Kriminologie Heute

Sichere City

Maßnahmen zur Kriminalitätskontrolle am Beispiel der Heilbronner Innenstadt 1997 – 2001

Von Ltd. Kriminaldirektor Gerd Bornschein, Heilbronn und Polizeioberrat Ewald Anger, jetzt Pforzheim


Seit September 1997 trifft die Polizeidirektion Heilbronn ihre Einsatzmaßnahmen im Innenstadtbereich Heilbronns gemäß dem langfristig angelegten Konzept „Sichere City". Im Ergebnis führte dies zum Verschwinden der lange Jahre in der Innenstadt präsenten offenen Drogenszene und zu einem Rückgang der Straßenkriminalität um etwa 33 %.

1. Ausgangslage

Im Frühjahr und Sommer 1997 wurde die Kriminalitätslage in Heilbronn zunehmend Gegenstand öffentlicher Diskussionen und nahm in der Berichterstattung der örtlichen Medien breiten Raum ein. In einer Anfrage einer Fraktion des Gemeinderates wurde Heilbronn als „Drogenhochburg" bezeichnet und von Defiziten in der Verbrechensbekämpfung gesprochen. Leserbriefe befassten sich mit den Zuständen im Innenstadtbereich, es gab eine Flut von Beschwerden über sicherheits- und ordnungswidrige Zustände.

Objektiv war keine Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr eingetreten. Die Polizeiliche Kriminalstatistik wies 1996 insgesamt 7.011 Delikte im Bereich des betroffenen Polizeireviers Heilbronn aus (Stadtkreis 9.128), damit waren die Gesamtstraftaten nach einem vorübergehenden Höchststand im Jahr 1993 wenn auch auf hohem Niveaukonstant geblieben. Dies galt auch für die 1.815 das subjektive Sicherheitsgefühl besonders beeinträchtigenden Delikte der Straßenkriminalität (Stadtkreis 2.467). Objektiv war die Lage in Heilbronn mit Städten ähnlicher Größe vergleichbar.

Die entscheidende Rolle im öffentlichen Bewusstsein bezüglich der Kriminalitätslage oder besser der Kriminalitäts-Wahrnehmung spielte die seinerzeit für jedermann erkennbare Drogen- und Sozialgeschädigtenszene an verschiedenen Punkten im Innenstadtbereich, die schließlich zu einer hartnäckig geführten Diskussion über die Zahl der angeblich 3.000 bis 5.000 Süchtigen3 führte, die sich tagtäglich in der Innenstadt mit Stoff versorgen sollten. Genaue Zahlen hierzu konnten nicht gewonnen werden. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme mit Expertenbefragungen erbrachte Schätzwerte zwischen 850 und 3.000 Personen.4 Sicher gesagt werden konnte lediglich, dass die Region Heilbronn aufgrund der Aussagen der befragten Fachkräfte zu den stark belasteten Gebieten Baden-Württembergs gehöre. Diese sichtbare Szene mit ihren negativen Begleiterscheinungen in Form der zwar konstanten jedoch relativ hohen Straßenkriminalität führte offenbar zu einem latenten Unsicherheitsgefühl. Hinzu kam, dass wie anderswo auch wenig Wert auf konsequente Ahndung von Ordnungsstörungen gelegt wurde, die hauptsächlich durch eine kleinere Gruppe auffälliger Sozialgeschädigter vor allem in den Fußgängerzonen begangen wurden.

Insbesondere durch die Vielzahl der Beschwerden, die sich anschließenden Überwachungsaufträge und den erforderlichen Schriftverkehr wurden erhebliche polizeiliche Ressourcen gebunden, so dass letztendlich nur noch reagiert werden konnte.

Die polizeilichen Bekämpfungsmaßnahmen bestanden vor allem in intervallartigen Großaktionen gegen die Szene unter Führung der Kriminalpolizei mit dem Ziel erkannte Dealer beweissicher zu überführen und in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Haftbefehle zu erwirken. Außerdem war die Schutzpolizei frühzeitig in vorbildlicher Weise in die Rauschgiftbekämpfung eingebunden worden. Tatsächlich gelang es, eine Vielzahl von Dealern in Haft zu bringen, die Maßnahmen der Polizei waren damit durchaus erfolgreich, ohne jedoch die sichtbare Drogenszene, als Hauptursache der Kriminalitätswahrnehmung, wesentlich zu beeinträchtigen.

