Tötungsdelikte durch Frauen

Kindstötungen und Intimizide

 

7 Andere Tötungsdelikte durch Frauen


Wenn Frauen töten oder morden, dann sind Kindstötungen und Intimizide eindeutig die häufigsten Tötungsdelikte. Frauen töten überwiegend Menschen, die sie lieben oder einmal geliebt haben – also ihre Kinder oder Liebespartner. Es gibt bezüglich der Opfer und Tatmotive noch einige andere Varianten. Die Opfer sind ihnen dann meistens aber auch bekannt oder stammen aus der Familie und Verwandtschaft. In seltenen Fällen sind die eigenen Eltern, Geschwister oder Rivalinnen in Liebesbeziehungen die Opfer. Zahlenmäßig häufiger – aber mit erheblichen Dunkelziffern – ist die Tötung von Patienten und Pflegebedürftigen. Es gibt Frauen, die als sog. Todesengel in Heimen oder Krankenhäusern Patienten umbringen, gelegentlich in Mordserien.16 In der häuslichen Pflege ist die Tötung des lange und zur Last gewordenen Angehörigen keine Seltenheit. Wird die Leichenschau durch den bekannten Hausarzt durchgeführt, der den Schwerkranken lange kennt, ihm vielleicht auch Schmerzmittel, Schlaftabletten und Morphium selbst verordnet hat, so kreuzt dieser oft zu leicht beim Totenschein eine natürliche Todesursache an. Wurde der Verstorbene mit einem Kissen erstickt, fällt ihm das möglicherweise nicht auf, weil ja alle mit einem baldigen Ableben des todkranken Angehörigen gerechnet haben. Niedrige Obduktionsraten begünstigen dies noch. Die deutschen Rechtsmediziner fordern seit Jahrzehnten eine qualifizierte Leichenschau und deutlich mehr Obduktionen, um die vermutliche Dunkelziffer zu reduzieren.


Die Historikerin Kathrin Kompisch veröffentlichte in ihrem Buch über Mörderinnen eine Typologie. Neben den häufigsten Formen der Kindsmörderinnen und Gattenmörderinnen benennt sie noch „Todesengel im Krankenhaus“, Lustmörderinnen, kriminelle Mädchen und Mörderinnen aus Habgier.17


Fast alle Kriminologen betonen, dass Frauen nur ganz selten Fremde töten. Serienmörderinnen, Sexualmörderinnen und Raubmörderinnen sind deshalb sehr selten. Legendär wurden die diversen „schwarzen Witwen“, die sich gezielt reiche und alte Männer suchen, diese heiraten und dann töten. Hier liegt dann eine Kombination von Intimizid und Mord aus Habgier vor. Die „schwarze Witwe von Bodenfelde“ soll 12 Männer auf diese Weise getötet und mehr als eine halbe Million Euro ergattert haben. Die Beteiligung an vier Morden aus den Jahren 1994 bis 2000 konnte ihr nachgewiesen werden. Die Täterin, eine ehemalige Prostituierte, wurde im Jahr 2009 vom Landgericht Göttingen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

 

8 Präventionsmöglichkeiten


Gerade bei den beiden häufigsten Tötungsdelikten von Frauen – den Kindstötungen und Intimiziden – ist Prävention gut möglich und hat hohe Erfolgsaussichten. Die Befundlage ist ähnlich wie bei der Suizidprävention. Durch die von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention initiierten Projekte wurden über die Jahre die Suizidraten deutlich reduziert. Bei Kindstötungen und Intimiziden ist diese Möglichkeit prinzipiell auch gegeben. Es fehlt jedoch noch die Kooperation der beteiligten Institutionen, das Verantwortungsbewusstsein der wichtigen Akteure und das gesellschaftliche Bewusstsein für die Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen.


Der oben genannte Fall von Jonny Lee aus Erfurt ist hierzu ein lehrreiches Beispiel. Schon vor der Geburt von Jonny Lee war das Jugendamt über die prekären Verhältnisse im Haus der Mutter informiert (Alkoholikerin, Verwahrlosung, Gewalt, Misshandlung). Darunter hatten ja bereits die älteren Geschwister von Jonny Lee zu leiden. Die Gefährdung des Kindeswohles war offensichtlich. Die wiederholten Anrufe einer besorgten Nachbarin bei der Polizei blieben ohne Konsequenzen. Es gab also ein Behördenversagen bei Jugendamt und Polizei. Das Übel wurde erkannt, drei zuständige Mitarbeiter des Jugendamtes Erfurt wurden nach der Tötung von Jonny Lee beurlaubt. Vollkommen zu Recht. Gegen die drei Mitarbeiter hat die Justiz ermittelt und dann jahrelang später die Ermittlungen eingestellt. Zuerst Verzögern und Vertuschen, dann alles verschwinden lassen. So entsteht kein Verantwortungsbewusstsein, vielmehr liegt hierin der Nährboden für künftiges Versagen. Die Mitwisser und Mitverantwortlichen kamen in Erfurt ungeschoren davon.


