Wirtschaftskriminalität / Korruption

Das Projekt Korruptionscontrolling – Teil 2

Von Dr. Jürgen Stierle, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Stierle-Consulting

Dr. Jürgen Stierle Geschäftsführer der Unternehmens-beratung Stierle-Consulting

4. Fortbildung und Aufklärung

Während in den 70er und 80er Jahren die Agenten in den öffentlichen Verwaltungen zur Korruptionsprävention überwiegend von ihren Vorgesetzten nur belehrt worden sind, werden seit Mitte der 90er Jahre überwiegend Seminare durchgeführt. Nach der Ansicht von Holz wird eine jährliche Belehrung über die Annahme von Geschenken den Bedürfnissen der Polizeibeamten nicht gerecht. Es sollten nicht nur die Ermittlungsbeamten im Bereich Wirtschaftskriminalität oder organisierte Kriminalität zur Erhöhung der Aufdeckungswahrscheinlichkeit von Korruptionsdelikten geschult werden, sondern auch alle Führungskräfte sowie Sachbearbeiter in sensiblen Organisationsbereichen (z.B. Durchführung von Beschaffungen oder Genehmigungen) sollten zur Korruptionsprävention ausreichend geschult werden. Hinsichtlich des zeitlichen Rahmens können halbtägige, eintägige oder mehrtägige Seminare durchgeführt werden. Die Seminare sollten auf die spezifischen Verhältnisse der Polizeibehörden bzw. Polizeifortbildungsinstitutionen mit dem Seminarleiter abgestimmt werden. Folgende Seminarinhalte sollten u.a. im Seminar behandelt werden:

  • Vorführung des BKA-Videofilmes „Korruption – hinnehmen oder handeln?„
  • oder Vorführung des Videofilmes „Korruption„ des Medienzentrums Polizei Hamburg;
  • oder Vorführung des ZDF-Videofilms „Der Unbestechliche„;
  • Diskussion mit den Seminarteilnehmern über einzelne Fallbeispiele der Videofilme;
  • Darstellung von internen Regelungen zur Korruptionsprävention, beispielsweise Erlass, Korruptionsbekämpfungsgesetz, Ethikrichtlinie usw., und Diskussion mit den Seminarteilnehmern;
  • Präsentation der Korruptionsdelikte sowie der Begleitstraftaten;
  • kritische Prüfung von Dilemma-Situationen in Kleingruppen und die Erarbeitungen von Lösungsvorschlägen, die im Seminar präsentiert und diskutiert werden;
  • Präsentation der Ursachen und Erscheinungsformen der Korruption;
  • Aktivitäten zur Schaffung eines Korruptionscontrolling;
  • Vorstellung bzw. Erarbeitung eines Frühwarnsystems für Korruption;
  • Kommunikative Aspekte im internen Umgang mit Verdächtigten und Überführten;
  • wissenschaftliche Definitionen und Indikatoren für Korruption;

Da nach Ansicht von Sozialwissenschaftlern das korruptive Verhalten der Agenten das Resultat von Lernprozessen ist, sollten die Ziele der Korruptionsseminare u.a. die Verhaltensänderung der Polizeibeamten sowie die Optimierung des Führungsverhaltens und der Organisationskultur sein.
Das Zollkriminalamt führte beispielsweise am 18. und 21. Dezember 2000 zwei eintägige Korruptionsseminare für Führungskräfte (Gruppen- und Referatsleiter) sowie Mitarbeiter der Arbeitsbereiche TKÜ und Beschaffung mit einem Seminarleiter der Firma Stierle Consulting durch. Seit dem 16.04.2002 führt ein interner Mitarbeiter des ZKA im Zollkriminalamt sowie in den dezentralen Zollfahndungsämtern halbtägige Korruptionsseminare durch. Vom 16.4.2002 bis 7.5.2004 wurden in insgesamt 31 Seminarveranstaltungen alle Entscheidungsträger geschult.



