Polizeiliche Zusammenarbeit

Das Trennungsgebot – Teil 2 –

Das Trennungsgebot – Teil 2

Politisches Schlagwort oder verfassungsrechtliche Vorgabe?

Regierungsdirektor Dr. jur. Jens Singer

Die mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu Tage getretene weltweite Bedrohung durch islamistischen Terrorismus hat auch in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl von politischen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten ausgelöst. Nach umfangreichen gesetzlichen und organisatorischen Reaktionen wird nunmehr zunehmend auch über eine Neustrukturierung der Sicherheitsarchitektur als organisatorische Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen durch diese weltweit in Erscheinung tretende Kriminalitätsform diskutiert2. Ein gemeinsamer Nenner aller Bekämpfungsansätze ist bislang lediglich die Einsicht in die Notwendigkeit einer engeren nationalen und internationalen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Allgemeingültig ist zudem, dass es nicht nur um die Kooperation der originär für die Wahrung der Inneren Sicherheit zuständigen Polizeibehörden (Schutz- und Kriminalpolizei) geht. Unerlässlich ist die Zusammenarbeit der sonstigen Sicherheitsbehörden, insbesondere der Nachrichtendienste – in der Bundesrepublik Deutschland vornehm-lich des Bundesnachrichtendienstes und des administrativen Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.

Bedenken und Probleme treten jedoch auf, sofern es nunmehr gilt, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die einzelnen Kooperationsformen, insbesondere für den Informationsaustausch zu schaffen3. Gesetzlichen Regelungen für effektive Instrumente wie gemeinsame Analysezentren4, den Informations- und Analyseboards oder verbundenen Projekt-, Index- und Volltextdateien wird regelmäßig ein Wort entgegengehalten: Trennungsgebot!

Die Diskussionsbeiträge folgen einem dreiteiligen Muster: Das Trennungsgebot wird auf einen hohen Sockel gehoben, indem man es zum Verfassungsrecht erklärt. Dann wird sein Umfang extensiv interpretiert. Und letztlich wird es allen Ansätzen für neue Kooperationsformen der Sicherheitsbehörden entgegengehalten.

Die Diskussionen verdeutlichen dabei nicht nur die Aura, die den Begriff umgibt, sie beleuchten auch in erschreckender Weise die diffusen Vorstellungen vom Inhalt dieses Rechts- und Organisationsprinzips. Im Gegensatz zu seinem historischen Ursprung ist denn auch bislang nicht abschließend geklärt, ob das Prinzip Verfassungsrang hat und für welche Dienste die vermeintliche verfassungsrechtliche Vorgabe gilt5. Vorstellungen von der Bedeutung und dem Inhalt dieses Trennungsgebotes sind höchst unterschiedlich6. Nach der eingehenden Darstellung des Ursprunges und Inhaltes des Trennungsgebotes im ersten Teil dieses Aufsatzes soll nunmehr die rechtliche Qualität erörtert werden, insbeson-dere sein behaupteter verfassungsrechtlicher Charakter.

3.2 Trennungsgebot als Verfassungsrecht?

Ob das Grundgesetz ein Trennungsgebot zwischen Polizei und (Inlands-) Nachrichtendiensten enthält, ist nach wie vor umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Überwachung des nichtleitungsgebundenen Fernmeldeverkehrs durch den BND die Frage offen gelassen7. Auch in dem Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit des BGS-Neuregelungsgesetzes wurde ausdrücklich nicht abschließend entschieden. Lediglich in einem obiter dictum wurde erwähnt, dass das Rechtsstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte es verbieten können, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu befassen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar seien8. So dürften die Zentralstellen für Zwecke des Verfassungsschutzes oder des Nachrichtendienstes – angesichts ihrer andersartigen Aufgaben und Befugnisse – nicht mit der Vollzugspolizei zusammengelegt werden. Das Grundgesetz belasse aber auch den zuständigen Organen des Bundes einen Spielraum für die organisatorische Ausgestaltung der in seine Zuständigkeit fallenden Verwaltungseinrichtungen.

Die Klärung der Frage hat weitreichende Konsequenzen für die Tätigkeit und insbesondere die Befugnisse der Dienste. Ist das Trennungsgebot nur im Rang einfachen Rechts gültig, so steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, die Trennung von Nachrichtendiensten und Verfassungsschutz einzuschränken oder aufzuheben9. Kommt dem Trennungsgebot hingegen Verfassungsrang zu, wäre hier-für – zumindest für das Bundesamt für Verfassungsschutz – eine Änderung des Grundgesetzes nach Art. 79 GG erforderlich. Darin liegt eine erhebliche Hürde.

