Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

Dirk Weingarten
Polizeihauptkommissar & Ass. jur.
Polizeiakademie Hessen


I. Materielles Strafrecht

§ 32 StGB – Notwehr – Fahrlässiges Herbeiführen einer Notwehrlage. Ein rechtlich gebotenes oder erlaubtes Tun kann nicht allein deshalb zu Einschränkungen der Notwehr führen, wenn der Täter wusste oder wissen konnte, dass andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlasst werden könnten. Auch wenn ein Angegriffener eine Waffe (hier: Butterflymesser) unberechtigt führt, ist ihm deren Einsatz nicht verwehrt, wenn ihm kein anderes zur Abwehr des Angriffs geeignetes Mittel zur Verfügung steht. (BGH; Beschl. v. 04.08.2010 – 2 StR 118/10)

§ 46 StGB – Strafzumessung bei Einsatz eins Verdeckten Ermittlers; Strafmildernde Berücksichtigung.Eine auf die vereinbarte Übergabe von Falschgeld zielende konkrete Einwirkung des verdeckten Ermittlers, ist bei der Strafzumessung ausdrücklich zu würdigen. Der Erwägung des Tatrichters, es habe „von Anfang an eine lückenlose polizeiliche Überwachung der Taten„ vorgelegen, ist nicht zu entnehmen, dass das Tatgericht der polizeilichen Einwirkung das notwendige strafmildernde Gewicht beigemessen hat. (BGH; Beschl. v. 06.05.2010 – 4 StR 98/10)

§ 126 Abs. 1 StGB – Eignung zur Friedensstörung durch Androhen von Straftaten. Der öffentliche Frieden ist dann gestört, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines „psychischen Klimas„ (Hier: Androhung von Katalogtaten) aufgehetzt werden können. Es reicht aus, dass die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die entsprechende Ankündigung in der Öffentlichkeit erfolgt. Ist die Drohung an staatliche oder vergleichbare Organisationen gerichtet, kann grundsätzlich erwartet werden, dass diese Maßnahmen zur Vermeidung der angedrohten Taten veranlassen, im Übrigen aber mit Diskretion vorgehen wird, um weder die Präventionsmaßnahmen zu gefährden noch die Öffentlichkeit zu beunruhigen. (BGH; Beschl. v. 20.09.2010 – 4 StR 395/10)

§ 145d Abs. 1 Nr. 1 StGB – Vortäuschen einer Straftat; kein nennenswerter Ermittlungsaufwand. Gibt der Inhaber eines Geschäftes, in dessen gläserne Eingangstür ein höchstens fußballgroßes Loch geschlagen wurde, bei der Polizei wahrheitswidrig an, durch die Öffnung seien Gegenstände gestohlen worden, so erfüllt dies nicht den Tatbestand des Vortäuschens einer Straftat, wenn für die ermittelnde Polizei aufgrund der Umstände bereits feststand, dass kein Diebstahl der aufgelisteten Gegenstände (Hier: bezeichnete Waren im Wert von 9.500 ) stattgefunden haben kann und die falsche Angabe deshalb keinen oder keinen nennenswerten Ermittlungsaufwand hervorruft. (OLG Oldenburg; Beschl. v. 07.09.2010 – 1 Ss 124/10)

§§ 152b, 22 StGB – Versuch der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion: Einsatz eines Skimmers und unmittelbares Ansetzen zur Tat. Die Schwelle zum strafbaren Versuch der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion durch das Auslesen von EC-Karten mit Hilfe eines sog. Skimmers ist noch nicht überschritten, wenn der Skimmer noch bevor der Täter in den Besitz der aufgezeichneten Daten gelangt, entdeckt und sichergestellt wird. Zum Versuch des Nachmachens setzt demnach noch nicht an, wer die aufgezeichneten Datensätze noch nicht in seinen Besitz bringen und sie deshalb auch nicht an seine Mittäter, die die Herstellung der Kartendubletten vornehmen sollten, übermitteln konnte. Ein unmittelbares Ansetzen des gewerbs- und bandenmäßigen Nachmachens ist folglich erst dann gegeben, wenn die Täter vorsätzlich und in der tatbestandsmäßigen Absicht mit der Fälschungshandlung selbst beginnen. (BGH; Beschl. v. 14.09.2010 – 5 StR 336/10)

§§ 212, 216, 13 StGB – Gerechtfertigte Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun kann ein Behandlungsabbruch vorgenommen werden. Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich. (BGH; Urt. v. 25.06.2010 – 2 StR 454/09)

§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB – Schwere räuberischer Erpressung; Erzwingen der Preisgabe der PIN. Durch das Abpressen der PIN wird dem Vermögen des Genötigten kein Nachteil zugefügt, wenn mangels Deckung des Kontos des Opfers Geldabhebungen nicht möglich sind. Da die Angeklagten dies nicht wussten, stellt sich das Abpressen der PIN lediglich als Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung dar. (BGH; Urt. v. 30.09.2010 – 3 StR 294/10)