„Klimakleber“

Aspekte der polizeitaktischen Lagebewältigung

 

5 Eigensicherungsaspekte


Grundsätzlich gelten beim polizeilichen Einschreiten im Zusammenhang mit Klebeaktionen die allgemeinen Empfehlungen des Leitfadens 371 (Eigensicherung im Polizeidienst). Dies bezieht sich z.B. auf das Handeln im öffentlichen Verkehrsraum (zum Teil auf befahrenen Autobahnen) oder auf den Umgang mit dem polizeilichen Gegenüber. Ergänzend könnten PVB beim Kontakt mit Klimaklebern aber mit (unbekannten) chemischen Stoffen in Kontakt geraten. Sekundenkleber sind in der Regel 1-Kompentenkleber auf Cyanacrylat-Basis. Die Aushärtung erfolgt durch Polymerisation, d.h. durch Kontakt mit Feuchtigkeit (bzw. auch Luftfeuchtigkeit). Bei einer Blockadeaktion von LG in Kiel kam es durch Kontakt einer auslaufenden Flüssigkeit mit dem Handschuh eines eingesetzten Beamten zur Verletzung seiner Hand. Dabei handelte es sich nicht um eine Verätzung, sondern um eine Verbrennung. Das Kriminaltechnische Institut der Polizei SH18 untersuchte daraufhin verschiedene Handschuh-Typen und stellte fest, dass es beim Auftragen weniger Tropfen bei einigen Materialien innerhalb von Sekunden zu starker Erwärmung kam. Hersteller von Sekundenklebern empfehlen grundsätzlich das Tragen von Schutzhandschuhen der Sicherheitsklasse EN 37419.


Ergänzend sei jedoch darauf verwiesen, dass in der Praxis auch Mehr-Komponentenkleber (z.B. Bauschaum) zum Einsatz kommen, was die Gefährdungen für einschreitende PVB potentiell erhöhen könnte. Leider ist auch nicht auszuschließen, dass Aktivisten (auf der Suche nach dem ultimativen Super-Kleber aus dem heimischen Chemie-Baukasten) mit fragwürdigen Selbstlaboraten hantieren.

 

6 Das Verhalten der Blockierten


Im Wesentlichen dürften Klimaaktionsgruppen durch Spenden finanziert sein. Anschaulich beschreibt Baron z.B. die auf Spenden aufgebaute Finanzierungsstruktur von LG20 und Bock/Mischke stellen dar, warum derartige Spenden im Regelfall nicht als strafbewährte Beihilfehandlungen zu subsumieren sind21. Klar sein dürfte aber: Wer eine Protestformation mitfinanziert, erwartet etwas von seinem Geld – er will, dass damit medienwirksame Aktionen gestaltet werden (provokant formuliert: Geldzahlung gegen individuelles Seelenheil – gewissermaßen eine moderne Variante des Ablasshandels; „Geld geben ja, aber doch bitte nicht persönlich von den nachteiligen Folgen des Protests betroffen sein!“).


„Klimaprotest ist schon in Ordnung, irgendjemand muss das ja machen und ich bin zu faul dazu“. So drückte es ein zwangsweise wartender Pkw-Fahrer aus, als er während einer Anklebe-Aktion um ein Statement für die TV-Nachrichten gebeten wurde. Diese verständnisvolle Sichtweise ist in unserer Gesellschaft bzw. Verkehrswelt wohl eher nicht sehr verbreitet. Es fällt mithin ja auch nicht schwer, sich in die Rolle der Zwangswartenden oder der finanziell Schadennehmenden hineinzuversetzen.


