Wissenschaft  und Forschung

Führung und Führungsmythen – kritische Überlegungen

Von Dr. Viktoria Schäfer, Montabaur



Als ein mögliches Beispiel für derartige Trendphänomene und Entwicklungen kann die agile Führung genannt werden. Die entsprechende Agilität weist Prinzipien auf, die sich unter bestimmten Bedingungen und Anforderungen bewähren können, aber keineswegs Alleinstellungsmerkmale darstellen. Derartige Alleinstellungsmerkmale wurden allerdings im Zuge eines gewissen Agilitäts-„Hypes“ teils marketingmäßig propagiert. In der jüngeren Fachdiskussion wird hingegen durchaus kritisch darauf aufmerksam gemacht, dass agile Führung „gern als eine Ablehnung von hierarchieorientierten Organisationspraktiken hochstilisiert“ oder gar als finale Phase von Führungsmodellen, also gleichsam als deren Erfüllung, angesehen werde.22 Überdies – so die Kritik – „gerieren sich agiles Management und agile Führung als Managementrevolutionen, im konzeptionellen Kern sind es aber klassische Ideen der Führungspartizipation und Selbstorganisation in Teams, die in der traditionellen Managementlehre oft zu kurz kamen und bei denen die Agilitätsmode für einen neuen Aufwind sorgt“.23 Vieles an agiler Führung beinhalte letztlich nur unreflektierte Anleihen an anderen partizipations- und demokratieorientierten, ebenso aber auch effizienzorientierten Vorstellungen.24


Auch in Bezug auf agile Führung würde ein konstruktiver Umgang in einer angemessenen Reflexion und praktischen Anwendung der entsprechenden Konzepte bestehen. Handlungsleitend kann dabei die Erkenntnis sein, dass Agilität als inhaltlich begründbares Konzept selbstverständlich diskussionswürdig ist; so sind nach bisherigem Erkenntnisstand positive Agilitätsimpulse für die Führung insbesondere in Situationen mit hohen Graden an Ungewissheit und Volatilität möglich. Versuche einer nicht gründlich reflektierten, quasi „bausatzmäßigen“ Einführung von Agilität in Organisationen wären mithin gänzlich unangemessen und nachteilig im Hinblick auf die Qualität von Tätigkeiten und die Mitarbeiterzufriedenheit.


Schließlich sei noch auf die sog. „authentische Führung“ eingegangen, die ebenfalls nicht frei von einer gewissen Trendunterlegung ist. Authentische Führung beinhaltet insbesondere Zielvorstellungen und Normen, die durch die Führungskraft gemeinsam mit den Mitarbeitern formuliert und realisiert werden sollen, sowie eines ehrlichen Bestrebens, sich als Führungskraft selbst weiterzuentwickeln und zugleich Potenziale der Mitarbeiter zu identifizieren und zu fördern (Anbindungen an Empowerment-Konzepte). Als scharfer Gegenentwurf zu dysfunktionaler Führung erfordert – so jedenfalls das vertretene Zielbild – authentische Führung ein klares Bewusstsein für Werte und entsprechendes Handeln, und zwar im Denken, im Sprechen und im Tun. Authentisch agierende Führungskräfte sollten sich also, im Zusammenwirken mit praktizierter Selbsterkenntnis und Selbstregulation, selbst treu sein und als Vorbild für Mitarbeiter dienen.25


Sicherlich sind diese Elemente authentischer Führung im Grundsatz als konstruktiv zu erachten. Forderungen nach authentischer Führung werden aber auch kritisch kommentiert.26 So finde sich im Hinblick auf dieses Führungskonzept, das zumindest vor einigen Jahren regelrecht „hype“-geprägt wirkte, nicht selten ein allzu moralisierender, aber letztlich nicht substantiierter Anspruch. Bei einer Idealisierung authentischer Führung könne leicht die Bedeutung des Kontexts aus dem Blickfeld geraten. Experten wiesen diesbezüglich beispielsweise kritisch darauf hin, dass selbst eine glaubwürdige Führung durch einzelne Mitarbeiter in einer insgesamt strukturell defizitären und als ungerecht empfundenen Organisation letztendlich nur schwer wirkmächtig werden könne. Wiederum kann gefolgert werden, dass ein konstruktives Kennzeichen authentischer Führung zweifellos im Vertreten eigener Werte und innerer Überzeugungen liege, doch „was man dann daraus macht, mag variieren“.27 Glaubwürdiges Führungshandeln ist möglich, es gilt jedoch stets zu reflektieren, „dass Führung in die jeweilige Situation eingebettet ist“ – wesentlich sind also der „Kontext, die Struktur und die Kultur der Organisation, die ein authentisches und damit wertbasiertes Führungshandeln manchmal erleichtern und gelegentlich erschweren“28.

