Recht und Justiz

Die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung?

Anmerkung zum Beschluss LG München I v. 16.11.2023 - 2 Qs 14/23


Von Prof. Dr. Dennis Bock und Benjamin Mischke, Kiel1

 

1 Einführung


Jüngst hat das LG München I im Rahmen einer von Mitgliedern der „Letzten Generation“ eingelegten Beschwerde gegen diverse Ermittlungsmaßnahmen den Anfangsverdacht auf das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB bestätigt.2 Bei dieser Entscheidung handelt es sich um kein gerichtliches Urteil, sondern um einen Beschluss, dem lediglich im Stadium des Ermittlungsverfahrens Bedeutung zukommt und der daher keine abschließende rechtliche Bewertung enthält.3

 

 

2 Argumentation des Landgerichts

 

Die Argumentation des LG betrifft insbesondere die Merkmale des auf die Begehung von Straftaten gerichteten Zwecks der „Letzten Generation“ sowie eine durch sie entstehende erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

 

2.1 Zweck der Vereinigung

Zum Zweck der Vereinigung führt das LG aus, dass dieser zwar nicht allein in der Begehung von Straftaten besteht – was nach höchstrichterlicher Rspr. auch nicht erforderlich ist4 – aber zumindest auch in ihrer Begehung. Dies komme dadurch zum Ausdruck, dass das Erscheinungsbild der „Letzten Generation“ durch Nötigungen von Verkehrsteilnehmern insbesondere durch Festkleben oder (gemeinschädliche) Sachbeschädigungen jedenfalls wesentlich mitgeprägt werde.

2.2 Erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit

Ebenfalls sieht das LG eine – nach herrschender Meinung5 zusätzlich erforderliche – erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit als gegeben an. Dies begründet die Kammer mit der Erwägung, dass die Begehung der Straftaten (Sitzblockaden, Störungen und Blockaden des Betriebs von Flughäfen sowie Versuche, den Durchfluss von Ölpipelines zu unterbrechen) kein Mittel der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Diskussion, sondern Ausdruck krimineller Energie seien. Derartige Protestformen verletzten den gesellschaftlichen Diskurs, da die Gruppierung sich durch die Begehung von Straftaten über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen der demokratischen Abläufe stelle.

 

3 Bewertung

 

3.1 Zweck der Vereinigung

Wenn es nach ständiger Rspr. des BGH6 nicht erforderlich ist, dass die Begehung von Straftaten der Hauptzweck oder das Endziel der Vereinigung ist, so ist es zumindest vonnöten, dass die Straftaten der Erreichung eines weitergehenden Zwecks – hier dem des Klimaschutzes – dienen oder sie vorbereiten sollen.7 Problematisch ist, dass die von der „Letzten Generation“ begangenen Straftaten8 der Erreichung eines umfassenden Klimaschutzes allenfalls mittelbar dienen, da nicht die Taten selbst, sondern die (bundes-)politischen Entscheidungsträger diesen tatsächlich und rechtlich zu realisieren in der Lage sind. Sollte man die Straftaten als Vorbereitungshandlungen einstufen, so liegen diese zeitlich einer möglichen Zweckerreichung derart weit voraus, dass diese kaum noch auf die Tatbegehung zurückzuführen ist. Mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm und in Anbetracht der weitgehenden prozessualen Befugnisse, die ein entsprechender Anfangsverdacht eröffnet9, ist demnach eine restriktive Auslegung des Zwecks der Vereinigung geboten, was durch das Kriterium der Unmittelbarkeit10 der Vorbereitungshandlungen ermöglicht wird. Vorliegend sind zur Zweckerreichung noch diverse Mitwirkungshandlungen politischer Entscheidungsträger erforderlich, sodass durch die Begehung der o.g. Straftaten eine hinreichend unmittelbare Vorbereitung nicht möglich ist. Demnach ist der Zweck der „Letzten Generation“ nicht auf die Begehung von Straftaten gerichtet.11

 

3.2 Erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit

Die Argumentation, mit der Begehung von Straftaten setzen sich die Täter über die rechtsstaatliche Ordnung hinweg, vermag keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begründen, da dieser Vorwurf auf jeden Straftäter zutrifft. Auch ist eine besondere Beunruhigung der Bevölkerung12 nicht bereits dann anzunehmen, wenn die Protestmittel der „Letzten Generation“ mehrheitlich – insbesondere medial – abgelehnt und verurteilt werden. In Anbetracht der gefährdeten bzw. verletzten Rechtsgüter – meist Entschließungsfreiheit und Eigentum – lässt sich auf eine derartige allgemeine Beunruhigung nicht schließen. Dafür spricht auch, dass die Taten – ausweislich ihrer Strafrahmen – eher einem Bereich unterer bzw. mittlerer Kriminalität zuzuordnen sind. Eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist daher nicht anzunehmen.

 

Anmerkungen

 

  1. Prof. Dr. Dennis Bock ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktor des dortigen Instituts für Kriminalwissenschaften. Benjamin Mischke ist studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Hoyer.
  2. LG München I Beschluss v. 16.11.2023 - 2 Qs 14/23; den Anfangsverdacht in vergleichbarer Sache bestätigend LG Potsdam Beschluss v. 19.4.2023 - 21 Qs 15/23.
  3. Der Beschluss liegt den Autoren noch nicht im Original vor, sodass sich der Beitrag an den einschlägigen medialen Berichten (vgl. insbesondere Pressemitteilung Nr. 68 des OLG München v. 23.11.2023) über ihn orientiert.
  4. BGHSt 15, 260; BGHSt 27, 325.
  5. BGHSt 41, 47; BT-Drucks. 18/1125, S. 10; Fischer § 129 StGB Rn. 20.
  6. BGHSt 15, 260; BGHSt 27, 326; BGHSt 41, 56.
  7. Vgl. Fischer § 129 StGB Rn. 17 m.w.N.
  8. S. Bock/Mischke Die Kriminalpolizei 4/2023, 8.
  9. Kritisch hierzu Singelnstein/Winkler NJW 2023, 2815; im Erscheinen Bock/Fülscher HRRS 01/2024.
  10. Vgl. Bock/Mischke Die Kriminalpolizei 4/2023, 8 (11).
  11. S.a. Prof. Dr. Bock im Interview der Kieler Nachrichten, www.kn-online.de/schleswig-holstein/letzte-generation-sh-ermittlungen-wegen-beteiligung-an-krimineller-vereinigung-5DZ6R6SS2JCQ5ILLFDEG2XYOB4.html, abger.: 11.2.2024.
  12. NK-StGB/Eschelbach § 129 Rn. 40.