Die meisten Betroffenen fügen sich missmutig in ihr Schicksal, manche nehmen ihr – vermeintliches – Recht aber auch selbst in die Hand, was im letzten Jahr vermehrt zu polizeilichen Folgemaßnahmen führen musste: LKW-Fahrer steigen aus, schlagen die Festklebenden oder zerren an ihnen, PKW fahren an die Klebenden heran und verursachen Stoßstangenkontakt, es wird beleidigt und bedroht, es gibt Ausweichmanöver über belebte Gehwege, Autofahrer weichen über angrenzende Rasenflächen aus und verursachen teils erhebliche Sachschäden. Schnell ergibt sich hier der Anfangsverdacht einer Straftat und die Polizei muss dem Legalitätsprinzip Geltung verschaffen. Ob es sich im Einzelfall um straflose Fahrlässigkeit, um rechtfertigenden Notstand, um Notwehr und Nothilfe, um die Jedermanns-Rechte aus § 127 (1) StPO usw. handelt, obliegt der späteren Beurteilung der Justiz und ist nicht vor Ort durch die Polizei zu bewerten. Sie beschränkt sich auf die Aufnahme des objektiven Tatbestandes und muss für die Zukunft wohl davon ausgehen, dass sich mit dem Variantenreichtum des Klimaprotests auch die „Gegenwehr“ der Öffentlichkeit weiterentwickeln dürfte. Fakt ist: Die Aktionsformen von LG sind mit dem – in der Öffentlichkeit weitgehend akzeptierten – Versammlungsagieren der Klimabewegung „fridays for future“ nicht annähernd vergleichbar.

 

7 Zusammenfassende Leitsätze


Die Komplexität des Themas nimmt zu. Gleichwohl soll an dieser Stelle eine zusammenfassende Darstellung in Form von 10 Kernaussagen bzw. Leitthesen nicht unversucht bleiben:

 

  1. Auch Klebeproteste sollten grundsätzlich im Lichte der Versammlungsfreiheitsrechte geprüft werden.
  2. Polizeiliches Handeln und polizeiliche Kommunikation unterliegen den Grundsätzen der Neutralität, der unparteilichen Amtsführung und dem Anspruch höchster Professionalität.
  3. Die Polizei muss sich durch Aus- und Fortbildung sowie durch logistische und ablauforganisatorische Maßnahmen auf Klebe-Aktionen vorbereiten und handlungssicher sein.
  4. Neben der beweissicheren Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist die Gefahrenabwehr die zentrale Aufgabe der Polizei. Auch wenn Aktivisten sich selbst in höchste Gefahr begeben, ändert das nichts an der Pflicht zum schnellstmöglichen Einsatz aller in Betracht kommenden polizeilich-gefahrenabwehrenden Maßnahmen.
  5. Im Hinblick auf die Beweisführung und späterer Verfahren ist eine äußerst sorgfältige Tatortaufnahme, Beweissicherung und Dokumentation unabdingbar.
  6. Klebe-Aktionen und andere spektakuläre Protestformen zielen eher nicht darauf ab, über längere Zeiträume aufrechterhalten zu werden, sondern vielmehr darauf, maximale mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Durch hohes Medieninteresse wird dieses Ansinnen der Aktivisten derzeit perfekt bedient. Zunehmende Mäßigung läge im polizeilichen Interesse.
  7. Trotz schwieriger Vorzeichen sollte die Polizei nichts unversucht lassen, um mit den Akteuren von LG oder anderen Gruppen in eine (taktische) Kommunikation einzutreten.
  8. Polizeilichen Maßnahmen – insbesondere bei den herausragenden Aktionen im Bereich des Klimaprotests – werden gefilmt und zeitnah in den sozialen Medien veröffentlicht.
  9. Die Polizeigesetze des Bundes und der Länder bieten verschiedene Möglichkeiten des präventiven Vorgehens gegen „Gefährder“. Viele dieser Maßnahmen erscheinen jedoch rechtlich und organisatorisch aufwändig und sind daher mit Bedacht einzusetzen.
  10. Die offensichtliche Entschlossenheit der LG-Angehörigen, sich in der Gesellschaft zu isolieren, ihr Mut, Teile der Öffentlichkeit massiv gegen sich aufzubringen und die Aussicht, dafür persönliche staatliche Repressionen zu erfahren, lässt erwarten, dass LG vor weiteren - möglicherweise noch größeren – Aktionen nicht zurückschrecken wird.


