Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist


Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden

 

I Materielles Strafrecht


§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen; § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB – Volksverhetzung; hier: Strafbarkeit des Hochladens von fremdenfeindliche und nationalsozialistische Symbole verherrlichenden Bildern in einer WhatsApp-Gruppe; Verbreiten von Bildern. Der A postete in einer zu diesem Zeitpunkt aus jedenfalls 60 Personen bestehenden WhatsApp-Gruppe namens „B. H.“ ein Farbbild, das einen weißen Mann zeigt, der auf einem blauen Fahrrad fahrend ein dunkelhäutiges Kleinkind verfolgt. Dabei hält er in der rechten Hand eine Schusswaffe, mit der er auf das Kind zielt. Über dem Foto befindet sich der Schriftzug: „wenn beim Grillen die Kohle abhaut.“ Eine Zeit später postete A drei Bilder. Eines trug beispielsweise die Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ und zeigt A in Hakenkreuz-Uniform mit einer Sonnenbrille, wobei unten rechts der Slogan „Reich-Ban, Genuine Since 1933“ abgebildet ist.


Das Hochladen eines Bildes, das einen fremdenfeindlichen und dunkelhäutige Menschen herabwürdigenden Charakter aufweist, in einer WhatsApp-Gruppe, deren 60 Mitglieder rechte und ausländerfeindliche Tendenzen aufweisen, erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, denn angesichts der massenhaften, über den Instant-Messaging-Dienst vorgenommenen Weiterverbreitung dort ausgetauschter Bild-Dateien ist mit einer Weiterverbreitung des Bildes an eine unbekannte Vielzahl von Personen und damit mit einer Störung des öffentlichen Friedens zu rechnen. Vor diesem Hintergrund stellt auch das Hochladen von nationalsozialistische Symbole verherrlichenden Bildern in einer derartigen WhatsApp-Gruppe ein Verbreiten im Sinne von § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. (OLG Celle, Beschl. v. 11.10.2022 – 2 Ss 127/22)


§ 231 StGB – Beteiligung an einer Schlägerei; hier: Ursächlicher Zusammenhang zwischen Schlägerei und schwerer Folge. Der Asylbewerber A bewahrte in seinem Zimmer Marihuana auf. Zwei Nebenkläger begaben sich in die Unterkunft, um das Marihuana des A an sich zu bringen. Sie schlugen ihm mit einem harten Gegenstand auf den Kopf, nahmen das Marihuana an sich und flüchteten. In der Folge kam es unter Einsatz von Baseballschläger und Messer zu wechselseitigen Verletzungen bis hin zu Brüchen und schwersten Kopfverletzungen.


Eine Schlägerei ist eine mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirken. Ein beiderseits handgreiflich geführter Streit zwischen zwei Personen wird zu einer Schlägerei, wenn ein Dritter hinzukommt und gegen eine der beiden Personen körperlich aktiv wird. Der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung brauchen nicht vom Vorsatz oder der Fahrlässigkeit eines der Beteiligten umfasst und nicht durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden zu sein. Erforderlich ist insoweit lediglich ein ursächlicher Zusammenhang im strafrechtlichen Sinn zwischen dem Gesamtvorgang der Schlägerei oder des Angriffs und der schweren Folge; auf eine Ursächlichkeit der einzelnen Tatbeiträge der Beteiligten kommt es nicht an. (BGH, Beschl. v. 20.1.2022 – 4 StR 430/21)


§ 315d StGB – Verbotene Kraftfahrzeugrennen; hier: Kurze Renndistanz. Der A und der gesondert verfolgte E-W trafen die Abrede, die „Beschleunigungspotentiale ihrer hoch motorisierten Fahrzeuge“ zu messen. Nebeneinanderstehend hätten sie nach dem Einspringen grünen Ampellichts „zeitgleich unter starken Motorengeräuschen und mit quietschenden Reifen“ stark beschleunigt. Der A habe bereits nach kurzer Fahrstrecke (50 m) eine Geschwindigkeit von zumindest 58 km/h erreicht. Hiernach habe E-W noch weiter beschleunigt, der A aber habe das Kräftemessen „angesichts der mit Blaulicht und Martinshorn nachfolgenden Funkwagen“ abgebrochen.


Für das Vorliegen eines Kraftfahrzeugrennens bedeutet es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten. Gerade die Ermittlung und der Abgleich der für Fahrer hochmotorisierter Fahrzeuge oft wichtigen Beschleunigungspotentiale erfordern keine langen Wegstrecken, weshalb auch eine mit 50 Meter recht kurze Renndistanz einer Würdigung des Geschehens als Kraftfahrzeugrennen nicht entgegensteht. (KG Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 − 3 Ss 16/22)


§ 316a StGB – Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer; hier: Empfundene Zwangswirkung des Tatopfers durch vermeintlich entstehende Rechtspflicht. Die Angeklagten fuhren – als Fahrer und Beifahrerin eines Pkw – auf den von der Geschädigten G gesteuerten Pkw auf, um sie gemäß ihrem gemeinsamen Tatplan zum Anhalten ihres Fahrzeugs zu veranlassen und anschließend zu berauben. Die G erkannte die deliktische Absicht nicht, sondern hielt die Kollision für einen zufällig geschehenen Unfall und sich infolgedessen für verpflichtet anzuhalten. Nachdem sie deshalb aus ihrem Fahrzeug ausgestiegen war, schüchterten die Angeklagten sie durch Zeigen einer mitgeführten Waffe ein und nahmen ihr unter anderem ihr Mobiltelefon und ihr Fahrzeug ab.


Voraussetzung einer Straftat nach § 316a Abs. 1 StGB durch Verüben eines Angriffs auf die Entschlossenheit des Führens eines Kraftfahrzeugs ist, dass der Täter in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum bzw. Vermögen des Opfers richtet. Das Inszenieren eines Auffahrunfalls mit dem Ziel, den Unfallgegner zum Halten zu bringen um ihn anschließend zu berauben, stellt einen Angriff auf dessen Entschlussfreiheit dar. Eine solche Tathandlung erschöpft sich – obschon ihr auch ein täuschendes Element innewohnte – nicht in einer List, welche für sich genommen für einen Angriff auf die Entschlussfreiheit nicht genügen würde, sondern entfaltete eine nötigungsgleiche Wirkung. Sie folgt aus der Annahme, der sanktionsbewehrten Rechtspflicht unterworfen zu sein, am Unfallort zu bleiben und Feststellungen zur Person zu ermöglichen. (BGH, Beschl. v. 7.7.2022 – 4 StR 508/21)


§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – Straftaten; hier: Erläuterungen zum „Besitz“ von Betäubungsmitteln.  „Besitzen“ im Sinne des BtMG setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten. Besitzer im betäubungsrechtlichen Sinne ist dabei nicht nur ein Eigenbesitzer. Auch ein Fremdbesitzer, der die tatsächliche Verfügungsgewalt für einen anderen ausübt und keine eigene Verfügungsgewalt in Anspruch nehmen will, besitzt die Betäubungsmittel. Eine Angeklagte, die weiß und es billigt, dass ihr Lebensgefährte größere Mengen Marihuana und Kokain in ihrer Wohnung zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig hält, und diese Nutzung für einen gewissen Zeitraum billigt, besitzt nicht ohne weiteres die in ihrer Wohnung gelagerten Betäubungsmittel. Es bedarf Feststellungen dazu, dass die Angeklagte mit Besitzwillen das Lagern der Betäubungsmittel in ihrer Wohnung geduldet hat. (BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 1 StR 75/22)

 

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