Maßnahmen zur Förderung von Zivilcourage – Teil 2
Zivilcourage kann in unterschiedlichen Lebensbereichen unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel in der Familie, der Schule, am Arbeitsplatz oder im sozialen Umfeld, erforderlich werden. In den letzten Jahren wurden viele Initiativen gegründet, die mit unterschiedlichen Aktionen die Bürger zu mehr Zivilcourage aufrufen. Dennoch weisen die Medien immer wieder auf Ereignisse hin, bei denen in Not befindlichen Menschen nicht geholfen wird und umstehende Personen tatenlos zuschauen.
Peggy Schmidt
Diplom-Psychologin,
Berlin/Brandenburg
Der „Bystander-Effekt"
Es gibt Situationen, in denen Menschen bewusst wird, dass sie eingreifen und helfen müssten, es dann aber doch nicht tun, weil sie Angst oder sogar Gleichgültigkeit empfinden. Oftmals ist es aber auch die Hilflosigkeit und die Frage, was man jetzt machen kann oder wie man am besten handelt. Insbesondere das Engagement von jungen Menschen, in Notsituationen aktiv einzuschreiten und zu helfen, ist meistens eher schwach ausgeprägt (vgl. Hanewinkel & Eichler, 1999, S. 258). Dieser Umstand betrifft jedoch nicht nur Jugendliche sondern auch Erwachsene. Die Sozialpsychologen Latané und Darley (1970) haben in ihrer Forschung zum Hilfeverhalten belegt, dass Menschen in Notsituationen die Neigung haben, nicht zu helfen, auch wenn die Situation sehr bedrohlich ist und eine andere Person sogar getötet werden könnte (vgl. Hanewinkel & Eichler, 1999, S. 267). In Hinblick auf diese Problematik und den so genannten Bystander-Effekt soll kurz auf einen 1964 erschienenen Beitrag in den Medien hingewiesen werden, der in der Literatur fast überall zu finden ist. Dieser bedeutende Fall betrifft eine junge Frau aus New York, Kitty Genovese, die im Jahr 1964 von einem Mann auf brutale Art und Weise ermordet wurde (vgl. Labuhn, 2004, S. 71). Obwohl es mehrere Personen gab, die Zeuge dieses Ereignisses waren, kam der Frau niemand zur Hilfe. Dieser Effekt, der solche Situationen beschreibt, wird in der wissenschaftlichen Literatur als Bystander-Effekt verstanden: Mehrere Personen beobachten eine Notsituation, in der sich eine andere Person oder eine Gruppe von Personen befindet, aber niemand hilft. Die Frage, warum Menschen zu einem solchen Verhalten in der Lage sind und welche Umstände dieses Verhalten bedingen, wurde bei einer Reihe von Experimenten hierzu von Darley und Latané (1968) und Rodin und Piliavin (1969) verdeutlicht. Bei einem Experiment nahm im Beisein weiterer Personen die Wahrscheinlichkeit einer Hilfeleistung der jeweiligen Versuchsperson deutlich ab. Anhand dieser Experimente und weiterer Studien zu dieser Thematik wird deutlich, dass der Bystander-Effekt genauer beschrieben ein Effekt ist, der die Hilfeleistung aufgrund der Gegenwart anderer Personen hemmt. Mit zunehmender Zahl weiterer Personen wird dieser Effekt größer (vgl. Labuhn, 2004). Neben der definitorischen Auseinandersetzung mit dem Bystander-Effekt stellt sich zudem die Frage, warum Menschen überhaupt so reagieren, bzw. in Notsituationen unter Umständen durch die Anwesenheit weiterer Personen kein Hilfeverhalten zeigen. Hierfür können unterschiedliche Erklärungsansätze angeführt werden. Es gibt Notsituationen, die nicht immer gleich eindeutig als solche erkennbar sind und in denen eine Person erst einmal beobachtet, wie die anderen Personen die Lage einschätzen. Gemeint ist damit, dass eine Person aus einer Gruppe von Beobachtern in einer Notsituation möglicherweise nicht eingreift, weil die anderen Personen diesen Vorfall als unbedeutend einschätzen. In diesem Sinne legen, basierend auf mehreren Studien, Schroeder, Penner, Dovidio und Piliavin (1995) eine Erklärung für den Bystander-Effekt vor. Sie sprechen dabei von einer Verantwortungsdiffusion. