Recht und Justiz

„London calling – Pro-Palästina-Demonstrationen“

Über die Abgrenzung geschützter Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit von strafbarer Sympathie für Terrorismus


Von Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa und Staatsanwalt Christian Alexander Schiller, Schleswig/Flensburg1

 

1 Einleitung

 

Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf den Staat Israel vom 7. Oktober 2023 ist es weltweit zu einer Vielzahl von Kundgebungen gekommen, deren Teilnehmer grundsätzlich für eine der Seiten Partei ergreifen. So haben etwa in London regelmäßig weit über 100.000 Menschen an „pro-palästinensischen“ Versammlungen teilgenommen, bei welchen es zu mehreren massiven Ausschreitungen gekommen ist. In der Bundesrepublik Deutschland sind ebenfalls vergleichbare Versammlungen erfolgt, deren Teilnehmerzahl aber bisher weit hinter den genannten zurückblieb. Doch auch bei diesen sind Polizeibeamte verletzt worden. Als räumlicher Schwerpunkt dieser Entwicklung ist sicherlich Berlin zu nennen, wobei sich jedoch auch in anderen Großstädten ein vergleichbares Lagebild ergeben hat.

Die bei solchen Versammlungen eingesetzten Polizeibeamten haben die komplexe Aufgabe, einerseits die Durchführung einer friedlichen Versammlung, welche den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG genießt, zu garantieren, andererseits Straftaten zu verhindern bzw. die Täter zu identifizieren und ggf. festzunehmen. Die größte Schwierigkeit bildet dabei sicherlich die potentielle Strafbarkeit von Äußerungen und Plakaten zu erkennen. Denn anders als offensichtliche Tatgeschehen, wie etwa Widerstandshandlungen oder Sachbeschädigungen, sind diese oftmals subtiler und es kann ein gewisses Hintergrundwissen erforderlich sein, um deren Bedeutung überhaupt richtig einzuordnen. Ferner können auch gewisse Codierungen und die Verwendung von Symbolen den wahren Inhalt von Äußerungen verschleiern. Dieser Beitrag soll daher anhand eines Beispielfalls mögliche Konstellationen aufzeigen, mit welchen eingesetzte Polizeibeamte bei derartigen Versammlungen konfrontiert werden könnten. Ferner erfolgt eine rechtliche Einordnung bezüglich etwaig erfüllter Straftatbestände. Hierbei können aufgrund des begrenzten Rahmens keinesfalls alle potentiellen Varianten besprochen werden. Vielmehr möchten die Autoren, dem geneigten Leser eine Kenntnis der rechtlichen Materie vermitteln, die es ihm erlaubt, die potentielle Strafbarkeit auch anderer Äußerungen im Rahmen eines hektischen Versammlungsgeschehens einschätzen zu können. Hierbei ist anzumerken, dass es aufgrund der Aktualität der Ereignisse noch an rechtskräftigen obergerichtlichen und höchstrichterlichen strafgerichtlichen Urteilen fehlt. Jedoch haben sich zahlreiche verwaltungsgerichtliche Entscheidungen inzident mit diesem Thema bei der Prüfung von Versammlungsverboten beschäftigt. Die Inhalte und Wertungen dieser Judikate sind dabei vollumfänglich in den folgenden Ausführungen berücksichtigt worden.

 

 

2 Sachverhalt und rechtliche Würdigung


Eine Versammlung mit dem Thema „Ein freies Palästina“ ist in einer deutschen Großstadt bei der zuständigen Behörde angemeldet und von dieser nicht verboten worden. Auf der Versammlung werden zahlreiche Flaggen des „Staates Palästina“ mitgeführt, aber auch Flaggen der Hisbollah und Hamas. Ferner werden Plakate mit der Aufschrift „From the River to the Sea“ und „Bombardiert Tel Aviv“ gezeigt. Einige Teilnehmer skandieren auch: „Wer Palästina liebt, ist Antisemit“ sowie „Israel Kindermörder“, „Israel bringt Kinder um“ und „Tod und Hass den Zionisten“. Vereinzelt werden im Rahmen des Demonstrationsgeschehens israelische Flaggen von Teilnehmern zerrissen oder verbrannt.


