinnen. Insbesondere fungierte er als Kontaktmann für potentielle Rekruten aus Deutschland. Im August 2011 gliederte er sich darüber hinaus in die bewaffneten Verbände von Al Shabab ein, deren terroristische Angriffe sich gegen Truppen der somalischen Übergangsregierung und der sie unterstützenden äthiopischen Armee richteten. Er nahm zumindest an einem Kampfeinsatz teil, bei dem zahlreiche äthiopische Soldaten getötet wurden“, so der Generalbundesanwalt.4
Es ist zu erwarten, dass Somalia weiterhin ein Hotspot – auch für deutschstämmige Dschihadisten – bleibt, denn AQ unterstützt die Pläne der al-Shabab, ganz Somalia zu erobern und einen AQ-Staat zu gründen, indem sie ihre Rekruten nicht mehr in Pakistan ausbildet, sondern zu al-Shabab schickt.


Kalaschnikow statt Mikro: Deso Dogg setzt sich als vermeintlicher „Mudschahed“ in Szene.

Ägypten als Drehscheibe für Dschihadwillige

Das Verbot der Sekte „Millatu Ibrahim“, deren zwei Prominente Vertreter, Mohamed Mahmoud und Denis Cuspert, durch das Schwadronieren bzw. Singen über den Dschihad aufgefallen sind, galt als spürbarer Schlag gegen den politisch-dschihadistischen Salafismus. Inzwischen sind auch seine Nebenwirkungen sichtbar geworden, die der Verfasser dieser Zeilen unmittelbar nach dem Verbot durch den Bundesinnenminister wie folgt prognostizierte: „Zwar sind das Verbot von ‚Millatu Ibrahim‘ und die Durchsuchungsbeschlüsse gegen ‚DawaFFM‘ wie ‚DWR‘ unmissverständliche Signale an die Szene. Zugleich werden die bekannten Problemlagen in die Illegalität verbannt, wobei weitere Radikalisierungsschübe nicht auszuschließen sind. Gespräche über die ‚schwulen, kokainsüchtigen, pädophilen und einfach ekelhaften‘ Politiker werden dann nicht mehr in (Hinterhof-)Moscheen oder im Internet stattfinden, sondern in privaten Räumlichkeiten und eingeschworenen (Untergrund-)Gemeinschaften, deren Gruppendynamiken gefährliche Mechanismen eigen sind. ‚Resignierte‘ Salafisten könnten sich nun auf den Weg in die ‚Scharia-Gebiete‘ machen, auch eine neue Welle des ‚Dschihad-Tourismus‘ aus Deutschland wäre als Folge nicht auszuschließen.“5
Die düstere Prognose bewahrheitete sich. Denn eine Reihe von Solinger Islamisten folgte Mohammed Mahmoud nach Ägypten, wohin er sich abgesetzt hatte, um seiner Abschiebung zuvorzukommen. Auch dem „Naschid-Dschihadisten“ Denis Cuspert gelang die Ausreise – trotz Überwachung. 2012 waren es über 50 Personen, die an den Nil gereist sein sollten. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen reisten dann deutsche Islamisten weiter nach Mali, Libyen und Somalia, wo sie anscheinend für den Krieg gegen den Westen ausgebildet würden. Angeblich sollen auch Cuspert und Mahmoud versucht haben, sich in der ostlibyschen Ortschaft Derna Ansar al-Scharia anzuschließen. Inzwischen seien beide nach Ägypten zurückgekehrt.
Ob in Ägypten oder sonst wo: Mahmoud und Cuspert sind wieder aktiv und intensivierten ihre Propagandaarbeit in Wort, Bild und Ton. Als Folge hetzen bspw. die von Abu Assad al-Almani verfassten Schriften „Abrechnung mit Deutschland“ und „Die Freiheit im Dschihad“ in deutlichen Worten gegen „Drecks-Kuffar“ und rufen zum Dschihad im In- und Ausland auf. Die Gewaltlosigkeit der deutschen Salafisten nach den NRW-Provokationen wird darin als Mittäterschaft an der Schmähung des Propheten uminterpretiert. „Die deutschen Kreuzritter“ hätten demnach ihren Hass gegen den Islam erneut unter Beweis gestellt, weshalb die „wertlosen Halbaffen“ zu bestrafen seien.


