Von Hilfsbeamten und Ermittlungspersonen

Die Anordnungsbefugnis der Staats-anwaltschaft i.S.d. § 152 GVG

Von Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa, Schleswig1

 

1 Einleitung

 

In den vergangenen vierzig Jahren waren Funktion und Auftreten der Polizei nicht unerheblichen Wandlungen unterworfen. Hierauf hat der Gesetzgeber unter anderem im Jahr 2004 reagiert und den Wortlaut des § 152 Abs. 1 GVG mit folgender Begründung geändert: „Der Begriff der ‚Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft‘ wird der heutigen Funktion der Polizei im Ermittlungsverfahren sprachlich wie tatsächlich nicht mehr gerecht. Zwar obliegt die Sachleitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren weiterhin uneingeschränkt der Staatsanwaltschaft. Im Hinblick auf den inzwischen erreichten Aus- und Fortbildungsstand der Polizeibeamten und der daraus folgenden Tatsache, dass die Polizei aus einer lediglich untergeordneten Hilfsfunktion herausgewachsen ist, wird durch die Ersetzung des nicht mehr zeitgemäßen Begriffs der ‚Hilfsbeamten‘ durch den Begriff ‚Ermittlungspersonen‘ das heutige Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei zutreffend charakterisiert und der Ermittlungswirklichkeit Rechnung getragen“.2 Das Jubiläum der „Kriminalpolizei“ bildet daher einen hervorragenden Anlass, sich der Norm des § 152 GVG sowie dem Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei zu widmen.

 

 

2 Wer ist Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft


Die Regelung des § 152 GVG selbst definiert den Begriff der Ermittlungsperson nicht. Vielmehr eröffnet § 152 Abs. 2 GVG den Regierungen der Bundesländer die Möglichkeit, mittels Rechtsverordnung festzulegen, welche Personen dem Regelungsbereich unterfallen sollen. Hiervon haben alle Bundesländer Gebrauch gemacht. Erfasst werden dabei nahezu sämtliche Polizeibeamten der Landespolizei. Unterschiede ergeben sich lediglich bezüglich der Frage, ob auch Beamte im höheren Dienst als Ermittlungsbeamte gelten.3 Hieraus resultieren jedoch für die „Praxis“ keine wesentlichen Unterschiede, da in allen Bundesländern die Leiter einer selbständigen Dienststelle von der Regelung des § 152 GVG ausgenommen sind.4 Ferner existieren für das Bundeskriminalamt5, die Bundespolizei6 und die Zollfahndung7 Vorschriften, welche die tätigen Personen als solche i. S. d. § 152 GVG qualifizieren, wenn sie Aufgaben der Strafverfolgung wahrnehmen.


Die Eigenschaft als Ermittlungsperson ist ferner mit einer Erweiterung der Zuständigkeit in sachlicher und örtlicher Hinsicht verbunden. Soweit Ermittlungspersonen aus eigener Entschließung tätig werden, ergibt sich die Zuständigkeit allein aus dem Hauptamt. Liegt jedoch eine staatsanwaltschaftliche Weisung vor, bestimmt sich die örtliche und sachliche Zuständigkeit nach der staatsanwaltschaftlichen.8 Ferner sieht die Strafprozessordnung verschiedene Befugnisse vor, welche neben dem Richter nur durch die Staatsanwaltschaft sowie deren Ermittlungspersonen vorgenommen werden dürfen9. Die Frage der personalen Reichweite des § 152 GVG dürfte aufgrund der bezeichneten detaillierten Regelungen daher kaum zu Problemen führen. Anders gestaltet sich dies bezüglich der sachlichen Reichweite der staatsanwaltschaftlichen Anordnungsbefugnis, auf welche im Folgenden eingegangen werden soll.

 


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3 Reichweite der staatsanwaltschaftlichen Anordnungsbefugnis


