Kleine Geschichte des Linksextremismus – 1983 bis 2023

Von Dr. Udo Baron, Hannover

 

1 Einleitung

 

Ob Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), Interventionistische Linke (IL) oder … umsGanze!kommunistisches Bündnis (uG) – der Linksextremismus in der Bundesrepublik hat vielfältige Gesichter. Sie unterscheiden sich in erster Linie nach ihren primären Handlungsformen, dazu gehören organisationspolitische, parteiorientierte, subkulturelle und – in ihrer extremsten Ausprägung – terroristische Varianten wie sie die Rote Armee Fraktion (RAF) verkörperte.


Eine verbindliche Definition des Linksextremismus gibt es bislang nicht. In Anlehnung an den Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber könnte man den Begriff als eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates ablehnen und diesen durch eine egalitäre Gesellschaft ersetzen wollen, definieren.2 Alle Formen des Linksextremismus verbindet, dass sie den demokratischen Rechtsstaat auch auf revolutionärem Wege überwinden wollen, wobei Gewalt als ein Mittel der Konfliktlösung mitgedacht wird. Sie unterscheiden sich aber in der Ausgestaltung der nachrevolutionären Gesellschaft. Während Marxisten zunächst eine Diktatur des Proletariats mit einem starken, von einer kommunistischen Partei geführten Staat als Vorstufe für eine klassenlose Gesellschaft ohne Staat und Privateigentum anstreben, lehnen Autonome bzw. Postautonome den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten kategorisch ab. Sie wollen unmittelbar nach der Revolution eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne staatliche Strukturen und Organisationen errichten.


Vor dem Hintergrund des 40. Geburtstags der „Kriminalpolizei“ lässt der folgende Beitrag die vier Jahrzehnte seit ihrem erstmaligen Erscheinen an Hand ausgewählter Beispiele aus dem bundesrepublikanischen Linksextremismus und Linksterrorismus Revue passieren. Von der Rolle der DKP in der Auseinandersetzung um die atomaren Mittelstreckenraketen im Jahr 1983 über die Entstehung der Autonomen und der aus ihnen hervorgegangenen Postautonomen bis hin zu den Wiedergängern des sozial-revolutionären Linksterrorismus à la RAF werden die bedeutendsten linksextremistischen und linksterroristischen Phasen und dessen Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein kurz vorgestellt und analysiert.

 

 

2 Das „Raketenjahr“ 1983


Die „Kriminalpolizei“ erschien erstmalig im Jahr 1983, das auch als das „Raketenjahr“ in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist. Ausgangspunkt für diese Bezeichnung war der 12. Dezember 1979. An diesem Tag hatte die NATO als Antwort auf die sowjetische Vorrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20 ihren Doppelbeschluss auf den Weg gebracht. Er sah die Aufstellung westlicher atomarer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II und Cruise Missiles ab Herbst 1983 in der Bundesrepublik und in Westeuropa bei erfolglosen Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion vor. Unmittelbar nach der Entscheidung der NATO formierte sich eine neue Friedenbewegung u.a. in Westdeutschland, die die weit verbreitete „German Angst“ vor einem Dritten Weltkrieg und die damit einhergehenden Weltuntergangsfantasien von einem „atomaren Holocaust“ aufgriff und in die Mitte der Gesellschaft transportierte. Vor allem parteiorientierte und dogmatische Linksextremisten versuchten von einer als existentieller Bedrohung empfundenen Situation und den damit einhergehenden globalen Ängsten zu profitieren. Im Rahmen ihres von der Sowjetunion und der DDR vorgegebenen „Kampfes um den Frieden“ war es vor allem die DKP, welche Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre versuchte, steuernden Einfluss auf die westdeutsche Friedensbewegung zu nehmen, um sie in eine ausschließlich gegen die westlichen Atomraketen gerichtete Bewegung zu verwandeln.


