Vollzugsrecht im Wandel der Zeit

Von Prof. Michael Knape, Berlin

 

1 Einführung

 

Das Recht zum Vollzug hoheitlicher Maßnahmen war nicht nur auf den unterschiedlichen Rechtsgebieten der Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Erforschung bzw. Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten polizeilichen Handelns, sondern vor allem auch hinsichtlich des Vollzugs in den zurückliegenden Jahren einem in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Wandel unterworfen. Vollzugsrecht umfasst eine breite gesetzliche Palette von Vorschriften, man denke hierbei z.B. nur an das Verwaltungs-Vollstreckungsrecht (VwVG) des Bundes und der Länder, das in den meisten Polizeigesetzen der Länder ganz überwiegend integraler Bestandteil ist. Die Befugnis zur zwangsweisen Durchsetzung von Maßnahmen ergibt sich daher aus den Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder und zum großen Teil direkt aus den Polizeigesetzen der Länder;2 soll strafprozessuales Handeln mit unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden, regeln die Art und Weise – also das „Wie“ und nicht das „Ob“ – die Vorschriften über die Anwendung unmittelbaren Zwanges, die alle als besondere Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.w.S., also i.S.d. Übermaßverbots, zu verstehen sind. Insoweit spielt – anknüpfend an das VwVG – das Recht der Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Polizeivollzugsbeamte (PVB) eine vorrangige Rolle.


Blick man diesbezüglich auf die unterschiedlichen rechtlichen Ausprägungen des Bundes und der Länder, sticht dem unbefangenen Leser vor allem die absolut bemerkenswerte Änderung des abschließend geregelten Waffenkatalogs sowie die offene, nicht abschließend normierte Regelungslage betreffend die Hilfsmittel der körperlichen Gewalt ins Auge. Die „sonstigen Hilfsmittel“ dürfen jedoch im Verhältnis zu den im Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges gesetzlich genannten Hilfsmittel in ihrer Gefährlichkeit – aus Gründen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit i.w.S., dem Übermaßverbot – keineswegs erkennbar außer Verhältnis zur Erreichung des polizeilichen Ziels stehen. Folgerichtig setzt sich der weitere Beitrag mit dem Wandel der Bewaffnung deutscher Polizeien auseinander, wobei der Fokus – nicht zuletzt wegen der besonderen Rechtslage Berlins vor der 1990 erlangten Vereinigung beider deutschen Staaten – explizit auf der Bewaffnung der Berliner Polizei liegen soll; insoweit ist von (speziellen) Vorbehalten der Alliierten in der geteilten Stadt bis zur Erlangung der vollen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland am 3.10.1990 – Tag der Deutschen Einheit – die Rede.

 

 

2 Bewaffnung der Berliner Polizei im Lichte der alliierten Schutzmächte


Im letzten Millennium war die Berliner Polizei im Westteil der Stadt – insbesondere noch zu Zeiten des „Kalten Krieges“ – bis zum Ende der 70er-Jahre paramilitärisch ausgerüstet. Sie wurde auch i.d.S. aus- und fortgebildet. Die Angehörigen der Ausbildungszüge wurden zweieinhalb Jahre lang nicht nur auf den polizeilichen Einzeldienst vorbereitet, sondern vor allem auch für die Bereitschaftspolizei (BP) und deren unterschiedlichen Einsatzvarianten ausgebildet. Insoweit spielten neben der Ausbildung für den sog. „Kleiner Sicherheits- und Ordnungsdienst“ („KSOD“ = Einzeldienst), der sog. „Große Sicherheits- und Ordnungsdienst“ („GSOD“ = Vermittlung von Grundlagen für die Bewältigung von Demonstrationslagen in den Einsatzeinheiten der BP) und der sog. „Außergewöhnliche Sicherheits- und Ordnungsdienst“ („ASOD“ = Vermittlung von Grundlagen für die bewaffnete Verteidigung von Berlin [West] im Falle eines Angriffs bewaffneter Organe der DDR und Sowjetrusslands) eine grundlegende Rolle. Letzterer („ASOD“) war eng mit einer paramilitärischen Ausbildung verbunden.3 Dies den Auszubildenden überzeugend und nachhaltig zu vermitteln, fiel dem Ausbildungspersonal nicht immer leicht. Häufig dröhnte das laute Kommando der Ausbilder-Gruppenführer im Übungsgelände sowohl bei den Ausbildungszügen als auch während der Unterführer-/Gruppenführerlehrgänge: „Volle Deckung, Tieffliegerangriff von vorn!“ Was für ein Quatsch, was für ein völliger Irrsinn! Ein absolut verqueres Verständnis polizeilicher Aufgabenwahrnehmung offenbarte sich an dieser Stelle polizeilicher Ausbildung, die eigentlich schon damals in erster Linie und zuvörderst dem Schutz von Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität, der Abwehr von Gefahren für die grundgesetzlich verbürgten Grundrechte als wesentliche Wertentscheidungen des unmittelbar geltenden höchsten Rechts polizeilichen Handelns sowie vor den Gefahren des Straßenverkehrs zu dienen bestimmt war.

