Recht und Justiz

„London calling – Pro-Palästina-Demonstrationen“

Über die Abgrenzung geschützter Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit von strafbarer Sympathie für Terrorismus



Teilweise wird angezweifelt11, ob eine Billigung von Straftaten, die im Ausland begangen worden sind, i.S.d. § 140 Nr. 2 StGB tatbestandsmäßig sein kann. In diesem Falle wären Äußerungen im Hinblick auf den Angriff der Hamas nicht vom Schutzbereich des § 140 StGB erfasst. Der Bundesgerichtshof hat hierzu jedoch in einem Fall, in welchem es um das Gutheißen der Tötung von Gefangenen durch den „Islamischen Staat“ ging, ausgeführt, dass taugliches Objekt der Billigung auch eine nicht dem Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts unterfallende Auslandskatalogtat ist, wenn sie zur Störung des inländischen öffentlichen Friedens geeignet ist. Die Verherrlichung von Auslandstaten kann in gleicher Weise wie die von Inlandstaten auch in der Bundesrepublik Deutschland die allgemeine Bereitschaft zur Begehung ähnlicher Delikte fördern und das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Sicherheit erschüttern.12 Darüber hinaus hat zuletzt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg im Hinblick auf die Verwendung des sog. „Z“-Symbols im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entschieden, dass die Reichweite des von § 140 StGB gewährten Schutzes nur in Abhängigkeit davon bestimmt werden kann, welches Rechtsgut durch die jeweilige Katalogvortat betroffen ist. Soweit die Schutzgüter der Katalogtaten eine kollektive und internationale Dimension besitzen, kann es nicht darauf ankommen, dass die nachteiligen Wirkungen der Billigung der Tat gerade im Inland eintreten müssen. Denn die Eigenart dieser Delikte und ihre gesetzgeberische Ratio besteht gerade darin, dass ihre Begehung die Menschheit als Ganzes betrifft. Im Falle der Billigung von Auslandstaten gem. § 13 VStGB kann es nicht darauf ankommen, ob hierdurch die Gefahr von Nachahmungstaten gerade im Inland erhöht wird. Vielmehr ist entscheidend, ob diese (regional unabhängig) zur Schaffung eines Klimas beitragen können, in dem das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta zunehmend als „leere Hülse“ erscheint, weshalb Führungspersonen beliebiger Staaten – einschließlich des Täters der gebilligten Vortat – ermutigt werden könnten, von Angriffskriegen als einem vermeintlich probaten Mittel zur Durchsetzung der eigenen nationalen Interessen in Zukunft häufiger Gebrauch zu machen.13 Der Angriff der Hamas auf Israel hat zweifellos Folgen internationaler Dimensionen. Dies kann jedoch im Hinblick auf das beschriebene Problem der Erfüllung des Tatbestandes § 140 Nr. 2 StGB dahinstehen, da diese Taten auch zu einer Störung des inländischen öffentlichen Friedens führen. Denn durch das Billigen der Taten wird die allgemeine Bereitschaft zur Begehung von ähnlichen Delikten zum Nachteil der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden jüdischen Bevölkerung gefördert, wodurch das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Sicherheit erschüttert wird.

2.2 § 130 StGB – Volksverhetzung

Auch der Tatbestand der Volksverhetzung dient dem Schutz des öffentlichen Friedens und der Menschenwürde.14 Sofern es um Äußerungen im Rahmen einer Versammlung geht, kommt eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB in Betracht. Der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen bestimmte Gruppen, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Darüber hinaus unterfällt nach § 130 Abs. 2 StGB auch das Verbreiten oder öffentliche Zugänglichmachen von Inhalten dem Tatbestand der Volksverhetzung, wobei hier keine konkrete Eignung zur öffentlichen Friedensstörung vorausgesetzt wird.


Sowohl bezüglich einer potentiellen Strafbarkeit i.S.d. § 130 StGB als auch i.S.d. § 140 StGB ist jedoch hinsichtlich der potentiell den Tatbestand erfüllenden Äußerung auch stets das Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen. Dieses gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die bezeichneten Strafnormen zählen. Bei deren Auslegung fällt jedoch ins Gewicht, dass die Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung ist.15 Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden.16 Bei Demonstrationen kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Äußerungen, welche von einer Vielzahl von Teilnehmern, ggf. sogar in einer Art Chor, geäußert werden, nicht spontan geschehen, sondern eine Vorbereitung und Auseinandersetzung bezüglich der Inhalte stattgefunden hat. Bei Plakaten ergibt sich dies bereits aus der Natur der Sache.


Eine Volksverhetzung i.S.d. § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist bei pro-palästinensischen Versammlungen dann gegeben, wenn sich die Äußerung allgemein gegen Jüdinnen und Juden und damit auch gegen die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden richtet, wobei diese in der Äußerung beschimpft werden oder gegen sie zum Hass oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert wird. Unter Aufstacheln zum Hass ist ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken.17 Das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen setzt ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel voraus, in ihnen den Entschluss zu bestimmten Handlungen hervorzurufen.18 So kann die Parole „Juden raus“ je nach Würdigung des Sinngehalts im Einzelfall über eine bloße Aufforderung hinausgehen und tatbestandsmäßig sein19. Wird die Äußerung in Bezug auf den jüngsten Terrorangriff der Hamas gesetzt, ist im Regelfall von einem solchen Sinngehalt auszugehen, da dann auf eine gewaltsame Vertreibung von Jüdinnen und Juden abgestellt wird.


Im Zuge durchgeführter pro-palästinensischer Versammlungen kam es u.a. zu Ausrufen wie „Israel Kindermörder“, „Juden Kindermörder“ und „Israel bringt Kinder um“, welche eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB begründen.20 Auch die Parole „Tod den Juden“ stellt dabei ohne Zweifel eine Volksverhetzung gem. § 130 StGB dar.21 Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat noch mit Beschluss vom 5. Juni 202122 ausgeführt, dass ein Banner auf einer Versammlung mit der Parole „Kindermörder Israel“ keine Strafbarkeit einer Volksverhetzung begründen könne, da seitens der Versammlungsbehörde nicht dargelegt worden sei, dass das Banner mit dieser Aufschrift über eine scharfe, aber noch von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckte Kritik am Verhalten des Staates Israel in der jüngsten Auseinandersetzung in Nahost hinausgehe und im konkreten Zusammenhang im Rahmen einer Demonstration am 15. Mai 2021 mit dieser Äußerung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Bevölkerungsteile aufgefordert oder deren Menschenwürde angegriffen worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim gibt diese Auffassung nunmehr im aktuellen Kontext des Angriffs vom 7. Oktober 2023 ausdrücklich auf.23 Auch wenn sich derartige Äußerungen zunächst äußerlich „nur“ auf den Staat Israel beziehen, kann der Aussagegehalt bei Ermittlung des objektiven und auch durch den Äußernden zugedachten Sinngehalts den Eindruck erwecken, dass es sich um eine speziell gegen die jüdische Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Aussage handelt, mittels welcher der Eindruck einer Bedrohung durch diese erweckt wird und erweckt werden soll.24 So stellt beispielsweise die Bezeichnung „Zionist“ im Sprachgebrauch des Antisemitismus ein Codewort für Juden dar, sodass auch der Ausruf „Tod und Hass den Zionisten“ eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB begründet.25