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass die Verantwortlichkeit gegenüber Personen, die sich in einer Notlage befinden, tendenziell mit der Anzahl von weiteren Zuschauern sinkt. Das eigene Hilfeverhalten wird demnach durch die Anwesenheit mehrerer anderer Personen gehemmt. Je mehr Personen Zuschauer einer Notsituation sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dem Opfer nicht geholfen wird. Stroebe, Hewstone und Stephenson (1996, zitiert nach Labuhn, 2004, S. 72) sprechen auch von pluralistischer Ignoranz. In einer Notsituation fühlen sich zuschauende Personen oftmals in ihren Handlungsmöglichkeiten überfordert und „ohnmächtig„ zu handeln, oder warten ab, was passiert. Zudem orientieren sich Menschen in einer neuen Situation tendenziell erst einmal an den Reaktionen und Handlungen anderer Anwesender. Wird dabei Passivität wahrgenommen, so kann das unter Umständen als Hinweis gedeutet werden, dass eine Hilfehandlung nicht erforderlich ist. Nur eine Person, die sich passiv verhält, kann die Wahrscheinlichkeit, dass andere Personen auch wegschauen oder nicht eingreifen, sehr stark erhöhen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bewertungsangst. Hiermit ist gemeint, dass eine Person, die in einer Notsituation hilft, von anderen aller Wahrscheinlichkeit nach bewertet wird. Der Umstand, in Anwesenheit mehrerer anderer Personen als erster einzugreifen, kann Angst auslösen und somit das Hilfeverhalten hemmen (vgl. Bierhoff, 1990, S. 118). Zudem kann die helfende Person ihre Kompetenzen unterschätzen und unsicher sein, in der Notsituation richtig zu handeln. Fühlt sich die Person ihrer Kompetenzen sicher, kann das Hilfeverhalten sogar durch die Anwesenheit anderer Personen verstärkt werden, da so die Überlegenheit dargestellt werden kann (vgl. Labuhn, 2004, S. 74). Eine weitere Erklärung für den Bystander-Effekt bzw. für fehlendes Hilfeverhalten bezieht sich auf Banduras Lerntheorie (1971). Lerndefizite können für fehlendes Hilfeverhalten verantwortlich sein. Ein großer Teil unseres Verhaltens ist reines Imitationsverhalten. Menschen lernen durch das Beobachten von anderen. Gibt es keine Vorbilder bezüglich des Hilfeverhaltens und Einschreitens in Notsituationen, können insbesondere junge Menschen solche Verhaltensschema nicht aufbauen (vgl. Frey et al., 1999, S. 272). Das Prinzip der gerechten Welt bietet eine weitere Erklärung für fehlendes Hilfeverhalten oder Zivilcourage. Auf Grund von passivem Verhalten in Notsituationen können Menschen sich unter Umständen als nicht hilfsbereit empfinden. Der Mensch neigt dann dazu, das Fehlverhalten oder die Schuld dem eigentlichen Opfer der Notsituation zuzuschreiben. Das Opfer ist demnach an seiner Situation selbst schuld und das Geschehen zwischen Täter und Opfer wird als verdient empfunden. Aus diesem Grund muss dann auch keine Hilfe geleistet werden. Diese völlig verzerrte Wahrnehmung kann Schuldgefühle, die die Person haben müsste, sehr stark abschwächen (vgl. Lerner & Simmons, zitiert nach Frey et al., 1999, S. 270). Ein letzter hier genannter Grund für fehlendes Hilfeverhalten oder das Entstehen des Bystander-Effekts ist die Kosten-Nutzen-Antizipation. Eine Person als Zuschauer einer Notsituation wägt die Kosten der Hilfe (allgemeine und individuelle Gefahren, finanzielle und zeitliche Kosten) und die der Nichthilfe (alle Konsequenzen, hervorgerufen durch Nichteingreifen) ab. Sind die Kosten der Hilfe zu hoch und die Kosten der Nichthilfe niedrig, verringert sich die Chance, dass eine Person in einer Notsituation eingreift. Die Abwägung von Gewinn oder Verlust in Bezug auf eine Hilfehandlung führt meistens zu einer Unterlassung der Hilfeleistung (vgl. Frey et al., 1999, S. 268).