2. Polizeiliche Maßnahmen
2.1 Strategischer Ansatz

Die genannten Fakten führten zur Erstellung der Konzeption Straßenkriminalität6 vom 28.08.1997, in der die künftigen polizeilichen Ziele und Maßnahmen definiert und zwischen der Stadt sowie der Polizeidirektion Heilbronn abgestimmt wurden. Oberstes Ziel aller polizeilichen Maßnahmen war fortan nicht nur die professionelle Durchführung der Strafverfolgung sondern auch die Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung Heilbronns insbesondere durch die gezielte Verdrängung jeglicher sichtbaren Drogenszenen aus dem öffentlichen Raum.

Der strategische Ansatz (Führungsphilosophie) des Konzeptes kann im Grunde mit den folgenden Begriffen dargestellt werden:

• Konsequente Delegation von Aufgaben und Verantwortung innerhalb bestehender Organisationsstrukturen und -einheiten unter Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

• Frühzeitige und massive Brennpunktmaßnahmen mit niedriger Einschreitschwelle.

• Wo immer möglich begleitende präventive Maßnahmen an Brennpunkten unter Einbindung der Anlieger und/oder anderer Träger der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als situativ-präventiver Ansatz.

Die Aufgaben in den Bereichen Alltags- und Massenkriminalität waren nun dort zu lösen, wo sie anfielen bei den Polizeirevieren mit Unterstützung der Fachdienste und des Stabes. Der konsequente Verzicht auf besondere Aufbauorganisationen zur Lösung alltäglicher Kriminalitätsphänomene gab den Führungskräften der Basisdienststellen die Chance mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Lösungsansätze zu erarbeiten und umzusetzen. Dies geschah erstmals bei der Installation und Aufgabenbeschreibung der Fahndungs- und Ermittlungsgruppe Straßenkriminalität, als Ergebnis eines Workshop beim hauptbetroffenen Polizeirevier Heilbronn. Die Einbindung der Bediensteten in die neue Polizeistrategie hatte höchste Priorität

Als erster Schritt zur Realisation des Konzeptes wurde die oben genannte Fahndungs- und Ermittlungsgruppe Straßenkriminalität (FEG) auf Dauer beim Polizeirevier Heilbronn eingerichtet, deren Hauptaufgabe zunächst die Zerschlagung der sichtbaren Drogenszene war. Dies gelang mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei noch im Jahr 1997. Die Einsatzzeiten der FEG orientieren sich ausschließlich am Lagebild.
Nach anfänglicher Skepsis stieß das neue Konzept zunehmend auf Zustimmung. Bei einer Ende 1998 durchgeführten anonymen Mitarbeiterbefragung des Streifendienstes beim Polizeirevier Heilbronn im Rahmen eines Wahlpflichtfaches der Fachhochschule für Polizei, fühlten sich 64 % der Befragten in das Konzept eingebunden, 87 % beurteilten die Erfolgsaussichten positiv. Bei einer zweiten, ebenfalls anonymen Befragung im Oktober 1999 plädieren 92 % für die Fortsetzung des Einsatzes.

Um den erreichten Stand dauerhaft zu gewährleisten musste ein System der standardisierten Brennpunktbekämpfung installiert werden. Es ging darum jegliche neue Verfestigung der dem Kontrolldruck ausweichenden Szenen im Innenstadtbereich zu verhindern. Die Definition der Brennpunkte erfolgte seitdem wöchentlich in einer Besprechung beim Polizeirevier Heilbronn, in der die Informationen des Streifendienstes, des Bezirksdienstes, der Polizeiposten, der FEG sowie der Bereitschaftspolizei zusammengeführt wurden. Bei Bedarf wurden hierzu Vertreter der Kriminalpolizei oder anderer Organisationseinheiten eingeladen. An den definierten Brennpunkten war dann durch alle Beteiligten massiver Kontrolldruck mit niedriger Einschreitschwelle zu entfalten. Die Ergebnisse wurden wöchentlich evaluiert, in einem 14-tägigen detaillierten Lagebericht zusammengefasst und allen Beteiligten sowie der Stadt Heilbronn zur Verfügung gestellt. Diese Vernetzung polizeilicher Ressourcen innerhalb des Polizeireviers und mit benachbarten Kräften, die Möglichkeit sofortiger Reaktion sowie die damit verbundene Standardisierung und Konzentration auf das Wesentliche sind der Kern des Konzeptes.

