Gesetzgebung

Stellungnahme Dr. Rolf Meier

Die verdeckte präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung in Rheinland-Pfalz

Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses des Landtages Rheinland-Pfalz zur Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) am 31.05.2005

Von Dr. Rolf Meier, Polizei-Führungsakademie, Münster

Vorbemerkung
Vor dem Hintergrund der Komplexität des Themas und der intensiven Diskussion beschränkt sich meine Stellungnahme auf einige aus meiner Sicht wesentliche Aspekte der geplanten Gesetzesänderung.


Dr. Rolf Meier,
Polizei-Führungsakademie,
Münster

2. Grundsätzliche Bemerkungen

2.1.
Die Ausführungen des BVerfG in der Entscheidung vom 03. 03. 2004 zum Schutzbereich des Art. 13 GG, insbesondere zum Menschenwürdegehalt und den „Kernbereich privater Lebensgestaltung“, sind auch bei der gesetzlichen Ausgestaltung von Befugnissen zur Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen von herausragender Bedeutung. Die vom BVerfG vorgenommene Konkretisierung des Schutzbereiches des Art. 13 GG und seines Bezuges zur Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG4 ist bei allen staatlichen Eingriffsmaßnahmen, ob repressiv oder präventiv, zu beachten. Dies ergibt sich schon aus der Tatbestandsfunktion eines Grundrechts-Schutzbereiches5 und der unmittelbaren Bindung aller drei Gewalten an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG, so dass die Frage nach der Bindungswirkung der Entscheidung gemäß § 31 BVerfGG hier nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist6. Dies verkennen vereinzelte Stimmen7, die eine Übertragbarkeit der Ausführungen des BVerfG auf die präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln bestreiten.
Der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung, wie er sich aus Art. 13 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergibt, ist demnach auch bei der präventiven Wohnraumüberwachung zu beachten, er gewährt einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, in den der Staat nicht eingreifen darf8.

2.2.
Vor diesem Hintergrund bedürfen die gesetzlichen Regelungen zur präventiven Wohnungsüberwachung der „kritischen Durchsicht und Novellierung“9. Für das POG Rheinland-Pfalz liegen entsprechende Gesetzentwürfe der Fraktionen der SPD und der FDP sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Daher soll hier nicht auf die Frage eingegangen werden, ob die bisherige Regelung des § 29 POG den Anforderungen des GG, wie sie das BVerfG konkretisiert hat, genügt.
Festzuhalten ist aber, dass das Instrument des präventiven Einsatzes technischer Mittel zur verdeckten Datenerhebung in oder aus Wohnungen aus meiner Sicht erhalten bleiben muss. Dies gilt ohne weiteres für die Fälle der klassischen Gefahrenabwehr (z. B. die Wohnraumüberwachung bei Geisellagen), wie sie bereits nach Art. 13 Abs. 3 a. F. zulässig waren. Dies muss aber auch für die Fälle der sog. Verhütung von Straftaten gelten, insbesondere soweit es um die Abwehr von Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus10 und durch die Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität geht.

2.3.
Die Schranken, auf die sich eine gesetzliche Regelung der präventiven Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln stützen lässt, ergeben sich aus Art. 13 Abs. 4 GG. Dieser lässt den Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, zu. Diese Begriffe sind spezifisch verfassungsrechtlich auszulegen11. Dabei sind die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme zwar restriktiver gefasst als zuvor im Art. 13 Abs. 3 a. F. (jetzt Art. 13 Abs. 7), erlauben aber bei drohenden Schäden für besonders hochrangige Rechtsgüter Maßnahmen höherer Eingriffsintensität als bei den Schranken des Art. 13 Abs. 3 GG, wie der nach Abs. 4 zulässige Einsatz optischer technischer Geräte zur Wohnungsüberwachung zeigt12. Jedoch muss auch hier der Kernbereich privater Lebensgestaltung unangetastet bleiben. Die hier vom Grundgesetz selbst getroffene Differenzierung zwischen repressiven und präventiven Eingriffen lässt im Übrigen aber eine unterschiedliche Ausgestaltung der Eingriffsvoraussetzungen zu.

3. Zu den Änderungen im Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP (LT-Drs. 14/3936) im Einzelnen

3.1. § 29 Abs. 1
Laut Begründung zu § 29 Abs. 1 POG in der jetzt geltenden Fassung dient die Datenerhebung nach Nr. 1 der Abwehr dringender Gefahren, wozu auch die Verhinderung von Straftaten als Unterfall der Gefahrenabwehr gerechnet wird13. Damit wird in der Begründung deutlicher als im Gesetzestext, der in der Nr. 2 von „Verhütung“ spricht, dass hier die Verhinderung der Tatbegehung und damit die Abwehr von dringenden Gefahren für wichtige Rechtsgüter i. S. d. Art. 13 Abs. 4 GG gemeint ist. Es wird vorgeschlagen, das Wort „Verhütung“ durch das Wort „Verhinderung“ zu ersetzen. Das Wort „verhindern“ bedeutet „durch entsprechende Maßnahmen o. Ä. bewirken, dass etwas nicht geschehen kann, von jemandem nicht getan, ausgeführt usw. werden kann“14.
Sodann ist Regelungsgehalt des 2. Halbsatzes in § 29 Abs. 1 Nr. 2 POG auf beide Alternativen zu beziehen, da ein Einsatz technischer Mittel zur Wohnungsüberwachung in den Fällen der Nr. 1 im präventiven Bereich ohne eine gleichzeitig bestehende strafrechtliche Relevanz des Verhaltens eine rein theoretische Möglichkeit darstellen dürfte.