Die 1968 gegründete DKP war bis zur friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 der westdeutsche Interventionsapparat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Streng marxistisch-leninistisch ausgerichtet, versuchte sie – ideologisch angeleitet und finanziert von der DDR – mit Hilfe zahlreicher Tarn- und Vorfeldorganisationen wie der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) oder der Deutschen Friedens-Union (DFU) Einfluss auf die politisch-gesellschaftliche Ausrichtung der Bundesrepublik zu nehmen. Vor allem das mit Hilfe der DKP 1980 gegründete Krefelder Forum mit seinem angeblich von mehr als fünf Millionen Menschen unterschriebenen Krefelder Appell entwickelte sich dabei schnell zum bis dato erfolgreichsten Ausfluss der kommunistischen Einflussnahme in der Bundesrepublik. Trotz der massiven Unterstützung seitens der DDR und der Sowjetunion gelang es der DKP aber nicht, die Umsetzung des NATO-Doppelbeschluss und somit die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa zu verhindern. Erst recht verfehlte sie ihr darüber hinaus gehendes Ziel, die Bundesrepublik nachhaltig zu destabilisieren und aus der westlichen Wertegemeinschaft herauszulösen. Es gelang ihr aber, Einfluss auf die politische Bewusstseinsbildung von Teilen der bundesrepublikanischen Bevölkerung zu nehmen, deren Reflexe bis heute spürbar sind. So griff sie auf bereits vorhandene Feindbilder wie den Antiamerikanismus zurück und setzte Westdeutschland dem permanenten Faschismusverdacht aus. Zugleich half sie mit, den Antifaschismus östlicher Prägung anstelle des Antinationalsozialismus zu etablieren und den demokratischen Anti-Kommunismus in einen Anti-Anti-Kommunismus zu verwandeln.


Der dogmatische, partei- und somit auf feste Strukturen orientierte Linksextremismus wie ihn die DKP bis heute verkörpert, fristet aber seit dem Untergang der DDR und der Sowjetunion nur noch ein Randdasein. Allen Erwartungen zum Trotz haben zwar die DKP und einige ihrer Vorfeldorganisationen diese historische Zäsur politisch überlebt. Sie müssen aber heute ohne die Gelder und die ideologische Anleitung der SED auskommen, zudem sind Ihre Mitglieder deutlich überaltert. Ihr Personenpotenzial hat sich von in der Spitze bis zu 40.000 auf etwa 3.000 drastisch reduziert. Dennoch steht sie weiterhin für die Orthodoxie und den Dogmatismus der kommunistischen Bewegung und versucht mit ihren heute eher bescheidenen Mittel weiterhin Einfluss zu nehmen auf soziale Bewegungen wie z.B. auf die Klimaschutzbewegung.

 

3 Vom Autonomen zum Postautonomen

 

3.1 Die „Schlacht um das Bremer Weserstadion“ und die „Geburtsstunde“ der Autonomen

Es war der 6. Mai 1980 als der damalige Bundespräsident Karl Carstens eine öffentliche Rekrutenvereidigung im Bremer Weserstadion vornahm. Während im Weserstadion gefeiert wurde, demonstrierten etwa 10.000 Menschen vor dem Veranstaltungsort gegen die erste öffentliche Gelöbnisfeier der Bundeswehr. Plötzlich lösten sich bis zu 1.000 vermummte und teilweise behelmte Demonstranten aus der Demonstration und begannen, Pflastersteine und Molotowcocktails auf die Polizei und die anwesenden Soldaten zu werfen. Bei den darauf folgenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei gingen Bundeswehrfahrzeuge in Flammen auf, ganze Straßenzüge wurden verwüstet. Mehrfach versuchten Demonstranten das Stadion zu stürmen. Verantwortlich dafür war ein neues subkulturelles Milieu, das sich parallel zum dogmatischen Linksextremismus seit Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre in der alten Bundesrepublik entwickelte und an diesem Tag seine mediale Geburtsstunde erlebte: die sich dem undogmatischen, subkulturellen Linksextremismus zugehörig fühlenden Autonomen.