5. Wirksame Identifizierungspolitik

Nach den Erfahrungen der Strafverfolgungsorgane sind Identifikationsdefizite der Agenten, Probleme der inneren Kündigung (Burnout) und Unzufriedenheit psychologische Ursachen für ein korruptes Verhalten der Agenten. Des Weiteren entstehen hierdurch für die Polizeibehörden Leistungsdefizite und damit eine Gefährdung der strategischen Zielerreichung. Aktiv vollzieht sich die innere Kündigung, wenn beispielsweise Polizeibeamte das Gefühl haben, ungerecht behandelt worden zu sein. Sie kündigen den psychologischen Arbeitsvertrag, der das Gegenstück zum rechtlich bindenden Arbeitsvertrag darstellt. Dieser psychologische Vertrag beinhaltet die unausgesprochenen Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche des Polizeibeamten gegenüber den Vorgesetzen bzw. den Kollegen. Durch die innere Kündigung versucht der Polizeibeamte eine „gerechte„ Situation für sich herbeizuführen und die unbefriedigende Arbeitssituation wieder in den Griff zu bekommen. Die innere Kündigung (Burnout) kann zu körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung des Polizeibeamten führen sowie zu einem Fluchtverhalten in eine Nebenbeschäftigung, die zu einer Interessenkollision führt oder sich zu einer Korruptionsbeziehung entwickelt.

Nach einem Bericht in der FAZ vom 3.11.2003 verspüren ca. 90 % der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen keine echte Verpflichtung ihrem Arbeitsplatz gegenüber. Ca. 70 % machen lediglich Dienst nach Vorschrift und 18 % der Mitarbeiter haben „innerlich gekündigt„. Schuld seien insbesondere Führungsfehler wie z.B. mangelnde Anerkennung und Lob und der Einsatz von Mitarbeitern in Positionen, die ihnen nicht lägen. Nach einem Bericht in der FAZ vom 1.4.2006 betragen die geschätzten Kosten durch innerlich gekündigte Mitarbeiter insgesamt 72,1 Milliarden Euro. Diese Summe macht deutlich, dass mit innerlich Gekündigten immense Produktivitätsreserven brachliegen.

Die Projektgruppe „Korruptionscontrolling„ müsste zunächst prüfen, ob auch innerhalb ihrer Behörde das Problem der „inneren Kündigung„ von Bedeutung ist. Sie könnte das Ziel verfolgen die Identifikation der Polizeibeamten mit den Vorgesetzten, den Kollegen, den Arbeitsabläufen sowie den Klienten durch aktives Wertemanagement zu erhöhen. Es ist zunächst zu betonen, dass der Identifizierungsbedarf in den einzelnen Organisationseinheiten der Polizeibehörden unterschiedlich ist und stark von der durchgeführten Aufgabe und der Organisationskultur abhängt. Die Polizeibeamten haben zum Teil gemeinsame Wert- und Glaubensvorstellungen, Normen und Überzeugungen darüber, welche Ziele und Verhaltensweisen in ihrer Organisationseinheit bzw. in der gesamten Behörde von grundlegender Bedeutung sind. Diese Werte werden den Polizeibeamten zum Teil im Rahmen der Aus- und Fortbildung vermittelt. Andererseits bilden sich gemeinsame Wert- und Glaubensvorstellungen, Normen und Überzeugungen bei der täglichen Zusammenarbeit mit Kollegen, Vorgesetzten oder Klienten. Der Identifikationsbedarf könnte von der Projektgruppe durch schriftliche anonyme Mitarbeiterbefragungen oder mündliche Einzel- oder Gruppenbefragungen im Rahmen von Seminaren oder Coachings ermittelt werden. Anschließend sollten im Rahmen des strategischen Personalmanagements Strategien und Aktivitäten zur Steigerung der arbeitsrelevanten Werte (z.B. Erfolg, Freude) vermittelt werden.

Eine menschengerechte Unternehmenskultur mit einem offenen und vertrauensvollen Klima sowie ein menschengerechtes Führungsverhalten, das sich durch Wertschätzung der Mitarbeiter auszeichnet sind nach Ansicht von Werner Then die beste Absicherung gegen Korruption. Nach der Auffassung von Robert Bossard entwickelt sich Korruption vor allem in einem Klima der Verheimlichung und der Verunsicherung.



6. Frühwarnsysteme zum Erkennen von Korruptionsrisiken

Korruptive Handlungen der Agenten und Klienten können auch in Polizeibehörden zu materiellen Schäden oder einen Imageschaden führen. Zur Vermeidung einer Krise könnte die Projektgruppe ein Frühwarnsystem entwickeln und implementieren, welches Veränderungen der Polizei und der Umwelt, die Korruptionsgefahren bedeuten, frühzeitig ankündigt, so dass Maßnahmen zur Abwendung der Ereignisse möglich sind. Beispielsweise betreibt das LKA Niedersachsen seit dem 1. März 2004 zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität für die Landespolizei ein neuartiges anonymes Internet-Postkastensystem der Firma Business Keeper aus Potsdam, das Rückschlüsse auf Absenderinformationen nicht zulässt. Juristische Regelungen der Frühwarnung befinden sich beispielsweise in der Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung vom 17. Juni 1998, der Verwaltungsvorschrift zur Bekämpfung von Korruption in der Landesverwaltung Niedersachsen vom 14. Juni 2001, sowie dem Korruptionsbekämpfungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.12.2004.

