Editorial

Editorial März 2012

Liebe Leserin,
lieber Leser,

im März 2011 habe ich an dieser Stelle den heimtückischen Mord am 25. April 2007 in Heilbronn an der Polizeimeisterin Michele Kiesewetter, damals 22 Jahre alt, dargestellt. Ihr Kollege wurde seinerzeit lebensgefährlich verletzt und beiden wurden die Dienstwaffen entwendet. Das Ereignis stand in der Folge im Mittelpunkt einer der größten Fahndungsaktionen, die sich nicht nur über den südwestdeutschen Raum, sondern auch bis nach Österreich und Frankreich erstreckte. Es war, wie sich später herausstellte, eine kontaminierte DNA-Spur die seit Mai 1993 Fahnder und Öffentlichkeit in Atem hielt. Nach heutigen Erkenntnissen scheint die Tat geklärt, zusammen mit acht weiteren Tötungsdelikten aus der „Ceska-Mordserie„, diversen Banküberfällen und Sprengstoffanschlägen. Erneut finden die Taten weit über die deutschen Grenzen hinaus Beachtung. Denn diese Spur von menschenverachtenden Straftaten wurde offenbar durch Angehörige einer rechtsmotivierten Organisation „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)„ gezogen. Eine Spur, die den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern offenbar über ein Jahrzehnt lang verborgen geblieben zu sein scheint. Organisationen und maßgebliche Personen, die der politisch motivierten Kriminalität – Rechts zugeordnet werden können, sind nicht selten gleichzeitig im Zielspektrum von spezialisierten Verfassungsschutz- und Polizeibehörden.

Herbert Klein
Ltd. Kriminaldirektor, Polizeipräsidium Rheinpfalz, Chefredakteur

Trotz vielfältiger paralleler Maßnahmen, konnten die Täter über all die Jahre nicht gestoppt werden – ein Befund, der angesichts des personellen und materiellen Aufwands der deutschen Sicherheitsbehörden eine Fülle von Fragen aufwirft. „... denn neun sind nicht genug„: Der neue alte Rechtsterrorismus titelt Dr. Michail Logvinov von der Technischen Universität Chemnitz seinen Beitrag, der sich mit den aktuellen Ereignissen auseinandersetzt. Einleitend stellt er fest, daß mit Blick auf die Ergebnisse einer Studie, der zufolge ein Viertel der Bevölkerung sich fremdenfeindlichen Aussagen anschließt, es noch einmal zu betonen gilt: „[...] so zutreffend und aufhellend die zahlreichen sozialwissenschaftlichen Befunde über das „besondere Jugendproblem„ sein mögen, so begrenzt bleibt eine wissenschaftliche und/oder politische Sicht, wenn rechtsextreme Orientierungen und Gewalttaten nur als Probleme von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mit niedrigem Bildungsstatus interpretiert werden […]. Das Vorfeld der „männlichen Hauptschüler„ wird schnell zum Nebenschauplatz, wenn Politiker und Wissenschaftler nicht auch den Blick auf das soziale (auch das eigene) Umfeld wagen.„ Er geht der Frage nach, wer schuld ist und ob die Vorgehensweise des NSU keine historischen Präzedenzfälle hatte. Er kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß sich die Pläne des Bundesinnenministeriums zur Bekämpfung rechter Gewalt – Gesamtkonzeption zur Bekämpfung der Gewalt, gemeinsames Abwehrzentrum, intensivere Ausleuchtung der Szene, Stärkung des BfV, Stärkung des Generalbundesanwalts, technische Maßnahmen – mit einem vertretbaren Aufwandwerden umsetzen lassen. Aber auch der angewandten Extremismusforschung wird in den kommenden Jahren die Aufgabe zukommen, die rechtsextremistischen Radikalisierungsprozesse und -ausprägungen mit innovativen Forschungsansätzen und Methodiken zu erklären.
Im Februar hat der vom Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuß zum „Nationalsozialistischen Untergrund„ seine Arbeit aufgenommen und sein Arbeitsprogramm festgelegt. Fast gleichzeitig hat Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich nach dem Beschluß des Bundeskabinetts eine Bund-Länder-Regierungskommission zur Aufarbeitung des Rechtsterrorismus eingesetzt. Zuvor hatte die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) im Dezember 2011 auf Vorschlag des Bundesinnenministeriums beschlossen, ein solches paritätisch von Bund und Ländern besetztes Expertengremium zu schaffen. Die vierköpfige Kommission hat zum Ziel, im Sinne eines Gesamtbildes die Formen der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden der Länder und den Bundesbehörden insbesondere bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus zu analysieren und zu bewerten. Zudem soll das Gremium Vorschläge für eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unterbreiten.
Die politischen Reaktionen auf die Ereignisse sind ehrgeizig und angemessen. Es bleibt zu hoffen, daß die Ergebnisse mit der Zielstellung Schritt halten.

Herbert Klein