Kriminalitätsbekämpfung

Grenzsituationen der Kriminalitätsbekämpfung und ein besonderes Jubiläum

Von LKD a.D. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa.

 

4 Kindesmissbrauch, Kinderpornografie und Einsatz Künstlicher Intelligenz


Während sich Andrea Schütte, Kriminalhauptkommissarin an der Hessische Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit und selbst langjährige Ermittlerin in ihren Ausführungen mit eindringlichen Worten mit den Belastungsfaktoren für Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in Fällen des Kindesmissbrauchs auseinandersetzte, stellte Kriminaloberrat Lars Oeffner, Leiter des Dezernats 23 (Cybercrime/Digitale Spuren) im Landeskriminalamt Schleswig-Holstein das Projekt KIcK (Künstliche Intelligenz contra Kindesmissbrauch) vor.4 Dabei hob der Redner hervor, dass der Einsatz einer KI hinsichtlich der Bearbeitung des Deliktsfelds Kinder- und Jugendpornografie zunehmend alternativlos sei; gleichwohl kein Allheilmittel darstelle. In beiden Redebeiträgen wurde deutlich, dass dem Dienstherrn und selbstverständlich auch den Vorgesetzten gerade vor dem Hintergrund der spezifischen psychische Belastungen der im Deliktsfeld der Kinder- und Jugendpornografie bzw. des Kindesmissbrauchs eingesetzten Kolleginnen und Kollegen eine große Verantwortung zukommt. Insbesondere mit Blick auf die erheblich gestiegenen Fallzahlen und den nach wie vor ungenügend mitgewachsenen Personaleinsatz in diesen Deliktsbereichen sei hier ein erheblicher Handlungsbedarf zu konstatieren, so die Feststellungen der beiden Redner.

 

5 Medien als Stressfaktor


Polizeiliches Handeln geschah noch nie nur hinter verschlossenen Türen, allein deshalb, weil Strafverfolgung und Gefahrenabwehr als die gesetzlichen Aufträge der Polizeien regelmäßig in der Öffentlichkeit stattfinden. Und so ist polizeiliches Handeln auch i.d.R. ein Kommunikations- bzw. Interaktionsprozess, zumindest meist mit einem solchen verknüpft. „Die Digitalisierung von Kommunikationsmedien hat (aber [d. Verf.]) zu einer Transformation von Öffentlichkeit geführt. Es gibt nicht nur eine, gar eine uniforme, Öffentlichkeit, in der Themen oder Interessen sichtbar sind oder nicht, sondern eine Vielzahl von parallelen, fluiden (veränderlichen) Teilöffentlichkeiten, die Öffentlichkeit konstituieren. … Durch eine neue Vielfalt an Kanälen, über die von einzelnen oder vielen an viele kommuniziert werden kann (»mass self-communication«, Castells 2007), entstehen neue und vielfältige Kommunikationsbeziehungen und Interaktionsmodi.“5 Nicht selten wird im polizeilichen Alltag nicht allgemein dieses neue Kommunikations-, besser eigentlich Interaktionsverhalten als stressauslösend gesehen. Die Kritik von Kolleginnen und Kollegen richtet sich oft recht allgemeint gegen die Medien oder gegen die Journalisten.


Vor diesem Hintergrund ging Polizeioberrätin Jana Reuter, Pressesprecherin im Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein der Frage nach, wie sich das Spannungsfeld zwischen Polizei und Medien aus polizeilicher Perspektive manifestiert. Eine zentrale Rolle in ihren Ausführungen spielten die Begriffe „Deutungshoheit“ und „Krisenkommunikation“. Sie betonte, dass Polizeien und Medien nicht ohne einander „könnten“. Und daher sei es auch zwingend, dass beide Player auf einander zugingen. Weiter hob die Rednerin die herausragende Rolle der sozialen Medien im Rahmen polizeilicher Interaktionsstrategien hervor und forderte mehr Offenheit für deren Einsatz im polizeilichen Management. Zudem verdeutlichte sie an Beispielen die Bedeutung schneller, abgestimmter, proaktiver und mit klaren Verantwortlichkeitszuweisungen versehener Krisenkommunikation, da diese sowohl für die Reputation als auch für die Vertrauensbildung von herausragender Bedeutung sei. Wenn es um den Begriff „Deutungshoheit“ geht, erlangen die gesetzlichen Aufgaben der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr m.E. zunehmend eine Erweiterung in der Form, dass den Polizeien auch die Aufgabe zukommt, ihre Aufträge und deren Umsetzung der Gesellschaft zu erläutern … und dies nicht anderen zu überlassen, die dies (nachvollziehbar) aus ihrer Perspektive und mit ihrem Wissen und ihren Intentionen tun.


