Audiovisuelle Vernehmung bei Opfern von Sexualdelikten
Handlungsanleitung zur Implementierung (Teil 2)
7 Handlungsanweisung
Die folgende Handlungsanleitung ist als Ergebnis der Arbeit anzusehen und soll den Praktikern zur Implementierung der audiovisuellen Vernehmung dienen.
§ 58a Abs. 1 Nr. 1 S. 1 StPO erlaubt die Durchführung einer audiovisuellen Vernehmung allgemein, d.h., grundsätzlich kann jede polizeiliche Vernehmung aufgezeichnet werden. Das Opfer/der/die Zeuge/Zeugin muss jedoch, damit einverstanden sein und der Aufzeichnung vor der Vernehmung zustimmen.
Gemäß § 58a Abs. 1 S. 2 StPO soll eine Vernehmung aufgezeichnet werden bei minderjährigen Opfern sowie Erwachsenen, die minderjährig Opfer eines Sexualdelikts geworden sind sowie wenn die Gefahr besteht, dass das Opfer in der Hauptverhandlung nicht aussagen kann (aufgrund des Alters, seelischer Zustand).
Gemäß § 58a Abs. 1 S. 3 StPO muss eine Vernehmung bei Opfern von Sexualdelikten durch den Richter erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen des Opfers besser gewahrt werden können. Die richterliche audiovisuelle Vernehmung dient dem Opferschutz und der Beweissicherung in besonderem Maße. Sie kann gem. § 255a Abs. 2 S. 1 StPO in der Hauptverhandlung abgespielt werden und dem Opfer eine erneute Aussage vor Gericht ersparen.
Bei der Würdigung der dafür maßgeblichen Umstände können die folgenden Faktoren die Entscheidung erleichtern:
- Besteht eine besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers? In welchem Zustand befindet es sich?
- Besteht die Gefahr einer sekundären Viktimisierung durch das Verfahren?
- Soll die audiovisuelle Vernehmung die Aussage des Opfers in der Hauptverhandlung ersetzen?
- Ist die Aussage des Opfers entscheidungserheblich/alleinige Aussage?
Treffen diese Umstände zu, muss eine audiovisuelle Vernehmung durch einen Richter erfolgen. In dem Fall ist die erste polizeiliche Vernehmung möglichst kurz zu halten und die richterliche Vernehmung ist unverzüglich über den Staatsanwalt zu initiieren.
Während der audiovisuellen Vernehmung muss Folgendes beachtet werden:
- Vernehmer und Opfer müssen während der Aufzeichnung gemeinsam und zeitgleich im Bild zu sehen sein,
- Vertrauensperson (§ 406f StPO) oder psychosoziale Prozessbegleitung (§ 406g StPO) sowie Opferanwalt sind zuzulassen,
- Der Verteidiger und der Beschuldigte verfolgen die audiovisuelle Vernehmung in einem Nebenraum. Beide bekommen die Gelegenheit von ihrem Fragerecht Gebrauch zu machen (die Fragen werden auf einem Zettel in den Vernehmungsraum gereicht),
- Belehrung (Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht) und Bereitschaft des Zeugen zur audiovisuellen Aussage müssen dokumentiert werden (Nr. 19 Abs. 2 RiStBV),
- Nach der Belehrung erfolgt der freie Bericht des Opfers/Zeugen,
- danach werden möglichst offener Fragen gestellt,
- Verzicht auf Suggestivfragen,
- das Opfer hat die Möglichkeit, unmittelbar nach der audiovisuellen Vernehmung der Einführung dieser Aufzeichnung in die Hauptverhandlung zu widersprechen (§ 255a Abs. 2 Nr. 1 StPO) und muss darüber belehrt werden; Entscheidung dokumentieren.
Nach der Vernehmung muss das Opfer betreut werden.
Bezüglich der Verschriftlichung der Aufzeichnung muss mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache über den Umfang gehalten werden, in der Literatur wird eine Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte empfohlen.
Bei der Vernehmung eines Kindes muss darüber hinaus Folgendes beachtet werden:
- Zustimmung der Eltern, bei Verdachtslage gegen die Eltern Ergänzungspfleger (wird über das Jugendamt beim Amtsgericht bestellt),
- Altersgerichte Belehrung (im Beisein des Erziehungsberechtigten),
- Vor der Vernehmung eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung durch einen Sachverständigen prüfen, ggf. hinzuziehen (Nr. 19 Abs. 4 RiStBV),
- Mehrfachvernehmungen vermeiden.
Anmerkungen
- Die vollständige Literaturliste zu diesem Beitrag ist hier abrufbar.
- BGH-Beschluss vom 8.7.2004 - 1 StR 273/04.
- Artkämper/Schilling 2018: 471.
- Vgl. ebd.
- Vgl. Barthel 2004: 117.
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