Es wird daher, ähnlich wie im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes15, die folgende Formulierung vorgeschlagen:
„Die Polizei kann personenbezogene Daten.... erheben über
1. die nach den §§ 4 und 5 Verantwortlichen........und
2. Kontakt- und Begleitpersonen (§ 26 Abs. 3 Satz 2),
soweit die Datenerhebung zur Verhinderung von besonders schweren Straftaten nach Absatz 2 erforderlich ist.
........“

3.2. § 29 Abs. 2
Der neu gefasste Straftatenkatalog des § 29 Abs. 2 POG trägt den Vorgaben des BVerfG zur Frage der besonderen Schwere einer Tat16 insoweit Rechnung, als er sich auf Straftaten beschränkt, die der Gesetzgeber mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre Freiheitsstrafe bewehrt hat17. Dabei wird davon ausgegangen, dass dies auch den sich aus Art. 13 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen genügt18. Wie bereits dargelegt, erlaubt Art. 13 Abs. 4 GG den Einsatz technischer Mittel zur Wohnungsüberwachung zur Abwehr von dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere zur Abwehr von gemeinen Gefahren oder von Lebensgefahren. Zur Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzungen bei der präventiven Wohnungsüberwachung zur Verhinderung von Straftaten gegeben sind, ist ein Straftatenkatalog nicht grundsätzlich ungeeignet, jedoch sollte neben der gesetzgeberischen Bewertung der Schwere der Tat durch die Strafbewehrung auch das jeweils betroffene bzw. gefährdete Rechtsgut gesondert einbezogen werden. Insgesamt sollte eine Zusammenschau verschiedener Gefahrumstände vorgenommen werden, die die Frage der Hochrangigkeit des Rechtsgutes ebenso einbezieht wie die Schwere der Straftat und die tatsächliche Basis des Tatverdachts19. Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, den Katalog des § 29 Abs. 2 POG nochmals zu überprüfen. Es wäre beispielsweise zu fragen, ob Straftaten im Bereich Kinderpornographie mit ihrer massiven Rechtsgutbeeinträchtigung hier ausreichend berücksichtigt worden sind.

3.3. § 29 Abs. 3
§ 29 Abs. 3 gibt die Indikatoren wieder, die nach Ansicht des BVerfG für eine bevorstehende Kernbereichsverletzung sprechen20. Dies erscheint nicht zwingend geboten, ist aber aus Klarstellungsgründen zu befürworten.

3.4. § 29 Abs. 4
Nach § 29 Abs. 4 S. 2 bleibt die automatisierte Speicherung der erhobenen Daten von einer aus Gründen des Kernbereichschutzes vorgenommenen Unterbrechung der Abhörmaßnahme unberührt, die hier genannten polizeilichen Maßnahmen unterliegen aber der begleitenden gerichtlichen Kontrolle nach § 29 Abs. 8. Dadurch wird die Polizei zur Live- und zeitversetzten Überwachung und Auswertung ermächtigt. Mit § 29 Abs. 4 ist durch die Einführung dieses sog. „Master-“ oder „Richterbandes“ ein den praktischen Bedürfnissen ebenso wie den rechtsstaatlichen Belangen gleichermaßen genügender Weg beschritten worden, die Maßnahmen der präventiven Wohnungsüberwachung unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG durchzuführen. Den Ausführungen in der Begründung zu § 29 Abs. 4 POG21 ist insoweit wenig hinzuzufügen. Der mit dieser Form der Durchführung des Einsatzes technischer Mittel zur Wohnungsüberwachung verbundene Aufwand in personeller und materieller Hinsicht ist zwar erheblich, jedoch vor dem Hintergrund der (bisher und wohl auch zukünftig) geringen Zahl dieser Maßnahmen beherrschbar. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die von Ruthig22 geschilderten Erfahrungen mit einer ähnlichen Rechtslage in den USA, die ebenfalls für eine Praktikabilität der hier gefundenen Lösung sprechen.

3.5. § 29 Abs. 5
Für die hier normierte Verpflichtung zur Löschung, das Verwertungsverbot und die Dokumentationspflicht gelten die vorherigen Ausführungen in gleicher Weise.

