Recht und Justiz

„London calling – Pro-Palästina-Demonstrationen“

Über die Abgrenzung geschützter Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit von strafbarer Sympathie für Terrorismus


Darüber hinaus gewinnt der neue Tatbestand des § 130 Abs. 5 StGB26, die sog. völkerrechtsbezogene Volksverhetzung, im Hinblick auf Äußerungen, durch welche der Angriff der Hamas geleugnet oder verharmlost wird, eine Relevanz. Denn § 140 Nr. 2 StGB erfasst nur das Billigen von Straftaten, sodass ein bloßes Leugnen oder Verharmlosen bislang nicht strafbewehrt war. Auch das bereits nach § 140 Nr. 2 StGB strafbare Billigen des Angriffs der Hamas auf Israel verwirklicht daneben regelmäßig den § 130 Abs. 5 StGB, weshalb dies etwa auch für die Parole "From the River to the Sea - Palestine will be free" gilt.


Aktuell hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 17. Oktober 202327 eine Revision der Angeklagten als unbegründet verworfen, welche im Rahmen einer Kundgebung mehrmals laut und rhythmisch die Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“ skandierten. Der BGH bestätigte dabei die Rechtsauffassung der Vorinstanz, dass der Ausruf gegenüber Mitbürgern jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik Deutschland zum Hass aufstacheln sollte.

2.3 § 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen

Sofern es bei pro-palästinensischen Versammlungen zum Zeigen von Fahnen und Bannern von als terroristisch eingestuften Vereinigungen kommt, kann dies eine Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB begründen. Auch § 86a StGB schützt den demokratischen Rechtsstaat und den öffentlichen (politischen) Frieden.28 Das Zeigen der Flagge und des Wappens des 1988 ausgerufenen, aber seitens der Bundesrepublik Deutschland und zahlreicher anderer „westlicher“ Nationen nicht anerkannten Staates Palästina begründet hingegen keine Strafbarkeit. Etwas Anderes gilt jedoch für die Flagge der Hamas, eine Kalligrafie der Schahâda vor grünem Hintergrund, und für das Emblem der Hamas, bestehend aus zwei gekreuzten Schwertern, des von der Nationalflagge Palästinas umrahmten Felsendoms und einer Karte des historischen Mandatsgebietes von Britisch-Palästina, einschließlich des Gazastreifens, des heutigen Staates Israel und des von Israel besetzten Westjordanlands. Denn bei der Hamas handelt es sich um eine in der Durchführungsverordnung der Europäischen Union vom 8. Februar 202129 aufgeführte Vereinigung und somit um eine terroristische Organisation gem. § 86 Abs. 2 StGB. Gleiches gilt für Symboliken der militärischen Unterorganisation „Hamas-Izz al-Din al-Quassem“.


Auch das Zeigen von Kennzeichen des Hisbollah Military Wing oder der Hisbollah-Mudschaheddin unterfällt dem Tatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB, da diese Teilorganisationen der Hisbollah von der Liste der bezeichneten EU-Durchführungsverordnung vom 8. Februar 2021 umfasst sind.


Soweit es die islamistisch-schiitische Partei der Hisbollah selbst betrifft, so ist diese zwar nicht in der Liste der EU-Durchführungsverordnung aufgelistet und daher nicht vom Tatbestand des § 86 Abs. 2 StGB umfasst. Die Verwendung der Flagge, bestehend aus dem grünen Logo der Organisation auf gelbem Hintergrund mit Text ober- und unterhalb des Logos in Rot oder Grün, welches einen erhobenen Arm zeigt, der ein AK-47 Sturmgewehr greift, unterfällt jedoch dem Tatbestand des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Gleiches gilt für das Symbol der „Imam al-Mahdi Scouts“, eine 1985 gegründete Jugendbewegung der Hisbollah. Die Vereinigung Hisbollah ist mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 26. März 202030 verboten worden, da die Tätigkeit der Vereinigung Strafgesetzen zuwiderläuft und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet (§ 3 VereinsG). Mit Bekanntmachung vom 28. August 202031 ist die Verbotsverfügung unanfechtbar geworden.

 

2.4 Zuwiderhandlungen gegen Verbote gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG

§ 20 VereinsG stellt einen Auffangtatbestand dar und ist bezüglich § 86a StGB subsidiär. Daher besitzt die Strafnorm nur einen verhältnismäßig geringen Anwendungsbereich. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 86a StGB ist jedoch ein unanfechtbar gewordenes Verbot der Vereinigung, während § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG lediglich eine „Vollziehbarkeit“ erfordert. Ein weiteres Tatbestandsmerkmal des § 86a StGB bildet der Umstand, dass die Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt oder sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Von § 86a StGB nicht erfasst ist also ein Verbot, welches allein deswegen ausgesprochen wurde, weil die Vereinigung von ihrem Zweck oder ihrer Tätigkeit her darauf gerichtet ist, den Strafgesetzen zuwiderzulaufen. Einen originären Anwendungsbereich besitzt § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG darüber hinaus auch bei Tätigkeiten im Zusammenhang mit einem Ausländerverein, der (lediglich) aus den in § 14 Abs. 2 VereinsG genannten Gründen und nicht (auch) nach § 3 VereinsG verboten wurde.32


Die Vereinigung „Hamas“ ist mit Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 202333 verboten worden, sodass eine Strafbarkeit nunmehr auch gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG bis zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit in Betracht kommt. Sofern die Unanfechtbarkeit durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger festgestellt worden ist, kommt eine Anwendbarkeit von § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG im Hinblick auf das Verwenden von Kennzeichen der Hamas nicht mehr in Betracht. Gleiches gilt bereits jetzt für Kennzeichen der Hisbollah, da diese seit dem 28. August 2020 unanfechtbar verboten ist. Im Rahmen der Hamas-Verbotsverfügung vom 2. November 2023 wird dabei die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ (auf Deutsch oder in anderen Sprachen) ausdrücklich als Kennzeichen der Hamas und vom Verwendungsverbot umfasst erklärt. Somit begründet das Verwenden derartiger Parolen, insbesondere der bereits im Rahmen der Ausführungen zu §§ 130, 140 StGB genannten Parole „From the River to the Sea“, stets einen Anfangsverdacht für eine Zuwiderhandlung gegen Verbote gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG, und zwar unabhängig davon, ob im Einzelfall ein konkreter Zusammenhang zwischen der geäußerten Parole und Straftaten der Hamas zum Nachteil Israels herzustellen ist.