Sozialpsychologische Modelle als Grundlage für Zivilcouragmaßnahmen Einen wesentlichen Ansatzpunkt für die inhaltliche Gestaltung der später aufgelisteten Maßnahmen zur Förderung von Zivilcourage bilden sozialpsychologische Modelle. Anhand dieser Modelle können psychologische Schwierigkeiten bzw. Verhaltensweisen aufgedeckt werden, die eine Person daran hindern, Hilfe zu leisten. In der Literatur sind insbesondere zwei klassische Modelle zum Hilfeverhalten von Bedeutung. Die Sozialpsychologen Bibb Latané und John Darley (1970) sowie Shalom Schwartz und Judith Howard (1981) haben jeweils ein Modell entworfen, das den gesamten Prozess von Hilfeverhalten beschreibt, wobei hier nur das „Modell des Entscheidungsprozesses„ von Bibb Latané und John Darley (1970)exemplarisch vorgestellt werden kann.
Die Autoren beschreiben in ihrem Modell, dass Hilfeleistung bzw. Hilfeunterlassung von mehreren Entscheidungen abhängig ist. Bevor eine Person Hilfe leistet, durchläuft sie einen fünfstufigen Entscheidungsprozess, wobei diese Person sich nur dann helfend einsetzen kann, wenn sie auf jeder Ebene des Modells „richtig„ reagiert hat (vgl. Frey et al., 2001, in Bierhoff & Fetchenhauer, 2001, S. 97):
Im ersten Schritt Wahrnehmen des Ereignisses muss die Person erst einmal überhaupt registrieren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Je eindeutiger diese Situation erscheint, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Hilfeleistung. Weitere bedeutende Einflussfaktoren sind auch das Leiden des Opfers oder ein aktuell beobachtetes Geschehen, wie zum Beispiel ein beobachteter Unfall. Die eigene Stimmung der eingreifenden Person ist ebenfalls von Bedeutung. Bei positiver Stimmung nimmt eine Person sensibler wahr, was um sie herum geschieht.
Im zweiten Schritt erfolgt die Interpretation des Ereignisses als Notlage. Auch hier ist für das Ausführen oder Unterlassen von Hilfeverhalten entscheidend, ob die Situation leicht als Notlage interpretiert werden kann oder nicht.
Nach Latané und Darley findet in einem dritten Schritt die Übernahme persönlicher Verantwortung statt. Das Hilfeverhalten einer Person kann stark von der Anwesenheit anderer Personen, die ebenfalls das Geschehen beobachten, beeinflusst werden. In der Literatur wird dieser Umstand auch als Bystander-Effekt beschrieben, welcher bereits zuvor beschrieben wurde. Demnach ist es wahrscheinlich, dass eine Person die Notlage erkennt, aber aufgrund anderer anwesender Personen nicht die persönliche Verantwortung übernimmt. Zudem können auch generelle Normen einer Gesellschaft Auswirkungen auf den Entscheidungsprozess eines Individuums haben.
Im vierten Schritt erfolgt nach Latané und Darley die Entscheidung über die Art der Hilfeleistung. In diesem Schritt muss die Person selbst ihre Kompetenz in Bezug auf die Hilfeleistung einschätzen. Sie muss auch entscheiden, auf welche Art und Weise sie helfen kann. Schätzt eine Person in einer Notsituation ihre Kompetenz als nicht ausreichend ein, muss jedoch immer die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, andere Personen um Unterstützung zu bitten oder die Polizei zu rufen (vgl. Jonas, 2002, S. 74).
