Umweltkriminalität

Atypische Umweltstraftat

Atypische Umweltstraftat
Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion infolge grob fahrlässigen Umganges beim Transport von Industriegasen

Jürgen Windolph, Leitender Kriminaldirektor – Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt

Jürgen Windolph


Das Alltagsleben in einer dicht besiedelten Handels- und Industriegesellschaft beinhaltet vielfältige Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter, die uns nicht immer bewusst sind. Wie schnell die Tätigkeit eines Angestellten einer Installateurfirma in erhebliche Gefahren für sich und seine Umwelt umschlagen kann, macht ein Unglück deutlich, welches sich im Januar des Jahres 2004 in der Stadt Stendal ereignete. Zugleich werden besondere Gefahren für die sofort durchgeführten Maßnahmen des Sicherungsangriffs und der Tatortarbeit erkennbar.


Sachverhalt

Am 28.01.2004, morgens gegen 07.00 Uhr, kam es auf einem zivilen Parkplatz in der Nähe der Zufahrt zum Gebäude der Polizeiwache des Polizeireviers Stendal zu einer Explosion. Eine Rauchsäule stieg auf. Den herbeieilenden Polizeibeamten bot sich ein Bild der Verwüstung. Ein Transporter einer Heizungsbaufirma war völlig zerstört und brannte aus.1 Trümmerteile waren meterweit geflogen und hatten die Beplankung eines 25 m weit entfernt geparkten LKW glatt durchschlagen, die Aufliegerplane teilweise zerstört.

Der Fahrer des Transporters wurde aus dem Fahrzeug ca. 15 m weit weggeschleudert und erlitt Kopf- und andere schwere Verletzungen. Am Transporter entstand Totalschaden, die ursprünglich enthaltene Werkstattausrüstung wurde vernichtet.2



Nur dem glücklichen Umstand, dass der verhältnismäßig große Parkplatz dieses am Stadtrand gelegenen Geländes zu dieser Zeit noch nicht vollständig besetzt war, auf diesem Gelände einer ehemaligen Grenztruppenkaserne befinden sich noch das Kreiswehrersatzamt, die Staatsanwaltschaft, der Zoll und das THW, ist es zu verdanken, dass keine weiteren Personen- und Sachschäden eintraten.
Die sofortigen Ermittlungen ergaben, dass der Fahrer des explodierten Fahrzeuges, Auszubildender im dritten Ausbildungsjahr, einen Werkstattwagen der Heizungsbaufirma mit einer 20 Liter Sauerstoffflasche, 20 Liter Acetylengasflasche und einer fünf Liter Propangasflasche bestückt hatte. Er wollte damit und weiterem Werkzeug zu einer Baustelle fahren.
Den Parkplatz befuhr er an jenem Morgen nur deshalb, um einen weiteren Arbeitskollegen aufzunehmen. Zuvor war er durch die Stadt Stendal gefahren. Beim Eintreffen auf dem Parkplatz bemerkte er Gasgeruch und wollte das Fahrzeug verlassen. Nach dem Ausstieg (welcher ihm sehr wahrscheinlich das Leben rettete) und dem Schließen der Tür kam es zu der Explosion.

Nach Einschätzung der am Explosionsort eintreffenden Feuerwehr ging von der im explodierten Fahrzeug befindlichen Acetylenflasche eine unmittelbare Allgemeingefahr aus. Aus diesem Grunde erfolgte zunächst keine Bergung sondern eine weitere Kühlung der Stahlflasche mittels Wasserschleier. Das Gelände blieb weiträumig abgesperrt. Eine Tatortarbeit war in dieser Phase wegen erheblicher Eigengefahr für die KT-Beamten nicht möglich.



Die örtliche Einsatzleitung des Polizeireviers entschied sich unter Einbeziehung des Brandschutzbeauftragten des Landkreises Stendal und des zuständigen Beamten des Gewerbeaufsichtsamtes dafür, den technischen Leiter der Firma Air Liquide Berlin, der als Sicherheitsingenieur dieser Vertriebsfirma für technische Gase zuständig ist, heranzuziehen. Dieser erschien noch während der Kühlungsphase vor Ort.
Damit stand der Polizeieinsatzleitung ein Experte zur Beratung zur Verfügung.

Inzwischen hatte sich nach der ersten Kühlungsphase von ca. vier Stunden ergeben, dass sich die Acetylenflasche erneut von innen erwärmte. Ein Abtransport war wegen akuter Explosionsgefahr nicht möglich. Es folgte eine weitere 24- stündige Kühlungsphase vor Ort mittels Wasserschleier durch die Feuerwehr unter weitläufiger Tatortsicherung durch Polizei. Erst als eine Wiedererwärmung endgültig ausgeschlossen war, erfolgte der Abtransport durch die Fa. Air Liquide, die auch mit dem technischen Gutachten zur Explosionsursache beauftragt wurde.



