Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

An dieser Stelle bieten wir unseren Lesern in Zukunft wieder den Service, einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen darzustellen, welcher überwiegend für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung ist. Diesmal fanden Entscheidungen von Nov. 2009 bis Juni 2010 Beachtung. Im Anschluss an die Kurzdarstellung sind jeweils Spruchkörper, Entscheidungsdatum und Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht

Dirk Weingarten
Polizeihauptkommissar & Ass. jur.
Polizeiakademie Hessen


§§ 129 Abs. 1, 129a Abs. 1, 129b Abs. 1 S. 1, 2 - Inlandstätigkeiten einer ausländischen terroristischen Vereinigung – Tamil Coordination Committee. Mitglieder einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Inland, die sich zu einer organisatorischen Struktur zusammengeschlossen haben, deren Zweck oder Tätigkeit der Zielsetzung der ausländischen Vereinigung entsprechen, können sich nur dann tateinheitlich auch wegen Mitgliedschaft in einer inländischen kriminellen Vereinigung strafbar machen, wenn ihre inländische Organisation einen eigenständigen, von der ausländischen Vereinigung unabhängigen Gesamtwillen bildet. Bilden also die im Inland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129b Abs. 1 S. 2, 1. Alt. StGB erfassten hinausginge. Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung oder Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt. (BGH; Beschl. v. 14.04.2010 – StB 5/10)
§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Sexuelle Nötigung unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage. Der Tatbestand der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt in objektiver Hinsicht zunächst das Vorliegen einer Lage voraus, in der das Opfer möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen. Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie beispielsweise eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein. Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es solche Einwirkungen fürchtet und im Hinblick hierauf einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet. Allein aus dem bloßen Alleinsein der Verletzten mit dem Täter kann sich eine objektive Schutzlosigkeit nicht ergeben. In subjektiver Hinsicht muss der Täter die Schutzlosigkeit des Opfers als Bedingung für das Erreichen der sexuellen Handlung erkennen und im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf nehmen. (BGH; Beschl. v. 01.12.2009 – 3 StR 479/09)
§ 184b Abs. 2, 4, § 11 Abs. 3 StGB – Besitz von Internet-Kinderpornografie. Bereits derjenige, der bewusst und gewollt Seiten mit kinderpornografischem Inhalt aus dem Internet aufruft und auf dem Monitor seines Computers betrachtet, verschafft sich den Besitz von kinderpornografischen Seiten in Form von Dateien. Es ist zur objektiven und subjektiven Tatbestandserfüllung nicht erforderlich zu planen, die Datei manuell abzuspeichern zu wollen. Auch ist ein Wissen um die automatische Abspeicherung der Daten im sogenannten Internet-Cache nicht notwendig. (OLG Hamburg; Urt. v. 15.02.2010 – 2-27/09)
§ 202a Abs. 1 und 2 StGB - Keine Strafbarkeit des bloßen Auslesens der Magnetstreifendaten von Bankkarten (sog. Skimming). Das bloße Auslesen von auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten, um mit diesen Daten Kartendubletten herzustellen, erfüllt nicht den Tatbestand des Ausspähens von Daten. § 202a Abs. 1 StGB setzt unter anderem voraus, dass der Täter sich oder einem anderen den Zugang zu Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft. Der Überwindung einer solchen Zugangssicherung bedarf es aber nicht, wenn diese Daten lediglich ausgelesen werden sollen. Dies ist ohne Weiteres mittels eines handelsüblichen Lesegeräts und der ebenfalls im Handel erhältlichen Software möglich. Dass Daten magnetisch und damit nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind, stellt keine besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang dar. Vielmehr handelt es sich gemäß § 202a Abs. 2 StGB nur bei Daten, die auf diese Weise gespeichert sind, um Daten im Sinne des Abs. 1 dieser Vorschrift. (BGH; Beschl. v. 14.01.2010 – 4 StR 93/09)
§§ 211, 224 StGB - Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln – Steinwürfe von einer Autobahnbrücke. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Es hängt vom konkreten Einzelfall ab, ob Steinwürfe von einer Autobahnbrücke bei Vorliegen eines entsprechenden Vorsatzes als Tötung bzw. Tötungsversuche mit gemeingefährlichen Mitteln zu bewerten sind. Trifft der Täter bei einem solchen Steinwurf ein bestimmtes Fahrzeug, so schließt ein solcher Angriff gegen dessen Insassen, also bereits individualisierte Opfer, die Annahme, er habe ein gemeingefährliches Mittel eingesetzt, nicht vor vorneherein aus. Eine tödliche Gefahr für eine Vielzahl von Menschen wird jedoch zumeist nur dann bestehen, wenn dichter Verkehr herrscht und in der Folge des durch den Steinwurf unmittelbar verursachten Unfalls eine unbestimmte Anzahl weiterer Personen - also regelmäßig die Insassen anderer Fahrzeuge - tödliche Verletzungen erleiden können. (BGH; Urt. v. 14.01.2010 – 4 StR 450/09)
