Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht

Dirk Weingarten
Polizeihauptkommissar & Ass. jur.
Polizeiakademie Hessen

Gestört ist der öffentliche Frieden, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines ‚psychischen Klimas‘, in dem Taten wie die angedrohten (Mord, Totschlag, Raub, schwere Körperverletzung) begangen werden können, aufgehetzt werden. Allerdings muss eine solche Störung noch nicht eingetreten sein; jedoch muss die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet gewesen sein. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die entsprechende Ankündigung in der Öffentlichkeit erfolgt oder wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der angekündigte Angriff einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden wird, entweder bei einer Zusendung an die Medien oder an einen nicht näher eingegrenzten Kreis von Personen, von deren Diskretion nicht auszugehen ist. (BGH; Beschl. v. 19.05.2010 – 1 StR 148/10)

Frühere Gewalteinwirkungen können als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte. So kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet. (BGH, Beschl. v. 24.06.2010 – 4 StR 260/10)

Werden Telefonanrufe automatisiert durchgeführt, diese nach Herstellung der Verbindung sogleich wieder abgebrochen (sogenannte Ping-Anrufe) und dienen diese nur dazu, die Angerufenen zu einem kostenpflichtigen Rückruf zu veranlassen, liegt darin eine betrugsrelevante Täuschung der Angerufenen. (OLG Oldenburg; Beschl. v. 20.08.2010 - 1 Ws 371/10)

Der Untreuetatbestand des § 266 Abs. 1 StGB ist mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren. Die Rechtsprechung ist gehalten, Unklarheiten über den Anwendungsbereich von Strafnormen durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). (BVerfG; Beschl. v. 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09, 2 BvR 491/09)

Der bloße Ausdruck einer Computerdatei (in diesem Fall: eingescannter Grundstückskaufvertrag) weist nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen notariellen Kaufvertrag bzw. die Ausfertigung eines solchen prägen. Er spiegelt für den Betrachter erkennbar lediglich ein Abbild eines anderen Schriftstücks wider. Damit steht er einer bloßen Fotokopie gleich, der, sofern als Reproduktion erscheinend, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers ebenfalls kein Urkundencharakter beizumessen ist. Nicht anders als bei einer („gewöhnlichen„) Fotokopie enthält die beim Empfänger ankommende Telekopie eines existenten Schriftstücks - für den Adressaten und jeden Außenstehenden offensichtlich - nur die bildliche Wiedergabe der in jenem Schriftstück verkörperten Erklärung. Eine Beweisbedeutung kann ihr demgemäß mangels Erkennbarkeit eines Ausstellers und damit verbundener eigener Garantiefunktion für die Richtigkeit des Inhalts nicht beigemessen werden. (BGH; Beschl. v. 27.01.2010 – 5 StR 488/09)

Auch bei einem Wohnmobil handelt es sich um eine „andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient„, so dass es Objekt einer schweren Brandstiftung sein kann. Damit sollen auch ungewöhnliche Formen des Wohnens, wie etwa Wohn- oder Künstlerwagen geschützt werden. (BGH; Beschl. v. 01.04.2010 – 3 StR 456/09)

Es genügt für ein vollendetes Inbrandsetzen nach § 306 a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB, wenn in einem einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude nur solche Gebäudeteile selbständig brennen, die für die gewerbliche Nutzung wesentlich sind, aber nicht auszuschließen ist, dass das Feuer auf Gebäudeteile übergreift, die für das Wohnen wesentlich sind. § 306 a Abs. 1
Nr. 1 StGB stellt als abstraktes Gefährdungsdelikt ein Handeln unter Strafe, das typischerweise das Leben von Personen gefährdet, die sich in einem Gebäude aufhalten; eine solche abstrakte Gefahr besteht bereits dann, wenn „das Gebäude„ brennt und der Brand sich ausweiten kann. Besteht der durch die Brandlegung in einem einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude bewirkte Erfolg nicht darin, dass wesentliche Gebäudeteile der gewerblich genutzten Räume selbständig brennen, sondern allein in der ganzen oder teilweisen Zerstörung dieser Räume, so führt dies auch dann nicht zu einer vollendeten schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB, wenn die Gefahr bestand, dass das Feuer auf den Wohnzwecken dienenden Teil des Gebäudes übergreift. Eine (teilweise) Zerstörung kann auf vielfältigen durch die Brandlegung ausgelösten Umständen beruhen, etwa auf einer Rußentwicklung oder auf der Einwirkung von Löschmitteln. Sie ist deshalb, wenn sie die gewerblichen Räume betrifft, nicht typischerweise auch mit einer Gefährdung der Personen verbunden, die sich in dem zu Wohnzwecken genutzten Gebäudeteil aufhalten. (BGH; Beschl. v. 26.01.2010 – 3 StR 442/09)