Der Kontrolldruck an erkannten Brennpunkten ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Wo immer möglich wurden gleichzeitig präventive Maßnahmen in die Wege geleitet. Die Zusammenarbeit mit Betroffenen, Anliegern, Geschäftsleuten, Hilfsorganisationen wie der Aufbaugilde, dem Kontaktladen für Drogensüchtige und den zuständigen Sozialbehörden ist fester Bestandteil des Konzeptes. Vorbeugung wird nicht als theoretische Übung betrachtet, sondern entfaltet als situativ-präventiver Ansatz oder anders formuliert als praktische Prävention, eingebunden in die jeweilige polizeiliche Problemstellung, ihre Wirkung.

2.2 Standardisierte Brennpunktbekämpfung

Wie oben dargestellt wurden die Maßnahmen zur Bekämpfung von Brennpunkten im Stadtkreis Heilbronn standardisiert.

Die Kontrolle der festgelegten Brennpunkte war Aufgabe aller Organisationseinheiten des Reviers und besonders der unterstützenden Bereitschaftspolizei, deren Einsatz organisatorisch von der FEG Straßenkriminalität geführt wurde. Meist gelang es mit diesem System, definierte Brennpunkte in ein bis drei Wochen zu entschärfen, in Einzelfällen waren spezielle Maßnahmen erforderlich.

Ohne die Bereitschaftspolizei hätte das Brennpunkt-Konzept Sichere City im vorliegenden Umfang nicht verwirklicht werden können. Insbesondere seit Juni 1999 erfolgte hier eine erhebliche Professionalisierung durch einen langfristigen Konzeptionseinsatz, der zu weit besseren Ergebnissen als zuvor führte.

Entscheidend war weniger die Stärke der Unterstützungskräfte, sondern die Tatsache, dass es sich nun um stets gleiche Kräfte handelte, die sich bald die notwendigen Orts- und Personenkenntnisse aneigneten, denen verstärkt Sachbearbeitung übertragen werden konnte, die sich mit ihrem Einsatzgebiet identifizierten und dadurch bereit waren, lagebildorientiert Dienst zu leisten. Der Wegfall unnötiger Formalitäten bei der Anforderung verlieh dem Vorhaben zusätzlichen Schwung.
In einer anonymen Mitarbeiterbefragung im Oktober 199914 sprachen sich nach mehr als einem Jahr Einsatzdauer 92 % der befragten Beamtinnen/Beamten der Bereitschaftspolizei für die Fortsetzung ihres Einsatzes in Heilbronn aus, 79 % beurteilten die Erfolgsaussichten der Aktion positiv.

2.3 Spezielle Maßnahmen an Brennpunkten im Jahr 2001

An zwei definierten Brennpunkten führten im Jahr 2001 die Standardmaßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg, so dass Modifizierungen notwendig wurden. Besondere Beachtung verdient die Aktion „Sülmer Straße", die in den Monaten Oktober bis Dezember 2002 durchgeführt wurde. (Siehe hierzu Ziffer 2.3.2).
2.3.1 Punkerkonzept Kiliansplatz

