Organisierte Kriminalität

Hilfe für Opfer von Frauenhandel:

Die Arbeit der Fachberatungsstellen

Von Ulrike Richter, KOBRAnet, Zweigstelle Leipzig und Naile Tanis, Geschäftsführerin Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess e.V.

Ulrike Richter,
KOBRAnet,
Zweigstelle Leipzig

Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist ein Gewaltdelikt, das überwiegend Frauen betrifft und bei den Betroffenen häufig physische und psychische Schäden hinterlässt. Die Bekämpfung des Menschenhandels und die damit zusammenhängenden polizeilichen Ermittlungen gestalten sich als schwierig und zeitaufwändig, zumal Ermittlungserfolge und die Sicherung des Strafverfahrens in starkem Maße von der Kooperationsbereitschaft und der Zeuginnenaussage betroffener Frauen abhängen.
Opfer von Menschenhandel befinden sich in einer ausgesprochen schwierigen persönlichen Situation, sind psychischem Stress ausgeliefert und häufig sind sie auf Grund der zurückliegenden Erfahrungen traumatisiert.
In der effektiven Bekämpfung des Menschenhandels sind die Strafverfolgungsbehörden jedoch auf die Unterstützung gerade dieser Frauen angewiesen. Nur durch die Zeuginnenaussagen betroffener Frauen können Strafverfahren erfolgreich zum Abschluss gebracht und damit Täter und Täterinnen verurteilt werden. Die besondere Situation sogenannter Opferzeuginnen verlangt daher nach speziellen polizeilichen Schutzmaßnahmen sowie einer fachkompetenten intensiven psychosozialen Betreuung.
Diese fachkompetente intensive psychosoziale Betreuung wird von den Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstellen für Betroffene von Frauenhandel (FBS) geleistet.

Naile Tanis



Arbeit der Fachberatungsstellen

Fachberatungsstellen sind Nichtregierungsorganisationen, die von Frauenhandel betroffenen Frauen konkrete Hilfen anbieten. Mitte der 80er Jahre haben sich in Deutschland die ersten Beratungsstellen gegründet und ihre Arbeit aufgenommen. Die Unterstützungsangebote stehen grundsätzlich allen betroffenen Frauen offen und zwar völlig unabhängig davon, ob die Frauen mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren oder nicht. Im Mittelpunkt der Beratungsarbeit stehen überwiegend die Bedürfnisse, Interessen und Belange der betroffenen Frauen.
Fachberatungsstellen assistieren den Klientinnen in der Wahrnehmung ihrer Rechte. Sie unterstützen betroffene Frauen bedarfsgerecht bei allen notwendigen Schritten. Mit psycho-sozialer Beratung und der Organisation verschiedener Angebote unterstützen sie die Stabilisierung und Gesundung der Klientinnen. Die Beratungsarbeit erfolgt auf freiwilliger Basis und je nach Bedarf muttersprachlich. Beraterinnen unterliegen der Schweigepflicht und behandeln alle Angaben ihrer Klientinnen vertraulich.1

Mittlerweile gibt es in fast jedem Bundesland solche spezialisierten Fachberatungsstellen (Grafik), die ihre Angebote jedoch häufig mit nur engen personellen Ressourcen und Sachmitteln ausgestalten müssen.

Diese Fachberatungsstellen haben sich mit Migratinnenorganisationen, Lobbyorganisationen, Schutzwohnungen und Frauenhäusern sowie Prostituiertenberatungsstellen zusammengeschlossen und den Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess e.V. (KOK e.V.) gegründet. Ziel war und ist, die Themen Frauenhandel und Gewalt an Migrantinnen auf die politische Agenda zu setzen und Maßnahmen gegen dieses Unrecht einzufordern. Heute sind im KOK bundesweit 35 Mitgliedsorganisationen vertreten. Der KOK ist europaweit die einzige nationale Koordinierungsstelle und kann auch als Modell für eine erfolgreiche fachspezifische Vernetzung gesehen werden.

Das Beratungs- und Betreuungsangebot der verschiedenen Fachberatungsstellen ist ähnlich, kann aber in Detailfragen auch Unterschiede aufweisen. Exemplarisch wird die Arbeit während der Kontaktaufnahme und dem Erstgespräch, die notwendigen Rahmenbedingungen, die psychosoziale Betreuung sowie die Rückkehrhilfen vorgestellt.