„Wir haben Blut gerochen“: Der Blutrausch der Schreibtisch-Mudschaheddin, Drohung als kostenlose Werbung in eigener Sache.

In einem kürzlich veröffentlichten Streifen trägt Mahmoud gar eine Kalaschnikow, was wohl seine Entschlossenheit, den Dschihad-Weg zu beschreiten, betonen soll. Der Naschid-Rapper Cuspert adelt in einem „Gedicht“ den „Löwen Murat K.“ und ruft die gewaltbereiten Salafisten auf, den verurteilten Messerstecher freizupressen: „Wir werden niemals ruhen, ehe wir dich nicht aus deiner Gefangenschaft befreit haben. […] Jeder Beleidiger des Gesandten wird geschlachtet, ob fern oder nah. Und wisse, oh Bruder, die Deutschen sind auch zum Greifen nah. Wir werden sie gefangen nehmen, bis du frei bist für deine edle Tat.“
In einem Naschid mit dem Namen „Chichan“ besingt er den Dschihad in Tschetschenien, in einem anderen Kampflied – die Liebe, für Allah zu sterben (sic).
In einem Naschid mit dem Titel „Die Ummah“ spricht ein „deutscher Mujahid“ Abu Azzam al-Almani erneute Drohungen gegen Deutschland und die Bundeskanzlerin aus: „Unsere Truppen sind schon da, welch eine Freude […]. Ihr werdet bluten, eure Köpfe werden rollen! […] Oh Allah, gib dem deutschen Volk was es verdient!" Reflexartig preist Abu Azzam in seinem selbst für pakistanische Verhältnisse äußerst schlecht gemachten „Kampflied“ bin Laden: „Osama, warte auf uns, wir haben Blut gerochen“. „Wir wollen Obama und Merkel tot sehen!“, heißt es weiter.
Kurzum: Millatu Ibrahim als radikalisierendes Ferment ist nicht verschwunden. Eher umgekehrt ist der Fall: Die Gruppe hat ihre – virtuelle – Präsenz ausgebaut. Inzwischen ist die GIMF mit zahlreichen Beiträgen auf einschlägigen Foren präsent. Zugleich hat sich das radikale Milieu in Deutschland jedoch verkleinert, was die Wirkungskraft der Propaganda wahrscheinlich verringern dürfte. Nichtsdestotrotz ist die Gefahr des deutschen Dschihad noch nicht gebannt.

Anmerkungen
U.S. Departement of State: „Terrorist Designations of Yassin Chouka, Monir Chouka and Mevlut Kar, 26.01.2012, www.state.gov/r/pa/prs/ps/2012/01/182550.htm, (30.01.2012).
Vgl. Barack Obama jagt Bonner Islamisten mit Todes-Drohne, unter: www.bild.de/regional/koeln/terrorismus/obama-jagt-koelner-islamist-24483888.bild.html (5. Juni 2012).
Senatsverwaltung für Inneres uns Sport (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2011, Berlin, S. 26.
Anklage gegen ein mutmaßliches Mitglied von Al Qaida und Al Shabab, unter: www.generalbundesanwalt.de/de/showpress.php (21.01.2013).Michail Logvinov: „Denn wir sind im Dschihad“ – Deutschstämmige Salafisten zwischen Missionierung und Kampf, in: Gerhard Hirscher, Eckhard Jesse (Hrsg.): Extremismus in Deutschland. Schwerpunkte, Vergleiche, Perspektiven, Baden-Baden 2013, S. 285-303, hier S. 303.