Anfang April 2001 etablierte auf dem zentral gelegenen Kiliansplatz, eine Szene vorwiegend aus dem Landkreis stammender Punker wobei es schnell zu Beschwerden wegen Ordnungsstörungen in Form unzulässigen Lärms, Pöbeleien, aggressivem Bettelns und Urinierens an die Kilianskirche kam. Sofort eingeleitete standardisierte Brennpunktmaßnahmen zeigten nicht die erhoffte Wirkung, das Verhalten änderte sich nicht, die Gruppe vergrößerte sich sogar. Als Reaktion auf diese Entwicklung wurde mit der Stadt Heilbronn erstmals ein Verfahren für ein befristetes Aufenthaltsverbot für mehrfach auffällige Störer vereinbart. Danach wurde der Kontrolldruck stark erhöht, täglich wurde mindestens eine Kontrolle mit starken Kräften und niedriger Einschreitschwelle durchgeführt. Zwischen dem 27.04. und dem 30.09.2001 wurden die Personalien von insgesamt 153 dort angetroffenen Personen festgestellt, wovon sich ca. 30 regelmäßig dort aufhielten. 7 Punkter bildeten den absolut harten Kern. 4 befristete Aufenthaltsverbote, 11 Owi-Anzeigen, 7 Gewahrsamnahmen und 17 Strafanzeigen waren die repressive Bilanz des Einsatzes.

Neben konsequenter Repression gab es von Anfang an eine mindestens genau so wichtige präventive Komponente. Hierzu gehörte die Zusammenarbeit mit der betroffenen Kirchengemeinde, welche die polizeilichen Maßnahmen ausdrücklich begrüßte und unterstützte, dem Sozial- und Jugendamt zwecks Betreuung des betroffenen Personenkreises und dem Grünflächenamt als Eigentümer der von den Punkern zweckentfremdeten städtischen Sitzgelegenheiten.

Im Ergebnis führten die Maßnahmen zunächst zu einem etwas zivilisierteren Verhalten, später zur Abwanderung des Klientels aus der Innenstadt an einen anderen Treffpunkt.

2.3.2 Konzept Sülmer Straße

Der Bereich Sülmer Straße (Sülmer City) konnte sich in Heilbronn traditionell besonderer Aufmerksamkeit sicher sein. Aufgrund der zentralen Lage und zahlreicher Nebengassen mit besten Flucht- und Versteckmöglichkeiten bot dieser Bereich ideale Voraussetzungen für Drogen- und Sozialgeschädigtenszenen. Folgerichtig zog sich die Heilbronner Drogenszene nach den Kontrollmaßnahmen am Friedensplatz und Stadtgarten Mitte der 90er Jahre in die Sülmer City zurück und setzte sich dort zum Leidwesen der Gewerbetreibenden fest. Hinzu kamen Trinker und andere Sozialgeschädigte, die ihren Rückzugsraum im „Kirchhöfle" fanden.

So wurde die Sülmer City/Kirchhöfle im Spätjahr 1997 zum Experimentierfeld für die neu konzipierte Aktion Sichere City. Dass die Maßnahmen erfolgreich waren zeigte eine Aktion der dortigen Kaufleute vom März 1998. Die vormals gefürchteten Beschwerdeführer brachten ihren Dank für die massive Kontrolltätigkeit mit Kuchenstücken für die Beamten/innen des Reviers zum Ausdruck, auf denen jeweils das Wort „Danke" geschrieben war. Neu war, dass die Anwohner und Gewerbetreibenden in die polizeilichen Maßnahmen einbezogen und mit ihnen klare Absprachen und Verhaltensregeln vereinbart worden waren. Zwischen März 1998 bis August 2001 war die Sülmer City zwar immer wieder definierter Brennpunkt, insgesamt konnte die erreichte Situation jedoch gehalten werden.

Einen Rückschlag erhielten die Bemühungen in diesem Bereich ab Mitte August 2001. Die Drogenszene begann sich trotz massiver Kontrollen erneut häuslich einzurichten. Der polizeiliche Input in den Monaten August/September 2001 in Form von 154 Streifen, 326 Personenkontrollen und 44 Strafanzeigen (davon 17 Rauschgiftdelikte) führte nicht zum erwünschten Ergebnis in Form einer Normalisierung der Verhältnisse, so dass Anfang September weitere Maßnahmen konzipiert wurden, die jedoch infolge der Ereignisse vom 11. September in New York und deren Folgen nicht rechtzeitig umgesetzt werden konnten. Wie üblich sollten Erkenntnisse und Anliegen der Betroffenen in einer gemeinsamen Besprechung zwischen Stadt Heilbronn, Polizei und Geschäftsleuten in die Planungen einfließen. Erstmals funktionierte die Zusammenarbeit nicht. Unbekannte luden die örtliche Presse zum Abstimmungsgespräch ein, deren Berichterstattung die Zustände in den dunkelsten Farben schilderte.

