Wissenschaft  und Forschung

Intimizide durch Polizisten

Von Prof. Dr. Herbert Csef, Würzburg

 

9 Vergleich mit Ergebnissen von größeren Intimizid-Studien


Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Suizidrate der geschilderten 14 Polizisten nach dem volllzogenen Intimizid außerordentlich hoch ist. Sie liegt deutlich höher als in neueren Intimizid-Studien. Luise Greuel untersuchte 41 männliche Intimizide. In ihrer Studie nahmen sich 25% der Täter nach der Partnertötung das Leben.11 Justine Glas-Ocik & Jens Hoffmann untersuchten 70 männliche Intimizide. Nur 5,7% starben unmittelbar nachher durch Suizid.12 Die extrem hohe Suizidrate unter den hier vorgestellten 14 Polizisten mit fast 80% ist extrem hoch und erklärungsbedürftig. Offensichtlich sind die Schamgefühle und die unbewusste Angst unerträglich hoch. Die Vorstellung, von Polizeikollegen verhaftet zu werden, dem Richter vorgeführt zu werden oder als Angeklagter im Gerichtssaal zu sitzen – alles erscheint so beschämend, dass es inakzeptabel und nicht zu ertragen ist. Die meisten Polizisten kennen diese Situationen aus ihrer Berufstätigkeit. Jetzt als Angeklagter auf der „anderen Seite“ zu stehen und der Angeklagte oder Verfolgte zu sein, erscheint offensichtlich den betroffenen Polizisten so schlimm zu sein, dass sie einen Suizid vorziehen. Vergleicht man diese Intimizid-Situation mit anderen Berufen – z.B. Ärzten oder Pastoren – so ist deren Suizidrate deutlich geringer.


Bezüglich der Tatmotive gibt es offensichtlich wenig Unterschiede zu männlichen Intimiziden anderer Stichproben. Bei den Intimizid-Auslösesituation stehen auch Trennungen im Vordergrund. Ein häufiges Tatmotiv ist Eifersucht.13 Bei den Gerichtsverhandlungen wird fast immer das Gutachten eines Forensischen Psychiaters angehört, das über die Persönlichkeit, Psychopathologie und psychische Störungen Auskunft gibt. Die meisten Polizisten dieser Untersuchung, die einen Intimizid begangen haben, starben durch Suizid. Also gab es keine Gerichtsverhandlung. Die wenigen überlebenden Täter hatten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder narzisstische Persönlichkeitsmerkmale.14


Auffällig ist auch die Tötungsart – sowohl beim Intimizid als auch beim folgenden Suizid. Bei den 14 Polizisten wurde fast ausschließlich die Dienstwaffe verwendet und Erschießen oder Kopfschuss war die Tötungsart. Dies ist bei anderen Intimiziden und Suiziden deutlich anders. Da begegnet den Untersuchern eine viel größere Vielfalt. Bei der Tötung des Partners sind Hieb- und Stichwaffen viel häufiger, z.B. lange Küchenmesser, Axt oder Beil. Beim nachfolgenden Suizid sind Erhängen, Intoxikation oder Suizid mit dem Auto (Sturz von der Brücke, Brückenpfeiler, Fahrt gegen eine Mauer, Geisterfahrt) in Intimizid-Studien durchaus häufig vertreten, bei den hier vorgestellten Polizisten überhaupt nicht.


In ihrem Beruf müssen Polizisten oft stark und souverän sein. Für viele Herausforderungen haben sie spezifische Trainings und sind gewappnet. Wenn sie von ihrer Partnerin verlassen werden oder in schwere Beziehungskrisen geraten, sind sie oft besonders vulnerabel. Auf diese Verletzlichkeit sind sie meist nicht vorbereitet. Das kostet nicht selten ihrer Partnerin und anschließend ihnen selbst das Leben. Intimizid und Suizid sind dann zwei Seiten derselben Medaille. Sie markieren menschliche Tragödien, die prinzipiell vermeidbar sind. „Murder Suicide“ ist der Fachbegriff für diesen menschlichen Abgrund. Dass auch Polizisten in diesen Abgrund gerissen werden können, ist mehr als menschlich. Die renommierteste Forensische Psychiaterin Deutschlands, Nahlah Saimeh, schrieb ein Buch mit dem Titel „Jeder Mensch kann zum Mörder werden“.15 Dies gilt auch für Polizisten.

 

Anmerkungen

 

  1. Der Autor war bis zu seiner Pensionierung Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Zentrum Innere Medizin der Medizinischen Klinik und Poliklinik II in Würzburg. Aktuelle Korrespondenzadresse: [email protected].
  2. Auf eine geschlechterspezifische Differenzierung wurde überwiegend verzichtet und das generische Maskulinum verwendet.
  3. Laura Backes/Margherita Bettoni, Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen. Deutsche Verlagsanstalt München 2021.
  4. Julia Cruschwitz/Carolin Haentges, Femizide. Frauenmorde in Deutschland. Hirzel Verlag Stuttgart 2021.
  5. Ulrike Borst, Lanfranchi, Andrea (Hrsg.), Liebe und Gewalt in nahen Beziehungen. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2011.
  6. Bundeskriminalamt (Hrsg.) Partnerschaftsgewalt – Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2021. Bundeskriminalamt Wiesbaden, 24. November 2022.
  7. Winfried Rasch, Tötung des Intimpartners. Enke, Stuttgart 1964.
  8. Andreas Marneros, Intimizid. Die Tötung des Intimpartners. Ursachen, Tatsituationen und forensische Beurteilung. Schattauer, Stuttgart 2008.
  9. Milan Zimmermann, Murder Suicide. Der inszenierte Tod. Die Wahrheit hinter Familientragödien, Beziehungsdramen und Amokläufen. Droemer, München 2022.
  10. Daniel Fuchs, Eifersuchtsdrama. Polizistin schießt auf Polizisten. 10 nach 8 vom 4.1.2009.
  11. Luise Greuel, Abschlussbericht des Forschungsprojektes „Gewalteskalation in Paarbeziehungen“. Institut für Polizei und Sicherheitsforschung, August 2009.
  12. Justine Glas-Ocik, Hoffmann, Jens, Gewaltdynamiken bei Tötungsdelikten an den Intimpartnern. 2011, S. 263-286.
  13. Herbert Csef, Eifersucht – Klinische Erscheinungsbilder, Psychopathologie, Beziehungsdynamik, therapeutische Möglichkeiten. Der informierte Arzt 7 (1990), Heft 10, S. 969-976.
  14. Herbert Csef, Pathologischer Narzissmus und Destruktivität. Gewaltexzesse in der Gegenwart. Nervenheilkunde 35 (2016) S. 858-863.
  15. Nahlah Saimeh, Jeder kann zum Mörder werden. Wahre Fälle einer forensischen Psychiaterin. Piper, München 2012.

 

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