Von Italien aus kommend, hatte sich der autonome Gedanke in den 1970er-Jahren über Westeuropa ausgebreitet. Aus dieser Zeit stammt auch die Selbstbezeichnung der Autonomen. Ihr Name steht für Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Etymologisch setzt sich der Begriff „Autonome“ aus den griechischen Wörtern „auto“ fürselbstund „nomos“ für Gesetz zusammen. Wörtlich übersetzt bedeutet er so viel wie „diejenigen, die sich ihre eigenen Gesetze geben.“ Historisch bezieht er sich auf die Erfahrungen der militanten italienischen Arbeiter- und Studentenbewegung, der Autonomia Operaia. Diese militante „Arbeiterautonomie“ propagierte Ende der 1960er-Jahre den Kampf gegen die Fabrikarbeit und wandte sich gezielt gegen die etablierten Gewerkschaften und die Kommunistische Partei Italiens (KPI), denen sie Anpassung, Bevormundung und Verbürgerlichung vorwarf. Lang andauernde wilde Streiks, vor allem in der Automobilproduktion, Entführung von Managern, gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sabotageakte in Fabriken prägten ihre Aktivitäten.


Auch in der alten Bundesrepublik begannen nunmehr Gruppierungen und Personen sich als Autonome zu bezeichnen und eine eigenständige Subkultur zu entwickeln. Die meisten von ihnen stammten aus undogmatischen, linksradikalen Gruppierungen, insbesondere aus der Sponti-Bewegung3 sowie den militanten Teilen der Hausbesetzerszene und der Anti-Atomkraftbewegung. Sie organisierten sich zumeist über lockere, undogmatische Personenzusammenschlüsse, sog, Kleingruppen, die über persönliche Kennverhältnisse und themenbezogene Anlässe zustande gekommen waren.


Den Staat, seine Institutionen und Regeln lehnen Autonome kategorisch ab. Sie brechen aber nicht nur mit dem Staat, sondern auch mit der bestehenden Gesellschaft und wollen diese durch eine herrschaftsfreie ersetzen. Das politische Selbstverständnis von Autonomen zeichnet sich durch eine radikale Verneinung des Bestehenden aus und ist in erster Linie von Anti-Einstellungen geprägt. Autonome verstehen sich gemeinhin vor allem als antifaschistisch, antikapitalistisch, antirassistisch und antimilitaristisch. Der Kampf gegen (vermeintliche) staatliche Repression, gegen einen ihrer Meinung nach staatlich geförderten Faschismus, Rassismus und Militarismus sowie für selbst verwaltete Freiräume und in jüngster Zeit für den Klimaschutz bilden ihre zentralen Aktionsfelder. Damit greifen sie Themen auf, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und bei denen sie sich im Einklang mit der Mehrheitsgesellschaft wähnen.


Autonome kennzeichnet ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft. Auch wenn nicht jeder von ihnen selber Gewalt ausübt, so befürworten sie in der Regel deren Einsatz und betrachten sie als legitimen Weg zur Lösung von Konflikten. Als Militanter gilt daher nicht nur der aktiv Handelnde, sondern auch derjenige, der Gewalt billigend in Kauf nimmt bzw. mit gewaltsamen Aktionen sympathisiert. Die autonome Gewaltbereitschaft basiert dabei auf einem klaren Feindbild, zu dessen tragenden Säulen der Staat und seine Repräsentanten sowie die ihn nach autonomer Auffassung stützenden Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Autonome dafür halten, zählen. Ihrem Verständnis nach bedingen sich Staat und Rechtsextremisten gegenseitig. Autonome zielen deshalb mit ihren sog. antifaschistischen Aktivitäten zugleich immer auch auf den demokratischen Rechtstaat, den sie überwinden wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, halten sie alle Widerstandsformen bis hin zum Einsatz von Gewalt für legitim. Autonome suchen aus diesem Grunde gezielt den Konflikt mit den Sicherheitskräften und bereiten diesen mit einschlägigen Übungen wie Blockade- und Aktionstraining vor.


Ein Autonomer als Zeichen des Protests zu sein war zeitweise in extremistischen Kreisen so populär, dass auch Rechtsextremisten unter der Bezeichnung „Autonome Nationalisten“ versuchten, die Linksautonomen teilweise zu kopieren. So kleideten sie sich nicht nur wie ihr linksextremistisches Pendant, sondern übernahmen auch deren Strategien und Taktiken. Eine Querfront, d.h. eine Zusammenarbeit von Rechts- und Linksextremisten gegen den demokratischen Rechtsstaat, die zumindest manche Rechtsextremisten sich vorstellen konnten, hat sich daraus allerdings (zum Glück!) bislang nicht erkennbar entwickelt.