Ursachenermittlung

Nach den Feststellungen des Gutachters ist davon auszugehen, dass sich das Handventil der Acetylenflasche infolge ungesicherter Ladung und fehlender Schutzkappe während der Fahrt geöffnet hat und Acetylen ins Fahrzeuginnere ausgeströmt ist.3 Das so entstandene Gasgemisch entzündete sich beim Ausstieg des Fahrers und Zuschlagen der Tür und führte zur Raumexplosion des Fahrzeuges. Der dabei entstehende Brand beeinträchtigt zusätzlich die Dichtung der Sauerstoffflasche, so dass Sauerstoff austrat und die Brandwirkung noch erheblich verstärkte.

Infolge des Brandes verschloss sich durch Rußbildung mit anschließender Filterverstopfung die Acetylenflasche wieder. So konnte kein Acetylengas mehr austreten, aber auch nicht weiter abbrennen.

Die äußere Brandeinwirkung auf die Acetylenflasche (Hitze) bewirkte, dass sich nunmehr das in der Stahlflasche verbliebene Acetylen weiter zersetzte. Dieser anhaltende Prozess war an der Erwärmung der Flasche nach dem ersten Löschvorgang zu erkennen. Es bestand erhebliche akute Explosionsgefahr ohne anhaltende sofortige Kühlung.



Sicherungsvorschriften für den Transport technischer Gase

Maßgeblich ist hier die Berufsgenossenschaftliche Information BGI 590, Stand Januar 1997. Diese Information bezieht sich auf das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter (GGBefG) sowie die VO über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf Straßen (GefahrgutVO Straße – GGVS) und die dort in Bezug genommenen Bestimmungen der Anlage A und B des ADR4

Für die Beförderung von Flüssiggasen in Flaschen im öffentlichen Straßenverkehr gelten nach Ziffer 3.5 der BGI 590 Ausnahmeregelungen von den Vorschriften der Anlage A und B der ADR, wenn die Beförderung im Zusammenhang mit der Haupttätigkeit durchgeführt wird, wie z.B. Lieferungen für Baustellen im Hoch- und Tiefbau, im Zusammenhang mit Messungen, Reparaturen und Wartungsarbeiten und in Mengen, die 450 l je Verpackung nicht überschreiten. Die zulässigen Höchstmengen dürfen nicht überschritten werden.

Da es sich hier um einen Transport zu einer Baustelle handelte, sind diese Ausnahmeregelungen anzuwenden.
Dennoch sind auch bei solchen Beförderungen unter Ausnahmeregelung folgende Mindeststandards einzuhalten:

1. Zusammenladeverbot von Flüssiggasflaschen mit leicht entzündlichen Stoffen
2. Rauchverbot
3. Ladungssicherheit
4. Abstellen der Fahrzeuge mit angezogener Feststellbremse
5. Eignung und Ausstattung der Fahrzeuge hinsichtlich Einrichtungen für die Ladungssicherung und ausreichende Belüftung.

Im Berichtsfall wurde gegen die Bestimmung der Ladungssicherheit und die Vorschriften über Eignung und Ausstattung des Fahrzeuges in eklatanter Weise verstoßen.

Druckgasflaschen müssen auf dem Fahrzeug so verstaut werden, dass sie nicht fortrollen, umkippen oder herausfallen können. Sie dürfen ihre Lage zueinander und zu den Wänden des Fahrzeuges nicht verändern können oder müssen in Behältnissen gesichert sein. Insbesondere liegend beförderte Flüssiggasflaschen müssen in sicherer und geeigneter Weise so verkeilt, festgebunden oder festgelegt werden, dass sie sich nicht verschieben können.

Verschlussventile müssen mit Schutzkappen oder Schutzkragen geschützt werden.

Werden solche Flaschen in gedeckten Fahrzeugen befördert, müssen mindes-tens zwei Luftöffnungen von je 100 cm⊃2;, eine in Boden- und eine Deckennähe für ausreichende Belüftung vorhanden sein. Im vorliegenden Fall handelte sich um einen mit verglasten Seitenscheiben ausgestatteten Hyundai-Transporter, der für den Transport solcher Gasflaschen nicht speziell ausgestattet war.

Die Zuladung erfolgte im Stauraum völlig ungesichert, spezielle Halterungen oder gar Lüftungen waren nicht vorhanden. Das Fahrzeug war somit für diesen Transport ungeeignet.