3.2.1 Verfassungsrang aus Art. 73 Nr. 10 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG?

Festzuhalten ist zunächst, dass sich im Grundgesetz weder der Begriff „Trennungsgebot“ noch explizite Regelungen seines Inhaltes finden. Der Begriff selbst hat keinen Eingang in die Verfassung gefunden und bemerkenswerterweise auch nicht in einfachgesetzliche Regelungen10. Wenn denn eine ausdrückliche Nennung, Definition oder Regelung in der Verfassung fehlt, so lässt sich ein Verfassungsrang des Trennungsgebotes eventuell aus anderen Bestimmungen herleiten. Als Ausgangspunkt bieten sich hierfür allenfalls die den Verfassungsschutz betreffenden Regelungen des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip an.
Als primärer Ausgangspunkt kommen die Normen des Grundgesetzes in Frage, in denen der Verfassungsschutz und die Polizei explizit genannt werden. Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG sind die einzigen Vorschriften mit speziellen Regelungen für einen Nachrichtendienst, nämlich für den Verfassungsschutz11. Bereits aus der Verwendung des Begriffes „Verfassungsschutz“ soll sich die Verpflichtung zur Trennung von Polizei und Dienst ergeben12. Durch die grundgesetzliche Schöpfung des Ausdrucks würde deutlich, dass man die Unterscheidung zwischen Polizei und Verfassungsschutz im Auge gehabt habe. Der Parlamentarische Rat hatte dem Oktroi der Alliierten zu folgen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1, Satz 2 GG im Ergebnis die Umsetzung solcher alliierter Weisungen darstellten13. Der Polizeibrief sprach jedoch noch von einer Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Informationen über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten. Ob deshalb in den
beiden Vorschriften der Begriff „Verfassungsschutz“ und nicht „Geheimdienst“ oder „politische Polizei“ verwendet wurde, ist angesichts der in diesem Punkt nicht artikulierten Motive des Verfassungsgebers unklar. Laut Imle geht die Wortschöpfung selbst zurück auf deutsche Vorschläge gegenüber den Alliierten und hatte den Sinn, Assoziationen mit einer politischen Geheimpolizei zu vermeiden14. Schäfer ist der Ansicht, dass das Grundgesetz mit dem Begriff „Verfassungsschutz“ und eben nicht „Geheimdienst“ das Trennungsgebot der alliierten Siegermächte rezipiert und umgesetzt hat15. Da die verfassungsgebende Versammlung sich an den Vorgaben der Alliierten orientieren musste, könnte dem Polizeibrief eine entscheidende Rolle für die Auslegung der Verfassung zukommen16. Insbesondere weil die Alliierten im Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz vom 12.05.1949 auf den Polizeibrief ergänzend Bezug nahmen. Der Polizeibrief wirkt jedoch nicht nachträglich auf das Verständnis des Grundgesetzes ein17. Auch dies würde der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und dem Wesen der Verfassung widersprechen. So ist das Grundgesetz aufgrund seiner Entwicklung in den letzen fünfzig Jahren frei von den Interpretationsvorbehalten fremder Mächte. Das Trennungsgebot selbst könnte jedoch Bestandteil des Grundgesetzes und damit Verfassungsrecht sein. Der Wille des historischen Verfassungsgebers ist allerdings lediglich ein Anhaltspunkt für die Interpretation, insbeson-dere, wenn er aufgrund des Besatzungsrechts nicht souverän in seinen Entscheidungen war.

Im Ergebnis lässt sich deshalb über die Motive des Verfassungsgebers nur spekulieren. Wahrscheinlicher als Schaefers Begründung ist, dass mit der Wahl des Begriffs der wertgebundene Charakter der Aufgabe „Verfassungsschutz“ im Sinne des Schutzes der durch das Grundgesetz vorgegebenen Werteordnung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Bei einem „wertneutralen“ Begriff wie z.B. Geheimdienst, politische Polizei, Staatsschutz oder Staatssicherheit wäre dieser Charakter in den Hintergrund getreten. Aus der Wahl des Begriffs Verfassungsschutz wird deutlich, welche hohe Bedeutung dem besonderen Schutzobjekt bei der Definition der Aufgabe zukommen sollte.

Der Begriff „Verfassungsschutz“ allein sagt jedoch noch nichts aus über Befugnisse oder die Organisationsform einer solchen Behörde, die wesentlichen Vorgaben des Trennungsgebotes. Darüber hinaus ist gegen die Herleitung des Trennungsgebotes aus der Begriffswahl im Grundgesetz Folgendes anzuführen: Wenn der Parlamentarische Rat die alliierten Vorgaben nur vollzog, sagt dies nichts über seine Motive, also die des Verfassungsgebers, aus. Denn wenn zu dieser Frage keine Willensbildung in der verfassungsgebenden Versammlung stattfand – weil man aufgrund fehlender Einwirkungsmöglichkeiten dazu keine Veranlassung hatte – scheitert die Suche nach den Motiven des Verfassungsgebers. Angesichts der besatzungsrechtlichen Vorgaben war bei diesem Punkt kein Raum für eine eigene Willensbildung des Verfassungsgebers. Wenn es aber keine Willensbildung gab, so verbietet sich eine teleologische Auslegung. Im Rahmen einer teleologischen Betrachtung wird man auch zu berücksichtigen haben, dass zum damaligen Zeitpunkt viele Fragen offen waren, die existenzielle Bedeutung für den entstehenden Staat hatten18. Angesichts der extrem kurzen Beratungszeit und der Notwendigkeit des Zustandekommens der Republik ist sehr fraglich, ob es im Parlamentarischen Rat in dieser Frage überhaupt zu irgendeiner Art von Willensbildung kam. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wussten oder wissen mussten, in diesem Punkt ohne Einfluss zu sein. Näher liegt die Vermutung, dass man mit der Aufnahme der Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs.
1 Satz 2 GG lediglich das alliierte Oktroi vollzog. Damit ergibt sich weder aus der teleologischen, noch aus der historischen Auslegung der Verfassungsrang des Trennungsgebotes19. Untauglich ist auch der Weg, statt auf den Willen der Verfassungsgeber, auf den Willen der Besatzungsmächte abzustellen. Ihre Motive sind – wie oben dargestellt – noch unklarer als die des Parlamentarischen
Rates20. Die Besatzungsmächte hatten massive Eigeninteressen, die nicht zwangsläufig denen des Verfassungsgebers entsprachen21. Letztlich aktuell würde dies auch der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt widersprechen. Ob die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz dem Willen des Verfassungsgebers entsprach und einen Teil der ratio constitutionis darstellte, lässt sich mangels entsprechender historischer Quellen mithin allenfalls behaupten.
Auch gilt es die Funktion der Art. 73
Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG als gesetz- und verwaltungskompetenzzuweisende Normen zu berücksichtigen. Es geht um die Zuweisung bestimmter eng gefasster Bundeskompetenzen als Ausnahmen von der grundsätzlichen Länderzuständigkeit für Gesetzgebung und Verwaltung. Der systematische Standort der Norm im Grundgesetz legt nahe, dass das Ziel die Schaffung einer Bundeskompetenz für eine bestimmte Form von Informationsvorsorge war – gerade vor dem Hintergrund der starken föderalistischen Positionen im Parlamentarischen Rat. Dies spricht gegen einen Verfassungsrang des Trennungsgebotes aufgrund der Wortschöpfung „Verfassungsschutz“.

