Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist

 

II Prozessuales Strafrecht


§ 100k StPO – Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten; hier: Verpflichtung eines Fahrzeugherstellers zur Auskunft über GPS-Daten. Dem flüchtigen Angeklagten werden diverse Straftaten vorgeworfen. Er soll engen Kontakt zu einem B haben, der seine Flucht weiterhin zu unterstützen scheint. Dabei soll B einen Pkw Mercedes Benz nutzen. Das Fahrzeug sendet unter anderem GPS-Positionsdaten an einen Server. Das Fahrzeug ist nämlich mit dem „Mercedes-me-connect“-Dienst verbunden, der seitens des Herstellers zunächst kostenfrei und anschließend, jedenfalls hinsichtlich eines Teils der Leistungen, gegen die Zahlung einer regelmäßigen Gebühr überlassen wird. Im Rahmen dieses Dienstes werden über eine festverbaute SIM-Karte eine Fülle von Daten an einen Server übermittelt. Damit werden vielfältige Funktionen eines „Multi-Media-Systems“ ermöglicht, wie etwa die Übermittlung von aktuellem Fahrzeugstandort, Kilometerstand, Reifendruck oder Kraftstoffstand an den Server, aber auch an ein vom Nutzer bezeichnetes Handy; auf diesem Weg kann der Berechtigte sein Fahrzeug orten, ein Notrufsystem kommuniziert nach einem Unfall automatisch mit einem Rettungsteam und übermittelt Standortdaten, es wird die Türfernschließung und -entriegelung ermöglicht, die Standheizung kann per Handy geregelt werden, es werden Live Traffic Informationen an den Fahrer übermittelt und dazu über den Server auch eine „Car-to-Car Communication“ betrieben, bei der die Fahrzeuge untereinander Daten zum Verkehrsfluss austauschen. Auch Details wie das, ob der Beifahrerplatz belegt ist, sollen an den Server mitgeteilt werden.


Die Ermittlungsbehörden nehmen darüber hinaus an, dass auch dann, wenn der Fahrzeugeigentümer eine Teilnahme am „Mercedes-me-connect“-Dienst ablehnt, zwar bestimmte Dienste nicht angeboten, gleichwohl aber eine Fülle von, den Ermittlungsbehörden im Einzelnen nicht bekannten, Daten zwischen Server und Fahrzeug ausgetauscht werden.


Aufgrund von § 100k StPO kommt es unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht, dass der Ermittlungsrichter einen Fahrzeughersteller verpflichtet, über in Echtzeit anfallende, ihm (hier im Rahmen des „Mercedes-me-connect“-Dienstes) auf einem Server zugängliche GPS-Standortdaten eines Kraftfahrzeugs Auskunft zu erteilen. (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 20.7.2021 − 3 Ws 369/21)


§§ 102 ff. StPO – Durchsuchung; hier: Durchsuchung einer Anwaltskanzlei. Gegen einen Rechtsanwalt bestand der Tatvorwurf, dass er Kenntnis von der Entscheidung einer GmbH zur Vorbereitung und Abgabe eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots an die Aktionäre gehabt hätte und diese Informationen habe er auch weitergegeben. Diese Handlung sei nicht unbedeutend, insbesondere, wenn damit Gewinne in Höhe von 15.000 Euro erzielt würden. Zudem handele es sich dabei um eine Tat, die im engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt stehe. Auf Beschluss hin erfolgte die Durchsuchung der Wohnräume und der Geschäftsräume des Beschuldigten.


Bei Durchsuchungen ist der Begriff der Wohnung weit auszulegen. Hierunter fallen auch nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume, wie ein persönliches Büro nebst angeschlossenem Sekretariat. Die Vorschrift über eine Durchsuchung bei Beschuldigten bleibt anwendbar, wenn weitere Personen lediglich Mitinhaber der tatsächlichen Herrschaft über die Räumlichkeiten sind. Wenn die Räumlichkeiten hingegen allein einer unbeteiligten Person zuzuordnen sind, ist § 103 StPO maßgeblich. Auch Archivräume einer Kanzlei sind Geschäftsräume der Kanzleipartner, da diese an den Räumen Mitgewahrsam haben.


Für die Anordnung der Durchsuchung bei unverdächtigen Dritten genügt es nicht, den § 103 StPO zu zitieren, insbesondere, wenn nicht klar wird, gegen wen sich die Durchsuchung richten soll und ob die Voraussetzungen hierfür vorlagen und geprüft wurden.


Zudem muss bei Rechtsanwälten eine besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erkennbar sein. (LG Stuttgart, Beschl. v. 4.11.2021 – 6 Qs 9/21 und 10/21)


§§ 102, 105 StPO – Durchsuchung beim Beschuldigten; hier: Durchsuchung bei Abrechnungsbetrug. Wird im Fortgang des Ermittlungsverfahrens der Anfangsverdacht, der den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses begründet hatte, wieder beseitigt, so ist die Fortführung der Durchsuchung in Form der Durchsicht der aufgefundenen Unterlagen rechtswidrig. (LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 27.5.2022 – 12 Qs 24/22)

 

III Sonstiges


Einen lesenswerten Beitrag „Grenzen der Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien gemäß § 110 StPO und Rechtsfolgen von Verstößen“ von Cordes/Reichling finden Sie in der NStZ 2022, 712-718.


Bildrechte: Kay Herschelmann.

 

Seite: << zurück12