Kriminalistik / Kriminologie

Kriminalphänomenologie

Ein ungewöhnliches Tötungsdelikt

Von Hans-Hubert Marquard
Kriminalhauptkommissar
Polizeidirektion Sigmaringen

Ausgangslage

Gegen 21.25 Uhr ruft der 9-jährige Sebastian D.* über Notruf bei der Polizei an und teilt völlig verstört und hysterisch mit, dass seine Mama „getötet„ worden sei und gebraucht im Verlauf des kurzen Telefonats auch den Ausdruck „ermordet„. Beamte des örtlichen Polizeipostens treffen daraufhin wenige Minuten später an der von dem Jungen angegebenen Adresse ein.
Tatort ist eine 3-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Im Haushalt lebt die 30-jährige Mutter, Monika D., zusammen mit ihren beiden Kindern Sebastian und Katharina (1 ½). Monika D. ist nicht verheiratet; Sebastian stammt aus ihrer ersten Beziehung, Vater des Mädchens ist der im Nachbarlandkreis wohnende italienische Staatsangehörige Antonio F. (41).
Von dem unter Schock stehenden und alsbald vom DRK betreuten Jungen erfahren die Beamten, dass er gegen 17.00 Uhr nach Hause gekommen ist. Da er keinen Hausschlüssel hatte und niemand die Wohnungstür geöffnet hatte, war er schließlich über die Balkontür des Kinderzimmers eingestiegen, welche lediglich zugedrückt gewesen sei.
Da die Mama und sein Schwesterchen nicht zuhause gewesen seien, habe er im Wohnzimmer zunächst Fernsehen geschaut und auch etwas geschlafen. Gegen 18.00 Uhr sei Antonio (der einen Wohnungsschlüssel besitzt) in die Wohnung gekommen und habe nach der Mama und Katharina gefragt. Er habe ein Schälchen Erdbeeren mitgebracht. Antonio sei aber kurz darauf wieder gegangen und er selbst habe sich anschließend schlafen gelegt.
Um 21.00 Uhr, so der Junge weiter, habe er zur Toilette müssen, welche sich im Bad befindet. Dort fand er seine Mutter und sein Schwesterchen tot in der Badewanne auf. Die Badewanne war randvoll mit heißem Wasser gefüllt, das Wasser in der Badewanne sei noch gelaufen. Seine Mama, die nackt gewesen sei, habe im Hals ein Messer stecken gehabt.
Soweit zu den ersten Angaben des Jungen.

Auffindesituation

Die Wohnung verfügt über insgesamt 3 Zugänge. Eine zur Straße hin liegende Balkontür des Kinderzimmers, eine Terrassentür des Wohnzimmers auf der Gebäuderückseite sowie die Wohnungstür. Im Zylinderschloss der Wohnungstür, welche an der dem Hausflur zugewandten Seite über einen Türknauf verfügt, steckt innen ein Sicherheitsschlüssel. Die Balkontür ist lediglich zugedrückt und lässt sich mit leichtem Gegendruck ins Rauminnere öffnen. Der Rollladen an der Terrassentür ist vollständig heruntergelassen, die Terrassentür geschlossen. An keiner dieser Türen finden sich Aufbruchspuren.


(Foto: Kriminalpolizei Sigmaringen) (Abbildungen wurden vorerst entfernt)