Es ist zunächst festzulegen, wer die Frühwarnung durchführt. Der Impuls für die Frühwarnung sollte von jedem Polizeibeamten, ob Sachbearbeiter oder Führungskraft, an die Projektgruppe erfolgen. Weitere Informationsanbieter könnten Lieferanten, Kunden, die Innenrevision bzw. der Rechnungshof sowie Kreditinstitute sein. Die Projektgruppe sollte im Rahmen der durchgeführten Risiko- und Schwachstellenanalyse festlegen, welche Organisationsbereiche der Polizeibehörde eine mögliche Bedrohung sein können und beobachtet werden sollten. Die Risiko-Schwachstellenanalyse könnte beispielsweise mit Hilfe der Beantwortung speziell entwickelter Fragen einer Checkliste oder in Seminaren mittels Kleingruppenarbeiten erfolgen. Ferner sollte das Verhalten der Polizeibeamten sowie der Klienten (Kunden, Lieferanten) berücksichtigt werden. Sensible Organisationsbereiche sind in einer Polizeibehörde insbesondere der Beschaffungs-, der Genehmigungs-, der Leistungs- und der Kontrollbereich, in denen die Gewinnmaximierungs-, die Genehmigungs-, die Leistungs- und die Kontrollkorruption vorkommen können. Hier ist danach zu fragen, wie viele Polizeibeamte arbeiten in diesen sensiblen Bereichen und wie werden die einzelnen Geschäftsprozesse verrichtet? Gibt es korruptionsbedingte Risiken bei der Ausführung der einzelnen Geschäftsprozesse? Je nach der Festlegung des Beobachtungsbereiches sollte das Projektteam, sowie die übrigen Polizeibeamten einzelne Kennzahlen (z.B. Fluktuationsquote, Krankheitsquote, Aufwandsverbrauch) oder Indikatoren beobachten. Indikatoren beschreiben Gegebenheiten und Verhaltensweisen, die die Existenz von Korruption möglichst frühzeitig, zuverlässig, eindeutig und vollständig anzeigen sollen.

Nach den Ergebnissen des Forschungsprojektes des Bundeskriminalamtes und der Polizei-Führungsakademie wurden folgende Aufgabenfelder als besonders gefährdet eingestuft:

  • Verdeckte Ermittlungen sowie das Führen von V-Personen;
  • Auskunft- und Fahndungsdienst, Dateiführung und Aktenverwaltung;
  • Ermittlungen und Durchführung von Strafverfahren;
  • Aufgabenbereiche der Verwaltung mit unmittelbarer Auswirkung auf hoheitlicher Aufgabenwahrnehmungen (z.B. Ausstattung);
  • Gefahrenabwehr, Streifendienst sowie Verkehrsüberwachung.

Im dienstlichen Bereich der Polizeibeamten wurden folgende Indikatoren genannt:

  • Verrat von Dienstgeheimnissen;
  • Auffinden behördeninterner Unterlagen beim Straftäter;
  • Verschwinden von Akten und Aktenteilen;
  • Vermeidung bzw. Verzögerung von Strafverfolgungsmaßnahmen;
  • Dateiabfrage ohne ersichtlichen Grund;
  • Bevorzugung bestimmter Unternehmer (z.B. Abschleppaufträge);
  • unerklärliche Misserfolge bei polizeilichen Einsätzen bzw. Maßnahmen.

Im persönlichen Bereich der Polizeibeamten wurden folgende Indikatoren genannt:

  • Ausüben bzw. Verheimlichen von Nebentätigkeiten;
  • Desinteresse bzw. „innere Kündigung„;
  • private Kontakte zu Straftätern;
  • Hang zum Rotlichtmilieu;
  • Suchtprobleme;
  • häufige, dienstlich nicht erklärbare Kontakte zu bestimmten Unternehmen;
  • ständiger Geldmangel bzw. Verschuldung;
  • enge, private oder dienstliche Kontakte zu Medienvertretern.

