Intimizide durch Polizisten

Von Prof. Dr. Herbert Csef, Würzburg

 

1 Partnertötungen durch Polizisten – eine besondere Herausforderung

 

Polizisten2 können wie Angehörige anderer Berufe auch in schwere Ehekrisen oder Partnerkonflikte geraten.3 Falls sich die Beziehungssituation zuspitzt, die Eskalation zunimmt und die Lage unerträglich oder ausweglos erscheint, kann es sein, dass sie ihren Partner töten. Das kommt auch bei Pastoren, Juristen, allen Berufen und bei Arbeitslosen vor.4 Bei Polizisten kommen einige Besonderheiten hinzu, die das Tötungsdelikt und den Tathergang prägen. Sie haben eine Dienstwaffe und können schießen. In ihrem Beruf hatten sie meistens mit häuslicher Gewalt und eskalierenden Partnersituationen zu tun. Da werden sie als „Freund und Helfer“ gerufen und die in Not geratenen Menschen erhoffen sich von ihnen fachlich kompetente Hilfe. Wenn sie jedoch selbst in der Klemme stecken und in Not geraten – wer hilft ihnen dann? Und wenn der Mordimpuls oder die Tötungs-Phantasien von ihnen Besitz ergriffen haben, ist oft der Rubikon überschritten und es scheint kein Zurück mehr zu geben. Dann läuft meistens ein „inneres Drehbuch“, das fast wie zwangsläufig erscheint und sich in vielen Fällen wiederholt: der Polizist erschießt mit seiner Dienstwaffe seine Ehefrau oder Partnerin und dann sich selbst. Der an die Partnertötung sich anschließende Suizid beendet die Beziehungstragödie.5 Zwei Leichen und die Dienstwaffe am Tatort sind geradezu typisch. Forensiker, Gerichtsmediziner und Kriminologen sprechen dann von einem erweiterten Suizid.6 Polizisten richten sich überwiegend selbst. Sie müssen nicht mehr vor einem irdischen Richter erscheinen. Es gibt keine Gerichtsverhandlung, keine Vernehmungen, keine Geständnisse, keine Begutachtungen, keine Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidiger. Um die Phänomenologie der Wirklichkeit zu beschreiben, werden die Charakteristika von elf Fällen beschrieben, in denen ein Polizist oder eine Polizistin den Partner oder die Partnerin getötet haben. In einem zweiten Schritt wird diskutiert, worin sich die Polizisten-Intimizide von anderen Intimiziden unterscheiden.

 

 

2 Überblick über die Stichprobe


Die geschilderten Fälle sind alles reale Fälle, über die detaillierte Zeitungsberichte vorliegen. Alle untersuchten Partnertötungen durch Polizisten stammen aus den letzten zwei Jahrzehnten der Länder Deutschland und Österreich. Die erfassten Fälle erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Jedem, der sich mit Intimiziden beschäftigt hat, wird sofort auffallen, dass sich fast alle Polizisten nach ihrer Partnertötung suizidiert haben. Deshalb gab es in all diesen Fällen nur kurze Ermittlungen zum Tathergang und Obduktionen, aber eben keine Gerichtsverhandlungen und keine aussagekräftigen Gutachten. Fast 90% der Polizisten der untersuchten Fälle haben sich zeitnah am Tatort suizidiert. In größeren Studien zu Intimiziden ist die Suizidrate viel geringer. Sie liegen zwischen 15 und 25%. Sehr ausführliche Untersuchungen zu Intimiziden liegen von Forensischen Psychiatern vor, die den Erfahrungsschatz ihrer Fachgutachten auswerten, die sie für die Gerichtsverhandlung erstellt haben.7 Die hervorragende Studie von Andreas Marneros8 ging diesen Weg. Er wertete 80 Intimizid-Fälle aus seiner jahrzehntelangen Gutachtertätigkeit aus und erstellte dadurch eine Typologie von Intimiziden. Marneros hatte die lebenden Täter vor sich, mit denen er teilweise 20 Stunden lang explorative Gespräche führte und gewann Einblicke in den Verlauf der Gerichtsverhandlung. Für den Forensischen Psychiater sind die Tatmotive wichtig. Diese sind bei den meisten Polizisten-Intimiziden ein ungelöstes Rätsel geblieben.


In der Phänomenologie der Intimizide geben zwei Grundfragen eine erste Orientierung: Wie viele Tote gibt es und lebt der Täter noch?