Fest steht, dass die explizite Festschreibung der Trennung im Grundgesetz fehlt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Exekutivkompetenzen durch Art. 73 Nr. 10 GG nicht vermittelt werden22. Die Vorschrift findet sich im VII. Abschnitt des Grundgesetzes und beinhaltet die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen. Wenn das Grundgesetz eine ganze Reihe von verschiedenen Gesetzgebungsmaterien – unter anderem auch die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder beim Verfassungsschutz – dem Bund zur ausschließlichen Gesetzgebung zuweist, heißt dies nicht zwingend, dass jeder Bereich zwangsläufig von organisatorisch getrennten Behörden wahrgenommen werden muss. Das Grundgesetz vermittelt in seinem VII. Abschnitt Regelungskompetenzen, d.h. das Recht, bestimmte materielle Fragen zu regeln. Die organisatorische Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung ist allenfalls eine nachrangige Funktion dieses Abschnitts. Verwaltungskompetenzen sind vielmehr im VIII. Abschnitt der Verfassung geregelt. Dort finden sich auch der Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, in dem der Verfassungsschutz das zweite Mal im Grundgesetz genannt wird23.

Gegenstand von Art. 87 Abs. 1 Satz 2
GG ist die Verwaltung. Der VIII. Abschnitt des Grundgesetzes regelt die verwaltende Gewalt im Bund und insbesondere die Zuständigkeitsverteilung von Exekutivkompetenzen zwischen Bund und Ländern24. Schwerpunkt ist das Verwaltungskompetenzgefüge im Bundesstaat. Unter diesem Gesichtspunkt werden vor allem der Vollzug von Bundesgesetzen und die Einrichtung von Bundesbehörden genannt. Im Rahmen dieser Vorschrift geht es aber vorrangig nicht um die konkrete Abgrenzung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden und Zentralstellen, sondern um die Abgrenzung von Exekutivkompetenzen zwischen Bund und Ländern25. Dies wird aus Art. 87 GG deutlich, der bestimmte Gegenstände der bundeseigenen Verwaltung zuweist, und damit eine Ausnahme von der grundsätzlichen Verwaltungskompetenz der Länder macht26. Die umfangreichen Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat waren geprägt von den Widersprüchen zwischen zentralistischen und föderalistischen Ansätzen. Die sich abzeichnenden Konflikte zwischen den Ländern und dem entstehenden Bundesstaat standen im Vordergrund. Wenn im Rahmen des Art. 87 GG Aussagen über die konkrete organisatorische Ausgestaltung der Verwaltung getroffen wurden, so hatte dies in erster Linie die Funktion, die Interessen der Länder zu wahren. Es galt zu verhindern, dass der Bund die grundsätzliche Länderzuständigkeit für die Verwaltung (Art. 30, 83 GG) durch den Aufbau umfangreicher Apparate aushöhlte. Die Abgrenzung von Zuständigkeiten zwischen einzelnen Bundesbehörden ist nicht Sinn und Zweck der Vorschriften des VIII. Abschnitts und auch nicht des Art. 87 GG. So sind denn auch nur die Zuständigkeiten im Verhältnis Bund und Länder umfassend normiert27. Dies gilt es sich zu vergegenwärtigen, wenn man der Frage nach einer Verpflichtung zur organisatorischen Trennung aufgrund von Art. 87 Abs. 1 Satz 2 nachgeht. Aus der bloßen Nennung des Verfassungsschutzes in dieser Vorschrift lässt sich das Trennungsgebot jedenfalls nicht herleiten28. Die Nennung führt lediglich dazu, dass der Bund die Befugnis zu Einrichtung einer Zentralstelle für den Verfassungsschutz hat. Die Regelungen des Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG sind Konsequenzen der grundsätzlichen Länderkompetenz in Polizeiangelegenheiten. In der Wahrung der Länderinteressen liegt die fundamentale Funktion der Vorschriften, weil das Polizeirecht als Gefahrenabwehrrecht in die Zuständigkeit der Länder fällt29. Länderinteressen wären nicht unmittelbar berührt, wenn der Bund das Bundesamt für Verfassungsschutz mit seinen Polizeibehörden zusammenfassen würde. Anders liegen die Dinge beispielsweise bei einer Zusammenlegung des BfV mit Länderpolizeibehörden. Eine solche Fusion würde Länderinteressen berühren. In der Abwehr solcher Zusammenlegungen von Bundes- und Landesbehörden durch den Bund liegt jedoch nicht die Funktion des Trennungsgebots. Dies ist vielmehr Aufgabe der Verwaltungskompetenzverteilung des VIII. Abschnitts des GG.

Zutreffenderweise wird man die Vorschrift des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG nur als Einrichtungsbefugnis ansehen können, aus der sich im Übrigen zu organisatorischen Einzelfragen keine Vorgaben entnehmen lassen. Die Ansätze von Lerche und Gusy überspannen und verkennen die Funktionen des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, die als Kompetenznormen das Verhältnis Bund zu Ländern im Bereich Gesetzgebung und Verwaltung regeln. Wenn darüber hinaus die Funktion des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG auch in der Regelung binnenorganisatorischer Fragen bestehen sollte, so müssten hier-für Anhaltspunkte bestehen. Ansonsten handelt es sich wohl eher um eine Einrichtungsermächtigung für Bundesbehörden ohne weiteren organisatorischen Regelungsgehalt30. Wenn der Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG die Annahme einer Verpflichtung zur Trennung von Polizei und Verfassungsschutz weder nahe legt, noch ausschließt31, wird man von dem Grundsatz ausgehen müssen, dass es zur Disposition des jeweiligen Hoheitsträgers steht, wie er die ihm zugewiesenen Aufgaben organisatorisch und verwaltungstechnisch erfüllt. Organisatorische Vorgaben sind die Ausnahme, nicht die Regel. Fehlen sie oder sind sie nicht eindeutig, so ist die entsprechende Verwaltungsebene frei in ihrer Entscheidung.