§ 211 StGB – Heimtückischer Mord – Locken des Opfers in einen Hinterhalt. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische Ausnahmefälle modifiziert. Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken. (BGH ; Urt. v. 10.02.2010 – 2 StR 503/09)
§§ 223, 224 StGB – Gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs – Vortäuschen einer Strangulation. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein gefährliches Werkzeug jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Die Verwirklichung einer gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs setzt also voraus, dass das eingesetzte Tatmittel unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirkt und dabei geeignet ist, auf Grund seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seines Einsatzes, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Hieran fehlt es bei einer bloßen Inszenierung einer nur scheinbar lebensgefährlichen Situation, etwa in Form des Vortäuschens einer Strangulation. In derartigen Fällen entfaltet das Tatmittel als bloße „Requisite„ bei der Inszenierung einer lebensbedrohlichen Situation nicht unmittelbar körperlich veranlasste, sondern psychisch vermittelte Wirkungen. (BGH; Beschl. v. 12.01.2010 – 4 StR 589/09)
§ 238 Abs. 1 StGB – Nachstellung; Tatbestandliche Handlungssicherheit bei „Stalking„ – Beharrlichkeit und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung. Dem Begriff der Beharrlichkeit im Sinne des § 238 StGB wohnen objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne. Beharrliches Handeln setzt wiederholtes Tätigwerden voraus, genügt aber für sich allein nicht. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers in der Absicht handelt, sich auch in Zukunft entsprechend zu verhalten. Eine in jedem Einzelfall Gültigkeit beanspruchende, zur Begründung der Beharrlichkeit erforderliche (Mindest-)Anzahl von Angriffen des Täters kann indes nicht festgelegt werden. Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es ein Verhalten an den Tag legt, dass es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. § 238 StGB stellt kein Dauerdelikt dar. Als Dauerdelikt sind nur solche Straftaten anzusehen, bei denen der Täter den von ihm in deliktischer Weise geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrecht erhält oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt, so dass sich der strafrechtliche Vorwurf sowohl auf die Herbeiführung als auch auf die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands bezieht. „Stalking„-Angriffe zeichnen sich demgegenüber durch zeitlich getrennte, wiederholende Handlungen aus, die nicht zu einem gleichbleibenden und überbrückenden deliktischen Zustand führen. Die Beeinträchtigung der persönlichen Lebensgestaltung des Opfers wird durch jede einzelne Handlung des Nachstellens erneuert und intensiviert. Einzelne Handlungen des Täters, die erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen, werden jedoch zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst, wenn sie einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind. (BGH; Beschl. v. 19.11.2009 – 3 StR 244/09)
§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB - Besonders schwerer Raub bei Sonderqualifikation zwischen Vollendung und Beendigung – Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs. Setzt der Täter, welcher vom Opfer wahrgenommen wurde, nach Vollendung, aber noch vor Beendigung der Raubtat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug mit dem Ziel weiterer Wegnahme ein, so genügt dies für ein Verwenden „bei der Tat„ im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Dies ist auch dann von Bedeutung, wenn die angestrebte weitere Wegnahme nicht vollendet wird. (BGH; Beschl. v. 25.02.2010 – 5 StR 542/09)
§ 250 Abs. 2 Nr. 3b StPO - Qualifizierende Wirkung konkreter Lebensgefährdung des Raubopfers nach Vollendung der Tat. Entgegen der in der Literatur vorherrschenden Ansicht hat der BGH die Qualifikationswirkung in dem Zeitraum zwischen Vollendung des Raubs und Beendigung der Tat (§ 78a StGB) für möglich gehalten, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr mit Wegnahmevorsatz, aber mit der Absicht der Beutesicherung, handelt. Die qualifizierende Wirkung einer konkreten Lebensgefährdung des Raubopfers ist demnach nach Vollendung der Tat oder dem Scheitern ihres Versuchs ausgeschlossen, wenn die Handlung, welche die Lebensgefahr verursacht, nicht mit der Motivation der Beutesicherung vorgenommen wird. (BGH; Beschl. v. 08.04.2010 – 2 StR 17/10)
§ 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB – Auslegung des Tatbestandmerkmals „Sich-verschaffen„ bei Geldwäsche – Kein kollektives Zusammenwirken von Geldwäscher und Vortäter. „Sich-Verschaffen„ im Sinne des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB fordert kein kollektives Zusammenwirken von Geldwäscher und Vortäter. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt nur, dass der Geldwäscher die Verfügungsgewalt über den inkriminierten Gegenstand im Einvernehmen mit dem Vortäter erlangt. Einvernehmen setzt nicht voraus, dass das Einverständnis des Vortäters frei von Willensmängeln ist. Deshalb ist es ohne Bedeutung, wenn der Vortäter infolge von Täuschung oder Nötigung in die Übertragung der Verfügungsgewalt „einwilligt„. (BGH; Urt. v. 04.02.2010 – 1 StR 95/09)