Kontaktaufnahme

Oftmals findet die Kontaktaufnahme zwischen Fachberatungsstelle und dem Opfer von Menschenhandel über die Vermittlung der Polizei statt. Trifft die Polizei bei Kontrollen oder Razzien potenzielle Opfer an, sollte sie die betreffenden Frauen über das Beratungsangebot der zuständigen Fachberatungsstelle informieren und diese dann hinzuziehen. Damit sich die jeweilige Frau im Vorfeld ein eigenes Bild über das Angebot der Beratungsstelle machen kann ist es sinnvoll, wenn der Polizeidienststelle mehrsprachiges Infomaterial vorliegt, welches die Beamten und Beamtinnen dann bei Bedarf aushändigen können.

Der Zeitpunkt der Einschaltung der Fachberatungsstelle durch die Polizei variiert zum Teil sehr – dies kann vor geplanten Aktionen sein sowie vor, während oder nach den Vernehmungen. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Je früher die Fachberatungsstelle eingeschaltet wird umso besser ist dies für die betroffenen Frauen, da sich die Vertrauensbeziehung zwischen der Klientin und der Beraterin leichter aufbauen lässt. Weitere Argumente für eine frühe Einschaltung der FBS sind:

·Je früher die Beratungsstelle informiert ist, umso reibungsloser lässt sich die Unterbringung organisieren.

·Zudem ermöglicht eine frühe Einschaltung, dass die Interessen der Frauen besser vertreten werden können – beispielsweise gegenüber Polizei oder Staatsanwaltschaft.

·Die Mitarbeiterin der Fachberatungsstelle kann die Aussage- und Kooperationsbereitschaft der Zeugin positiv fördern.

·Wenn die Frau es wünscht, sollte der Beraterin die Teilnahme an weiteren Vernehmungen durch die Polizei gestattet werden. Dies ist natürlich nur möglich, wenn die Beratungsstelle rechtzeitig informiert wird.2



Erstgespräch

Sofern eine Verständigung möglich ist, sollte das Erstgespräch alleine zwischen Beraterin und Zeugin statt finden. Gegebenenfalls sollte eine Dolmetscherin hinzugezogen werden. Ein von der Polizei getrenntes Gespräch ermöglicht der betroffenen Frau das Auseinanderhalten der unterschiedlichen Rollen und Aufgaben der beiden Berufsgruppen. Dafür sollte auch ein geeigneter Raum zur Verfügung stehen, da es sich hierbei nicht um ein Gespräch zwischen Tür und Angel auf dem Gang der Polizeidienststelle handeln sollte.

Ziele des Erstgesprächs sind:
·Kennenlernen und Aufbau einer Vertrauensbeziehung
·Erfassen der besonderen Problemlage der betroffenen Frau

·Förderung der Aussage- und Kooperationsbereitschaft

·Information über das Beratungs- und Betreuungsangebot der Fachberatungsstelle

Selbstverständlich ist darauf zu achten, dass die potenzielle Zeugin in ihrer Entscheidung nicht beeinflusst wird und ihr keine fiktiven Versprechungen gemacht werden.

Schaffung von Rahmenbedingungen
Hat sich herausgestellt, dass eine Frau zur Kooperation mit der Polizei bereit ist, sie wichtige Zeugenaussagen machen kann und bis zum Ende der Hauptverhandlung in Deutschland bleiben wird, müssen in der Folge zunächst die wichtigsten Rahmenbedingungen für sie geschaffen werden, so dass ein rechtlich und finanziell abgesicherter Aufenthalt für sie möglich ist. Dazu gehören folgende Elemente:

·Unterbringung
Die Unterbringung der Opferzeugin wird von der Fachberatungsstelle geregelt. Hierzu sind Absprachen mit der Polizei jedoch dringend erforderlich. Die zuständige Polizei muss sich klar über die Gefährdungslage der betroffenen Frau äußern, da sie nur an einem Ort untergebracht werden kann, der weit genug von den Tatorten entfernt ist. Bei der Wahl einer geeigneten Unterbringung hat die Sicherheit der Frau absolute Priorität, so muss weitestgehend sichergestellt sein, dass sie an diesem Ort keinem Tatbeteiligten oder ehemaligen Kunden begegnet.