Auch aus der vereinzelt angeführten Verwendung des Plurals in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG hinsichtlich der „Zentralstellen“32 lässt sich der Verfassungsrang des Trennungsgebotes nicht herleiten. Wenn der Bund auf allen Gebieten der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Aufgabenbereiche tätig werden will, muss er nicht zwangsläufig mehrere Zentralstellen schaffen. Es ist nicht einsichtig, warum der Bund für jede der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Aufgaben eine von den anderen Zentralstellen organisatorisch getrennte Stelle einrichten soll, wenn er die entsprechende Aufgabe wahrnehmen will. Andernfalls ergibt sich das befremdliche Ergebnis, dass nicht nur die Trennung zwischen dem Verfassungsschutz und der Polizei, sondern auch die Trennung der Zentralstelle für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen und der Zentralstelle für die Kriminalpolizei verfassungsrechtlich geboten wäre. Die Aufgaben dürften nicht, wie derzeit im Bundeskriminalamt, von einer Behörde wahrgenommen werden. Nach dem alten Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG33 hätte der Bund dann sogar vier voneinander getrennte Zentralstellen einrichten müssen: Jeweils eine für das polizeiliche Auskunftswesen, eine zweite für das polizeiliche Nachrichtenwesen, eine für die Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und letztlich eine für die Kriminalpolizei. Hätte der Gesetzgeber eine Trennung dieser Verwaltungszweige beabsichtigt, so wäre für jeden der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG genannten Aufgabenbereiche eine Zentralstelle einzurichten gewesen34. Das Bundeskriminalamt wäre in Konsequenz dieser Auffassung ein verfassungswidriger Zusammenschluss unterschiedlicher Zentralstellen in einer Behörde, was jedoch nicht ernsthaft behauptet werden kann. Die Verwendung des Plurals in Art. 87 Abs.1 Satz 2 GG gibt mithin für einen Verfassungsrang des Trennungsgebotes nichts her35.

3.2.2 Trennungsgebot als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips?

Der angebliche Verfassungsrang des Trennungsgebotes wird neben den verfassungsrechtlichen Normen Art. 73
Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG auch regelmäßig aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet. Die Trennung von Polizei und Verfassungsschutz soll ein rechtsstaatliches Gebot sein und entspreche dem Erforderlichkeitsgebot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Prinzip der durchgängigen Verwaltungskontrolle und des individuellen Rechtsschutzes durch Gerichte erfordere die Trennung. Die Einbeziehung geheimdienstlicher Ermittlungsmöglichkeiten in die Polizeiarbeit führe zur Unverträglichkeit mit den Grundrechten und den grundrechtsgleichen Verfahrensrechten36. Das Gesetzmäßigkeitsgebot erlaube keine allwissende Superpolizei, die sich bei ihrer Methodenwahl allein an der Effektivität orientiere.

Wenn das Trennungsgebot de constitutione lata ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist, so hätte dies eine Reihe von Konsequenzen. Zunächst wäre Folge, dass auch ohne alliierte Vorbehaltsrechte das Trennungsgebot noch verfassungsrechtliche Bindungswirkung entfalten würde37. Ferner wäre das Gebot auch für die Landesgesetzgeber eine verfassungsrechtliche Vorgabe, da das Rechtsstaatsprinzip gleichermaßen Wirkung für den Bund wie für die Länder hat. Ausgeschlossen wäre beispielsweise eine organisatorische Fusion der Landesämter für Verfassungsschutz mit den Staatsschutzabteilungen der jeweiligen Landespolizeibehörden. Weiter wären die Verfassungsschutzämter nicht die einzigen Nachrichtendienste, für die es verfassungsrechtliche Relevanz hätte, denn es ist davon auszugehen, dass diese rechtsstaatlichen Vorgaben gleichermaßen Geltung für alle Dienste beanspruchen. Nicht nur der Militärische Abschirmdienst als „Verfassungsschutz“ für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, sondern auch der Bundesnachrichtendienst wären betroffen. Im Gegensatz zu Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG, in denen nur der Verfassungsschutz Erwähnung findet, hat das Rechtsstaatsprinzip auch Geltung für den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst38. Als Teile der Exekutive unterliegen sie im gleichen Ausmaß den sich aus dem Prinzip ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dem Bundesgesetzgeber wäre es verwehrt, den BND oder den MAD organisatorisch oder funktionell mit Polizeibehörden zusammenzulegen.