Die Staatsanwaltschaft verfügt grundsätzlich über keine ausreichenden personellen Ressourcen, erforderliche Ermittlungen selbst vorzunehmen. Zwar sieht Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) vor, dass der Staatsanwalt bei bedeutsamen oder in rechtlich oder tatsächlich schwierigen Fällen den Sachverhalt vom ersten Zugriff an selbst aufklären, namentlich den Tatort selbst besichtigen, die Beschuldigten und die wichtigsten Zeugen selbst vernehmen soll. Die regelmäßige Durchführung derart umfangreicher Ermittlungshandlungen würde jedoch sicherlich bald die originär staatsanwaltschaftlichen Tätigkeiten in Form der Erhebung der öffentlichen Klage oder der Beteiligung an Hauptverhandlungen zum Erliegen bringen. Insofern ist die Mitwirkung von Polizeibeamten bei den Ermittlungen unerlässlich. Die Staatsanwaltschaft ist daher auch, sicherlich etwas überspitzt, als Kopf ohne Hände bezeichnet worden.10 Andererseits ist sie die Herrin des Ermittlungsverfahrens.11 Dieser Rolle kann sie naturgemäß nur gerecht werden, wenn eine umfassende Möglichkeit besteht, auf die polizeilichen Ermittlungen Einfluss zu nehmen. Detaillierte Regelungen hierzu sind jedoch nur vereinzelt vorhanden. Auch Gerichte befassen sich selten mit dieser Materie. Anhaltspunkte für die Ausgestaltung der Anordnungsbefugnis finden sich jedoch in der RiStBV. So sieht Nr. 3 Abs. 2 RiStBV vor, dass die Staatsanwaltschaft auch im Fall der Delegierung der Ermittlungstätigkeiten, diese zu leiten, zumindest aber ihre Richtung und ihren Umfang zu bestimmen hat. Hierbei können auch konkrete Einzelweisungen zur Art und Weise der Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilt werden. Gemäß Nr. 11 Abs. 1 RiStBV sind staatsanwaltschaftliche Ermittlungsanweisungen detailliert zu formulieren. Wendungen wie „zur Erörterung“, „zur weiteren Aufklärung“ oder „zur weiteren Veranlassung“ sind zu vermeiden. Des Weiteren regelt die Strafprozessordnung in § 163 Abs. 1 auch eigene Ermittlungsbefugnisse der Polizei hinsichtlich der Erforschung von Straftaten. In der „Praxis“ dürfte es bezüglich einer Vielzahl von Straftaten sicherlich die Regel darstellen, dass insbesondere in einem frühen Stadium des Verfahrens allein polizeiliche Ermittlungen erfolgen, wobei die Staatsanwaltschaft noch gar keine Kenntnis von dem Sachverhalt hat. Von ihrer Sachleitungsbefugnis kann sie dann naturgemäß noch keinen Gebrauch machen. Dies führt aber nicht zum Vorliegen eines (vorübergehenden) polizeilichen Ermittlungsverfahrens. Vielmehr liegt in jedem Verfahrensabschnitt stets ein staatsanwaltschaftliches Verfahren vor. Bezüglich Massen- und Alltagskriminalität werden die Akten der Staatsanwaltschaft jedoch typischerweise erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen vorgelegt. Die Sachleitung wird in diesen Fällen durch allgemeine Ermittlungsweisungen für bestimmte Deliktsformen, die Kontrolle der durchgeführten polizeilichen Ermittlungen auf Vollständigkeit und Rechtmäßigkeit und die Veranlassung oder Eigenvornahme etwaiger Nachermittlungen ausgeübt.12 Unabhängig hiervon ist die Polizei verpflichtet, in sämtlichen Fällen, in denen ein Interesse der Staatsanwaltschaft an sofortiger Unterrichtung bestehen kann, dieser unverzüglich Mitteilung über die erlangten Kenntnisse hinsichtlich einer potentiellen Straftat zu machen. Denn nur auf diese Weise kann die stete Befähigung der Staatsanwaltschaft zur Leitung des Ermittlungsverfahrens garantiert werden.


Die staatsanwaltschaftliche Anordnungsbefugnis ist dabei in sachlicher und personaler Hinsicht umfassend. Es kann also zum einen die Durchführung bestimmter Ermittlungshandlungen gefordert, zum anderen aber auch bei Bedarf der Einsatz einer bestimmten Ermittlungsperson hierfür vorgesehen werden.13 Die den Ermittlungspersonen vorgesetzten (Polizei-)Beamten sind im Rahmen der Durchführung diesbezüglicher Ermittlungen auf Maßnahmen der Dienstaufsicht beschränkt. Die Fachaufsicht übt allein die Staatsanwaltschaft aus. Insbesondere eine eigenmächtige Entscheidung darüber, ein Ermittlungsverfahren durch vollständigen Abzug der Ermittlungspersonen zugunsten anderer anhängiger Ermittlungsverfahren faktisch auf Dauer einzustellen, steht weder den Ermittlungspersonen noch deren Vorgesetzten zu. In Fällen einer Verhinderung des polizeilichen Sachbearbeiters ist deshalb regelmäßig zunächst dessen Vertretung zu organisieren. Sind indes die Ressourcen der beauftragten Polizeidienststelle für die Erfüllung sämtlicher bei ihr anhängiger Ermittlungsverfahren unzureichend, haben die Ermittlungspersonen dies der Staatsanwaltschaft unverzüglich anzuzeigen. Dies gilt auch, wenn die Verknappung der Ressourcen aus einer durch den Dienstvorgesetzten veranlassten Organisationshandlung resultiert.14 Derart weitreichende staatsanwaltschaftliche Befugnisse sind zweifellos erforderlich, da Fehler bei der Durchführung der Ermittlungen zu Beweisverwertungsverboten führen können, welche den Bestand des gesamten Verfahrens bedrohen.15


Abschließend soll noch auf zwei besondere Konstellationen eingegangen werden: Die Anwendung unmittelbaren Zwanges sowie das Zusammentreffen von repressiven Ermittlungstätigkeiten und Maßnahmen der Gefahrenabwehr durch Ermittlungspersonen; denkbar etwa bei einer Geiselnahme. Für beide Fälle sehen die Richtlinien über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeibeamte auf Anordnung des Staatsanwalts (Anlage A zur RiStBV) konkrete Verhaltensregeln vor. So sollen sich Weisungen zur Art und Weise der Ausübung des unmittelbaren Zwangs grundsätzlich auf allgemeine Ausführungen beschränken. Im Bereich der reinen Gefahrenabwehr ist für staatsanwaltschaftliche Anordnungen kein Raum. Beim Zusammentreffen präventivpolizeilicher und strafverfolgender Aufgabenerfüllung wird auf ein möglichst einvernehmliches Vorgehen hingewirkt („In einem solchen Falle ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei in ganz besonderem Maße erforderlich. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit gebietet es, dass jede Stelle bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auch die Belange der übrigen sich aus dem Lebenssachverhalt stellenden Aufgaben berücksichtigt.“). Kann in derartigen Konstellationen ein Einvernehmen nicht herbeigeführt werden und ist Eilbedürftigkeit gegeben, entscheidet die Polizei über die zu treffenden Maßnahmen.16

 

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