·Erwirken einer Aufenthaltserlaubnis bei der zuständigen Ausländerbehörde.
Dafür muss zunächst eine schriftliche Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft eingeholt werden, aus der hervorgeht, dass die betroffene Frau als unverzichtbare Zeugin für ein Strafverfahren benötigt wird und aus diesem Grund ein Verbleib im Bundesgebiet notwendig ist.

·Finanzielle Absicherung
Die finanzielle Grundsicherung ist über das zuständige Sozialamt gewährleistet. Die Opferzeugin erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 1 AsylbLG). Dabei handelt es sich allerdings nur um eingeschränkte Leistungen, so dass seitens der Fachberatungsstelle in der Regel noch zusätzliche Kosten übernommen werden müssen – so z.B. Kosten für Bekleidung, Handy (die Erreichbarkeit der Klientin ist aus Sicherheitsgründen dringend erforderlich), Wörterbuch, Dolmetscherkosten, Fahrtkosten, Gebühren für Deutschkurse und andere Qualifizierungsangebote.

·Anmeldung bei dem Einwohnermeldeamt
Die Frau muss bei dem Einwohnermeldeamt des Wohnorts angemeldet werden. Dabei ist besonders wichtig, dass ihr aus Sicherheitsgründen eine generelle Auskunftssperre erteilt wird. Hierfür ist in der Regel eine kurze Stellungnahme von Polizei oder Staatsanwaltschaft erforderlich.

·Besorgung von Dokumenten (Pass, Zeugnisse, Geburtsurkunde u.ä.)
Ist der Opferzeugin der Reisepass abgenommen oder gestohlen worden, oder hat sie noch nie einen besessen, so müssen Reisdokumente oder im Einzelfall auch ein neuer Pass bei dem zuständigen Konsulat beantragt werden. Mitunter ist es auch wichtig andere Dokumente zu besorgen – z.B. Zeugnisse aus dem Herkunftsland, Geburtsurkunden oder Ehefähigkeitsbescheinigungen.

Die Zuständigkeiten der Praxis für die Regelung von Behördenangelegenheiten variiert in den einzelnen Bundesländern – so kann sie entweder bei der Fachberatungsstelle oder der Polizei liegen.

Einen Schwerpunkt in der Arbeit der FBS bildet die psychosoziale Beratung:

Psychosoziale Betreuung
Die Ziele der psychosozialen Beratung sind:
· Ausbau der Vertrauensbeziehung
· Psychische Stabilisierung
· Integration der traumatischen Erfahrungen
· Entwicklung von Zukunftsperspektiven

Inhalte:
· Hilfen zur Bewältigung des Alltags, Unterstützung beim Aufbau sozialer Kontakte
· Stärkung des Selbstwertgefühls
· Förderung der Eigenverantwortung sowie der Fähigkeit selbstbestimmt zu handeln
· medizinische Versorgung, evtl. Vermittlung psychotherapeutischer Hilfsangebote
· Gesprächsangebot bezüglich verschiedener Themen – z.B. Tatgeschehen, emotionale Bindungen an Personen aus dem Milieu, lebensgeschichtlicher Hintergrund, familiäre Situation, Ängste, aktuelle Probleme
· Krisenintervention – z.B. bei Problemen mit der Bewältigung von Gewalterfahrungen, Einsamkeit, Heimweh, Zukunftsängsten, Schuldfragen
· schulische und berufliche Perspektiven – Deutschkurse, andere Schulabschlüsse, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Erwerbstätigkeit


Ein besonderes Problem stellt die Tatsache dar, dass Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, häufig auf Grund der massiven Gewalt- und Abhängigkeitserfahrungen traumatisiert sind. Mögliche Symptome einer Traumatisierung können sein: quälende Erinnerungen und immer wiederkehrende Bilder, Wiedererleben des Traumas, Erinnerungsverlust, Vermeidung, körperliche Reaktionen (z.B. Kopfschmerzen, Schwitzen, Anstieg des Blutdrucks), Aggressivität und Reizbarkeit, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Schreckhaftigkeit, Interesseverlust, Gefühl der Hoffnungslosigkeit sowie übertriebene Wachsamkeit. Darüber hinaus können auch zwanghafte Reaktionen auftreten – beispielsweise Waschzwänge.Um einer Chronifizierung entgegenzuwirken wäre in vielen Fällen eine schnelle therapeutische Intervention nötig, doch lässt sich dies aus unterschiedlichen Gründen meist nicht bewerkstelligen. So stehen mangelnde Sprachkenntnisse, unzureichende Motivation der Betroffenen und vor allem ungeklärte Finanzierungsfragen diesem Anliegen entgegen.