§§ 267, 269 StGB – Urkundenfälschung mittels Ausdruck einer Computerdatei und einer Telekopie.Der bloße Ausdruck einer Computerdatei (in diesem Fall: eingescannter Grundstückskaufvertrag) weist nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen notariellen Kaufvertrag bzw. die Ausfertigung eines solchen prägen. Er spiegelt für den Betrachter erkennbar lediglich ein Abbild eines anderen Schriftstücks wider. Damit steht er einer bloßen Fotokopie gleich, der, sofern als Reproduktion erscheinend, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers ebenfalls kein Urkundencharakter beizumessen ist. Nicht anders als bei einer („gewöhnlichen„) Fotokopie enthält die beim Empfänger ankommende Telekopie eines existenten Schriftstücks - für den Adressaten und jeden Außenstehenden offensichtlich - nur die bildliche Wiedergabe der in jenem Schriftstück verkörperten Erklärung. Eine Beweisbedeutung kann ihr demgemäß mangels Erkennbarkeit eines Ausstellers und damit verbundener eigener Garantiefunktion für die Richtigkeit des Inhalts nicht beigemessen werden. (BGH; Beschl. v. 27.01.2010 – 5 StR 488/09)
§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB – Schwere Brandstiftung gemischt genutzter Gebäude. Es genügt für ein vollendetes Inbrandsetzen nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB, wenn in einem einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude nur solche Gebäudeteile selbständig brennen, die für die gewerbliche Nutzung wesentlich sind, aber nicht auszuschließen ist, dass das Feuer auf Gebäudeteile übergreift, die für das Wohnen wesentlich sind. § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt als abstraktes Gefährdungsdelikt ein Handeln unter Strafe, das typischerweise das Leben von Personen gefährdet, die sich in einem Gebäude aufhalten; eine solche abstrakte Gefahr besteht bereits dann, wenn „das Gebäude„ brennt und der Brand sich ausweiten kann. Besteht der durch die Brandlegung in einem einheitlichen, teils gewerblich, teil zu Wohnzwecken genutzten Gebäude bewirkte Erfolg nicht darin, dass wesentliche Gebäudeteile der gewerblich genutzten Räume selbständig brennen, sondern allein in der ganzen oder teilweisen Zerstörung dieser Räume, so führt dies auch dann nicht zu einer vollendeten schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB, wenn die Gefahr bestand, dass das Feuer auf den Wohnzwecken dienenden Teil des Gebäudes übergreift. Eine (teilweise) Zerstörung kann auf vielfältigen durch die Brandlegung ausgelösten Umständen beruhen, etwa auf einer Rußentwicklung oder auf der Einwirkung von Löschmitteln. Sie ist deshalb, wenn sie die gewerblichen Räume betrifft, nicht typischerweise auch mit einer Gefährdung der Personen verbunden, die sich in dem zu Wohnzwecken genutzten Gebäudeteil aufhalten. (BGH; Beschl. v. 26.01.2010 – 3 StR 442/09)