Es gibt eine Reihe von Argumenten, die für die rechtstaatliche Substanz des Trennungsgebotes sprechen. So könnte sich das rechtsstaatliche Gebot zur Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten aus den unterschiedlichen Aufträgen, Arbeitsweisen und Befugnissen ergeben. Vereinfacht ausgedrückt wird dies in der Formel: Wer fast alles darf, solle nicht alles wissen und wer alles weiß, solle nicht alles dürfen39. Der Verfassungsschutz darf zwar viel beobachten mit Befugnissen für weitreichende geheime Informationsgewinnung im Vorfeld von konkreter Gefahr oder Straftat. Mit den gewonnenen Informationen kann er selbst aber wenig anfangen. Im Gegensatz dazu darf die Polizei nur im Ausnahmefall klandestin ermitteln, hat aber umfangreiche Exekutivbefugnisse. Weil Nachrichtendienste regelmäßig im Geheimen agieren und die Polizei gehalten ist, dem Bürger erkennbar entgegenzutreten, sollen beide Institutionen rechtsstaatlich zwingend auseinander zu halten sein. Von Verfassungs wegen soll staatliches Handeln regelmäßig unter dem Öffentlichkeitsprinzip stehen40. Es gelte das Gebot zur Offenheit staatlichen Handelns41. Da sich dieser Grundsatz explizit in keiner Verfassungsnorm findet, wird er aus unterschiedlichen Ansätzen hergeleitet: Wenn Nachrichtendienste und Polizei nicht mehr getrennt seien, bestehe die Gefahr, dass die Polizei dem Bürger zunehmend verdeckt gegenübertrete. Die verdeckte Tätigkeit der Nachrichtendienste kann deshalb nur durch das besondere Gewicht der Aufgabe gerechtfertigt sein. Bei einer Verschmelzung der Behörden besteht die Gefahr, dass fast jede polizeiliche Aufgabe auch verdeckt wahrgenommen werden könnte. Die Grundrechtsfürsorge der Strafprozessordnung und die Rechtsweggarantie liefen ins Leere, wenn der Bürger von staatlichen Eingriffsmaßnahmen keine Kenntnis erlangt. Kenntnis setzt Erkennbarkeit voraus. Dies ist Element des Art. 19 Abs. 4 GG, der als Verfahrensnorm die Durchsetzung von Grundrechten garantiert. Maßnahmen, die darauf abzielen oder geeignet seien, den Rechtsschutz des Betroffenen zu vereiteln, steht die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG entgegen42. Letztere ist wiederum maßgeblicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Neben dem Gebot der Offenheit staatlichen Handelns wird als Grund für den Verfassungsrang des Trennungsgebotes letzt-lich noch Art. 20 Abs. 3 GG genannt, der den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes beinhaltet43. Auch der Vorbehalt des Gesetzes als verfahrensmäßig-organisatorisches Element materieller Rechtsstaatlichkeit und der unmittelbaren Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte werden begründend angeführt. Geht es um Grundrechtseingriffe, so sind spezielle Prozessordnungen mit besonderen Verfahrensgarantien vorgesehen. Diese Prozessrechtsverhältnisse gelten als zweckbezogen und nicht substituierbar. Die Gliederung in präzise, feste Zuständigkeiten sei als fundamentales Prinzip jeder rechtsstaatlichen Organisation von Staatsgewalt ein Essential des Rechtsstaats44.

Die Durchbrechung oder gar Aufhebung der organisatorischen und befugnisrechtlichen Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten kann zur Verletzung des Rechtsstaatsprinzips führen, zwingende Konsequenz ist dies jedoch nicht. Wenn aus Polizei und Nachrichtendiensten eine Organisation gebildet würde, die wahllos polizeiliche und nachrichtendienstliche Befugnisse nutzt und die so gewonnnen Erkenntnisse – für die Beschuldigten unerkannt – in Strafprozesse einließen, wäre dies unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unzulässig45. Schon fraglich ist, ob die Wahrnehmung der Aufgabe „Terrorismusbekämpfung“ in einer Behörde das Rechtsstaatsprinzip verletzt, wenn die im Rahmen der Aufgabe wahrgenommen gesetzlichen Befugnisse klar bestimmt und erkennbar genutzt werden. Eine Verbindung der Aufgaben „nachrichtendienstliche Informationsvorsorge“ und „Gefahrenabwehr für überragende Rechtgüter“ in einer Behörde steht das Rechtsstaatsprinzip per se nicht entgegen, insbesondere wenn die Strafverfolgung außen vor und die strafprozessualen Rechte der Beschuldigten unberührt bleiben. Die tradierte dreigeteilte Aufgabenstruktur mit spezifischen Befugnissen für nachrichtendienstliche Informationsvorsorge, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und ihre organisatorische Trennung ist keine unabänderliche Vorgabe des Rechtsstaatsprinzips. Die Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung werden beide bislang unbeanstandet von einem staatlichen Organ wahrgenommen – durch die Polizei unter Inanspruchnahme der jeweiligen präventiven oder repressiven Befugnisse, ohne dass die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips angeführt wurde.
Die Polizei ist auch ein Beleg, dass der Zweckbindungsgrundsatz, das heißt personenbezogene Daten für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke zu erheben und sie nur für diese Zwecke weiterzuverarbeiten, auch in einer Behörde gewährleistet werden kann. Gerade, wenn Zweck nicht „nur“ Repression, sondern der Schutz überragender Rechtsgüter ist. Dann stellt sich vorliegend auch nicht die Problematik des Legalitätsprinzips, wonach der Gesetzgeber die Voraussetzungen strafrechtlicher Ahndung prinzipiell selbst bestimmt und nicht den Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung überlässt, wer im konkreten Fall bestraft werden soll46.
Bei nachrichtendienstlicher Informationsvorsorge und Gefahrenabwehr gilt das Legalitätsprinzip. Sie setzt Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit voraus. Damit wird dem Rechtsstaatsprinzip genüge getan, insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Befugnis zur verdeckten Informationsgewinnung sowohl für die polizeiliche Prävention wie auch die Dienste Ausnahmecharakter hat.