Das Beratungsangebot der FBS
Die Fachberatungsstellen bieten je nach Konzept und personeller Ausstattung in folgenden Bereichen Beratung und Unterstützung an:

  • fortlaufende psychosoziale Beratung
  • Klärung ausländer- und sozialrechtlicher Fragen, Sicherung des Lebensunterhaltes
  • Angebot/Vermittlung von Unterbringung, medizinischer Versorgung, Therapieangeboten, Bildungsmaßnahmen und Freizeitgestaltung
  • Begleitung zu Behörden
  • Begleitung im Ermittlungs- und Strafverfahren und vor Gericht
  • Vermittlung RechtsanwältIn (Anm: rechtlicher Unterschied zwischen juristischem Beistand und Rechtsanwalt)
  • Organisation und Unterstützung bei der Ausreise und Vermittlung von Hilfsangeboten in den Herkunftsländern


Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit von Fachberatungsstellen ist die Vermittlung einer Rechtsanwältin zur Nebenklagevertretung sowie die Prozessvorbereitung, -begleitung und -nachbereitung Die Ladung zum Gerichtstermin und die anstehende Aussage als Zeugin setzt die Frauen in der Regel unter großen psychischen Druck. Sie müssen von daher intensiv darauf vorbereitet werden. Nach Beendigung ihrer Aussage steht die Beraterin als Ansprechpartnerin für die gemachten Erlebnisse zur Verfügung, da die Frauen meist das Bedürfnis haben nochmals über die Gerichtsverhandlung zu reden. Dieser Teilbereich der Arbeit der FBS ist sehr personal- und zeitintensiv, wird hier aber auf Grund der vorhandenen Sachkenntnis der Leser und Leserinnen nicht im Detail beschrieben.

Die Arbeit der FBS endet jedoch nicht mit dem Strafverfahren oder der Beratung mit den betroffenen Frauen, wenn diese sich nicht für eine Aussage entscheiden, sondern die Beratungsstellen unterstützen die Frauen auch bei ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland oder bei der weiteren Integration in Deutschland:

Rückkehrhilfen sowie Hilfen bei der weiteren Integration in Deutschland
Bei Klientinnen, die nach Beendigung des Gerichtsverfahrens in das Herkunftsland zurückkehren müssen, ist dieser Schritt genau zu planen. Die Rückkehr muss sowohl psychologisch als auch organisatorisch vorbereitet werden. Dies beinhaltet im einzelnen die Kontaktherstellung bzw. – verbesserung zu der Familie vor Ort, die Kontaktherstellung zu Beratungsstellen in den Herkunftsländern sowie die gesamte organisatorische Abwicklung der Rückkehr - damit verbunden auch die Prüfung und Abwicklung finanzieller Unterstützungsmöglichkeiten für die Betroffenen Frauen.

Bei Klientinnen, die aus Gefährdungsgründen nicht in das Herkunftsland ausreisen können, wird die begonnene Betreuung gegebenenfalls weiter fortgesetzt. Da, wo die Frau noch Unterstützung braucht, soll sie sie erhalten, aber grundsätzlich ist eine Lockerung der Beratungsbeziehung anzustreben. Die Frau soll darin gefördert werden ein möglichst selbständiges und unabhängiges Leben in Deutschland zu führen. Voraussetzungen dafür sind die finanzielle Eigenständigkeit, ein intaktes soziales Umfeld sowie psychische Stabilität.

Die Notwendigkeit von FBS wird auch in Fachkreisen anerkannt:

„Die Bekämpfung des Menschenhandels ist im Bundeskriminalamt priorisiert. Die Opfer von Menschenhandel sind für die polizeiliche Arbeit entscheidend, da oftmals nur durch ihre Aussage diese Straftaten angeklagt werden können. Nur physisch und psychisch stabilisierte Opfer sind in der Lage, als Zeuginnen vor Gericht verwertbare Aussagen zu machen. Voraussetzung hierfür ist eine umfassende psycho-soziale Betreuung, die durch besonders qualifizierte Fachberatungsstellen geleistet wird.„ 3

Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden

Um eine adäquate Betreuung der Opferzeuginnen zu ermöglichen ist eine Kooperation zwischen Fachberatungsstelle und den Strafverfolgungsbehörden unerlässlich. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der Kooperation mit der zuständigen Polizei zu.
„Die Strafverfolgung des Delikts Menschenhandel ist in erster Linie Ländersache. In den einzelnen Bundesländern bestehen sehr unterschiedliche Erfahrungen bezüglich des Zusammenwirkens von Polizei und Fachberatungsstellen. So hängt es vom Engagement der Beteiligten und dem Maß der gegenseitigen Akzeptanz ab, inwieweit solche Kooperationen Wirksamkeit entfalten. Ferner ist es von erheblicher Bedeutung, wie die jeweilige Landespolizei gegen Menschenhandel vorgeht – so gibt es in einigen Bundesländern Spezialermittlungsstellen und polizeiliche Opferschutzprogramme, in anderen nicht. Auch die Fachberatungsstellen sind in ihren Ressourcen äußerst unterschiedlich ausgestattet.„4

Modell der Kooperationsvereinbarungen
Um der Zusammenarbeit einen verbindlichen Rahmen zu geben, wurde die Idee von Kooperationsvereinbarungen entwickelt. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Frauenhandel5 hat als Modell ein Kooperationskonzept entwickelt, bei dem Polizei und Fachberatungsstellen im Sinne eines effektiven Opferschutzes zusammenwirken: Die Polizei sorgt für den Schutz der Opfer und die Fachberatungsstellen für ihre professionelle Betreuung. Kooperationsvereinbarungen sind also schriftlich festgehaltene Vereinbarungen, wodurch die Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und Fachberatungsstellen geregelt wird. Je nach Ausgestaltung in Form von Verträgen oder Erlassen (Verwaltungsvorschrift auf Landesebene) entfalten Kooperationsvereinbarungen eine hohe Verbindlichkeit.

In der Vorbemerkung des Bundeskooperationskonzeptes wird auf die allgemeine Problemlage eingegangen, die den Deliktsbereich Menschenhandel betrifft, ebenso werden die Rechtsgrundlagen und die Auswirkungen auf die Opfer dargestellt. Die Durchführung des Strafverfahrens und Berücksichtigung der psychischen Situation der Opferzeuginnen besitzen die gleiche Priorität. Ferner kann von einer deliktsimmanenten Gefährdung ausgegangen werden. Schließlich wird das Grundverständnis dargestellt, auf welches sich die Beteiligten einigen konnten – es umfasst folgende Punkte:

Eckpunkte

· Effektive Strafverfolgung durch den Verbleib der Opferzeuginnen in Deutschland und Recht auf würdige Behandlung der Opferzeuginnen.

· Positive Auswirkungen einer adäquaten Betreuung auf die Opferzeuginnen.

· Bleiberecht nach Verfahrensende bei konkreter Gefährdung und gegenseitige Absprachen bezüglich der Maßnahmen für Opferzeuginnen.

· Für eine Umsetzung des Kooperationskonzeptes wird es als wichtig erachtet, dass bei der Polizei entsprechende Sachbereiche eingerichtet und bundesweit flächendeckend Fachberatungsstellen etabliert werden. Nachdrücklich wird betont, dass wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Kooperation erfüllt sein müssen: Akzeptanz der unterschiedlichen Zielsetzungen beider Seiten, klare Trennung zwischen Ermittlung und Betreuung, Transparenz der Arbeitsgebiete und Berufsrollen vor allem auch für die Opferzeuginnen. Darüber hinaus werden Kriterien für eine Aufnahme in das Programm benannt. Die Entscheidung über die Aufnahme liegt bei der Polizei im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft, aber auch die Fachberatungsstellen sollen daran beteiligt werden.6

Im Weiteren werden konkrete Aufgabenzuweisungen an beide beteiligten Berufsgruppen festgeschrieben:



Maßnahmen der Polizei

1. Bereits bei der ersten Kontaktaufnahme der Ermittlungsbehörden zu einem potentiellen Opfer ist dieses über die Möglichkeit der Unterstützung durch eine unabhängige Fachberatungsstelle aufzuklären. Sobald die ermittlungsführende Dienststelle den Verdacht hat, dass es sich um ein Opfer von Menschenhandel handeln könnte, nimmt sie umgehend Kontakt mit der Fachberatungsstelle und dem für die Schutzmaßnahmen zuständigen polizeilichen Sachbereich auf.