Bei den „einfachen“ Intimiziden lebt der Täter noch und es gibt eine Leiche. Ein Mann tötete seine Frau oder eine Frau tötete ihren Mann. Hinzu kämen die homosexuellen Intimizide. Suizidiert sich der Täter anschließend nach der Partnertötung, so sprechen die Experten von einem erweiterten Suizid. Dieser wird auch Mitnahme-Suizid, Murder Suicide oder Homozid-Suizid genannt. Die Definition hierzu setzt voraus, dass primär eine Suizid-Intention bestand.


Im kürzlich erschienenen Werk „Murder Suicide“ von Milan Zimmermann9 ist diese Form wie folgt formuliert: „Unter erweiterten Suiziden versteht man Taten, bei denen primär eine zum Suizid entschlossene Person vorher meist nahe Familienmitglieder tötet. Die Suizidalität muss dabei die primäre Intention darstellen […] Wie sich jeder sicher vorstellen kann, ist die Ermittlung der primären Intention für die Tat im Nachhinein sehr schwierig.“


Beim erweiterten Suizid lebt der Täter nicht mehr, er kann nicht mehr gefragt werden. Wie soll seine „primäre Intention“ dann ermittelt werden? Es gibt Fälle, in denen jemand Familienangehörige tötet und sich umbringt, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Oder es gibt „unvollendete erweiterte Suizide“, bei denen der Täter den Suizidversuch überlebt und in der Gerichtsverhandlung überprüft wird, ob bei der Tötung Mordmerkmale vorlagen. In einem Mordfall aus Solingen im Herbst 2020 hat eine junge Mutter fünf ihrer sechs Kinder umgebracht und sich dann am Düsseldorfer Hauptbahnhof vor einen Zug geworfen. Sie überlebte schwerverletzt. Bei der Gerichtsverhandlung wurde sie wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Eine Revision beim Bundesgerichtshof wurde abgelehnt.


Bei den erweiterten Suiziden ist auch bedeutsam, ob ausschließlich der Partner oder auch gemeinsame Kinder getötet wurden.


Während in größeren Stichproben von Intimiziden die einfachen Intimizide überwiegen (ein Täter, ein Opfer, eine Leiche), gab es unter den hier erfassten 14 Polizisten-Intimiziden überhaupt keinen einfachen Intimizid.


Unter den 14 Polizisten-Intimiziden waren 11 erweiterte Suizide, weil sich in 10 Fällen der Polizist und in einem Fall die Polizistin anschließend selbst getötet haben. Die Selbsttötung geschah in allen Fällen mit der Dienstwaffe.


In 10 Fällen wurde ausschließlich der Partner getötet und dann erfolgte der Suizid. In einem Fall wurden auch die zwei Söhne getötet. Nur in drei Fällen überlebten der oder die Täter, wurden gefasst und verurteilt. Es gab also nur drei Gerichtsverhandlungen und ausführliche Ermittlungen. In 11 Fällen blieben deshalb viele offene Fragen, weil ja die Täter tot waren und die Ermittlungen deshalb bald eingestellt wurden.

 

3 Erweiterte Suizide (Partnertötung und Suizid des Polizisten)


Diese Konstellation war die häufigste, in 9 von 14 Fällen.

3.1 Juni 2009 – Tatort: Ahlen/Westfalen, Wirtschaftsweg

Ein 49 Jahre alte Kriminalbeamter erschoss mit seiner Dienstwaffe seine 45 Jahre alte Geliebte und dann sich selbst. Beide waren jeweils mit anderen Partnern verheiratet und es gab offensichtlich Probleme wegen der Affäre.

3.2 Juli 2013 – Tatort: Planegg bei München, auf offener Straße vor der Arbeitsstelle der Ex-Geliebten

Ein in München tätiger 38 Jahre alter Streifenpolizist erschoss seine Ex-Freundin und dann sich selbst. Sie hatten ein gemeinsames fünf Jahre altes Kind und es gab Streit wegen der Sorge für dieses Kind. Das Paar lebte mittlerweile getrennt und sie hatte einen neuen Partner. Durch die Trennung geriet der Polizist in eine Krise, von der auch sein Vorgesetzter wusste. Der Polizist befand sich im Studium für den gehobenen Dienst und hat dies in seiner Krise abgebrochen. Beim Tathergang hat er der Ex-Freundin an ihrem Arbeitsplatz aufgelauert und mit seiner Dienstwaffe sechs Schüsse auf sie abgegeben. Anschließend tötete er sich selbst mit einem Kopfschuss aus einer zweiten Waffe.

 

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