Die polizeiliche Reaktion bestand zunächst in einer genauen Bestandsaufnahme der Situation. In der ersten Phase wurden alle Beschwerdeführer und Geschäftsleute des betroffenen Bereiches aufgesucht und detailliert zu ihren Beobachtungen befragt, so dass die Aussagen evaluiert und Ermittlungsansätze gewonnen werden konnten. Gleichzeitig wurden die Beamten des Sachbereichs Prävention gemeinsam mit dem Polizeirevier tätig und berieten besonders betroffene Anlieger über wirksame Präventionsmaßnahmen.

Im nächsten Schritt wurden die gesamten freien Ressourcen des Polizeireviers Heilbronn auf den Bereich Sülmer City konzentriert, andere Brennpunkte vorübergehend vernachlässigt. Die FEG Straßenkriminalität wurde personell stark aufgestockt, so dass in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit dem Rauschgiftdezernat der Kriminalpolizei wirksame verdeckte Maßnahmen zur Strafverfolgung gegen erkannte Dealer eingeleitet werden konnten. Da keine Bereitschaftspolizei zur Verfügung stand wurden die Dienstzeiten der Bezirks- und Postenbeamten angepasst und diese neben dem Streifendienst zu Präsenz- und Kontrollmaßnahmen herangezogen. Besonderer Wert wurde hierbei auf Fußstreifen und mobile Wachen gelegt. Wirksame Unterstützung leisteten die Diensthundeführer der Polizeidirektion.

Anfang Dezember erfolgte eine etwa 3-stündige razziaartige Sammelkontrolle mit hohem Kräfteansatz im Bereich der gesamten nördlichen Innenstadt (Sülmer Straße mit allen Seitengassen). Dabei waren ca. 200 Beamtinnen und Beamte im Einsatz. Erreicht werden sollte vor allem die völlige Verunsicherung der noch vorhandenen Dealer und die Verbesserung des subjekiven Sicherheitsgefühls sowie die Gewinnung neuer Ermittlungsansätze. Der Einsatzraum wurde schlagartig abgesperrt, anschließend von außen nach innen durchkämmt und alle relevanten Personen kontrolliert. Die 394 Personenkontrollen führten zu sieben Strafanzeigen und sechs vorläufigen Festnahmen. Vier Personen wurden in Gewahrsam genommen. Die ungewöhnliche Maßnahme führte zu überregionalem Medieninteresse, die Berichterstattung war fast ausschließlich positiv. Die Anwohner begrüßten die Maßnahme.

Polizeilicher Input:

Von Oktober bis Dezember wurden im Einsatzraum 387 Fuß- und 184 motorisierte Streifen sowie 81 mobile Wachen15 durchgeführt. Insgesamt wurden 2.725 Personenkontrollen vorgenommen.

Ergebnisse in Zahlen:

128 Rauschgift-, 7 sonstige Strafanzeigen, 38 Anzeigen wegen Ordnungsstörungen, 6 Aufenthaltsermittlungen. Besonders ins Gewicht fiel, dass von den 131 vorläufig Festgenommenen gegen 31 mutmaßliche Dealer Haftbefehl erlassen wurde.

Wirksamkeitsbetrachtung:

Zu Beginn der Aktion waren die nachstehenden, verkürzt dargestellten 8 Messkriterien festgelegt und die jeweiligen Erwartungen formuliert worden, um Erfolg oder Misserfolg der dreimonatigen Aktion beurteilen zu können.