2. Die Polizei regelt die Formalitäten bei den zuständigen Behörden und richtet Sperrvermerke ein.

3. Sie führt Schutzmaßnahmen für Opferzeugen/innen vor, während und nach Orts-, Vernehmungs- und Gerichtsterminen durch.

4. Sie berät hinsichtlich des Schutzes der Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstellen.





Maßnahmen der
Fachberatungsstellen

1. Die Fachberatungsstelle entscheidet in Absprache mit der Polizei über den künftigen Unterbringungsort der Opferzeugen/innen. Die Fachberatungsstelle bringt Opferzeugen/innen in geeigneten Einrichtungen unter.

2. Sie gewährleistet eine kontinuierliche psycho-soziale Betreuung der Opferzeugen/innen und vermittelt medizinische Versorgung.

3. Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstelle nehmen bei Vernehmungen der Opferzeugen/innen, sofern von diesen gewünscht, teil.

4. Die Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstelle gewährleisten psychologische Unterstützung der Zeugin vor, während und nach Orts-, Vernehmungs- und Gerichtsterminen.

5. Die Fachberatungsstelle vermittelt der Zeugin Aus- und Fortbildungsangebote für reintegrative Maßnahmen.7



Praktische Anwendung kann das Kooperationskonzept, auf Grund der föderalen Struktur der Polizei, nur auf Bundesebene finden. Daher wurde das Kooperationskonzept als Empfehlung in die einzelnen Bundesländer weitergeleitet mit dem Ziel, dass es dort als Vorlage für länderspezifische Vereinbarungen Verwendung finden soll.

Seit 1998 sind in neun Bundesländern (Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Baden-Würtemberg) und einer Kommune (Köln) Kooperationsvereinbarungen geschlossen worden. Vorgespräche finden in Sachsen statt. In Bremen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Thüringen liegt bisher kein Ergebnis vor.

Um die Wirksamkeit solcher Kooperationsvereinbarungen zu evaluieren, fand im Januar 2006 eine länderübergreifende Fachklausur statt8, die vom KOK e.V. (www.kok-buero.de) organisiert und in Kooperation mit dem BMFSFJ, BKA und BMZ/GTZ vorbereitet wurde. Hierbei wurde klar benannt, dass Kooperationsvereinbarungen ein wirksames Instrument sind und sowohl den Opferschutz für betroffene Frauen verbessern sowie im Umkehrschluss die Strafverfolgung des Menschenhandels begünstigen. Die Empfehlung der TeilnehmerInnen war, dass in allen Bundesländern Kooperationsvereinbarungen geschlossen und regelmäßig evaluiert werden müssen. Festgehalten wurde, dass eine schriftliche Vereinbarung notwendig ist, da andernfalls eine Kooperation zwischen Polizei und Fachberatungsstellen immer von der Bereitschaft der einzelnen Beteiligten und von ihrem guten Willen abhängig ist. Der Hintergrund für dieses Ergebnis ist, dass eine gut funktionierende Kooperation schnell hinfällig werden kann, wenn es zu personellem Wechsel kommt und deswegen ein gemeinsames Vorgehen neu abgesprochen und gestaltet werden muss. Darüber hinaus kann es sein, dass nur einige Polizeidienststellen eines Bundeslandes der Kooperation zustimmen, andere jedoch nicht. Ziel und Zweck von Kooperationsvereinbarungen ist aber, klare und verbindliche Regelungen bezüglich Schutz und Betreuung von Opferzeuginnen festzuschreiben. Die Notwendigkeit der Erarbeitungen von Kooperationsvereinbarungen ist in jedem Bundesland gegeben, auch wenn dort punktuell schon eine gute Zusammenarbeit möglich ist.