Unmittelbare Leichenfundstelle ist das ca. 2,5 x 3 m große Badezimmer, welches mit einem Waschbecken, einer Toilette, einer Waschmaschine, einem Trockner, einer Badewanne und zwei Schränkchen möbliert ist. Das Fenster ist geschlossen, der Rollladen heruntergelassen.
Im Bereich von Waschbecken und Toilette sowie am Badewannenrand stehen geordnet Badutensilien. Die dahinter liegende Wand ist frei von tatrelevanten Spuren. Vor dem Fenster liegt relativ geordnet Wäsche. Die Raumtemperatur beträgt 26,2 °C.
Die tote Frau und das tote Kind liegen in der mit heißem Wasser befüllten Badewanne (s. Abb. 1). Die Wassertemperatur beträgt 52 °C ! Die Wasserstandshöhe endet exakt auf Höhe des Überlaufs. Die Armatur ist auf höchste Ausflussmenge von heißem Wasser geschaltet, der Wannenablauf ordnungsgemäß mit dem Abflussstöpsel verschlossen. Der Brauseschlauch der Badewannenarmatur, über welchen der Zulauf erfolgte, liegt auf dem Wannenboden. Der Wasserzulauf war von dem Jungen bei Entdeckung der Leichen abgestellt worden. Die bei der toten Frau um 23.30 Uhr rektal gemessene Leichentemperatur beträgt 46,5 °C (!).
Über der Badewanne befindet sich ein zweigeteilter Duschvorhang, dessen beide Teile in den Innenbereich der Badewanne hängen. Der linke, zur Raummitte zeigende Vorhang, ist etwa bis zur Hälfte vorgezogen, aber frei von Verschmutzungen oder Beschädigungen. Spuren eines Kampfes finden sich nicht. Vor der Badewanne ist auf dem Fußboden ein Kleiderhaufen, bestehend aus Unterwäsche und Oberbekleidung der toten Frau, geordnet abgelegt.
Das Wasser ist blutrot gefärbt, es finden sich z.T. faustgroße mit Fett vermengte Schaumblasen auf der Wasseroberfläche. Die Frau liegt völlig nackt in Rückenlage, die Beine leicht angewinkelt. An der rechten Halsseite ist eine tiefklaffende Schnittwunde ersichtlich. Oberhalb der linken Brust steckt ein größeres Küchenmesser mit schwarzem Griff. Im Brustbereich sind weitere Stichverletzungen sichtbar. Hände und Finger der Toten weisen Waschhautbildung auf, im Bereich der Hände löst sich teilweise bereits die Haut fingerhandschuhartig ab. Es werden keine Einblutungen in den Bindehäuten festgestellt.
An der linken Seite der Verstorbenen liegt unter der Wasseroberfläche das tote Mädchen, bekleidet mit T-Shirt, Hose und Socken. Das T-Shirt ist im Bauchbereich etwas hochgeschoben, darunter ist eine ca. 5 cm lange Schnittverletzung erkennbar. Auch der linke Arm des Kindes weist zwei ca. 5 cm lange Schnittverletzungen auf.

Spuren

Spuren eines Kampfes finden sich in der gesamten Wohnung nicht. Es zeigt sich lediglich ein Blutspurenbild aus einzeln aufgetropften Blutspuren auf dem Wohnungsboden, auf direktem Weg von der Badewanne über den Flur und das Wohnzimmer bis in die Küche. Die Blutspuren beginnen an der Küchenzeile, auf welcher ein Küchenmesser, offensichtlich aus dem dort stehenden Messerblock stammend, liegt. Die 20 cm lange Klinge weist massive Blutantragungen auf. Das tropfenförmige Spurenbild setzt sich im Anschluss an den gefliesten Küchenboden an drei Stellen im Wohnzimmer und sodann über den Flur (beides Laminatboden) bis ins Badezimmer fort, wo sich auf dem gefliesten Boden und teilweise an den Möbeln ebenfalls Tropfspuren befinden.
Von den vor der Badewanne in geordneter Reihenfolge übereinander abgelegten Kleidungsstücken der Frau weist deren Bluse auf der Vorderseite mehrere kreisrunde und flächige Blutspuren auf. Auch die Jeanshose zeigt Blutantragungen. Weder Hose noch Bluse weisen Beschädigungen auf, es finden sich daran auch keine Stichlücken oder Kampfspuren. Die spätere Blutspurenuntersuchung ergibt, dass sämtliche in der Wohnung gesicherten Blutspuren, auch die an den Messerklingen, von den Opfern stammen. An den Griffen der beiden Messer findet sich später nahezu ausschließlich die DNA von Monika D. An den Opfern selbst wird keine Fremd-DNA festgestellt.
Auf dem Fußboden des Badezimmers sowie im Wohnungsflur werden Schuhspuren gesichert, von denen die meisten den Rettungssanitätern zugeordnet werden können. Lediglich zwei weitere Schuhsohlenfragmente können aufgrund ihrer schwachen Ausprägung nicht eindeutig zugeordnet werden.

Obduktion

Die Obduktion der beiden Leichen ergibt folgendes Verletzungsbild:

  • Der Körper von Monika D. weist über 30 scharfe Durchtrennungen des Halses, des Brust-, Bauch- und Schambereiches auf.
  • Im Halsbereich zwei 9 cm und 19 cm lange klaffende Durchtrennungen, was nach Aussage der Obduzenten bedeutet, dass sich hier zwei Schneidevorgänge ereignet haben (s. Abb. 2).
  • Unterhalb des linken Schlüsselbeins steckt ein 32 cm langes Küchenmesser (20 cm Klingenlänge), welches von kopfwärts nach fußwärts eingeführt ist (s. Abb. 3).
  • Die Durchtrennungen im Schambereich verlaufen nahezu parallel. Weitere Durchtrennungen im Dammbereich und im rechtsseitigen Teil der Aftergrube.
  • An der Beugeseite des linken Handgelenks mehrere parallele Durchtrennungen der Haut. Hier liegen die Sehnen frei.
  • 4 cm hinterkopfwärts der Stirn-Haaransatzstelle eine ca. 3,5 cm lange, glatte Durchtrennung der Haut.
  • Die Kopfschwarte ist ansonsten nirgendwo verletzt.
  • Die Rippen sind durchschnitten
  • Der Rücken ist unverletzt.