 

Nach Ende der Schwerpunktaktion wurden 21 Geschäftsinhaber aus der Sülmer Straße, darunter die Beschwerdeführer vom Oktober, mittels Fragebogen zu ihren Beobachtungen befragt. Insbesondere die razziaähnliche Sammelkontrolle war wahrgenommen und überwiegend positiv bewertet worden. 76 % der Befragten gab an, in den Wochen verstärkter Präsenz eine Abnahme der Szene beobachtet zu haben. 85 % fühlten sich tagsüber sicher, nachts waren dies allerdings nur 29 %. Die formulierten Erwartungen an die Polizei waren der Wunsch nach mehr Fußstreifen, stetigen Kontrollen, Wiederholung der Razzia und Beibehaltung der hervorragenden Zusammenarbeit.
2.4 Situativ-präventiver Ansatz an Brennpunkten

Wie unter Ziffer 2 dargestellt gehört zur Brennpunktbekämpfung möglichst auch eine präventive Komponente. Die Verfahrensweisen wurden bereits dargestellt. (Siehe Ziffern 2.1 und 2.3).

Besonders erwähnt werden sollte darüber hinaus das Modellprojekt „Fahrradstreifen" der Bereitschaftspolizei, das im Rahmen der Aktion Sichere City im Sommer 2000 gestartet wurde. Nach öffentlichkeitswirksamer Präsentation überwachten die Beamten/innen mit ihren Trekkingrädern so oft es die Witterung zuließ Kriminalitäts- und Unfallbrennpunkte, Schulwege sowie Parks und Grünanlagen. An 18 Einsatztagen verbrachten sie 216 Stunden im Sattel und erzielten eine positive Resonanz in der Öffentlichkeit.



2.5 Strategische und Kommunale

Kriminalprävention

Der situativ-präventive Ansatz an Brennpunkten allein würde zu kurz greifen. Deshalb gehörten zur Aktion Sichere City auch themenbezogene und damit strategische Präventionsansätze. Zu nennen sind hier insbesondere die Themen Ladendiebstahl, Taschendiebstahl und Graffiti. Ladendiebstahl und Graffiti waren darüber hinaus Themen der kommunalen Kriminalprävention.

Der absolute Schwerpunkt lag auf der Vernetzung aller Beteiligten, um so eine Bündelung der Kräfte zu erreichen. Innerpolizeilich wurden diese Aktionen stets von den Beamten/innen des zuständigen Polizeireviers und den Spezialisten des Sachbereichs Prävention getragen. Außerpolizeilich erfolgte die Einbindung der Stadt Heilbronn und anderer geeigneter Kooperationspartner. Entscheidend war jedoch immer der Praxisbezug. Deutlich wird dieser Ansatz an der Kurzbeschreibung der nachfolgenden Aktivitäten.



Laden- und Taschendiebstahl: Aufgrund der Konzentration der Geschäfte in der Innenstadt war Ladendiebstahl ein Problem. Beim Polizeirevier Heilbronn befass-te sich deshalb ein Beamter speziell mit Ladendiebstählen und führte ein Lagebild. Im Jahr 2000 wurden hier 1.038 Delike regis-triert. Nachdem in der Vorweihnachtszeit verstärkt Laden- und Taschendiebstähle begangen werden, wurden 1999 und 2000 hauptsächlich präventive Maßnahmen in die Wege geleitet. In der Vorweihnachtszeit 2000 wurden die Geschäftsleute in der Innenstadt zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, in der die polizeilichen Maßnahmen und ihre eigenen Möglichkeiten zur Prävention dargestellt wurden. Mit 4 Infoständen versuchte man, eine Sensibilisierung der möglichen Opfer zu erreichen. Unterstützt wurde dies durch einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit in den örtlichen Medien und in den Geschäften ausgehängte Plakate. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehörte auch eine spektakuläre Aktion, bei der durch Beamte/innen kontrolliert „geklaut" wurde, um die Kunden auf Schwachstellen ihres Verhaltens aufmerksam zu machen. Verstärkte uniformierte Präsenz, insbesondere durch Fußstreifen sollte für ein sicheres Gefühl sorgen und die Maßnahmen unterstützen. Die repressive Komponente bestand in Observationen verschiedener Geschäfte, die in der Vergangenheit häufig von Taschendieben heimgesucht worden waren.