 

5 Spezifisch „weibliche“ Führung?


In öffentlichen Diskussionen, in der Praxis von Organisationen sowie verschiedentlich auch in Publikationen wird die Position eines spezifisch weiblichen Führungsstils vertreten (es wird für den vorliegenden Beitrag die Dichotomie männlich-weiblich zugrundegelegt – andere Geschlechtszuordnungen sind damit in keiner Weise inhaltlich zurückgestellt29). Dabei werden unter der dichotomen Perspektive weiblichen Führungskräften Charakteristika wie etwa besondere Empathie, Sensibilität im Umgang mit anderen, soziale Offenheit und wertschätzende Kommunikation zugeschrieben. Unabhängig von der Frage, inwieweit solche Attributionen empirisch überhaupt haltbar wären, kann es problematisch sein, einen solchen weiblichen Führungsstil gleichsam zu idealisieren oder Frauen auf eine bestimmte „weibliche“ Persönlichkeitskonfiguration mit entsprechenden Verhaltensweisen und Reaktionsmustern festzulegen. Denn gerade dies könnte sich womöglich nicht als karriereförderlich erweisen, sondern eher als stereotype Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster bekräftigend und damit für die betreffenden Frauen nachteilig bemerkbar machen.30


Mithin legen die Daten empirischer und methodisch fundierter Arbeiten den Schluss nahe, dass zwischen Männern und Frauen zwar partielle Unterschiede im Führungsverhalten gegeben sind, jedoch „nicht von wirklich durchgreifenden geschlechtsspezifischen Diskrepanzen ausgegangen werden sollte“.31 Lediglich exemplarisch sei auf eine Untersuchung von Katja Glaesner mit dem Titel „Geheimrezept weibliche Führung?“ verwiesen, in der auf „Hintergründe, Mythen und Konzepte zum weiblichen Führungsstil“ eingegangen wurde. Im Ergebnis dieser qualitativ orientierten Arbeit (kompakte Interviewstudie) hielt die Autorin fest, dass – abgesehen von punktuellen Diskrepanzen – keine überzeugenden Indikatoren eines „typisch weiblichen Führungsstils“ bestehen und „Unterschiede im Führungsstil generell nicht auf dem Geschlecht beruhen“.32


Solche Folgerungen sind auch vor dem Hintergrund plausibel, dass sich inhaltliche Anforderungen und praktische Zwänge im Führungsalltag für männliche und weibliche Führungskräfte gar nicht so sehr unterscheiden, sondern gleiche oder zumindest ähnliche Reaktionsweisen erfordern. Unter einem praktisch-konstruktiven Blickwinkel erscheint es somit sinnvoll, nicht auf als spezifisch weiblich gedachte Führungsaspekte abzustellen, sondern jeder Art von Benachteiligung nach Geschlecht, Ethnie oder Sozialschicht konsequent entgegenzutreten und vielmehr Handlungs- und Gestaltungsziele so festzulegen, dass Frauen berufliche Aufstiegsvoraussetzungen wie insbesondere eine gute Ausbildung und berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten nutzen können.33 Dessen ungeachtet existieren sicher Notwendigkeiten für weibliche Führungskräfte, geschlechtsspezifische Stereotypen, denen sie begegnen oder ausgesetzt sind, zu neutralisieren. Mit anderen Worten können solche Stereotype bzw. die Neigung, diese zu vermeiden bzw. zu konterkarieren, den Eindruck eines vermeintlich „weiblichen“ Führungsverhaltens erwecken.