3.6. § 29 Abs. 6
Die Unzulässigkeit der Datenerhebung in durch Amts- oder Berufsgeheimnis geschützte Vertrauensverhältnisse im Sinne der §§ 53, 53a StPO, wie es § 29 Abs. 6 POG vorsieht, ist nicht in allen Fällen verfassungsrechtlich durch das Erfordernis des Schutzes des Kernbereichs geboten23. Insoweit wäre hier auch eine differenzierende Regelung möglich. Die gewählte Ausgestaltung begegnet aber keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

3.7. § 29 Abs. 7-10
Das in § 29 Abs. 7-10 POG ausgestaltete Verfahren zur Anordnung der Datenerhebung nach Abs.1 ist grundsätzlich in hohem Maße geeignet, den „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ zu gewährleisten. Die umfassende begleitende richterliche Kontrolle dürfte auch unter Praktikabilitätsaspekten kaum zu kritisieren sein. Allerdings kann erwogen werden, die Frist nach § 29 Abs. 7 Satz 3 auf drei Monate (wie bisher) zu verlängern und eine richterliche Überprüfung alle vier Wochen vorzusehen, wie dies beispielsweise in Bremen vorgesehen ist. Auch diese Ausgestaltung würde den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes genügen. Aus der Praxis ist immer wieder zu hören, dass in den ersten Wochen nach Anordnung der Maßnahme noch kaum mit Erkenntnissen zu rechnen ist, da zunächst die technischen Voraussetzungen zur Datenerhebung geschaffen werden müssten.

Auch die Regelungen zur Kennzeichnung und anderweitigen Verwendung erlangter Daten in § 29 Abs. 9 POG sind in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

3.8.
Die Regelung des § 29 Abs. 11 POG entspricht Art. 13 Abs. 5 GG und ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3.9.
Insgesamt trägt der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP dem Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger und den Notwendigkeiten der Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungslage gleichermaßen Rechnung. Er stellt eine gute Lösung dar.

4. Zu den Änderungen im Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (LT-Drs. 14/3241)

4.1.
Auch der Gesetzentwurf der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (LT-Drs. 14/3241) zieht die Konsequenzen aus der Entscheidung des BVerfG, soweit es um die präventive Wohnungsüberwachung geht. Die Ausgestaltung der personenbezogenen Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in oder aus einer Wohnung ist trägt den Belangen des Grundrechtschutzes auch im Hinblick auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung ebenfalls umfassend Rechnung.

4.2.
Der Entwurf erlaubt die präventive Wohnungsüberwachung ausdrücklich nur gegenüber Störern im polizeirechtlichen Sinne, nicht aber gegen Kontakt- und Begleitpersonen. Weiter ist der Kreis der geschützten Vertrauensverhältnisse erheblich ausgeweitet worden. Die Maßnahme ist auf zwei Wochen zu befristen. Damit wird die präventive Wohnungsüberwachung, die der Gesetzentwurf ja nicht grundsätzlich in Frage stellt, in ihrer Wirksamkeit wesentlich geschwächt und praktisch nahezu undurchführbar. Vor dem Hintergrund der Not-
wendigkeit der präventiven Wohnungsüberwachung, wie sie oben unter 2.2. dargelegt wurde, sind diese Einschränkungen verfassungsrechtlich möglich, aber nicht geboten und im Ergebnis zu weitgehend.

Fußnoten:

4 BVerfGE 109, 279, 313.
5 Vgl. Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Vor Art. 1, Rn 77.
6 Vgl. auch Gusy, Auswirkungen des Lauschangriffurteils außerhalb der strafprozessualen Wohnungsüberwachung, Vortrag, gehalten am 8.11.2004 in Berlin, www.jura.unibielefeld.de/Lehrstuehle/Gusy/Veroeffentlichungen _Vortraege/index.html.
7 Haas, NJW 2004, S. 3084; Märkert, der kriminalist 2004, S. 444, der die schutzbereichsbezogene Argumentation des BVerfG übersieht und nur auf die unterschiedlichen Schranken eingeht.
8 So auch Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom 28.06.2004, Az WD 5/52-1504, S. 23.
9 Denninger, ZRP 2004, S. 104; ähnlich auch Gusy, JuS 2004, S. 461; ders., Vortrag vom 8. 11. 2004 (s. Fn 6), II 2 a.
10 Zur Bedrohung durch die transnationale Terrororganisation „Al Qaida“ vgl. Albert, Die Kriminalpolizei 2005, S. 48 ff.
11 MVVerfG, juris Dokument Nr. KVRE296360003, Leitsatz 4, www.jurisweb.de/jurisweb/cgi-bin/j2000cgi.sh.
12 Vgl. Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom 28.06.2004, Az WD 5/52-1504, S. 21; Kötter, DÖV 2005, S. 229.
13 LT-Drs. 14/2287, S. 46.
14 „Die Zeit“-Lexikon, Bd. 19: Deutsches Wörterbuch, Rast-Z, Hamburg 2005.
15 Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom 28.06.2004, Az WD 5/52-1504, S. 41.
16 BVerfGE 109, 279, 343 ff.
17 LT-Drs. 14/3936, S. 8.
18 LT-Drs. 14/3936, S. 8.
19 Papier in Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 13 Rn 96.
20 BVerfGE 109, 279, 320.
21 LT-Drs. 14/3936, S. 9.
22 Ruthig, GA 2004, S. 587, 602 f.
23 BVerfGE 109, 279, 322.