Die Sichtweise eines Hauptpersonalratsvorsitzenden auf das Verhältnis Medien-Polizei stellte Erster Polizeihauptkommissar Karsten Bech, Vorsitzender des Hauptpersonalrats der Hessischen Polizei dar. Ausführlich ging er dabei auf das Spannungsfeld zwischen Identifizierbarkeit und Persönlichkeitsrechten ein und verdeutlichte mit Hinweis auf Beispiele von Einflussnahmen durch Tatverdächtige, die bis in den privaten Bereich von Kolleginnen und Kollegen reichten, welche Dimensionen dieses Feld erreicht hätte.


Die journalistische Sichtweise brachte Kathrin Gräbener, Leitende Redakteurin bei RTL-Television in die Diskussion ein und unterstrich dabei die neuen Herausforderungen, die sich auch für Journalisten dadurch ergeben würden, dass über soziale Medien ungeprüfte und nicht nach publizistischen Grundsätzen „produzierte“ Informationen verbreitet würden. Betrachtet man dann noch, dass Studien belegen, dass sich in sozialen Medien Unwahrheiten schneller und in größerer Reichweite verbreiten, als wahre Nachrichten6, wird das Ausmaß der Herausforderungen deutlich. Und das betrifft sowohl die Polizeien als auch Journalisten. Das Erlangen der Deutungshoheit, auf das gerade Frau Reuter in ihren Ausführungen hingewiesen hatte, dürfte vor diesem Hintergrund für die polizeiliche Kommunikation eine der Herausforderungen darstellen.

 


Jana Reuter ging auf das Spannungsfeld zwischen Polizei und Medien ein.

 

6 Begegnungen mit dem Tod


… gehören für viele Polizistinnen und Polizisten zum dienstlichen Alltag. Mit den außerordentlichen Herausforderungen, denen sich die Kolleginnen und Kollegen bei der Durchführung ihrer Dienstaufgaben dabei auseinandersetzen müssen, befassten sich die Redner des ersten Abschnitts am zweiten Veranstaltungstag.


Erster Kriminalhauptkommissar Dirk Brauer stellte dabei aus der Sicht eines Leiters einer Mordkommission am Beispiel einer Fallkonstellation im Bereich der Zentralen Kriminalinspektion Ludwigshafen die bis hin zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichenden Belastungen der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen dar.


Sintflutartige Regenfälle hatten am 14. und 15. Juli 2021 zu Überflutungen, die ganze Landstriche in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwüsteten, geführt. Dabei kamen insgesamt mehr als 180 Menschen um Leben. Allein im Ahrtal verloren 17.000 Menschen ihr Zuhause. 135 Menschen starben. Die tiefsitzenden und nachhaltigen Eindrücke, die ein erfahrener Kriminaltechniker bei dem, wie er es bezeichnete, (Schock-)Einsatz im Ahrtal zu verarbeiten hatte und hat, schilderte Kriminalhauptkommissar Hartmut Weis, dem in diesem Einsatz insbesondere Aufgaben der Leichenbergung oblagen.


Das Spannungsfeld, in dem sich Polizistinnen und Polizisten beim Schusswaffengebrauch gegenübersehen, beleuchtete Kriminalhauptkommissar Ralf Schmidt von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit. Er wies dabei u.a. auf die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung des Schusswaffeneinsatzes einerseits und den tatsächlichen Geschehensabläufen und den Handlungsoptionen der eingesetzten Kolleginnen und Kollegen hin. Wie die Öffentlichkeit polizeilichen Schusswaffeneinsatz wahrnimmt, werde nicht selten auch von einigen wenigen (selbsternannten [d. Verf.]) Experten geprägt, so der Redner. Schmidt verwies dabei auf einen Focus-Beitrag aus 20227, indem öffentliche Verlautbarungen der Professoren Feltes und Singelnstein8 durchaus berechtigt hinterfragt werden. Nicht zuletzt machte der Referent auch auf teils praxisferne Vorstellungen zum Schusswaffengebrauch bei Verfahrensbeteiligten, etwa bei Strafverteidigern und bei Richtern, aufmerksam, die durchaus Einfluss auf den Gang des Verfahrens haben können.