In Vorbereitung für die Klausurtagung wurde die Sozialpädagogisches Institut und Forschung gGmbH Berlin vom KOK e.V. beauftragt eine Expertise zu den Kooperationsvereinbarungen zwischen Fachberatungsstellen und Polizeien in Deutschland als ein wirksames Instrument der Bekämpfung des Menschenhandels zu erstellen. Eines der wesentlichen Ergebnisse dieser Expertise war, „dass Fachberatungsstellen mit Kooperationsvereinbarungen im Durchschnitt in allen Erhebungszeiträumen mehr Opfer von Menschenhandel erreichten und mehr Opferzeuginnen betreuten als Fachberatungsstellen ohne Kooperationsvereinbarung. Sie tragen also zur Erhellung des Dunkelfeldes bei. (...) Wichtig ist es jedoch, veränderte Gegebenheiten und neue gesetzliche Grundlagen erwachsenden Veränderungen Raum zu geben und auch die Schriftformen und die praktische Umsetzung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und nach Bedarf anzupassen.„ 9 Ein positiver Effekt der Klausurtagung war, dass sich die TeilnehmerInnen einigten, die Bundeskooperation aus dem Jahr 2001 auf Grund der eingetretenen gesetzlichen Änderungen sowie den gewonnen Erfahrungen aus der Praxis zu überarbeiten. In der Folge wurde daher eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, welche sich zusammensetzt aus Vertretern und Vertreterinnen vom KOK e.V., Bundeskriminalamt, Polizeidienststellen sowie Fachberatungsstellen, die diese Überarbeitung vornimmt.



Genügend Fachberatungsstellen dauerhaft absichern

Auf Grund der ausgesprochenen schwierigen persönlichen Situation der Opfer von Menschenhandel müssen diese, wenn sie sich bereit erklären mit der Polizei zu kooperieren und in einem Gerichtsverfahren zur Verfügung zu stehen, auf Grund der potentiellen Gefährdung ausreichenden Schutz von der Polizei erhalten, aber auch angemessen von der Mitarbeiterinnen der Fachberatungsstellen betreut werden.

Beide Aspekte sind unbedingt erforderlich. Im Interesse der betroffenen Frauen als auch im Interesse der Verfahrenssicherung ist deswegen die Zusammenarbeit von Fachberatungsstellen und Polizei erforderlich. Dieser Zusammenarbeit kann Struktur und Verbindlichkeit durch eine Kooperationsvereinbarung gegeben werden.

Ferner ist es ein dringendes Erfordernis, dass bereits existierende Fachberatungsstellen mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden, die eine kontinuierliche Arbeit und deren Ausbau ermöglichen. In Bundesländern ohne entsprechendes Angebot muss vordringlich die Einrichtung spezifischer Fachberatungsstellen umgesetzt werden. Bestehende Fachberatungsstellen müssen mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet und dauerhaft abgesichert werden.



Fußnoten

1 Vgl. Franke, Handbuch zur Kampagne anlässlich der Fußball-WM 2006, Herausgeberinnen: Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen e.V. und dem Deutschen Frauenrat, S. 12
2 vgl. KOBRA-net 2006, S. 4 - 5
3 Zierke, Jörg, Präsident des BKA, am 27.01.2006 in der Presseerklärung von KOK e.V., BMFSFJ, BKA
4 Franke, Handbuch zur Kampagne anlässlich der Fußball WM 2006, Hrsg. KOK e.V. und Deutscher Frauenrat, S. 18
5 Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Frauenhandel ist beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) angesiedelt, wurde 1997 eingerichtet und bildet seither den Rahmen für einen kontinuierlichen, länderübergreifenden Fach- und Informationsaustausch zum Thema Frauenhandel zwischen beteiligten Behörden sowie Nichtregierungsorganisationen aus Bund und Ländern. Ziel: Empfehlungen für die politischen Entscheidungsträger in Bund und Ländern zu erarbeiten.
6 vgl. Bundeskooperationskonzept (1998), Hrsg: Bundesarbeitsgemeinschaft Frauenhandel, S. 1 - 5
7 vgl. Bundeskooperationskonzept (1998), Hrsg. Bundesarbeitsgemeinschaft Frauenhandel, S. 6
8 Fachklausur „ Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung bekämpfen – Kooperation intensivieren„, Januar 2006 in Berlin, Teilnehmerkreis: Innen-, Sozial- und Frauenministerien der Länder, LKAs der Länder, Fachberatungsstellen und Mitglieder der o.g. B-L-AG Frauenhandel wie BMFSFJ, BKA, KOK, BMZ, GTZ etc.
9 Steffan, Expertise „Kooperationsvereinbarungen zwischen Fachberatungsstellen und Polizeien in Deutschland als wirksames Instrument der Bekämpfung des Menschenhandels„ (2006), Hrsg: KOK e.V. (nicht öffentliches Manuskript) S. 56