Die Änderung des Tatbestands der Volksverhetzung durch § 130 V StGB

Von Prof. Dr. Dennis Bock und Benjamin Mischke, Kiel

 

1 Einleitung

 

Aktuellen Anlass für politische und rechtliche Diskussion bietet die Änderung des Tatbestands der Volksverhetzung (§ 130 StGB). Nachdem der Bundestag am 20.10.2022 die Änderung des § 130 StGB beschlossen hat, ist dessen Neufassung am 9.12.20222 in Kraft getreten.


Anlass für die Änderung war – nach Bekunden des Gesetzgebers3 – ein von der Kommission der Europäischen Union angestrebtes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, die einen EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit4 nicht ausreichend umgesetzt habe.5


Als entscheidende Änderung stellt sich die Einfügung des neuen Abs. 5 dar: Nach diesem macht sich strafbar, wer Taten gemäß §§ 6-12 VStGB gegen eine bestimmte Gruppe oder Mitgliedern dieser Gruppe öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder gröblich verharmlost. Dazu muss das Täterverhalten geeignet sein, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Gruppe oder eines ihrer Mitglieder aufzustacheln oder den öffentlichen Frieden zu stören.


Schon im Gesetzgebungsverfahren wurde kontrovers diskutiert,6 ob sich nach der neuen Vorschrift auch strafbar macht, wer auf einer öffentlichen, bezüglich des aktuellen militärischen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine, pro-russischen Demonstration russische Kriegsverbrechen an den Ukrainern billigt, etwa durch das Hochhalten von Schildern oder das Ausrufen von Parolen.


Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dem neu geschaffenen Tatbestand des § 130 V StGB und untersucht dessen Voraussetzungen im Einzelnen. Dabei wird anhand des angeführten Beispielsfalls eine mögliche Strafbarkeit des dargestellten Demonstranten untersucht.

 

2 Zweck der Neufassung


Der neu geschaffene § 130 V StGB dient – wie die übrigen Absätze des § 130 StGB7 – der Erhaltung und Sicherung des öffentlichen Friedens und soll zugleich den o.g. Rahmenbeschluss im deutschen Strafrecht umsetzen.8

 

3 Tatbestand

 

3.1 Handlungen der in §§ 6-12 VStGB bezeichneten Art

Bei den Straftaten der in §§ 6-12 VStGB9 bezeichneten Art handelt es sich um Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie diverse Kriegsverbrechen (§§ 8-12 VStGB). Von entscheidender Bedeutung an dieser Stelle ist die Frage, ob Handlungen nach §§ 6-12 VStGB auch tatsächlich vorliegen müssen und falls ja, ob ihr Vorliegen auch erwiesen sein muss. So erwecken russische Militäroperationen in der Ukraine angesichts umfassender Medienberichtserstattung eventuell den Eindruck, Kriegsverbrechen im Sinne des VStGB zu sein – ein dies rechtskräftig feststellendes Verfahren hat es bisher allerdings nicht gegeben. Der o.g. EU-Rahmenbeschluss10 stellt in dessen Art. 1 Abs. 4 den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung anheim, die Strafbarkeit auf Äußerungen zu Völkerrechtsverbrechen zu beschränken, die von einem nationalen oder internationalen Gericht endgültig festgestellt wurden. Von dieser Möglichkeit hat allerdings der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht, da Art. 1 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses diese Einschränkung nur für die Fälle Leugnens und des gröblichen Verharmlosens – nicht aber des Billigens – eröffnet, was als wertungswidersprüchlich eingestuft wurde.11 Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die Nachweisbarkeit des Vorliegens der beschriebenen Taten die materiell-rechtliche Seite unberührt lässt und allein eine Frage der freien richterlichen Beweiswürdigung gem. § 261 StPO in der Hauptverhandlung ist. Bedenken wirft diese gesetzgeberische Entscheidung dahingehend auf, dass es nun zu Fällen kommen wird, in denen ggf. ein einzelner Strafrichter Beweis darüber zu erheben hat, ob es sich bei den russischen Militäroperationen um Taten nach dem VStGB handelt, was ansonsten kaum mit dessen herkömmlicher Zuständigkeit einhergeht.12

3.2 Gegen eine der in Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Personenmehrheiten oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten

§ 130 I Nr. 1 StGB erwähnt nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen und Teile der Bevölkerung. Unter einer Gruppe ist dabei eine durch gemeinsame Merkmale und deren subjektive Entsprechung verbundene Mehrzahl von Menschen, die sich hierdurch von den anderen abhebt, zu verstehen.13 Unter den Begriff der nationalen Gruppe sind – da es sich bei der Ukraine völkerrechtlich um einen souveränen Staat handelt – auch die Ukrainer zu fassen. Gemeinsames Merkmal ist in diesem Fall die ukrainische Staatsbürgerschaft. Teile der Bevölkerung sind inländische Personenmehrheiten, die individuell nicht mehr überschaubar sind und sich von der Gesamtheit der Bevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale unterscheiden, welche äußerer oder innerer Art sein können.14 Aufgrund des Definitionsbestandteils „inländisch“ ist fraglich, ob die Ukrainer als Zielgruppe der Taten nach dem VStGB in Betracht kommen. So können Menschengruppen anderer Nationalität durchaus unter das Merkmal fallen, sofern sie im Inland leben,15 jedoch muss es sich bei der Gruppe um einen integrierten Teil der Bundesrepublik Deutschland handeln,16 was bei – bislang nur kurzzeitig verweilenden Kriegsflüchtlingen – zu bezweifeln ist.

3.3 Öffentlich oder in einer Versammlung

Die Tat ist öffentlich, wenn sie von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder durch nähere Beziehung nicht verbundenen Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann.17 Insbesondere eine Darstellung im Internet, die für andere ohne weiteres abrufbar ist (z.B. auf Social-Media-Plattformen) ist vom Begriff „öffentlich“ umfasst.18 Eine Versammlung ist ein nicht nur zufälliges zeitweiliges Beisammensein einer größeren Zahl von Personen zu einem gemeinsamen Zweck.19 Im Fallbeispiel ist bei lebensnahem Verständnis sowohl das Merkmal „öffentlich“ als auch das Merkmal „in einer Versammlung“ – die Demonstranten haben sich nicht zufällig, sondern zum Zwecke ihrer Meinungskundgabe zusammengefunden – erfüllt.

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