Hinweise zur Verhütung von Acetylenflaschenexplosionen

Indikatoren:
Explosionsursachen sind Acetylenzersetzungen, die unter starker Temperaturerhöhung verlaufen, wobei sich der Druck stark erhöht
Ursachen sind z.B.: Flammenrückschlag über angeschlossene Leitungen,
äußere Erwärmung
Temperatur an der Flaschenwand steigt ohne äußere Einwirkung
Schneller Temperaturanstieg kennzeichnet drohendes Bersten

Maßnahmen:
(in jedem Fall durch Fachleute/Feuerwehr nicht durch Polizei)
Bei Flammenrückschlag und Ventilbrand mit sauberer Flamme Ventil sofort schließen, Kontrolle ob der Flaschenmantel kalt bleibt.Ist dies nicht mehr möglich und brennt noch eine Flamme, sollte diese zur Vermeidung einer Raumexplosion nicht gelöscht werden
Nicht mehr der Flasche nähern, wenn nach längerem Brennen oder Ausströmen ein Zerfallsbrand bzw. Ruß- oder qualmartiger Gasaustritt zu beobachten ist
Flaschen, in denen eine Acetylenzersetzung erst begonnen hat, Mantel lässt sich mit ungeschützter Hand noch überall anfassen, ins Freie transportieren
Ist Transport ins Freie nicht mehr möglich, Fenster und Türen zur Vermeidung einer Raumexplosion öffnen
Kühlung mit Sprühstrahl aus gedeckter Stellung einleiten
Nach Kühlung noch 24 Stunden an einem sicheren Platz im Wasserbad lagern
Niemals nach äußerer Feuereinwirkung oder in Fällen, in denen die Ventile nicht sofort gasdicht geschlossen werden können, an Flaschen herangehen! Es besteht erhöhte Explosionsgefahr.

Merke: Explodierende Flaschen können 200 m weit fliegen und einen explosionsbedingten Feuerball verursachen!

Erkennbarkeit der Flaschengase:

Nach der Euro-Norm DIN EN 1098-3 „Farbkennzeichnung von Gasflaschen“, veröffentlicht im Juli 1997, ist spätestens ab dem Juli 2006 eine einheitliche farbliche Kennzeichnung vorzunehmen. Die Deutsche Industrie hat mit der Umstellung am 1.1.1998 begonnen und will sie bis zum 1. Juli 2006 abschließen.

Verbindlich ist der Gefahrgutaufkleber auf dem Flaschenhals. Die Farbkennzeichnung dient zusätzlich als Information über die Eigenschaften der Gase, z.B. brennbar, oxidierend, giftig etc. Sie ist schon aus großer Entfernung sichtbar und gibt Hinweise, wenn der Aufkleber nicht oder noch nicht lesbar ist.

Der Aufkleber gibt Hinweise auf:
Risiko- und Sicherheitsansätze
Gefahrzettel
Gas- oder Gasgemisch
Produktbezeichnung des Herstellers
EWG-Nummer bei Einzelstoffen oder das Wort Gasgemisch
Vollständige Gasbenennung nach GGVS
Herstellerhinweis
Name und Anschrift des Hersteller

Der Großbuchstabe „N“ weist in Deutschland auf die Farbkennzeichnung nach neuer Norm hin.

Acetylen ist nach alter Norm gelb oder gelbschwarz gekennzeichnet, nach neuer Norm kastanienbraun oder kastanienbraun-gelb-schwarz.

Rechtliche Bewertung:

Einschlägig ist hier das „ Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ gemäß § 308 Abs. 1,4 und 6 StGB.
Unter Sprengstoffexplosion fallen auch Gasexplosionen, bei denen durch Entzündung von Gasen es zu einer plötzlichen Ausdehnung und dadurch zu einer Sprengwirkung kommt5.
Wer nach § 308 Abs. 6 StGB fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, z.B. wie in diesem Fall durch Unterlassen der sachgemäßen Transportlagerung der Gasflaschen in einem ungeeigneten Transportfahrzeug, wird mit Freiheitsstrafe bis 3 Jahren oder Geldstrafe bestraft. Voraussetzung ist weiterhin, dass durch diese Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben anderer oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verursacht wird.

Diese Voraussetzungen waren hier gegeben. Der Auszubildende war nachweislich über den Umgang mit solchen Gasen unterrichtet und hatte dennoch sämtliche Ladungssicherungsvorschriften außer Acht gelassen und ein ungeeignetes Fahrzeug für den Transport verwendet. Durch die Explosion entstand ein Sachschaden von mindestens 50.000 Euro am Fahrzeug des Betriebsinhabers und am Fremdlastkraftwagen.



Fußnoten:

1 Bild 1
2 Bild 2
3 Bild 3
4 Accord europeen relatif au transport international des marchandises Dangereuses par Route
(ADR)
5 Vgl. Tröndle/Fischer, Randziffer 3 zu § 308 STGB