Buchbesprechung

Adrienne Lochte: Sie werden dich nicht finden

Der Fall Jakob von Metzler

Adrienne Lochte: Sie werden dich nicht finden – Der Fall Jakob von Metzler, Droemer Verlag, München 2004, ISBN 3-426-27345-4, 251 Seiten, 18,90 Euro.

Die Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler durch den Jurastudenten Magnus Gäfgen mit dem vergeblichen Rettungsversuch des damaligen Vizepräsidenten der Polizei Frankfurt, Wolfgang Daschner, der dem Täter Zwang androhen ließ, um den Verwahrort des entführten Kindes zu erfahren, gehört sicher zu den meist diskutierten Kriminalfällen der letzten Jahre. Zu diesen Geschehnissen erschien im November 2004 eine erste Abhandlung unter dem dramatisch formulierten Titel „Sie werden dich nicht finden – Der Fall Jakob von Metzler“. Autorin ist die Journalistin Adrienne Lochte. Sie beschreibt die Vorgeschichte der Entführung, porträtiert die beteiligten Personen, schildert den Mord an Jakob von Metzler und stellt das Gerichtsverfahren bis zum Schuldspruch gegen Magnus Gäfgen durch das Landgericht Frankfurt dar. Dies geschieht in einer Mischung aus Dichtung und Wahrheit, einer Kombination von Detailverliebtheit und Erfundenem. Die Autorin räumt in ihrem Vorwort ein, dass sie in einzelnen Teilen „die Fantasie habe spielen lassen.... um eine Stimmung zu verstärken“ und Dialoge in einem Kapitel „weitgehend erfunden“ sind. Auf Grund ihrer Recherche „könnte es so gewesen sein“ (alle Zitate auf S. 9). Diese Recherche hat Lochte – soweit man es als Außenstehender beurteilen kann – allerdings in sehr akribischer Form vorgenommen. Ist man als Leser erst einmal über die, der Mischung aus Dokumentation und Fiktion geschuldeten Notwendigkeit von Sachverhaltsergänzungen und die der darstellerischen Ehrlichkeit entsprechenden Benennung dieser Lückenschließungen hinweg, kann man sich der Lektüre des Buches kaum mehr entziehen.

Die handelnden Personen werden im Einzelnen vorgestellt: Je stärker sie an dem Geschehen beteiligt sind, desto ausführlicher. Beschrieben werden unter anderem die Eltern von Magnus Gäfgen, die Familie von Metzler, Wolfgang Daschner, der Anwalt von Magnus Gäfgen und die Freundin des Täters. Im Vordergrund der Darstellungen stehen das Opfer Jakob von Metzler und der Täter Magnus Gäfgen. Von Magnus Gäfgen, dessen Person im Zentrum des Buches steht, wird ein durchaus differenziertes Bild gezeichnet. Im Plot noch als „unauffälliger junger Mann – freundlich, hilfsbereit und immer für seine Freunde da“ geschildert, erfährt man im Laufe des Buches etwa, dass er nach Einschätzung eines Jugendseelsorgers „als Kinderbetreuer eine Fehlbesetzung“ war (S. 93) und die Staatsanwaltschaft schon einmal gegen ihn – wegen der Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens – ermittelte. Das Verfahren wurde jedoch gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt (S. 241). Mit aller Vorsicht und der gebotenen Zurückhaltung wird neben der Habgier, der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht mit einem sexuellen Hintergrund noch ein viertes Mordmerkmal angedeutet (S. 10), ebenso wird aber auf eine entsprechende staatsanwaltschaftliche Stellungnahme hingewiesen, die insofern eindeutig ist: „Definitiv gibt es keine Anhaltspunkte für ein sexuelles Motiv.“ (S. 80). Die einzige Konstante in der Porträtierung Gäfgens ist das hohe Geltungsbedürfnis und die daraus resultierende Geldgier des Täters.

Weniger eindringlich geschildert wird eine zweite Schlüsselperson in dem Entführungsfall Jakob von Metzler, der damalige Vizepräsident der Polizei Frankfurt, Wolfgang Daschner. Lochte, die sich selbst als frühere „Polizeireporterin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bezeichnet (S. 7), gab nämlich der Täterperspektive weitgehend den Vorzug gegenüber dem Blickwinkel der Polizei.

Insgesamt ist festzustellen, dass es sich um ein überaus lesenswertes Buch handelt. Die Abhandlung über diesen in die bundesdeutsche Rechts- und Polizeigeschichte eingehenden Fall wird sicher auf breites Interesse stoßen. Nicht zuletzt deshalb hat die Produktionsfirma Bavaria Film angekündigt, die Geschehnisse um den Entführungsfall Jakob von Metzler auf der Basis des Buches „Sie werden dich nicht finden“ von Adrienne Lochte zu verfilmen. Die eigene Einschätzung der Autorin, dass „sich das Buch streckenweise wie ein Kriminalroman liest“ (S. 8), ist sicher zutreffend. Ob das an sich schon tragische und dramatische Geschehen noch einer weiteren Dramatisierung in der vorliegenden Romanform oder der geplanten Verfilmung bedarf, darüber lässt sich aber sicher trefflich streiten.

Professor Dr. Andreas Peilert, Polizei-Führungsakademie Münster