Strafe schützt vor erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht

Von der Anwendbarkeit des § 81b Abs. 1 StPO auf rechtskräftig verurteilte Beschuldigte


Von Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa, Schleswig1

 

1 Einleitung

 

Die Frage, ab welchem Zeitpunkt jemand als Beschuldigter gemäß §§ 163a Abs. 4, 136 StPO belehrt werden muss, ist steter Teil der polizeilichen „Praxis“ und hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits in zahlreichen Fällen beschäftigt.2 Besondere Konstellationen, wie informatorische Befragung3 oder Spontanäußerung4 erleichtern die Handhabung dabei sicherlich nicht. Die Beschuldigtenstellung gibt den Ermittlungsbehörden ferner die Möglichkeit, bezüglich diesem bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Hierzu gehört unter anderem eine erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b StPO oder Fahndungsmaßnahmen im Sinne der §§ 131ff. StPO. Insofern kommt es nicht nur darauf an, wann jemand zum Beschuldigten wird, sondern auch wie lange diese Eigenschaft gegeben ist. Es herrschte bisher Uneinigkeit, ob auch eine rechtskräftig verurteilte Person noch ein Beschuldigter im Sinne des § 81b Abs. 1 StPO sein kann. Mit der am 1. Oktober 2022 in Kraft getretenen Regelung des § 81b Abs. 2 StPO5 ist nunmehr Bewegung in diese Thematik gekommen. § 81b Abs. 2 StPO bezweckt die Optimierung des Europäischen Strafregisterinformationssystems „ECRIS“ („European Criminal Record Information System“), in dem Informationen über verurteilte Personen gesammelt werden, welche nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder neben einer solchen auch die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates aufweisen. Die Dauer der Beschuldigtenstellung soll daher unter besonderer Berücksichtigung dieser Norm im Folgenden erläutert werden.

 

2 Die Dauer der Beschuldigteneigenschaft


Die Strafprozessordnung definiert den Begriff des Beschuldigten nicht. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung vereinigt dieser subjektive und objektive Elemente. So setzt die Beschuldigteneigenschaft subjektiv den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich objektiv in einem Willensakt manifestiert. Ein solcher Willensakt liegt bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens immer vor. Ist dies (noch) nicht der Fall, beurteilt sich die Beschuldigteneigenschaft danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Polizeibeamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt. So soll etwa der Verdächtige, bei dem eine Durchsuchung im Sinne der §§ 102, 105 StPO dazu diente, jenen belastende Beweismittel zu gewinnen, stets als Beschuldigter gelten.6 Diesen Ausführungen lassen sich jedoch leider keine konkreten Hinweise entnehmen, wann die einmal begründete Beschuldigteneigenschaft einer Person wieder endet. Mit dieser Thematik beschäftigten sich im Vergleich weit weniger und vorwiegend verwaltungsrichterliche Entscheidungen, welche die Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlungen gemäß § 81b Abs. 1 2. Var. StPO betreffen.7 Das Bundesverwaltungsgericht deutet dabei an, dass eine Person nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung wohl nicht mehr als Beschuldigter gelten soll. Hierbei wird sich auf die Regelung des § 157 StPO berufen.8 Dieser Bezug geht jedoch fehl. Denn § 157 StPO definiert den Begriff des Beschuldigten keineswegs, sondern setzt diesen lediglich voraus.9 Ein Blick auf den Wortlaut der Norm („Im Sinne dieses Gesetzes ist Angeschuldigter der Beschuldigte, gegen den die öffentliche Klage erhoben ist,

Angeklagter der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist.“) ergibt keine Hinweise für die Beantwortung der Frage, ob auch eine rechtskräftig verurteilte Person Beschuldigter sein kann. Vielmehr werden lediglich für das Zwischen- und Hauptverfahren alternative Termini angeboten, wobei der „Beschuldigte“ offensichtlich den Oberbegriff bildet. Des Weiteren könnte der bezeichneten verwaltungsrichterlichen Rechtsprechung auch eine gewisse Inkonsistenz vorgeworfen werden. Denn erkennungsdienstliche Maßnahmen sollen nach dieser bezüglich Beschuldigten möglich sein, deren Ermittlungsverfahren bereits gemäß § 170 Abs. 2 bzw. §§ 153ff. StPO eingestellt oder die rechtskräftig freigesprochen worden sind. Dies setzt lediglich tatsächliche Anhaltspunkte voraus, die die Annahme rechtfertigen, der Beschuldigte könne künftig als Verdächtiger einer Straftat in Betracht kommen, deren Aufklärung die erkennungsdienstlichen Unterlagen überführend oder entlastend fördern können.10 Warum dies nicht auch für den rechtskräftig verurteilten Beschuldigten gelten soll, bezüglich dem sich der Tatvorwurf ja gerade bestätigt hat, erscheint nicht nachvollziehbar.