Der fünfte Schritt umfasst die Umsetzung der Entscheidung. Dieser Schritt bildet den Abschlusspunkt des gesamten Entscheidungsprozesses, den eine Person durchläuft (vgl. (vgl. Labuhn, 2004, S. 83ff).
Ziel der nun folgenden exemplarisch dargestellten Maßnahmen, die sich an verschiedene Alters- und Zielgruppen richten, sind zum Teil unterschiedlich konzipierte Lernarrangements, die zivilcouragiertes Handeln fördern, indem entsprechende Handlungskompetenzen (Handlungsmöglichkeiten und Handlungsroutinen) vermittelt werden, die Wahrnehmungsfähigkeit und Aufmerksamkeit für Notsituationen geschärft wird und das Selbstvertrauen und die Selbstsicherheit gestärkt wird. Darüber hinaus soll Empathie gefördert und die demokratische, interkulturelle Wertebildung gestärkt werden. Ein bisher noch nicht angesprochenes, aber wichtiges Element von Zivilcouragetrainings sollte auch die Aufklärung über bestimmte Rechte und Pflichten sein, wie zum Beispiel die rechtlichen Konsequenzen für Unterlassene Hilfeleistung (StGB § 323c, 2000), oder auch das Notwehr- und Nothilferecht (StGB § 32, Abs. 1 und 2, 2000).
Ausgewählte Maßnahmen (Trainings, Projekte, Kampagnen)
Der Polizeikurs „zammgrauft„ von Antigewalt bis Zivilcourage, Ein Polizeikurs für Jugendliche„ (Polizeipräsidium München, Kommissariat 314 & Kreisjugendring Stadt, 2001) verfolgt das Ziel, Jugendlichen zivilcouragiertes Verhalten bzw. professionelles Helferverhalten, Hinweise zur Vermeidung des Opferverhaltens und zum positiven Verhalten als Zeuge zu vermitteln. Dadurch kann das subjektive Sicherheitsempfinden gestärkt werden. Darüber hinaus sollen auch Formen der Diskriminierung und von Rassismus und damit verbundener Gewalt in dem Kurs thematisiert werden. Auf diese Weise kann der Kurs dazu beitragen, die Struktur in der Gruppe positiv zu verändern und somit Lösungsmöglichkeiten für Konflikte aufzeigen. Dadurch soll die Gruppengemeinschaft gefördert werden. Die inhaltliche Gestaltung des Kurses basiert auf erlebnis- und spielpädagogischen Ansätzen. Im Kurs gibt es unterschiedliche Spiele (18 Spiele bewusst festgelegter Reihenfolge, 11 Spiele im Anhang) zu einem bestimmten Themengebiet, die im Laufe des Kurses immer komplexer werden. Ein Erlebnis, dass das gemeinsame Handeln in der Gruppe mit gegenseitiger Unterstützung erfordert, kennzeichnet einen bedeutenden Ansatz der Erlebnispädagogik. Der Kurs richtet sich primär an Jugendliche im Alter von 12-16 Jahren, maximal an 18-Jährige. Sekundär wird der Kurs auch als Multiplikatorenausbildung für Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen angeboten. Die Durchführung erfolgt in Schulen mit einer Klassenstärke zwischen 15 bis 30 Personen, aber auch bei bestehenden Gruppen, beispielsweise in Sportvereinen oder kirchlichen Einrichtungen. Zwei Schulvormittage sind für den Kurs angesetzt, welcher von den Beamten des Kommissariats K314 (zwei Moderatoren empfohlen) moderiert wird. Zudem gestaltet sich der Kurs als aktives Training, wobei die Teilnehmer in lockerer Atmosphäre (Stuhlkreis) die Inhalte des Kurses in Form von Spielen aus eigenen Erfahrungen erlernen. (Brandstätter, Zürich, 2006) beinhaltet die Vermittlung von relevantem Wissen und den Aufbau von Handlungskompetenzen, um zivilcouragiertes Verhalten zu fördern. Dabei orientiert sich das Training an Erkenntnissen der Motivationspsychologie und der Sozialpsychologie. Es kommen sowohl traditionell didaktische Methoden der Erwachsenenbildung (z.B. Rollenspiel, moderierte Gruppendiskussion) als auch Methoden neuester Erkenntnisse der