Bildrechte: Inselverwaltung Sylt.

 

Anmerkungen

 

  1. Frank Ritter ist Leitender Polizeidirektor und Leiter des Führungsstabes der Polizeidirektion Itzehoe in Schleswig-Holstein. Bis 2021 war er Einsatzreferent der Landespolizei SH. Seit 2003 ist er Einsatzlehre-Dozent.
  2. Personenbezeichnungen sind eingeschlechtlich formuliert und gelten für alle geschlechtlichen Diversitäten.
  3. BVerfGE 69, 315 -343-; 73; 206 -243-.
  4. „Letzte Generation“ oder „last generation“ oder „Aufstand der letzten Generation (AdLG)“.
  5. Spiegel-Online: „Klimaaktivisten demonstrieren am Sylter Flughafen - in Pinguinkostümen“, abgerufen am 25.08.2023.
  6. Gibt sich keine Versammlungsleitung zu erkennen, entfaltet dies keine Rechtsfolge; die Polizei ist dann allerdings gezwungen, sich ohne „Mittler“ direkt an die Versammlungsteilnehmenden zu wenden.
  7. Zur verfassungsunmittelbaren Gewährleistungsschranke der „Friedlichkeit“ vgl. Jarass, in: Jarass/Kment, 2022, Grundgesetz; Kommentar, 17. Auflage, Art. 8, Rn. 8; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, 2022, Versammlungsrecht; 2. Auflage, Einleitung, Rn. 55; Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, 2020, Versammlungsrecht, 5. Auflage, S. 150.
  8. Baron „Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus 2.0“ (Ziffer 4 des Artikels in dieser Ausgabe).
  9. BVerfGE 69, 315 („Brokdorf-Beschluss“ v. 14.5.1985).
  10. Zu „Eil- und Spontanversammlungen“ vgl. Kniesel, in: Kniesel/Braun/Keller, Versammlungsgesetze, 18. Auflage, § 14, Rn. 11 ff.; Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, 2020, Versammlungsrecht, 5. Auflage, S. 82.
  11. PDV 100, Ziffer 1.6.1.1.
  12. Die freigegebenen Inhalte dieser Aufzählung entstammen maßgeblich den Vorarbeiten von POR Stephan Kahler, Führer der schleswig-holsteinischen Einsatzhundertschaft „Utina 1“ sowie dem „Rahmenbefehl zum Umgang mit LG“ (VS n.f.D.) – LPA SH – 1125 – 14.16/14.39, PHK Bernd Triphahn, Planungs- und Führungsgruppe.
  13. Polizeitaktisch käme ggf. auch der Einsatz von Zivilkräften in Betracht.
  14. Es ist hierbei nicht erforderlich – und wohl auch kaum umsetzbar – alle Blockierten zu erfassen. Für die Beweisführung reichen die ersten Fahrzeugreihen aus.
  15. Bock/Mischke „Die Strafbarkeit von Mitgliedern der Letzten Generation“ (Ziffer 2 des Artikels in dieser Ausgabe).
  16. §§ 315, 315 a-c StGB
  17. Auch Eigentumsdelikte sind denkbar: So kam es im Zuge des Ende-Gelände-Sommercamps im August 2022 zu einem Einbruch in einen Hamburger Baumarkt, der u.a. dem Ziel diente, Sekundenkleber zu entwenden.
  18. Die freigegebenen Aussagen dieses Abschnitts beruhen im Wesentlichen auf den Empfehlungen des Arbeitsschutzes und der Arbeitsmedizin beim Landespolizeiamt SH – Geschäftsstelle Arbeitsschutz, LPA 331, Dr. Wegner, Jürgens, Tschöke, Ihle.
  19. Einmal-Nitril-Chemikalien-Schutzhandschuhe der Kategorie III, EN ISO 374-1/Typ A EN ISO 374-5 und DIN EN 388 A2.
  20. Baron - in dieser Ausgabe, Ziffer 4.
  21. Bock/Mischke in dieser Ausgabe, Ziffern 2 und 3.

 

Seite: << zurück123