Nicht geringen Einfluss auf die Ausrüstung – Bewaffnung – der Berliner Polizei nahmen die westlichen Schutzmächte der Stadt. Sie sahen die Berliner Polizei in den drei Westsektoren quasi als „viertes Bataillon“ an, ohne dass Polizeivollzugsbeamte in einer militärischen Auseinandersetzung mit den Streitkräften der Volksarmee der DDR oder Sowjetunion einen wie auch immer gearteten Kombattantenstatus besaßen oder diesen bei Gefechten hätten erhalten können. Bei Gefangennahme wären sie womöglich wie Partisanen behandelt worden und hätten im schlimmsten Falle standrechtlich erschossen werden dürfen. Vollübungen bei den Ausbildungszügen der Berliner Polizei im Verbund mit den Hundertschaften der Berliner BP und Einheiten der drei Westalliierten – Amerikaner, Briten und Franzosen – standen dennoch häufig auf dem Dienstplan und unter dem Motto, dass z.B. in den frühen Morgenstunden bewaffnete Betriebskampfgruppen der DDR die Spree überquert hätten, um Berlin (West) anzugreifen.4 Zwangsläufige Folge waren zudem jährliche Inspektionen der Westalliierten an den Standorten der drei Berliner BP-Einsatzabteilungen im Stadtgebiet.5 Entsprechend angepasst war deren Bewaffnung. Nicht selten stellten konstruktiv kritische Köpfe innerhalb der Berliner Polizei die Frage, wie und ob diese kriegsähnlichen Übungen überhaupt mit dem Regelungswerk des ASOG Bln im Einklang stünden, nicht zuletzt auch aufgrund der alliierten Sicherheitsgarantien für das freie Berlin (West) und angesichts des geltenden Nato-Vertrags.6 Die Frage zielte darauf ab, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen derartiges polizeiliches Handeln dem Grunde nach zu rechtfertigen sei. Die Antwort war so kurz wie einfach: Die Westalliierten erwarteten und verlangten, dass die Berliner BP auf derartige Einsatzlagen vorbereitet und in Berlin (West) einen entsprechenden Schutzbeitrag in Zeiten des „Kalten Krieges“ zu leisten imstande ist.7 Der damalige Waffenkatalog nach § 2 Abs. 4 UZwG Bln8 umfasste in Übereinstimmung mit den damaligen zahlreichen Polizeigesetzen der Länder9 und des UZwG (Bund)10 folgende Waffen:


1) allgemeine Waffen:

  • Schusswaffen: Pistolen, Gewehre, Karabiner, Maschinenpistolen (MP)11
  • Hiebwaffen: Schlagstöcke
  • Reizstoffe: Tränengas (Chloracetophenon [CN]; CS durfte in Berlin [West] z.B. im Rahmen von Demonstrationseinsätzen nicht gebraucht werden)

2) besondere Waffen:

  • Maschinengewehre (MG MR A 3)12
  • Handgranaten


Hinweis: Gemäß AV Pol UZwG Bln Nr. 10 zu § 2 UZwG Bln zählten Sprengmittel lediglich zu den Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt. Sie durften nur zur Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen Sachen eingesetzt werden. Als Sprengmittel wurden „Donarit“ und „TNT“ verwendet. Das moderne BbgPolG regelt dies heutzutage in gleicher Weise wie früher das UZwG Bln. Zum Sprengen bestimmte explosionsfähige Stoffe (Sprengmittel) werden im § 61 Abs. 2 BbgPolG als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt eingestuft, im Unterschied dazu in § 61 Abs. 3 BbgPolG als Waffen, soweit es sich um besondere Explosivmittel, die regelmäßig von einem festen Mantel umgeben sind, handelt. Mit § 69 BbgPolG existiert für den Gebrauch von Spreng- und Explosivmitteln eine spezielle Vorschrift, die für den Gebrauch dieser Einsatzmittel enge gesetzliche Grenzen setzt. Erst mit dem Änderungsgesetz vom 25.2.1992 (GVBl. S. 61) wurde die Ausrüstung der Berliner Polizei kraft des UZwG Bln auf Waffen einer bürgernahen Polizei reduziert. § 2 Abs. 4 UZwG Bln lautete wie folgt:


Waffen sind die dienstlich zugelassenen Schusswaffen (Pistolen, Gewehre, MP), Hiebwaffen (Schlagstöcke) und Reizstoffe (Tränengas). Die nicht polizeitypischen Waffen (MG und Handgranaten) kamen im Land Berlin – im Unterschied zum Land Bayern13 und bei der BPOL14 – unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten mehr in Betracht.


Im Land Bayern konnten und können auch heute noch die weiterhin dienstlich zugelassenen nicht polizeitypischen Waffen (MG und Handgranaten) unter den besonderen Bedingungen des Art. 69 Abs. 1 PAG und – wenn überhaupt – nur durch die mit diesen Waffen ausgerüsteten und hierfür besonders ausgebildeten Polizeieinheiten (Spezialeinsatzkommando: SEK) zum Einsatz kommen.15 Das Land NRW hatte bspw. für seine PVB den Waffenkatalog längst verfassungskonform reduziert.16 § 58 Abs. 5 PolG NRW sah und sieht jedoch auch heute noch vor, dass, soweit der BGS – jetzt BPOL – im Land NRW zur Unterstützung der Polizei in den Fällen des Art. 35 Abs. 2 Satz 1 oder des Art. 91 GG eingesetzt wird, für die Einsatzkräfte des BGS/BPOL die besonderen Waffen – MG und Handgranaten – zugelassen sind. Diese Waffen durften bzw. dürfen aber nur nach den Vorschriften des PolG NRW eingesetzt werden. Wäre der BGS/BPOL nicht zur Unterstützung des Landes NRW, sondern aus eigenem Recht tätig geworden,17 hätten sich seine Befugnisse nach dem BGSG/BPolG gerichtet; diese Rechtslage gilt auch heute noch so in gleicher Weise. Für den unmittelbaren Zwang gilt dann das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG [Bund]).18

 

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