3.2 Der G7-Gipfel von Heiligendamm und die „Geburtsstunde“ der Postautonomen

Es ist der 2. Juni 2007. In Rostock demonstrierten unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich“ nach Angaben der Polizei etwa 30.000 Personen, nach Angaben des Veranstalters bis zu 80.000 Menschen. Anlass war der 33. Weltwirtschaftsgipfel der acht führenden Wirtschaftsnationen der Welt, der sog. G8-Gipfel,4 der unter deutschem Vorsitz vom 6. bis 8. Juni 2007 im Grand Hotel Kempinski des mecklenburgischen Seebades Heiligendamm stattfand. Während der zunächst weitgehend friedlich verlaufenen Demonstration bildeten etwa 2.000 schwarz gekleidete Autonome einen sog. antiimperialistischen Schwarzen Block, aus dem heraus Steine gegen ein Sparkassengebäude und ein am Wegesrand gelegenes Hotel geworfen wurden. Im Rostocker Stadthafen eskalierte dann die Situation. Parkende Fahrzeuge wurden umgestürzt und teilweise in Brand gesetzt, Polizisten mit Pflastersteinen und Molotowcocktails attackiert. Mehr als 400 Polizisten erlitten teilweise schwere Verletzungen, mehr als 100 Randalierer konnten festgenommen werden. Organisiert wurden die Gegenproteste von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, dem neben nichtextremistischen Organisationen auch sog. Postautonome angehörten, darunter federführend die Interventionistische Linke (IL). Sie erfuhr in diesen Tagen erstmalig bundesweite mediale Aufmerksamkeit.


Doch wer waren und sind diese Postautonomen? Ungelöste Organisationsdebatten und eine theoretische Orientierungslosigkeit haben seit den 1990er-Jahren dazu geführt, dass Teile der autonomen Szene damit anfingen, für konkrete Projekte Gruppenstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Die Politik dieser sich selbst als postautonom bezeichnenden Gruppierungen ist langfristiger angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Postautonome wollen strategische Bündnisse mit den Autonomen und aktionsbezogene mit dem demokratischen Spektrum schließen. Deshalb betreiben sie eine breite Öffnung bis in die Mitte der Gesellschaft, um dort für einen Bruch mit dem Kapitalismus zu werben. Zwei Bündnisse dominieren dabei die postautonome Szene: die IL und das Bündnis …ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG).


Die IL als gegenwärtig bedeutendste postautonome Organisation entwickelte sich zunächst zu einem bundesweit agierenden Netzwerk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten und schließlich ab 2014 zu einer bundesweiten Organisation. Folgt man ihrem programmatischen Grundsatzpapier, dem sog. Zwischenstandspapier aus dem Jahre 2014, so strebt die IL den „revolutionäre Bruch“ mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen an, denn um „den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmittel […] und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung.“ Um an das demokratische Spektrum anschlussfähig zu werden, greift die IL Themen auf, die die Menschen bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegen. Ihre Akteure geben sich bewusst undogmatisch und bemühen sich um ein gemäßigtes äußeres Erscheinungsbild. So verzichten IL-Protagonisten aus taktischen Gründen weitgehend auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt. Diese Vorgehensweise ermöglicht es ihr, eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest einzunehmen. Ein zentrales Aktionsfeld zur Wahrnehmung dieser Funktion stellt dabei der Klima- und Umweltschutz dar. Wie wichtig dieses Thema für die IL ist, unterstreicht zum einen ihre Klima AG, zum anderen das unter ihrer maßgeblichen Beteiligung ins Leben gerufene Klima-Bündnis Ende Gelände (EG).


Neben der IL gehört das 2006 gegründete Bündnis uG zu den bedeutendsten postautonomen Zusammenschlüssen. Nach eigener Aussage geht es dem Bündnis uG nicht nur um eine „Kritik, für die es weder Institutionen noch Parlamente noch feste Verfahren“ gebe, sondern auch um die „Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer“. Das postautonome Bündnis strebt nach einer herrschaftsfreien kommunistischen Gesellschaft. Wie diese Gesellschaftsform konkret aussehen soll, bleibt jedoch, wie so oft im Linksextremismus, äußerst diffus.