Ladendiebstahl war auch Thema der kommunalen Kriminalprävention. Im Jahr 2001 wurde durch die Stadt Heilbronn eine Befragung zum Thema Ladendiebstahl vorgenommen, deren Ergebnisse mit den polizeilichen Erkenntnissen verglichen werden konnten, um so weitergehende Präventionsansätze zu entwickeln.

Graffiti: Der Bereich Graffiti hatte innerhalb der Aktion Sichere City hohe Priorität, da diese Delikte zumindest ein diffuses Gefühl der Unordnung/Unsicherheit hervorrufen und im Einzelfall der Bildung von Brennpunkten Vorschub leisten können. Ein spezieller Sachbearbeiter beim Polizeirevier Heilbronn führte die Erkenntnisse zusammen, anlassbezogen unterstützten ihn interessierte Beamte des Streifendiens-tes bei seinen Ermittlungen. So gelang es 1998 insgesamt 15 Tatverdächtige zu ermitteln und die Szene einige Zeit zu verunsichern. Zusammen mit den oben dargestellten Themen Laden- und Taschendiebstahl wurde in der Vorweihnachtszeit 2000 auch das Thema Graffiti präventiv aufbereitet. Darüber hinaus wurde in dieser Zeit durch den Sachbearbeiter Graffiti und Beamte der Bereitschaftspolizei eine detaillierte und recherchierbare Bestandsaufnahme aller 2.500 „tags" im Stadtgebiet gefertigt und der Stadt Heilbronn zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig observierte man dabei erkannte Tatverdächtige. Im Dezember 2000 nahmen Beamte der Bereitschaftspolizei im Rahmen einer Observation vier Tatverdächtige auf frischer Tat fest.

3. Ergebnisse

3.1 Polizeiliche Kriminalstatistik und Ordnungsstörungen

Mangels geeigneter anderer Messkriterien wurde 1997 insbesondere die Entwicklung der PKS-Delikte als Kriterium für Erfolg und Misserfolg der Aktion gewählt. Insbesondere das Verhältnis der Rauschgiftdelikte zu den Delikten der Straßenkriminalität erschien wichtig. Die formulierte Grundannahme war einfach: Steigender Kontrolldruck müsse zu einer Steigerung der Rauschgiftdelikte und in der Folge zu sinkender Straßenkriminalität führen. Die Auswertung erfolgte vierteljährlich auf Ebene des Polizeireviers Heilbronn einschließlich der Unterteilung in die recherchierbaren Bereiche. Dadurch sollte die Wirkung der Präsenzmaßnahmen sowie ein möglicher Verdrängungseffekt erkannt werden. (Siehe hierzu Ziffer 2.1 sowie zugehörige Fußnoten). Trotz der bekannten Mängel der Polizeilichen Kriminalstatistik bestätigte sich der Ansatz relativ zeitnah.
Insgesamt ergaben sich im Bereich des Polizeireviers Heilbronn zwischen 1997 und 2000 folgende Tendenzen:

Die registrierten Straftaten sanken von 7.011 im Jahr 1996 um nahezu 5 % auf 6.673 Delikte im Jahr 2001. Im gleichen Zeitraum stieg die Gesamtaufklärungsquote von 54,62 % im Jahr 1996 auf 61,3 % im Jahr 2001.

Die Rauschgiftdelikte stiegen erwartungsgemäß in den Jahren 1997 und 1998 stark an (1996: 427, 1997: 615, 1998: 648). Im Laufe des Jahres 1999 war eine Reduktion in diesem Bereich feststellbar, die sich auch im Jahr 2000 (244 Delikte) fortsetzte. Gründe dafür waren die Abschottung der Szene als Reaktion auf den Kontrolldruck der Polizei. Insbesondere die Schwerpunktaktion im Bereich Sülmer Straße im IV. Quartal 2001 (siehe 2.3.2) führte wieder zu einem deutlichen Anstieg auf 434 Delikte. Die Erwartungen bei den Delikten der Straßenkriminalität wurden erfüllt. 1996 wurden 1.815 Delikte registriert, im Jahr 2001 waren es 1.212 Delikte, dies ist ein Rückgang um mehr als 33 %.