Als Todesursache wird akute Verblutung festgestellt. Zahlreiche der im Brust- und Bauchbereich befindlichen Stichverletzungen zeigen auf, dass ein eingeführtes Messer mit dem Rücken nach fußwärts gezeigt hatte.


Abbildung 2 (Foto: Kriminalpolizei Sigmaringen) (Abbildungen wurden vorerst entfernt)

Obgleich von den Obduzenten prinzipiell eine Selbstbeibringung der Stiche für nicht ausgeschlossen gehalten wurde, wurden aus dortiger Sicht dennoch Zweifel hieran geäußert, da die Wunde im Kopfbereich zwar auch im Suizidalvorgang für möglich erachtet, jedoch für eine Selbstbeibringung ungewöhnlich angesehen und auch für die Durchschneidung der Rippen eine entsprechende Kraftanstrengung für notwendig erachtet wurde.
Auch die Leiche des Kleinkindes weist keine Einblutungen in den Bindehäuten auf.

  • Im Brustkorb 4 Einstiche, frontal und seitlich; 6 weitere Einstiche im Lendenbereich
  • Am linken Arm 5 Einstiche zwischen Unterarm und Achselhöhle; eine weitere Durchtrennung zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand
  • Am linken Oberschenkel 4 Einstiche an der Vorderseite sowie 5 weitere Einstiche an der Rückseite und am Gesäß
  • Im Bereich des rechten Beines keine Durchtrennungen der Haut
  • Perforation von Magen, Milz und Leber sowie der linken Herzkammer und Lunge

Todesursächlich war die Stichverletzung des Herzens, die geeignet war, unmittelbar den Tod herbeizuführen.

Ermittlungen

Aufgrund der ungewöhnlichen Auffindesituation und den mysteriösen Tatumständen wurde unmittelbar nach Bekanntwerden der Tat bei der Kriminalinspektion 1 eine 11-köpfige Ermittlungsgruppe eingerichtet, der der Verfasser im Abschnitt Ermittlungen angehörte.
Neben den in einem solchen Fall üblichen Umfeldermittlungen im Nachbarschafts- und Familienkreis der Toten, wurde auch nach deren 41-jährigen Freund gefahndet, von dem zwischenzeitlich bekannt war, dass er seit zwei Jahren von seiner Ehefrau getrennt lebte und dessen derzeitiger Aufenthaltsort auch die Nacht über nicht in Erfahrung gebracht werden konnte. Antonio F. war zudem bereits mehrfach wegen Eigentums- und Rohheitsdelikten polizeilich anhängig gewesen.
Die bis in die Morgenstunden durchgeführten Befragungen und Vernehmungen von Zeugen ergaben dann ein einigermaßen konkretes Bild über den, auch zeitlich gesehen, vermutlichen Tatablauf und die möglichen Hintergründe der Tat.
Die unter ärztlicher Aufsicht ergänzende Befragung des Jungen ergab, dass dieser bereits gegen 16.00 Uhr nach Hause gekommen war. Der Junge war von seiner Mutter jedoch an der Wohnungstür abgewiesen worden, die ihn wie von Sinnen bezichtigte, der Teufel zu sein. Daraufhin wandte sich der so völlig eingeschüchterte Junge ab und begab sich zunächst zu einem benachbarten Kind, um gegen 17.00 Uhr erneut nach Hause zu kommen. Da der Junge keinen Wohnungsschlüssel hatte und die Wohnung auf sein Klingeln nicht geöffnet wurde, stieg der Junge kurzerhand über die Balkontür des Kinderzimmers ein, welche er nur aufzudrücken brauchte, da der Türhebel nicht umgelegt war. Da er bei seiner anschließenden Nachschau im Wohn- und Schlafzimmer seine Mutter und seine kleine Schwester nicht vorfand, blieb er im Kinderzimmer und schaute fern.
Gegen 19.45 Uhr kam Antonio F. in die Wohnung, der seine kleine Tochter fast täglich besuchte. Er war, wie er bei seiner späteren Vernehmung aussagte, bereits am Morgen gegen 06.30 Uhr zu Besuch gewesen, wo ihm Monika D. offenbart hatte, sie habe Jesus gesehen und sei selbst wieder Jungfrau und Maria. Ihm erzählte sie ferner, „ von innen dreckig„ zu sein, da sie als Kind von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden sei. Sein Vorhaben, Monika D. aufgrund ihrer schlechten psychischen Verfassung zu einem Arztbesuch zu überreden, scheiterte an deren Widerstand, da sie befürchtete, dann ihre Kinder zu verlieren. Besorgt über das eigenartige Verhalten der jungen Frau nahm sich Antonio F. jedoch vor, am Abend nochmals vorbei zu kommen.
Am Abend traf er in der Wohnung jedoch nur den Jungen an und vergewisserte sich selbst durch einen Blick ins Wohn- und Schlafzimmer, dass Monika D. und das Mädchen nicht zu Hause waren. Er sah jedoch keinen Anlass, auch im Badezimmer nachzuschauen, da er von dort auch keine Geräusche hörte. Der Mann nahm zwar „einige braune Tropfen„ auf dem Flurboden wahr, die er jedoch für Schokoladenflecke hielt und Monika es mit dem Putzen ohnehin nicht so genau nahm. Also verließ er zunächst die Wohnung wieder, um die Beiden in der Stadt zu suchen. Gegen 20.20 Uhr kehrte er erneut in die Wohnung zurück, wobei es ihm nun doch merkwürdig erschien, dass Mutter und Kind immer noch fehlen. Antonio F. fuhr nun schließlich zu seiner neuen Freundin, bei der er auch übernachtete und von wo aus er in der Nacht nochmals vergeblich versuchte, Monika D. telefonisch zu erreichen, da ihr Handy ausgeschaltet war.
Bei den noch in der Nacht durchgeführten Nachbarschaftsbefragungen erhalten die Kriminalbeamten von den überwiegend sehr zurückhaltenden und z.T. nur schlecht deutsch sprechenden Hausbewohnern wertvolle Hinweise, die in dem Fall dann richtungsweisend sein sollten. Schon Tage zuvor hatte Monika D. einer Nachbarin von „ schrecklichen Träumen„ erzählt, die sie gehabt habe, ohne jedoch konkreter zu werden.