II. Prozessuales Strafrecht

Baut ein nicht offen ermittelnder Polizeibeamter (als Besucher getarnt) während eines verdeckten Verhöres gegenüber einem inhaftierten Beschuldigten einen Aussagezwang auf und erfüllt durch sein Verhalten die objektiven Voraussetzungen einer Nötigung mit einem empfindlichen Übel, so sind die selbstbelastenden Äußerungen des Beschuldigten unverwertbar. Dadurch wird in den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit eines Angeklagten und damit in sein Recht auf ein faires Verfahren eingegriffen. (BGH; Beschl. v. 18.05.2010 – 5 StR 51/10)

Grundsätzlich besteht bei Gefährdung des Untersuchungszwecks nach § 147 Abs. 2 StPO die Möglichkeit, dem Verteidiger vor Abschluss der Ermittlungen die Einsicht in die Akten insgesamt oder teilweise zu versagen. Diese Vorschrift sowie die Möglichkeit der Zurückstellung der Unterrichtung über die Durchführung einer Observation gestatten jedoch weder die Darstellung eines unwahren Sachverhalts in den Ermittlungsakten noch die aktive Täuschung des Beschuldigten über die wahren Hintergründe seiner Festnahme. (BGH; Urt. v. 11.02.2010 – 4 StR 436/09)

Die Anordnung der Beschlagnahme des gesamten auf dem Mailserver des Providers gespeicherten E-Mail-Bestandes eines Beschuldigten verstößt regelmäßig gegen das Übermaßverbot. Beim Vollzug von Beschlagnahmen, insbesondere beim Zugriff auf einen umfangreichen elektronischen Datenbestand, ist darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser und dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO unterliegender Daten vermieden wird. Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherten Daten ist deshalb allenfalls dann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der gesamte Datenbestand, auf den zugegriffen werden soll, für das Verfahren potentiell beweiserheblich ist. Bei einem E-Mail-Postfach wird dies in aller Regel nicht der Fall sein. (BGH-Ermittlungsrichter; Beschl. v. 24.11.2009 – StB 48/09 (a))

Ein Beweisverwertungsverbot entsteht im Einzelfall nicht, wenn es unterlassen wurde, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen und dann eine auf die polizeiliche Eilkompetenz („Gefahr im Verzug„) gestützte Durchsuchung durchgeführt wurde. Dies dann, wenn bei einem Ortstermin mit einer Zeugin die zu durchsuchenden Räume genau lokalisiert werden sollten und anschließend dabei - durch die Ungeschicklichkeit einer Polizeibeamtin – die Anordnung mit Gefahr im Verzug begründet wurde. Dieser Umstand ist nicht annähernd solchen Fallgestaltungen vergleichbar, in denen durch bewusst gesteuertes oder grob nachlässiges polizeiliches Ermittlungsverhalten die „Gefahr im Verzug„ gleichsam heraufbeschworen und damit der Richtervorbehalt gezielt oder leichtfertig umgangen wird. (BGH; Beschl. v. 19.01.2010 – 3 StR 530/09)

Jede richterliche Durchsuchungsanordnung setzt eine eigenverantwortliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen voraus. Dies ist zwingend, da eine Durchsuchung schwerwiegend in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre eingreift. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss ist daher rechtswidrig, wenn dem zuständigen Richter lediglich ein Antrag auf Erlass zu Grunde liegt, in dem der „maßgebliche Sachverhalt„ zusammengefasst wird und sich die Durchsuchungsanordnung darin erschöpft, wesentliche Teile der polizeilichen Zuschrift ohne zusätzliche eigenständige Begründung zu „klammern„. (LG Kiel; Beschl. v. 20.03.2010 – 46 Qs 17/09)

Um den dringenden Tatverdacht zu bejahen, ist ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für Täterschaft und Schuld notwendig, dass eine Verurteilung mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Annahme darf jedoch nur auf bestimmten Tatsachen beruhen, nicht auf Vermutungen oder aus künftigen möglichen Ermittlungsergebnissen hergeleitet werden. (OLG Bremen; Beschl. v. 30.04.2010 – Ws 66/10)

III. Sonstiges

Die Teilnahme an einem Täterprogramm für Männer, die gegen ihre Partnerinnen gewalttätig geworden sind, soll verpflichtend angeordnet werden können. Außerdem soll die in der StPO vorgesehene Frist, an einem solchen Täterprogramm teilzunehmen, auf bis zu ein Jahr erweitert werden. (Quelle: Heute im Bundestag Nr. 132 v. 28.04.2010).

Die gem. § 7 Abs. 6 BKAG zwingend erforderliche Verordnung zur Errichtung und zum Betreiben der Datei „Gewalttäter Sport„ ist zwischenzeitlich in Kraft getreten (21.06.2010) und daher ist die Speicherung der besagten Daten rechtmäßig geworden. (BVerwG; Urt. v. 09.06.2010 – 6 C 5.09)