Zwar ist es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar, den Bürger im „Vorfeld“, also in Wirklichkeit im rechtlichen Alltag, praktisch wehrlos zu machen47. Wer nicht mitbekommt, dass in seine Rechte eingegriffen wird, ist kaum in der Lage, sich bewusst gegen unrechtmäßiges Vorgehen zur Wehr zu setzen. Der Bürger hat einen Anspruch um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen in seinem Persönlichkeitsbereich „in Ruhe gelassen zu werden“48. Er hat zudem einen Anspruch darauf, dass staatliches Handeln voraussehbar und berechenbar ist. Dies setzt zwangsläufig die Erkennbarkeit voraus. Dieser Grundsatz gilt auch bei Beachtung des Rechtsstaatsprinzips jedoch nicht ausnahmslos unbeschadet anderer überragender Rechtsgüter wie beispielsweise des Lebens und der Freiheit. So ist bereits für eine Vielzahl von Bereichen anerkannt, dass es Ausnahmen von der Offenheit des staatlichen Handelns gibt, ohne dass die Rechtsstaatlichkeit der staatlichen Tätigkeit angezweifelt wird. Die Polizei tritt seit jeher dem Bürger in vielen Bereichen verdeckt gegenüber, ohne dass dies nennenswerte Kritik erfahren hat. Der Rechtsstaat hat, soweit erkennbar, davon bislang keinen Schaden genommen. So wurde selbst bei dem Schutz von weniger bedeutenden Rechtsgütern verdeckt agiert, wie dies das banale Beispiel der mobilen Verkehrsüberwachung zur Geschwindigkeitskontrolle belegt. Angesichts be-achtlicher Gefahren für hochwertige Rechtsgüter kann insofern keine andere Vorgabe gelten. Wenn die verdeckte Tätigkeit auf einer Rechtsgrundlage ausgeübt wird, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, muss sie nicht zwangsläufig dem Rechtsstaatsprinzip widersprechen.

Auch der Grundsatz der Gewaltenteilung begründet nicht den Verfassungsrang des Trennungsgebotes. Neben der funktionalen Gewaltenteilung durch Föderation und Trennung von Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsschutz gibt es die instanzielle Aufgabenverteilung in jenen Bereichen durch verschiedene Gerichtsbarkeiten und Verwaltungen, die teils dem Selbstverwaltungsprinzip, teils dem Ressortprinzip folgen. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG werden die staatlichen Funktionen der Rechtssetzung, der Vollziehung und der Rechtsprechung unterschieden. Der Grundgedanke der Gewaltenteilung ist die Begrenzung staatlicher Macht durch „checks and balances“49. Der Inhalt des Prinzips liegt in dem Verbot, Funktionen wahrzunehmen, die einer anderen Gewalt zugewiesen sind (Gewaltentrennung), und in der gegenseitigen Kontrolle und Hemmung der Gewalten (Gewaltenbalancierung)50. Letztendlich dient die dadurch erreichte Mäßigung der Staatsgewalt dem Schutz der Freiheit des Einzelnen51. Daneben soll sie durch die Zuweisung unterschiedlicher staatlicher Funktionen an verschiedene Funktionsträger auch die bestmögliche Funktionserfüllung sichern52. Hätte die Gewaltenteilung nicht nur für die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative Bedeutung, sondern auch innerhalb jeder der drei Staatsgewalten, so würde dies die gegenseitige Hemmung und Kontrolle steigern. Trennt man sogar Teile derselben Staatsgewalt in ihre Bereiche und Ressorts, so erhält man ein Höchstmaß an Hemmung und Kontrolle. Verfassungsrechtlich geboten ist diese Teilung jedoch nicht. Sie ergibt sich weder aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG noch aus dem Prinzip selbst. Da das Grundgesetz in einigen speziellen Fällen die Aufgliederung der Verwaltung in horizontaler wie vertikaler Hinsicht verlangt, wird deutlich, dass es sich dabei um Ausnahmen handelt, denn die Einheit der Verwaltung stellt die Regel dar53. Es gibt kein grundsätzliches Gebot der „Gewaltenteilung in der Verwaltung“54. Wo diese Teilung verfassungsrechtlich gewollt ist, liegen spezielle explizite Regelungen vor55 und diese sind wie dargestellt für das Verhältnis Polizei und Nachrichtendienste nicht getroffen worden. Zwingend sind klare gesetzliche Befugnisse und die feste und präzise Ordnung der Zuständigkeiten, die durch einfachgesetzliche Regelungen herbeigeführt werden können, denn Verfassungsrelevanz entsteht, wenn einzelne Organe den ihnen zugewiesenen Funktionsbereich überschreiten56. Entscheidet sich der Gesetzgeber, die Funktionsbereiche einzelner staatlicher Organe neu zu strukturieren oder zusammenzulegen, so kann dies nicht im Widerspruch zur Gewaltenteilung stehen, sofern die grundsätzliche Aufteilung in die drei Gewalten gewahrt bleibt. Selbst wenn man vertritt, dass verschiedene Aufgaben von unterschiedlichen Behörden wahrzunehmen sind oder die Verwaltung durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Behörden zu leisten ist und dies auch noch als rechtsstaatliche Vorgabe ansieht, so kann dies nicht heißen, dass im konkreten Einzelfall bestimmte Behörden nicht zusammengelegt werden können. Dies gilt insbesondere dann nicht, wenn die Aufgaben so verwandt sind wie bei der Polizei und den Nachrichtendiensten. Vielmehr gilt es zu berücksichtigen, dass sowohl die Nachrichtendienste, wie auch die Polizei zur Exekutive gehören und beide im Sicherheitsbereich und damit im gleichen Aufgabenfeld arbeiten. Mit der einfachgesetzlichen Regelung ihrer Zuständigkeiten und Befugnisse ist damit dem Gewaltenteilungsprinzip und dem Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes genüge getan. Die Wahrung der Trennung ist keine existenzielle Notwendigkeit für jegliche Form von Rechtsstaatlichkeit. Ihr Verlust führt nicht zwangs-
läufig zum Verlust der Rechtsstaatlichkeit einer staatlichen Ordnung. Die organisatorische und befugnisrechtliche Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten hat sich als ein elegantes Mittel zur Sicherung der Verfahrensrechte von Beschuldigten erwiesen. Zur Sicherung der Rechte des Beschuldigten ist die Trennung aber genauso wenig ausreichend wie unverzichtbar.