II. Prozessuales Strafrecht

Art. 6 Abs. 1 MRK, §§ 110a, 136, 161, 163 StPO - (Fair-trial-Grundsatz) - Verdecktes Verhör in Haftanstalt unverwertbar – Verwertungsverbot bei Zwang zur Abgabe selbstbelastender Äußerungen. Baut ein nicht offen ermittelnder Polizeibeamter (als Besucher getarnt) während eines verdeckten Verhöres gegenüber einem inhaftierten Beschuldigten einen Aussagezwang auf und erfüllt durch sein Verhalten die objektiven Voraussetzungen einer Nötigung mit einem empfindlichen Übel, so sind die selbstbelastenden Äußerungen des Beschuldigten unverwertbar. Dadurch wird in den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit eines Angeklagten und damit in sein Recht auf ein faires Verfahren eingegriffen. (BGH; Beschl. v. 18.05.2010 – 5 StR 51/10)
Art. 6 Abs. 1 MRK; §§ 101 Abs. 4 - 6, 136a, 147 Abs. 2, 344 Abs. 2 S. 2 StPO – Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Fair-trial-Grundsatz) bei Verletzung des Grundsatzes der Aktenwahrheit und –vollständigkeit. Grundsätzlich besteht bei Gefährdung des Untersuchungszwecks nach § 147 Abs. 2 StPO die Möglichkeit, dem Verteidiger vor Abschluss der Ermittlungen die Einsicht in die Akten insgesamt oder teilweise zu versagen. Diese Vorschrift sowie die Möglichkeit der Zurückstellung der Unterrichtung über die Durchführung einer Observation gestatten jedoch weder die Darstellung eines unwahren Sachverhalts in den Ermittlungsakten noch die aktive Täuschung des Beschuldigten über die wahren Hintergründe seiner Festnahme. (BGH; Urt. v. 11.02.2010 – 4 StR 436/09)
§§ 94 ff. StPO – Beschlagnahme aller im Postfach des E-Mail-Accounts gespeicherten Nachrichten - Übermaßverbot. Die Anordnung der Beschlagnahme des gesamten auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mail-Bestandes eines Beschuldigten verstößt regelmäßig gegen das Übermaßverbot. Beim Vollzug von Beschlagnahmen, insbesondere beim Zugriff auf einen umfangreichen elektronischen Datenbestand, ist darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser und dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO unterliegender Daten vermieden wird. Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherten Daten ist deshalb allenfalls dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der gesamte Datenbestand, auf den zugegriffen werden soll, für das Verfahren potentiell beweiserheblich ist. Bei einem E-Mail-Postfach wird dies in aller Regel nicht der Fall sein. (BGH-Ermittlungsrichter; Beschl. v. 24.11.2009 – StB 48/09 (a))
§§ 98 Abs. 1 S. 1, 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO – Durchsuchung ohne richterliche Anordnung – Gefahr im Verzug - Beweisverwertungsverbot nach polizeilicher „Ungeschicklichkeit„. Ein Beweisverwertungsverbot entsteht im Einzelfall nicht, wenn es unterlassen wurde, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen und dann eine auf die polizeiliche Eilkompetenz („Gefahr im Verzug„) gestützte Durchsuchung durchgeführt wurde. Dies dann, wenn bei einem Ortstermin mit einer Zeugin die zu durchsuchenden Räume genau lokalisiert werden sollten und anschließend dabei - durch die Ungeschicklichkeit einer Polizeibeamtin – die Anordnung mit Gefahr im Verzug begründet wurde. Dieser Umstand ist nicht annähernd solchen Fallgestaltungen vergleichbar, in denen durch bewusst gesteuertes oder grob nachlässiges polizeiliches Ermittlungsverhalten die „Gefahr im Verzug„ gleichsam heraufbeschworen und damit der Richtervorbehalt gezielt oder leichtfertig umgangen wird. (BGH; Beschl. v. 19.01.2010 – 3 StR 530/09)
§§ 102, 105 StPO – Voraussetzungen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung. Jede richterliche Durchsuchungsanordnung setzt eine eigenverantwortliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Dies ist zwingend, da eine Durchsuchung schwerwiegend in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre eingreift. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss ist daher rechtswidrig, wenn dem zuständigen Richter lediglich ein Antrag auf Erlass zu Grunde liegt, in dem der „maßgebliche Sachverhalt„ zusammengefasst wird und sich die Durchsuchungsanordnung darin erschöpft, wesentliche Teile der polizeilichen Zuschrift ohne zusätzliche eigenständige Begründung zu „klammern„. (LG Kiel; Beschl. v. 20.03.2010 – 46 Qs 17/09)

III. Sonstiges

Verpflichtende Teilnahme an Täterprogramm. Die Teilnahme an einem Täterprogramm für Männer, die gegen ihre Partnerinnen gewalttätig geworden sind, soll verpflichtend angeordnet werden können. Außerdem soll die in der StPO vorgesehene Frist, an einem solchen Täterprogramm teilzunehmen, auf bis zu ein Jahr erweitert werden. (Quelle: Heute im Bundestag Nr. 132 v. 28.04.2010).
§ 170 StPO, §§ 7, 8 BKAG - Speicherung in der Datei „Gewalttäter Sport„ ist rechtmäßig geworden. Die gem. § 7 Abs. 6 BKAG zwingend erforderliche Verordnung zur Errichtung und zum Betreiben der Datei „Gewalttäter Sport„ ist zwischenzeitlich in Kraft getreten (21.06.2010) und daher ist die Speicherung der besagten Daten rechtmäßig geworden. (BVerwG; Urt. v. 09.06.2010 - 6 C 5.09)

Veröffentlichungen bis Juni 2010 berücksichtigt.
Dirk Weingarten, 15.07.2010