Abbildung 3 (Foto: Kriminalpolizei Sigmaringen) (Abbildungen wurden vorerst entfernt)

Am Tag des schrecklichen Geschehens hörte eine Zeugin gegen 17.20 Uhr zunächst lautes Gekreische, welches von der Terrasse einer Erdgeschosswohnung kam. Dort sah die Zeugin Monika D., welche ihr Kind im Arm hielt und die Worte „gestorben, gestorben „ schreiend, auf der Terrasse auf die Knie sank. Daraufhin ging Monika D. mit dem (leblosen?) Kind in die Wohnung zurück und schloss die Rollläden des Wohnzimmers.
Auch eine weitere Zeugin hatte das laute Schreien der jungen Frau auf der Terrasse gehört und sah, wie diese ihr (lebloses?) Kind in den Armen hielt und zu diesem wörtlich sagte: „Du darfst nicht leben!„, um dann mit dem Kind in den Armen anschließend in die Wohnung zurück zu gehen. Beide Zeuginnen sprachen daraufhin zwar unmittelbar miteinander über ihre Beobachtungen, konnten aber das merkwürdige Verhalten der jungen Mutter nicht weiter deuten.
Auch Familienangehörige (Mutter und Bruder der Monika D.) berichteten bei ihrer nächtlichen Vernehmung von schweren psychischen Problemen, an denen die junge Frau schon seit Jahren litt (u.a. Suizidversuch mit anschl. stationärem Aufenthalt in der Psychiatrie) und die sich in letzter Zeit wieder besorgniserregend verstärkt hätten, weshalb sich die Familie insbesondere in den letzten Tagen große Sorgen um die 30-Jährige gemacht hatten. Alle Versuche der Familie, die junge Frau zu einem Arztbesuch zu bewegen, scheiterten jedoch an deren hartnäckigem Widerstand. Aus diesem Grund hielt es die Familie der Verstorbenen für denkbar, das Monika D. die schreckliche Tat sogar selbst begangen haben könnte.