psychologischen Forschung (z.B. mentale Simulation von Tylor & Pham, 1996) zum Einsatz. Das Training ist auf die Zielgruppe der Jugendlichen ab 16 Jahren und Erwachsenen ausgerichtet und ist für 25 Teilnehmer vorgesehen. Es wird in unterschiedlichen institutionellen Einrichtungen durchgeführt. Das handlungsrelevante Wissen wird über Kurzpräsentationen durch den Trainer vermittelt, sowie über spielerische Übungen, bei denen die Teilnehmer zur Selbstreflexion angeregt werden. Die Wissensmodule enthalten Informationen, die sich in zwei Bereiche gliedern: a) Psychologisches Wissen: Ursachen von Fremdenfeindlichkeit, Bedingungen von Hilfeverhalten und Bedingungen erfolgreichen Handelns sowie b) Allgemeines Wissen: richtiges Verhalten bei Notfällen, Funktionsweise des Notrufsystems im öffentlichen Nahverkehr. In den Modulen zum Aufbau von Handlungskompetenzen werden in Form von Rollenspielen, mentalen Simulationen und Handlungsplanungen geeignete Verhaltensweisen für die drei Situationstypen „Parolen„, „Pöbelei„ und „Prügelei„ vermittelt und eingeübt. Durch die Vielfalt der didaktischen Methoden soll für einen optimalen, abwechslungsreichen und anregenden Lernprozess gesorgt werden. Das Training sollte grundsätzlich von zwei Trainern umgesetzt werden, die über pädagogische Kenntnisse und Erfahrungen in Gruppenmoderation verfügen. Für das Training sind zwei Tage vorgesehen mit jeweils ca. neun Zeitstunden inklusive der Pausen. (Der Polizeipräsident in Berlin, Landeskriminalamt, LKA Präv 4, 1991) vermittelt in unterschiedlichen Informationsveranstaltungen, Seminaren und Workshops Strategien zur Deeskalation und gewaltfreiem Verhalten in Konflikt- und Bedrohungssituationen im öffentlichen Raum, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Schule und Kita sowie auch in beruflichen Situationen. Die gemeinsam erarbeiteten Ziele in den jeweiligen Seminaren sollen die Handlungskompetenzen und das subjektive Sicherheitsgefühl der Teilnehmer stärken. Bei der Durchführung wird auf polizeiliches Erfahrungswissen sowie auf psychologische bzw. und kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen. Die Veranstaltungsangebote richten sich an unterschiedliche Personengruppen. Themen sind Umgang mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum für jedermann, Umgang mit Aggression und Gewalt in der Schule, Förderung der Zivilcourage auch gegen rechtsextremistische und vorurteilsmotivierte Gewalt, Seminare zum sicherheitsbewussten Umgang mit dem Ladendieb, Seminare „Bewaffneter Raubüberfall„ und Seminare zum Umgang mit gewaltbereiten Klienten und Kunden. Obwohl die thematischen Schwerpunkte je nach Veranstaltungsangebot differieren, werden wesentliche Kernpunkte, die zivilcouragiertes Verhalten stärken, wie konkrete Hilfsmaßnahmen ohne Selbst- und Fremdgefährdung, die Stärkung der Wahrnehmungsfähigkeit und Aufmerksamkeit in Konfliktsituationen sowie die Aufklärung über Notwehr- und Nothilferecht in den Veranstaltungen vertieft. Nützliche Methoden sind hierbei Rollenspiele und praktische Übungen anhand von Beispielen. Es werden konkrete Verhaltensalternativen und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet, wobei hierbei besonders Wert auf den sensiblen Umgang mit der Erlebnis- und Erfahrungswelt der Teilnehmenden, auf eine systemische Betrachtungsweise und Perspektivenwechsel gelegt wird. Die Seminare werden vor Ort oder in angebotenen Räumlichkeiten der Berliner Polizei durchgeführt und liegen in einem zeitlichen Rahmen von ca. 3 Stunden. Für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden Tagesseminare angeboten, wie auch für die Veranstaltung Umgang mit gewaltbereiten Klienten/Kunden. Die Anzahl der Teilnehmenden sollte zwischen 15 und 30 Personen liegen. (Jonas & Boos, Göttingen, 2002) zielt auf die Förderung von Persönlichkeitseigenschaften und auf das Erlernen von Verhaltensweisen ab, die das Entstehen und auch gewalttätige Übergriffe und Diskriminierung gegenüber potenziellen Opfern verhindern können. Die einzelnen Trainingselemente/Übungen sind den aus der Sozialpsychologie stammenden Prozessmodellen der Hilfeleistung von Schwartz und Howard (1981) und Latané und Darley (1970) zugeordnet. Einerseits dienen die Übungen dazu, die Diskrepanz zwischen der Einstellung und Verhalten abzubauen, anderseits sollen die Übungen konkrete Kompetenzen vermitteln, damit Personen auch wirklich eingreifen. Dazu erfolgt in der ersten Übung eine „Investigative Befragung„ zur Sensibilisierung von Situationen, die Zivilcourage erfordern. Anschließend werden weitere Übungen zur Wahrnehmung solcher Situationen durchgeführt. In weiteren Übungen werden dann Verhaltensroutinen beschrieben und eingeübt, in Form von Rollenspielen, Stimmübungen zur verbalen Intervention, Verteidigungsübungen zum Selbst- und Opferschutz und Alarmierung von Polizei und Rettungskräften. Zum Ende des Trainings erfolgen eine Reflexion und die Vermittlung von allgemeinem Wissen. Der Fokus der Intervention liegt bei diesem Training vor allem auf der sozialen Kategorie des Opfers und Umstehenden (Zuschauern), bzw. die Gruppe der „bystander„. Die Übungen sind zudem so ausgelegt, dass auch die Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit der Teilnehmer gestärkt wird. Zielgruppe des Trainings sind erwachsene Teilnehmer ab 18 Jahren. Es ist ein eintägiges Training, das für 10-12 Personen vorgesehen ist und von zwei speziell geschulten Trainern in unterschiedlichen institutionellen Einrichtungen (z.B. Firmen, Stadtverwaltungen, Lehrerkollegien oder freien Ausschreibungen) durchgeführt wird. (DOMINO SozialKultur Projekte e.V., FH Merseburg & Thalia Theater Halle, 2002/2003) ist ein XENOS-Projekt mit dem Ziel, Ansätze zur Förderung gegen Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Rechtsradikalismus durch das Erlernen entsprechender Handlungskompetenzen für Zivilcourage zu vermitteln. Insbesondere geht es bei diesem Projekt in Teilzielen um das Erschließen neuer, kreativer Handlungsräume, einen veränderten Umgang mit Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, um die Stärkung der Persönlichkeit und der gesellschaftlich-demokratischen Handlungsfähigkeit. Der Ansatz dieses Projektes basiert auf theaterpädagogischen Methoden. Zielgruppe sind hierbei in erster Linie Multiplikatoren im schulischen und außerschulischen Bereich und Sozialpädagogen. Darüber werden auch Studierende mit dem Projekt angesprochen, die professionell oder ehrenamtlich mit einem Tätigkeitsfeld vertraut sind, indem pädagogische, soziale, kulturelle und politische Ziele von grundlegender Bedeutung sind und in denen mit der Theatermethode mit Jugendlichen gearbeitet werden soll. Die Fortbildungen für die Lehrer wurden darüber hinaus vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt anerkannt. Jugendliche sind die indirekte Zielgruppe des Projektes. Bei der Praxisbegleitung für Multiplikatoren wurde mit Jugendlichen unterschiedlicher Schultypen (Sekundarstufe I und Sekundarstufe II) gearbeitet. Auch mit Jugendfreizeitgruppen, Migranten, Jugendlichen aus Therapie und Erziehungshilfe sowie