4. Resümee und rechtpolitischer Standpunkt

Was rechtspolitisch sinnvoll ist wird dadurch nicht zwangsläufig zu einem Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und mithin der Verfassung. Unbestritten findet sich in der Trennung von Information und Befugnis ein rechtsstaatlicher Aspekt57. Ob die Trennung eine zwingende Voraussetzung für die Existenz von Rechtsstaatlichkeit ist, muss bezweifelt werden. Eine solche Vorgabe hieße, man müsste allen Staaten, deren Exekutive diese Trennung nicht aufweist, die Rechtsstaatlichkeit absprechen. Die Auffassung, dass das Trennungsgebot ein wesentlicher, unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist, verkennt nicht nur den Sinn der Gewaltenteilung, sondern überspannt auch in nicht vertretbarer Weise den Umfang und Inhalt des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland gilt in der konkreten durch die Verfassung ausgestalteten Form58. Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ist zwar ein offenes Rechtsprinzip, aber keinesfalls eine ideologische Zielvorstellung, der es durch extensives Hineinlesen immer neuer Elemente einen immer gewichtigeren Gehalt zu geben gelte. Das Trennungsgebot ist mithin allenfalls ein rechtspolitisch sinnvolles Organisationsprinzip, jedoch keine verfassungsrechtliche Vorgabe.

Rechtspolitisch hat sich die organisatorische und befugnisrechtliche Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten bewährt. Beachtlichen Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung – wie denen durch den Linksterrorismus der siebziger Jahre – wurde wirkungsvoll entgegengetreten. Dies gilt gerade deshalb, weil Polizei und Dienste getrennt blieben und dennoch Ermächtigungsgrundlagen zum Informationsaustausch bestanden.

Die organisatorische Trennung von polizeilichem Staatschutz und nachrichtendienstlichem Verfassungsschutz kann zu starken Konkurrenzen führen und Schnittstellen entstehen lassen, die in fehlerhafter Arbeit und Differenzen münden. Die ist durch die Leitung der jeweiligen Behörden zu verhindern, gegebenenfalls auch durch die Fach- und Dienstaufsicht. Wer hingegen Nachrichtendienste und Polizei gänzlich vereinigen will, muss wissen, dass dies bei der internationalen Kooperation zu erheblichen Informationsverlusten führen kann. Die Zusammenlegung zweier Organisationen mit zwei Informationsbeständen führt nicht zwangsläufig zu einer Organisation mit der Summe beider Wissensstände. Eine umfangreiche internationale Kooperation mit befreundeten Nachrichtendiensten ist möglich und bringt wertvolle Erkenntnisse, wenn die Partnerdienste von der vertraulichen Behandlung ihrer weitergegebenen Erkenntnisse ausgehen können.
Insbesondere bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist dies von besonderer Bedeutung.

Einem verpolizeilichten Nachrichtendienst oder eine vernachrichtendienstlichten Polizei werden zudem erhebliche Vorbehalte einer zunehmend besser informierten Gesellschaft entgegengebracht, die sich in fehlender Kooperationsbereitschaft und grundsätzlichem Misstrauen niederschlagen. Dieser Vertrauensverlust ist langfristig betrachtet risikoreicher für die Sicherheit des Bundes und der Länder und die freiheitlich demokratischen Grundordnung als kurzfristige Synergieeffekte und Informationsvorsprünge. Wenn Polizei und Nachrichtendienste – organisatorisch getrennt bei Inanspruchnahme ihrer jeweiligen Befugnisse – sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und vertrauensvoll kooperieren, liegt darin ein beachtlicher Gewinn für Freiheit in Sicherheit.