Es ist von der Projektgruppe zu regeln, wann und bei welcher Gelegenheit ein Kennzahlen- oder Indikatorwert abgegeben oder abgefragt wird. Die einzelnen Kennzahlen oder Indikatoren stellen für das Projektteam keine Beweise für eine Korruptionsstraftat dar. Zum einen sind viele Indikatoren, die als Korruptionsanzeichen gewertet werden können, einzeln bewertet, wertneutral, bisweilen sogar sozial erwünscht. Erst wenn die Kennzahlen und Indikatoren von bestimmten Sollgrößen abweichen und gehäuft oder in bestimmten Konstellationen auftreten, ergeben sich „deutliche Warnungen„, die zu weiteren Ermittlungen und Steuerungsmaßnahmen führen sollten. Es ist bei der Polizeibehörde nicht immer möglich, exakt und objektiv die „Normalsituation„ zu definieren. Es bestehen „Grauzonen„ zwischen den Normal- und Ausnahmesituationen. Die Festlegung von Toleranzgrenzen ist unter Berücksichtigung der Sozialadäquanz und der Genehmigung nach § 331 Abs. 3 StGB behördenindividuell vorzunehmen. Hierbei kommt das Risikobewusstsein des Behördenleiters sowie des Projektteams zum Ausdruck. So spricht ein geringer Abstand zwischen Normalwert und Toleranzgrenze, unterhalb derer eine Bedrohung vermutet wird, für eine geringe Risikobereitschaft und für ein Streben nach größtmöglicher Sicherheit. Diese Wahlentscheidung wird durch eine entsprechend größere Anzahl von Kennzahlen- oder Indikatormeldungen und damit einen höheren Aufwand bei der Informationsgewinnung und -verarbeitung „erkauft„. Nach der Bewertung der Kennzahlen und Indikatoren sollte deren Ursachen erforscht werden. In der Praxis sind für das Auftreten einer Kennzahl oder eines Indikators meist mehrere Ursachen denkbar. Des Weiteren sollte die Wirkung der Kennzahlen oder Indikatoren für die mögliche Beeinträchtigung der Behördenziele geprüft werden. Abschließend ist ein Lagebericht vom Projektleiter zu erstellen, indem die von der Projektgruppe durchgeführten Aktivitäten an den Behördenleiter berichtet werden. Abschließend muss berücksichtigt werden, dass Frühwarnsysteme die Polizeibehörde nicht in jedem Fall vor Schäden schützen. Es kann sein, dass bestimmte Signale von den Führungskräften oder dem Projektteam nicht oder zu spät erkannt werden.

7. Der Projekterfolg

Der Projekterfolg ist u.a. abhängig von Fähigkeiten und durchgeführten Aktivitäten des Projektteams, dem Projektmarketing sowie dem politischen Willen zur Korruptionsbekämpfung innerhalb der Polizeibehörde bzw. innerhalb der Landes- bzw. Bundesregierung. Während der Aufwand (bzw. Kosten) zur Durchführung der Projektaktivitäten ziemlich genau erfasst werden könnte ist der Nutzen nicht genau zu ermitteln. Es sollte bei der Korruptionsbekämpfung berücksichtigt werden, dass die Integrität und die Funktionalität des Staates auf dem Spiel stehen. Korruption gefährdet die Demokratie und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der staatlichen Verwaltung.

Fußnoten
1 Vgl. Holz, K. (6/1997): Korruption in der Polizei? Eine Untersuchung zum Umfang von Korruption in der Polizei und zur Einstellung von Polizeibeamten zu Korruption, in: Kriminalistik, S. 414.
2 Vgl. Wunderer, R. (2003): Führung und Zusammenarbeit – Eine unternehmerische Führungslehre, S. 109.
3 Vgl. Then, W. (1997): Korruption im Unternehmen wirksam verhindern – Handlungsfreiheit und Glaubwürdigkeit für Unternehmen und Gesellschaft erhalten, in: Reichmann, H./Schlaffke, W./Then, W. (Hrsg.), Korruption in Staat und Wirtschaft, Köln, S. 71.
4 Vgl. Bossard, R. (2000): Psychologische und historische Gesichtspunkte zur Beurteilung der Korruption, in: Jakob, R./Fikentscher, W. (Hrsg.), Korruption. Reziprozität und Recht: Grundlagenwissenschaftliche und rechtsdogmatische Forschungsbeiträge, Bern, S. 35.
5 Vgl. Mischkowitz, R./Bruhn, H. (4/2001): Korruption – (K)ein Thema für die Polizei? Ergebnisse eines gemeinsamen Forschungsprojekts von Bundeskriminalamt und Polizei-Führungsakademie, in : Kriminalistik, S. 232.