Im Folgenden soll auf die in Betracht kommenden Straftatbestände eingegangen werden.

2.1 § 140 StGB – Belohnung und Billigung von Straftaten

Die Vorschrift schützt den öffentlichen Frieden, es soll die Entstehung eines „psychischen Klimas verhindert werden, in dem gleichartige Untaten gedeihen können“2. Gemäß § 140 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, bestimmte schwere Straftaten öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts billigt. Bei Äußerungen und Inhalten in Bezug auf pro-palästinensische Veranstaltungen kommt regelmäßig die Prüfung einer Billigung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB), des Mordes, Totschlages, Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (jeweils § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB), der gefährlichen Körperverletzung (§ 126 Abs. 1 Nr. 4 StGB) sowie Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§ 126 Abs. 1 Nr. 5 StGB) in Betracht. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Straftat bereits begangen worden ist. Eine generelle Billigung von Straftaten oder von bestimmten Deliktsgruppen erfüllt den Tatbestand jedoch nicht. Es reicht aus, wenn bestimmte Einzeltaten erkennbar mit einer Sammelbezeichnung zusammengefasst werden. Selbst verjährte Taten können in strafbarer Weise gebilligt werden.3


Eine der genannten Straftaten billigt dabei derjenige, der die Tat gutheißt. Auch schlüssige Erklärungen reichen hierfür aus. Der Täter muss seine Zustimmung dazu kundtun, dass eine konkrete Tat begangen worden ist oder begangen werden soll und er sich moralisch hinter den oder die Täter stellt. Die Billigung muss deutlich erkennbar sein, wobei eine Äußerung durch schlüssiges Verhalten ausreicht. Dabei kommt es auf den Horizont des Erklärungsempfängers mit einem normalen Durchschnittsempfinden an.4 Ein Billigen kann auch dann vorliegen, wenn das Gutheißen der Taten nicht allein durch wörtliche Äußerungen, sondern durch Symboliken oder Bilder geschieht.5 Die Erklärung, eine begangene Tat sei rechtmäßig gewesen, reicht für § 140 StGB nur dann aus, wenn sich hieraus eine Missachtung des Normgebots ergibt, zum Beispiel durch abwegige Behauptung von Rechtfertigungsgründen.6 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Billigen i.S.v. § 140 Nr. 2 StGB nicht jede pro-palästinensische Äußerung umfasst, sondern etwa dann nicht, wenn die Äußerung eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen der Bezugstat erkennen lässt.7 Es ist daher straflos und von den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 gedeckt, sofern allgemeine Solidaritätsbekundungen gegenüber Palästinensern geäußert werden.


Ein strafbares Gutheißen der Angriffe der Hamas auf Israel und seine Bürgerinnen und Bürger kommt im oben dargestellten Sachverhalt bereits durch die Parole der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) „From the River to the Sea – Palestine will be free“ 8 in Betracht. Dabei spielt es für die Strafbarkeit keine Rolle, dass die Parole bereits seit den 1960er-Jahren verwendet wurde. Denn die Äußerung wird hier gezielt im Kontext mit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 gebracht, indem darauf abgezielt wird, dass Palästina vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer reiche und daher das Staatsgebiet Israels eigentlich den Palästinensern zustehe. Aus diesem Grund reicht es für die Begründung einer Strafbarkeit bereits aus, wenn im Zuge einer Versammlung lediglich die ersten Worte „From the River to the Sea“ der Parole bekundet werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für Äußerungen dahingehend, dass der „bewaffnete Widerstand in Palästina“ das Recht habe, sich gegen die „jahrzehntelange Gewalt und die Kriegsverbrechen der zionistischen Besatzungsmacht“ zu wehren und die „Hamas Teil des Widerstandes in Palästina“ sei.9 Derartige Äußerungen stehen in einem direkten Zusammenhang mit dem Angriff der Hamas gegen Israel und bringen zum Ausdruck, dass die äußernde Person die Taten gutheißt. Können solche Äußerungen aufgrund eines anderen Kontexts jedoch nicht mehr in Zusammenhang mit konkreten Taten der Hamas gebracht werden, ist der erforderliche Bezug zwischen der bezeichneten Parole und einem Billigen von Straftaten nur schwer nachzuweisen.10

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