Fußnoten

1 Der Verfasser ist Referent in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramt und dort zuständig für die Fach- und Dienstaufsicht über den Bundesnachrichtendienst. Die Erörterung gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder und erhebt keinen Anspruch auf Darstellung der Auffassung des Bundeskanzleramtes.
2 Nehm, NJW, 2004, 3289; v.Denkowski, Kriminalistik 2003, 212 (215); Thamm, Ist das Trennungsgebot noch aktuell? In: Der Kampf gegen den Terrorismus, Hirschmann/Leggemann (Hrsg.) 2003, S. 235 ff.; vgl. dort auch auf S. 339 ff.: Werthebach, Idealtypische Organisation innerer und äußerer Sicherheit. Zur Debatte über eine neue Sicherheitsarchitektur: Jansen/Jaeger, Der Kriminalist 2004, 238 ff.
3 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer gemeinsamen Datei der deutschen Sicherheitsbehörden zur Beobachtung und Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus (Anti-Terror-Datei-Gesetz), BR-Drucks. 657/04.
4 Zu nennen ist hier das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow, in dem die Polizeiliche Informations- und Analysestelle (PIAS) und Nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle (NIAS) zusammenarbeiten.
5 BayVerfGH, BayVBl. 1998, 142 (178).
6 Vgl. BVerfGE 97, 198 (217) in einer Entscheidung zum Bundesgrenzschutz.
7 BVerfGE 100, 313 (369 f.).
8 BVerfGE 97, 198 (217); vgl. auch Forster, Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden? S. 325 (326).
9 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 221 f.
10 Haedge, Nachrichtendienste, S. 131; Stern, Der Schutz der Verfassung, S. 12, 18.
11 Diese Normen betreffen nur das Bundesamt für Verfassungsschutz. Über eine verfassungsrechtliche Verbindlichkeit des Trennungsgebotes bezüglich der Landesämter, des BND oder MAD sagen sie nichts aus; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 127; Evers, BK, GG, (Vorauflage), Art. 73 Nr. 10 Rn. 51; wohl a. A. Lisken, NJW 1982, 1481 (1482).
12 So aber MDHS-Lerche, GG Art. 87, Rn. 142: In Art. 87 I 2 sei ausdrücklich nur von der „Sammlung von Unterlagen die Rede“. Die Trennung liege auch Art. 73 Nr. 10 lit b ungeschrieben zugrunde.
13 Roewer, DVBl 1988, 666 (667).
14 Imle, Vorbehalt, S. 154.
15 Schaefer, NJW 1999, 2572.
16 MDHS-Lerche, GG, Art. 87, Rn. 29.
17 So aber Gusy, ZRP 1987, 45 (46).
18 Darstellung bei Roewer, DVBl 1988, 666 (667).
19 Dorn, a.a.O., S. 183, 189
20 Wahrscheinlich ist jedoch, dass die Alliierten das Trennungsgebot nicht als Essenzial eines demokratischen Rechtsstaats angesehen haben, da sie es in der eigenen staatlichen Organisation missachteten. Vgl. Nehm NJW 2004, 3289 (3290)
21 Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG, Rn. 191.
22 Gusy, ZRP 1987, 45 (46).
23 Das BVerfG bezeichnet die Norm als Reaktion des Verfassungsgebers auf den Polizeibrief, BVerfGE 97, 198 (215).
24 MDHS-Lerche, GG, Art. 83, Rn. 1.
25 Forster, Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden? S. 325 (326).
26 Forster, Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden? S. 325 (326).
27 MDHS-Lerche, GG, Art. 83, Rn. 2.
28 Rupprecht, Zukunft des Verfassungsschutzes, S. 410 (417).
29 BVerfGE 100, 313 (369 f.).
30 Borgs, in: Borgs/Ebert, Das Recht der Geheimdienste, § 3 BVerfSchG Rn. 126.
31 So Gusy, ZRP 1987, 45 (47).
32 Gusy, ZRP 1987, 45 (46).
33 Der ursprüngliche Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG lautete:
„Durch Bundesgesetz können Bundesgrenzschutzbehörden, Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen, zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und für die Kriminalpolizei eingerichtet werden.“ Ihren heutigen Wortlaut erhielt die Vorschrift durch das 31. Änderungsgesetz vom 28.07.1972, BGBl. I 1972, 1305.
34 Dazu Roewer, DVBl 1986, 205; ders. § 3 BVerfSchG Rn. 188.
35 Zu „Pluralargument“ Nehm, NJW 2004, 3289 (3291) m.w.N.
36 So Lisken, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, C Rn. 128; Schapper, DRiZ 1987, 221 (223); Kalkbrenner, in: FS Samper, S. 64, (79); Seifert, in: Innere Sicherheit, S. 103, 107; Dies hätte zur Konsequenz, dass es dann auch für die Landesverfassungschutzämter aufgrund des Homogenitätsprinzips (Art. 28 Abs. 1, 3 GG) und wohl auch den BND und MAD Geltung hätte. Vgl. auch Rupprecht, Zukunft des Verfassungsschutzes, S. 410, (418) ders., in: Nachrichtendienste, Polizei und Verbrechensbekämpfung, S. 71 (72). Es gilt, sich in diesem Zusammenhang zu verdeutlichen, dass alle diese Argumente für den Verfassungsrang des Trennungsgebotes sich nicht nur gegen die Nachrichtendienste richten. Die jüngere Vergangenheit belegt, dass trotz Trennungsgebot die Polizei, insbesondere die Kriminalpolizei, zunehmend verdeckt agiert. Dennoch, trotz dieser beachtlichen Entwicklung im polizeilichen Bereich wird das Trennungsgebot fast durchgängig nur im Bezug auf die Dienste thematisiert.
37 Lisken, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, C Rn. 109; Denninger, ZRP 1981, 231 (235); Schapper, DRiZ 1987, 221 (223); Kalkbrenner, in: FS Samper, S. 64, (79); Seifert, in: Innere Sicherheit, S. 103, 107.
38 Weder BND noch MAD finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, denn es handelt sich nicht um Zentralstellen im Sinne dieser Vorschrift. Vgl. MDHS-Lerche, GG, Art. 87, Rn. 145, m.w.N.
39 Gusy weist darauf hin, dass die bloße Formel falsche Vorstellungen über Inhalt und Reichweite des Trennungsgebotes hervorrufen kann, GA 1999, 319 (325).
40 Evers, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, S. 70; Lisken, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, C Rn. 109.
41 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 221 f.
42 BVerfGE 100, 313 (364).
43 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 205 ff., 221.
44 Denninger, ZRP 1981, 231 (235); Krüger, Staatslehre, S. 103, (109); Dagegen wird angeführt, dass viele westliche Demokratien integrierte Inlandsdienste haben, ohne dass ihnen deswegen die Rechtsstaatlichkeit abgesprochen würde; Roewer nennt die USA, Frankreich und die Schweiz als Beispiele, in: Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG, Rn. 127.
45 Vgl. Lisken zur Verwendung von nachrichtendienstlich erlangten Informationen im Strafverfahren, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, C Rn. 119;
46 Vgl. Roxin zur Herleitung des Legalitätsprinzips auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, in: Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 2.
47 MDHS-Dürig, GG, Art. 10 Rn. 38.
48 Vgl. BVerfGE 27, 1 (6 f.).
49 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 220.
50 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 476; Badura, Staatsrecht, D 47.
51 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 476.
52 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 221.
53 Zur „Einheit der Verwaltung“: Sachs, NJW 1987, 2338; Oebbecke, DVBl 1987, 866.
54 Gusy, CR 1989, 628 (629).
55 Dazu Gusy, CR 1989, 628 (629).
56 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 221.
57 Gusy, GA 1999, 319 (325).58 Vgl. Nehm, NJW 2004, 3289 (3291)