Aus der Krankenakte

Die Auswertung der Krankenakten ergab, dass Monika D. schon seit Jahren an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis litt. Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit ergaben sich nicht. Mit 16 Jahren hatte sie das erste Mal Stimmen gehört, wonach sie die Welt retten müsse. Bereits 1997 erfolgte dann die erste Zwangseinweisung in die Psychiatrie, da die alleinerziehende Mutter Wahnvorstellungen über einen bevorstehenden Weltuntergang hatte und auf ihre Mutter eingeschlagen hatte, da sie diese für den Teufel gehalten hatte. Bei diesem Anfall hatte sie auch ihren damals 3-jährigen Sohn auf den Fußboden geworfen. 1999 erfolgte eine erneute, diesmal mehrmonatige Einweisung in die Psychiatrie, nachdem Monika D. zuvor zwei Suizidversuche (Tabletteneinnahme und versuchter Sprung aus dem Fenster) unternommen hatte, da sie Stimmen zur Suizidaufforderung gehört hatte. Sie hatte schon damals ihren kleinen Sohn öfters geschlagen und überlegt, das Kind umzubringen, wie sie damals ihrem behandelnden Psychiater gestand und überhaupt mit dem Gedanken gespielt, ihrer Mutter oder ihrem Kind etwas anzutun, weil sie glaubte, dem Erziehungsdruck nicht mehr gewachsen zu sein. Bei ihrer Entlassung hatte sich ihr psychischer Zustand zwar etwas stabilisiert, doch wurde ihr aufgrund der insgesamt negativen Gesamtprognose eine auch weiterhin fachärztliche ambulante Behandlung dringend angeraten. Ihre fachärztliche Betreuung brach Monika D. jedoch 2001 ab, ohne dass es in den nächsten Jahren zumindest für Außenstehende zu irgendwelchen Auffälligkeiten kam. Doch innerhalb kürzester Zeit, ihr zweites Kind Katharina war inzwischen 1 ½ Jahre alt, verschlechterte sich ihr psychischer Gesundheitszustand erkennbar dramatisch, weshalb sowohl ihre Mutter als auch ihr Freund die junge Frau noch am Tag des schrecklichen Geschehens morgens dringend aber vergeblich zu einem Arztbesuch bewegen wollten.

Im Ergebnis

Zusammenfassend bleibt vor dem Hintergrund der kriminalpolizeilichen und gerichtsmedizinischen Feststellungen als wahrscheinlicher Geschehensablauf festzuhalten, dass Monika D. in den späten Nachmittagsstunden des betreffenden Tages einen akuten Wahnanfall paranoider Art erlitten haben dürfte. Nachdem sie (glücklicherweise) zuvor noch ihren 9-jährigen Sohn an der Haustür abgewiesen hatte, dürfte sie sich zunächst in der Küche mit einem Küchenmesser eine Verletzung am linken Handgelenk zugefügt haben und ließ das Tatmesser dort zurück. Mit dieser Verletzung ging sie nun durch Flur und Wohnzimmer und erzeugte das später vorgefundene Spurenbild. Dort holte sie ihr Kind und nahm es mit ins Badezimmer, wo sie – vermutlich in der noch nicht befüllten Badewanne – in noch bekleidetem Zustand mit einem zweiten Küchenmesser auf ihr Kind einstach. Möglicherweise erst anschließend ging Monika D. mit dem Kind kurz auf die Terrasse, wo sie von Hausbewohnern aufgrund ihres Gekreisches wahrgenommen wurde. Bei dem Kind nahmen die Zeugen objektiv keine Lebenszeichen wahr.
Mit dem toten Kind zurück im Badezimmer legte sie das Kind nun in die Badewanne, zog sich aus und legte ihre Kleidung vor der Badewanne ab. Nun stieg die Suizidentin zu ihrem bereits toten Kind in die Wanne und fügte sich mit dem später in ihrer Brust vorgefundenen Küchenmesser die restlichen Verletzungen zu.
Welche Kräfte müssen in einem Menschen wirken, damit er, abgesehen von der schrecklichen Tötung seines eigenen Kindes, fähig ist, auch an sich selbst vom Schambereich bis zum Kopf diese Vielzahl unglaublicher Verletzungen beizubringen? Ein so furchtbares Geschehen, das selbst erfahrene Rechtsmediziner vor ein Rätsel stellt, kann nur in einem unvorstellbaren Akt höchster paranoider Besessenheit vollbracht werden. Im Ergebnis war von einem sogenannten erweiterten Suizid auszugehen. Ähnliche Fälle sind in der forensischen Praxis durchaus bekannt.

Literatur:

Lieske K., Püschel K., Suizid durch 120 Bruststichverletzungen?, Institut für Rechtsmedizin in der Universität Hamburg, 1987
Hammer H.J., Leopold D., Atypischer Selbstmord durch multiple Schnittverletzungen, Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig
Bochmann D., Wahn und Suizid, Technische Universität Dresden, 2000