theaterinteressierten Jugendlichen wurde das Projekt umgesetzt. Es gibt unterschiedliche Fortbildungen, wie den „TheaterDialog„, „Zivilcourage – Hauptdarsteller im eigenen Leben„ mit der Qualifizierung zur Moderatorin und Moderator, „TheaterDialog„ und „Das Theater mit der Toleranz„. DOMINO ist ein umfangreiches Bildungs- und Fortbildungsprogramm mit vier Arbeitsbereichen: Internationale Workshops, praxisbegleitende Fortbildungsreihe, Aktionstheater sowie Lehre und Forschung. So gibt es zum Beispiel das „Theater der Unterdrückten„, welches aus vielen Spielen, Übungen und Techniken besteht, mit denen die Mitwirkenden ihre jeweiligen Lebensrealitäten in Szene setzen und mit Hilfe des Publikums Schritte zur Veränderung geübt werden können. Eine neue Entwicklung dieses Theaters ist beispielsweise der „Regenbogen der Wünsche„, welcher mit Hilfe von introspektiven Techniken psychische Prozesse im Theater thematisiert oder das „Forumtheater„. Hierbei geht es um eine Person, die ihre Interessen nicht durchsetzen kann und von ihren Mitspielern unterdrückt wird. Ein Joker (Vermittler zwischen Publikum und Bühne) animiert das Publikum, sich einzumischen und Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Die Zuschauer kommen dabei auf die Bühne und zeigen spielerisch Handlungsmöglichkeiten. Weitere Übungen und Techniken sind das „Bildertheater„, „Unsichtbare Theater„, „Zeitungstheater„, „Legislative Theater„, „Improvisationstheater„ und der „Theatersport„. Mit Hilfe des theaterpädagogischen Arbeitsprinzips „TheaterDialog„ wird die Grenze zwischen Darstellern und Zuschauern aufgehoben. Über das Spiel entsteht eine intensive Auseinandersetzung mit persönlichen und sozial relevanten Themen. Insbesondere die bildliche Vorstellung und der körperliche Ausdruck sind hierbei bedeutender als verbale Kommunikation und abstraktes Denken. (Polizeipräsidium Bochum, 1997) ist ein Projekt mit der Zielsetzung, Gewalt an Schulen zu verhindern, Zivilcourage zu fördern (aufzeigen von Konsequenzen/Bystander-Effekt) sowie Konfliktlösungsstrategien, soziale Kompetenzen und gesellschaftliche Werte zu vermitteln. Das Projekt ist auf Schüler der 8. Klasse weiterführender Schulen ausgerichtet und wird in Form eines Projekttages im Polizeipräsidium Bochum durchgeführt. Speziell geschulte Polizeibeamte des Kommissariats Vorbeugung moderieren diese Veranstaltung, welche einen zeitlichen Umfang von etwa 4 Unterrichtsstunden und einer 20-minütigen Pause hat. Der Projekttag wird von begleitenden Lehrkräften in den Klassen vor- und nachbesprochen. Für die Eltern findet zudem in vielen Schulen ein Elternabend statt. Mit Hilfe von Spielen, verschiedenen Übungen und Diskussionen soll den Schülern vermittelt werden, was unter Gewalt zu verstehen ist und wie man die Rolle des Opfers vermeiden kann. In der Gruppe werden gemeinsam Lösungsstrategien für Konfliktsituationen erarbeitet und eingeübt. Zudem soll der Projekttag den Schülern vermitteln, wie man anderen ohne Selbstgefährdung helfen kann und welche Möglichkeiten es gibt, auf erlebte Gewalt zu reagieren. Auch die Auswirkungen von Zuschauern (sog. Bystander-Effekt) und anfeuernden Personen sollen aufgezeigt werden. Das Situationsbewusstsein für die Rollen Opfer, Täter, Zeuge und Zuschauer soll damit geschärft werden. An diesem Projekttag erfolgt auch eine Wissensvermittlung in Form von Aufklärung über mögliche Gefahren und Konsequenzen von problematischen Verhaltensweisen der Schüler. Die unterschiedlichen Übungen/Spiele sind beispielsweise die „Gewaltskala„, wobei die