Deutlicher werden die Phasen der Aktion wenn die Entwicklungen im Bereich Straßenkriminalität mit den festgestellten Veränderungen im öffentlichen Raum verknüpft werden.


 

3.2 Subjektives Sicherheitsgefühl

Zum subjektiven Sicherheitsgefühl gab es in Heilbronn im Jahr 2001 noch keine Bevölkerungsbefragung. Verschiedene Indikatoren ließen jedoch eine deutliche Verbesserung vermuten. Die Zahl der Beschwerden war gegenüber 1996 massiv gefallen. In einer 1999 durchgeführten Mitarbeiterbefragung der Beamten/innen des Streifendienstes und der unterstützenden Bereitschaftspolizei wurden diese auch zu den Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger auf die Polizeistrategie befragt. 75 % der befragten Streifenbeamten/innen berichteten von positiven Reaktionen bezüglich der verstärkten Polizeipräsenz, bei den Bereitschaftspolizisten/innen lag die Zahl bei 92 %.

Im Rahmen der Präsentation der Fahrradgruppe der Bereitschaftspolizei wurden auf dem Kiliansplatz im Juli 2000 insgesamt 69 zufällig vorbeikommende Passanten zur Sicherheitslage und ihrem subjektiven Empfinden befragt. 55 % fühlten sich sicher, die restlichen entschieden sich zu gleichen Teilen für die Antworten „weiß nicht" oder „nein". Immerhin wussten 56 % der Befragten, dass die Straßenkriminalität in den letzten Jahren um 30 % rückläufig ist, dem gleichen Prozentsatz war auch die Aktion Sichere City bekannt. Die verstärkte Präsenz sowie die Fuß- und Fahrradstreifen fanden überwältigende Zustimmung. Die Berichterstattung in den örtlichen Medien war seit 1997 mit einer Ausnahme durchweg positiv.

4. Zusammenfassung und Ausblick

Der seit September 1997 durch die Polizeidirektion Heilbronn vor allem im Innenstadtbereich Heilbronns eingeschlagene Weg in Sachen Kriminalitätsbekämpfung hat sich bewährt und ist inzwischen gültiges Konzept für den gesamten Stadtkreis. Ein Bündel polizeilicher und behördlicher Maßnahmen, zusammengefasst unter dem Begriff „Sichere City", hat Wirkung gezeigt und bereits im Jahr 1998 zur weitgehenden Reduktion der langen Jahre im Stadtbild sichtbaren Drogen- und Sozialgeschädigtenszenen geführt. Die Delikte der Straßenkriminalität sind seither kontinuierlich gesunken und liegen inzwischen mehr als

33 % unter dem Niveau des Jahres 1996, die Beschwerdelage hat sich entspannt. Das polizeiliche Konzept unterliegt einem laufenden Verbesserungsprozess und sieht neben den bewährten Brennpunktmaßnahmen nach Möglichkeit stets eine präventive Komponente vor. Die im Frühjahr 2002 in Heilbronn erfolgte Einführung der Videoüberwachung von Kriminalitätsbrennpunkten im Bereich Sülmer City stellt eine sinnvolle Ergänzung und Weiterentwicklung des Konzeptes Sichere City dar. Entscheidend für die Wirkung der Konzeption dürfte vor allem deren Langfristigkeit und Flexibilität gewesen sein. Die definierten Grundzüge wurden konsequent beibehalten, trotzdem konnte auf Lageänderungen sofort flexibel reagiert werden, ohne erneut in zeitraubende Diskussionen eintreten zu müssen.

Weitere Erfolgsfaktoren waren der enge Schulterschluss mit der Stadt Heilbronn, der Mix aus präventiven und konsequenten repressiven Maßnahmen, die Nutzung der regulären Polizeiorganisation, der damit verbundenen Minimierung möglicher Schnittstellen sowie der verstärkten Identifikation der Beamtinnen/Beamten mit ihrer Aufgabe in ihrem Dienstbereich.
Seit 1999 ist Heilbronn laut Häufigkeitsziffer die statistisch sicherste Stadt mit über 100.000 Einwohnern in Baden-Württemberg, von einer „Drogenhochburg" ist nicht mehr die Rede.

Stand: Februar 2002