Forensische Sprecher-Erkennung
Aktuelle Untersuchungsmöglichkeiten in der gutachterlichen Praxis
Merkmalsanalyse
Zurück zum Leipziger Mordfall: Der Sprecher der wiederhergestellten 14 Audio-Dateien des digitalen Diktiergerätes aus dem Besitz des Beschuldigten, die einen mit dem tatsächlichen Geschehen auffällig übereinstimmenden Tat- und Fluchtplan enthielten, wies mehrere als stark individualisierend zu klassifizierende Merkmale von Stimme, Sprache und Sprechweise auf, die mit denen der Vergleichsperson aus der TKÜ-Aufzeichnung bzw. mit denen der privaten Video-Aufzeichnung in hohem Maße übereinstimmten. Einige herausragende Beispiele sollen nachfolgend dargestellt werden.
Der jeweilige Sprecher von Audio-Spurenmaterial und Vergleichsstimmproben zeigte zunächst eine auffällige Fehlbildung des sch-Lautes, einen so genannten lateralen Schetismus, umgangssprachlich auch „Hölzeln“ genannt. Hierbei wird der konzentrierte Luftstrahl nicht, wie für eine physiologische Bildung dieses Reibelautes erforderlich, in Richtung der Schneidezähne gelenkt, sondern entweicht seitlich in Richtung der Wangentaschen. Daraus resultiert ein allgemein als unangenehm empfundenes schlürfendes Geräusch.
Ferner erbrachte die Analyse, dass der jeweilige Sprecher in allen untersuchten Audio-Materialien stotterte. Prinzipiell lassen sich zwei Arten dieser Redeflussstörung unterscheiden, das klonische und das tonische Stottern. Die erste Form äußert sich in mehrmaligen Wiederholungen von Silben meist am Wortanfang. Die zweite Variante ist durch krampfartige Blockaden zu Sprechbeginn gekennzeichnet. Untersuchungen haben ergeben, dass die Redeflussstörung Stottern bei ca. 1 % der Bevölkerung auftritt, wobei Männer drei- bis viermal häufiger betroffen sind als Frauen. Beim jeweiligen Sprecher von Audio-Spuren- und -Vergleichsmaterial zeigte sich eine spezifische Stottersymptomatik. Dabei standen die tonischen Anteile (kurze krampfartige Stockungen) im Vordergrund, ergänzt durch gelegentliche klonische Einschübe (wenige Male wiederholte Silben). Allerdings wurden die genannten Auffälligkeiten durch das Einfügen von Pausen und Häsitationen, Verzögerungen des Sprechtempos, überdeutliche Artikulation oder plötzliche Veränderung des Stimmklangs bzw. der Intonation recht gut kaschiert und waren für den phonetischen Laien nicht ohne weiteres erkennbar.
Ein drittes übereinstimmendes und zugleich ungewöhnliches Merkmal in allen untersuchten Audio-Materialien bestand in einem abrupten Wechsel des Artikulationsortes im Vokaltrakt, deren Ursache pathologischer Natur zu sein schien und am ehesten mit der ebenfalls auffälligen Nasalität im Zusammenhang stand. Hierbei kam es zu einer kurzzeitigen Rückverlagerung der Lautbildung in Richtung des Rachenraums. Verschluss- und Zischlaute waren hiervon am stärksten betroffen und wurden dementsprechend nicht mehr normgerecht gebildet.
Abbildung 1: Das obige Schaubild verdeutlicht wesentliche Aspekte der verwendeten Wahrscheinlichkeitsrangskala. Ersichtlich werden sowohl die bipolare Ausprägung der Skala, wie auch die pro Skalenstufe in Richtung eines der beiden Pole zunehmende Sicherheit der Aussage. Die Grafik beruht auf gemeinschaftlichen Überlegungen beider Autoren und Herrn Dr. Masthoffs (Universität
Die angegebenen exemplarischen Merkmale können nur mit Hilfe des phonetisch geschulten, analytischen Gehörs des Sachverständigen zuverlässig beurteilt werden, dem daher auch die größte Bedeutung bei der Durchführung von Stimmenanalysen und Stimmenvergleichen zukommt. Zur Ausbildung des Sachverständigen, üblicherweise in der Fachrichtung Phonetik, gehört es, die Merkmale physiologischer Vorgänge bei der Bildung von Stimme, Sprache und Sprechweise sowie deren Abweichungen erkennen, beschreiben, klassifizieren und bewerten zu können. Darüber hinaus muss bei einer derartigen Analyse das Wissen um das äußerst variable, insbesondere von situativen Faktoren abhängige sprechsprachliche Verhalten des Menschen Berücksichtigung finden. Hierzu gehören physische oder psychische Belastung, Umgebungslärm oder die soziale Prägung eines Sprechers.
Auditiv-akustische Untersuchungsmethode
Ergänzt und erweitert werden die auditiven Befunde durch messphonetische Verfahren, bei denen es vor allem um die Objektivierung des gewonnenen Höreindruckes geht. Hierzu zählen z.B. die bereits erwähnte Grundfrequenzmessung oder die Bestimmung der Artikulationsrate als Maß für die Sprechgeschwindigkeit. Einen besonderen Stellenwert nehmen die Verfahren der Oszillografie und der Spektralanalyse ein. Im Oszillogramm wird die Amplitude der Luftdruckschwankungen dargestellt, die das Sprachsignal bewirkt und auf die Mikrofonmembran überträgt. Die auf der Grundlage der Spektralanalyse erzeugte sonagrafische Darstellung visualisiert die Frequenzcharakteristik des Sprachsignals, deren Auswertung wichtige Informationen über Stimmklangparameter und individualtypische lautliche Besonderheiten liefern kann.
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