Möglicherweise stößt das postautonome Projekt – zumindest was die IL betrifft – aber mittlerweile an seine Grenzen. So ist ihr sog. Zwischenstandspapier bis heute noch nicht erkennbar weiterentwickelt worden. Stieg bislang die Anzahl ihrer Ortsgruppen über die Jahre kontinuierlich bis auf 31 an, so muss sie zurzeit mit dem Ausscheiden der Ortsgruppen Freiburg, Heilbronn, Kassel, München und Münster aus der IL anscheinend einen erheblichen personellen Aderlass verkraften. Es bleibt abzuwarten, wie die IL mit dieser Entwicklung künftig umgeht und ob sie sie politisch überlebt.


Ein Großereignis hat die Wirkmacht gezeigt, die Autonome und Postautonome auf der Straße entfalten können, wenn sie weitgehend arbeitsteilig agieren: der G20-Gipfel von Hamburg aus dem Jahre 2017. Während die IL federführend die Anfahrtswege der Gipfelteilnehmer am 7. und 8. Juli blockierte und das Bündnis uG den Kohlehafen, um den „kapitalistischen Normalvollzug“ zu unterbrechen, war der „klassische“, d.h. der organisations- und hierarchiefeindliche Autonome für die gewalttätigen Auseinandersetzungen „zuständig“. Beinahe wie im Sinne einer Arbeitsteilung, ob so geplant oder auch nicht, läutete die von dem Autonomen Zentrum Rote Flora angemeldete Demonstration Welcome to Hell am Nachmittag des 6. Juli die autonomen Gipfelproteste ein. Mit dem selbsterklärenden Motto dieser Demonstration gaben die Veranstalter auch schon deren Stoßrichtung vor: Unverkennbar ging es Teilen der etwa 12.000 Teilnehmern vor allem um die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei als Repräsentant des verhassten Systems. Bereits nach der Auftaktkundgebung eskalierte die Lage. Etwa 1.000 Teilnehmer vermummten sich plötzlich und bildeten einen „Schwarzen Block“. Versuche der Polizei, diesen vom Demonstrationszug zu trennen, mündeten in die ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen der Gipfelproteste. Polizisten wurden mit Holzlatten, Eisenstangen und Flaschen attackiert und mit Steinen beworfen. Nach Beendigung der Demonstration zogen Autonome in Kleingruppen marodierend durch die Hamburger Stadtteile St. Pauli und Altona. Sie errichteten Barrikaden, plünderten und zerstörten im Laufe der Nacht Geschäfte und steckten Autos in Brand. Als am 7. Juli die Postautonomen ihre Blockadeaktionen starteten und damit die Polizeikräfte an sich banden, konnte der „klassische“ Autonome in Altona weitgehend ungestört agieren. So bewarfen die Linksextremisten die Station der Bundespolizei und das Altonaer Rathaus mit Steinen und Molotowcocktails; mehr als 30 Autos gingen an der Elbchaussee in Flammen auf. Der Versuch, die Elbphilharmonie, in der am Abend für die Staatsgäste ein Konzert stattfinden sollte, zu blockieren, mündete in stundenlange Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei. Am Abend brach eine Welle der Zerstörung über das Schanzenviertel herein, in deren Zuge Geschäfte geplündert, Autos angezündet und Anwohner durch Marodeure bedroht wurden. Als die Polizei anrückte, standen auf den Dächern Autonome, um sie mit Molotowcocktails, Metallkugeln, Eisenstangen und Gehwegplatten zu attackieren. Zahlreiche Anwohner, darunter Kleinverdiener, Familien und Arbeitslose, verloren während der gewaltsamen Proteste gegen den G20-Gipfel ihr Auto, diverse klein- und mittelständische Unternehmer ihre Geschäfte und möglicherweise ihre Existenz. Vor allem militante Kleingruppen sind wahllos marodierend durch Hamburg gezogen. Nur dem Zufall blieb es geschuldet, dass es keine Todesopfer gab. Dass Teile der autonomen Szene den Tod von Polizisten zumindest einkalkulierten, zeigt vor allem ihr Vorgehen im Schanzenviertel.

 

Seite: 12weiter >>