Schüler Blätter mit kurzen Sachverhalten oder Rollen erhalten, die sie wiederum zwei Blättern auf dem Fußboden mit der Aufschrift „Gewalt„ und „Keine Gewalt„ zuordnen sollen. Lernziel ist, dass es verschiedene Meinungen und Empfindungen zum Thema Gewalt gibt. Eine weitere Übung heißt „Notwehr„. Hierbei wird anhand eines Beispiels das Verhalten der Schüler in einer unerwarteten Gewaltattacke diskutiert um die Voraussetzungen und Möglichkeiten der Notwehr zu thematisieren. Die „Gewaltspirale„ ist ein Rollenspiel, bei dem den Schülern vermittelt werden soll, wie schnell aus einer verbalen Auseinandersetzung beispielsweise eine Messerstecherei werden kann. Beim „Bus-Spiel„ werden verschiedene Bedrohungssituationen (mit Stühlen als nachgestellter Bus) simuliert, bei denen die Schüler sinnvolles Verhalten als Opfer, als Helfer und als Zeuge lernen sollen. Das „Elefantenspiel„ soll den Schülern den Unterschied zwischen Kraft und Gewalt vermitteln, indem eine Gruppe von Schülern auf dem Boden aneinander klammernd einen Elefant darstellt und andere Schüler als Elefantenjäger ohne Gewalt aber mit Kraft die auf dem Boden Sitzenden trennen sollen. Damit wird auch auf die Problematik der „Spaßkloppe„ eingegangen. Die hier exemplarisch vorgestellten Maßnahmen berücksichtigen nur einen kleinen Ausschnitt des Themas „Zivilcourage„. Darüber hinaus gibt es natürlich noch eine Vielzahl weiterer Projekte und Trainings, wie zum Beispiel (Zitzmann, 2002), (Präventionsrat der Stadt Bremerhaven, Ortspolizeibehörde Bremerhaven, 2002), (Polizeipräsidium München, Kommissariat 314, 1998), (Bertelsmann AG, Siemens AG, BBDO Germany & Lahnstein, GmbH, 1998), (Arbeitskreis Sicherheit, Frankfurt am Main, 1997), (Polizei Cottbus & Cottbuser Jugendrechtshaus e.V., 2001), (Polizeipräsidium Hamm in Zusammenarbeit aller Schulformen der Sekundarstufe I, 2002/2003), (Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben in Bielefeld und Leipzig, 2003), (Verbund Sozialpädagogischer Einrichtungen, Arbeiterwohlfahrt & Jugendsachgebiet Polizeiinspektion Homburg, 1998), (Schulverwaltungs- und Jugendamt Meerbusch, Neusser Polizeikommissariat, Rheinbahn, 2002) und (Scheithauer, Braun & Rusch, 2003).
Der Bystander-Effekt: Szene einer sich in Not befindenden Person im U-Bahnhof. Passanten im Hintergrund schauen zu, ohne zivilcouragiert einzugreifen (Foto: Löhr)
Schlussbetrachtung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle hier vorgestellten, aber auch die unberücksichtigten Maßnahmen zur Förderung von Zivilcourage, ob bereits evaluiert oder noch nicht, einen wichtigen Beitrag zum Frieden und demokratischen Zusammenleben in unserer Gesellschaft leisten. Auf einzelne Evaluationsergebnisse, die bereits vorliegen oder in Vorbereitung sind, kann jedoch in diesem Beitrag nicht näher eingegangen werden. Grundsätzlich sollte jedoch eine Evaluierung von bereits vorhandenen Maßnahmen zur Förderung von Zivilcourage unbedingt angestrebt werden, damit Zivilcourage nicht nur als ein interessantes Schlagwort fungiert, sondern Wissen, Werterhaltung und Verhaltensroutinen für unser gesellschaftliches Zusammenleben nachhaltig vermittelt werden können.Abschließend lässt sich sagen, dass gezielte Maßnahmen zur Förderung von Zivilcourage flächendeckend Thema für unsere Gesellschaft sein sollten.
Weiterführende Informationen
Auf PolizeiDeinPartner.de finden Sie Beispiele für persönliche Zivilcourage und auch Informationen über Polizeikurse, bei denen man Zivilcourage lernen kann.
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