Mit dem Inkrafttreten des § 81b Abs. 2 StPO existiert nun erstmals eine Norm, welche sich explizit auf Fälle rechtskräftiger Verurteilungen bezieht. Dieser ermöglicht bei drittstaatsangehörigen Beschuldigten, die gemäß § 81b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO „rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe verurteilt oder gegen die rechtskräftig allein eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden sind“, Fingerabdrücke abzunehmen und die Daten in das Europäischen Strafregisterinformationssystems „ECRIS“ einzustellen. Zur Begründung, weshalb auch bei § 81b Abs. 2 StPO der Begriff des „Beschuldigten“ gewählt worden ist, führt der Gesetzentwurf der Bundesregierung, welcher vom Bundestag ohne Änderungen übernommen worden ist, Folgendes aus: „Die betroffene Person wird als „beschuldigt“ bezeichnet, weil auch die geltende Regelung ungeachtet der Bezeichnung „Beschuldigter“ im gesamten gerichtlichen Verfahren – also auch für „Angeschuldigte“ und „Angeklagte“ sowie im Vollstreckungsverfahren für „Verurteilte“ – anwendbar ist.“11 Mit „geltende Regelung“ ist zweifellos § 81b Abs. 1 StPO gemeint. Diese Ausführungen stellen daher nichts weniger als den ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen dar, § 81b StPO auch auf rechtskräftig verurteilte Beschuldigte anzuwenden.


Nun ist zuzugeben, dass die Gesetzesmaterialien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur dann als Indiz für den Willen des Gesetzgebers gewertet werden, wenn dessen potentielle Intention der Konzeption des Gesetzes nicht zuwiderläuft.12 Für die Anwendbarkeit des § 81b Abs. 1 StPO auf rechtskräftig verurteilte Beschuldigte sprechen freilich zahlreiche weitere Gründe, welche sich teilweise unmittelbar aus der Strafprozessordnung selbst ergeben. Zunächst ist der Wortlaut des § 81b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO zu nennen, der ausdrücklich den Begriff des Beschuldigten mit einer rechtskräftigen Verurteilung in Verbindung bringt. Hiergegen könnte argumentiert werden, dass es sich um eine besondere und restriktiv zu handhabende Erweiterung des Beschuldigtenbegriffs handele, da der Gesetzgeber sich offensichtlich gezwungen sah, das Erfordernis der Verurteilung ausdrücklich zu erwähnen. Im Umkehrschluss könne dies deshalb nicht für andere Fälle gelten, in welchen eine solche explizite Nennung fehle. Eine derartige Argumentation verkennt jedoch die Konzeption des § 81b Abs. 2 StPO. Denn für dessen Anwendbarkeit ist gerade nicht jede Verurteilung ausreichend ist, sondern nur eine solche, welche freiheitsentziehende Maßnahmen zum Gegenstand hat. Insofern war die Klarstellung im Wortlaut des § 81b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO erforderlich, da rechtskräftige Verurteilungen auch andere Sanktionen beinhalten können, wie etwa eine Geldstrafe gemäß § 40 StGB oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt im Sinne der §§ 59ff. StGB. Hieraus kann daher nichts gefolgert werden, was gegen die grundsätzliche Vereinbarkeit einer rechtskräftigen Verurteilung mit dem Begriff des Beschuldigten streiten würde. Hinsichtlich der Gesetzessystematik ist auszuführen, dass sich § 81b StPO im Abschnitt „Allgemeine Vorschriften“ befindet. In diesem sind naturgemäß diejenigen Normen niedergelegt, welche auf sämtliche weiteren „Bücher“ der Strafprozessordnung, insbesondere auch das „Siebente Buch - Strafvollstreckung“, Anwendung finden können. Des Weiteren verwenden die Strafprozessordnung und weitere Gesetze für eine rechtskräftig verurteilte Person keineswegs die einheitliche Terminologie des „Verurteilten“. So wird diese etwa in den §§ 450 Abs. 1, 453 Abs. 1, 465 Abs. 1 und 466 StPO als „Angeklagter“ bezeichnet. § 8 des Gerichtskostengesetzes spricht hingegen von dem „Beschuldigten“. Auch dürften bezüglich einer rechtskräftig verurteilten Person, die Voraussetzungen „für die Zwecke des Erkennungsdienstes“ gemäß § 81b Abs. 1, 2. Var. StPO grundsätzlich in noch höherem Maß gegeben sein, als dies bei anderen Beschuldigten der Fall ist. Denn erkennungsdienstliche Maßnahmen sind bezüglich solcher Personen möglich, die durch eine gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Begehung von Straftaten auffällig geworden sind oder bei denen Rückfallgefahr besteht. Andere Beschuldigte dürfen erkennungsdienstlich behandelt werden, wenn an ihnen nach Art und Schwere der begangenen Straftat ein besonderes kriminalpolizeiliches Interesse besteht.13 Angesichts dieser Vielzahl an Argumenten, sind keine überzeugenden Gründe ersichtlich, welche gegen die Anwendbarkeit des § 81b Abs. 1 StPO sprechen könnten.

 

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