In der Patientenmord-Serie von Niels Högel in Delmenhorst und Oldenburg gab es 15 Jahre lang Behördenversagen und Verantwortungslosigkeit von Führungskräften. Der einberufene Untersuchungsausschuss des Landtages von Niedersachsen hat in mühevoller Ermittlungsarbeit die Vorgänge aufgeklärt und in einem langen Abschlussbericht niedergelegt. Es gab Ermittlungsverfahren und Gerichtsverhandlungen der Mitwisser und Mitverantwortlichen. Alle kamen ohne Strafe davon. Die Versäumnisse der Behörden und Mitverantwortlichen haben mehr als 100 Patienten das Leben gekostet. Niels Högel mordete nach dem ersten ernsthaften Verdacht noch viele Jahre ungehindert weiter. Er hätte gestoppt werden können. Und Jonny Lee aus Erfurt hätte gerettet werden können. Eine bessere Kooperation von Jugendämtern, Polizei und Justiz wäre in diesen Konfliktfeldern dringend erforderlich.


Schwierig ist die Prävention von Neonatiziden, weil ja die betroffenen Schwangeren ihre Schwangerschaft meistens verschweigen und sich gerade nicht in ärztliche Behandlung begeben. Bei den Kindstötungen von älteren Kindern gibt es oft Warnzeichen und Vorboten der drohenden Katastrophe: Eheprobleme der Eltern, psychische Erkrankungen, Alkoholismus oder Drogen bei den beteiligten Erwachsenen. Dies gilt auch für die Intimizide: Im Vorfeld des Tötungsdeliktes sind Institutionen beteiligt, die helfen und schützen könnten. Bei vorbestehender Partnerschaftsgewalt oder Stalking ist oft der gewalttätige Partner polizeibekannt. Nicht wenige Frauen, die ihren Mann töten, sind von ihm jahrelang verprügelt und misshandelt worden. Der Intimzid mutet dann an wie der finale Befreiungsschlag.


In der Gesamtschau ist es sicher wichtig, sich bei der ungeheuren Vielfalt der Tötungsdelikte zu vergegenwärtigen, in welchen zahlenmäßigen Dimensionen diese Gewaltpotentiale drohen. Es geht um Risiken und Tötungsdelikte. Im Jahr 2020 gab es 152 Kindstötungen und zehn weibliche Intimizide. Bei den Kindstötungen dürften etwa 110 durch die leiblichen Mütter verübt worden sein. Um die Prävention zu verbessern, müssen die Konfliktfelder Partnerschaftsgewalt sowie Alkoholismus und psychische Erkrankungen von Müttern im Focus stehen. Frauenhäuser für durch Partnerschaftsgewalt oder Stalking bedrohte Frauen sind ebenso hilfreich wie Mutter-Kind-Sprechstunden für belastete Mütter in Frauen- und Kinderkliniken. Die Triade Jugendamt-Polizei-Justiz spielt in fast allen hier dargestellten Problemen eine zentrale Rolle. Hier müssten Kooperation und Verantwortungsbewusstsein deutlich verbessert werden.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor war bis zu seiner Pensionierung Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Zentrum Innere Medizin der Medizinischen Klinik und Poliklinik II in Würzburg. Aktuelle Korrespondenzadresse: [email protected].
  2. Christine Swientek, Neugeborenentötungen in Deutschland. Wenn Mütter töten. Viademica Verlag, Berlin 2018.
  3. Reiner Burger, Prozess um tote Babys. „Ich empfinde Verzweiflung, Trauer und Schuldgefühle“. FAZ vom 30.4.2015.
  4. Jochen Wiesigel, Grausiger Gewaltexzess. Kind mit 40 Fußtritten getötet. Spiegel vom 25.2.2005.
  5. Milan Zimmermann, Murder Suicide. Der inszenierte Tod. Die Wahrheit hinter Familientragödien, Beziehungsdramen und Amokläufen. Droemer, München 2022.
  6. Antoine Prune, Medea aus Solingen. Reportage November 2022. www.reportage.com,  abgerufen am 1.2.2023.
  7. Bundeskriminalamt (Hrsg.) Partnerschaftsgewalt – Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2021. Bundeskriminalamt Wiesbaden, 24.11.2022.
  8. Laura Backes, Margherita Bettoni, Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen. Deutsche Verlagsanstalt München 2021.
  9. Winfried Rasch, Tötung des Intimpartners. Enke, Stuttgart 1964.
  10. Andreas Marneros, Intimizid. Die Tötung des Intimpartners. Ursachen, Tatsituationen und forensische Beurteilung. Schattauer, Stuttgart 2008.
  11. Daniel Müller, Hure. Ärztin. Mörderin? Die Zeit vom 25.4.2018.
  12. Michael Soyka, Wenn Frauen töten. Psychiatrische Annäherung an das Phänomen weiblicher Gewalt. Schattauer, Stuttgart 2004.
  13. Sigrun Roßmanith, Sind Frauen die besseren Mörder? Spektakuläre Fälle einer Gerichtspsychiaterin. Amalthea Signum  Verlag, Wien 2013.
  14. Daniel Fuchs, Eifersuchtsdrama. Polizistin schießt auf Polizisten. 10 nach 8 vom 4.1.2009,
  15. Überarbeitete und gekürzte Fassung von: Herbert Csef, Blutiges Ende einer lesbischen Beziehung – Die Bluttat von Senden bei Münster im Jahr 2015. Tabularasa Magazin vom 5.4.2020.
  16. Herbert Csef,  Narzisstisch motivierte Patientenmorde. Internationale Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik. Ausgabe 2/2016, S. 1-9.
  17. Kathrin Kompisch. Furchtbar feminin. Berüchtigte Mörderinnen de 20. Jahrhunderts. Militzki Verlag Leipzig 2006.

 

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