Wissenschaft  und Forschung

Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus 2.0

Von Dr. Udo Baron, Hannover

5 Ausblick


Betrachtet man die Entwicklung der Klimaschutzbewegung, so lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine spürbare Zunahme des linksextremistischen Einflusses konstatieren. Verantwortlich dafür dürfte insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie zum einen der Rückgang der Teilnehmerzahlen an den Aktionen der Klimaschutzbewegung sein. Haben beispielsweise noch im September 2019 etwa 1,4 Millionen Menschen an dem Klimastreiktag teilgenommen, so waren es nach dem Ende der Corona-Beschränkungen Anfang März 2023 nur noch rund 220.000.46 Aus diesem Grunde scheint vor allem FFF nicht mehr so attraktiv für Linksextremisten zu sein, wie es vor 2020 noch der Fall war. Zum anderen dürfte, neben dem andauernden Bedeutungsverlust des parteipolitischen Linksextremismus wie ihn die DKP und die MLPD verkörpern, die Krise der Postautonomen, insbesondere der IL, zum Rückgang der Einflussversuche beigetragen haben. Möglicherweise stößt das postautonome Projekt – zumindest was die IL betrifft – mittlerweile an seine Grenzen.


Gehörte EG in meinem Aufsatz zur Klimaschutzbewegung aus dem Jahre 2020 eher zu den Objekten der linksextremistischen Einflussnahme, so hat es sich mittlerweile zu einem Akteur entwickelt. Ließ sich zum damaligen Zeitpunkt der Linksextremismus bei EG in erster Linie über die Verbindungen zur IL herleiten, so scheint EG in der letzten Zeit zunehmend aus sich heraus linksextremistische Termini und linksextremistische Ideologiefragmente zu verwenden. Daraus geht hervor, dass EG mehrheitlich den demokratischen Rechtsstaat, seine Institutionen und Repräsentanten ablehnt. Demokratische Einrichtungen wie Parlamente und Parteien sind, wenn überhaupt, für EG nur Mittel zum Zweck auf dem Weg zur Überwindung der bestehenden Ordnung. Ihr Motto „System change not climate change“ muss daher auch als eine Aufforderung nicht nur zur Überwindung der wirtschaftlichen, sondern auch der politischen Ordnung gelesen werden.


Dagegen liegen bei der LG bislang keine Anhaltspunkte für eine linksextremistische Einflussnahme vor. Ihre Akteure wähnen sich zwar im exklusiven Besitz der Wahrheit, woraus ein Verkündigungsinteresse erwächst, dem die LG mit missionarischem Eifer und unter Verstoß gegen Recht und Ordnung nachgeht.47 Eindeutige linksextremistische Äußerungen oder entsprechende Positionierungen liegen gegenwärtig aber nicht vor.


Dennoch bietet die LG extremistische Anknüpfungspunkte. Um diese in seiner Gänze greifbar zu machen, helfen die bisherigen Kategorisierungen kaum weiter. Möglicherweise entwickelt sich die LG in Richtung eines „Ökoextremismus“, worunter eine neue Form des Extremismus zu verstehen wäre.


Auch wenn man den Aspekt der linksextremistischen Einflussnahme auf die Klimaschutzbewegung und deren Versuche, die Bewegung zu radikalisieren, außer Acht lässt, bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Klimaschutzbewegung künftig entwickeln wird. Wird sie sich letztlich um konsensuale Lösungen im demokratischen Rahmen bemühen oder werden sich Teile der Bewegung weiter radikalisieren und die Proteste eskalieren lassen? Die Antwort auf diese Fragen wird nicht nur über das künftige Verhältnis der Klimaschutzbewegung zum Linksextremismus entscheiden, sondern über die Zukunft der Klimaschutzbewegung im Allgemeinen.


Bildrechte: LG.

 

Anmerkungen

 

  1. Dr. Udo Baron ist seit 2008 als Referent für den Bereich Linksextremismus und seit 2021 auch für den Bereich Extremismus mit Auslandsbezug im Niedersächsischen Verfassungsschutz zuständig.
  2. Vgl. Udo Baron, „System Change not Climate Change“ – Die Klimaschutzbewegung und der Linksextremismus, in: Die Kriminalpolizei 2/2020, S. 4-7.
  3. Vgl. Jan Heidtmann, Klebst du schon oder protestierst du noch?, in: Süddeutsche Zeitung vom 22.4.2023, S. 2.
  4. Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Kommunistische Diskussionsbeiträge zu #Fridays-ForFuture (18.8.2019), in: www.dkp-mv.de (gelesen am 17.4.2022).
  5. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, Parteiprogramm der MLPD, 1. Auflage, Dezember 2016, in: www.mlpd.de (gelesen am 18.2.2022).
  6. Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.11.2019 – 11 ME 385/19 -, juris.
  7. Rebell, Change for Future – die antikapitalistische Plattform in FFF (19. Juni 2020), in: www.rebell.info (gelesen am 27.4.2023).
  8. Vgl. Twitter-Account von „Change for Future“ in: twitter.com/CFF Antikap (gelesen am 18.6. 2023).
  9. Unter der Domain www.changeforfuture.de/ erscheint nur noch ein weißer Bildschirm.
  10. Das Motto „Systemwandel statt Klimawandel“ bzw. seine englischsprachige Variante „System Change not Climate Change!“ ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort innerhalb der Klimaschutzbewegung geworden und dadurch kein Ausweis mehr für eine explizit extremistische Gesinnung.
  11. Interventionistische Linke, IL vor Ort (ohne Datum), in: www.interventionistische-linke.org/ (gelesen am 11.4.2023).
  12. Interventionistische Linke Münster, Nichts bleibt, wie es war – 10 Jahre sind genug (November 2021), in: www.ms-alternativ.de (gelesen am 31.5.2023).
  13. Interventionistische Linke (IL), Ende Gelände 2016 (16.7.2016), in: www.interventionistische-linke.org (gelesen am 25.4.2023).
  14. Twitter-Account von „Ende Gelände“ (14.2.2023), in: www.twitter.com/Ende__Gelaende/, (gelesen am 28.5.2023).
  15. Vgl. Ende Gelände, „We shut shit down“, Hamburg 2022.
  16. Vgl. Ende Gelände, Überall Polizei, nirgendwo Sicherheit. Kritik der Polizei – Ende Gelände 2022 (ohne Datum), in: www.ende-gelaende.org/polizeikritik/ (gelesen am 28.2.2023).
  17. Ende Gelände (Anm. 14), S. 139.
  18. Ebenda, S. 142.
  19. Ebenda, S. 140.
  20. Ebenda, S. 143.
  21. Ebenda.
  22. Ebenda, S. 149.
  23. Vgl. Ende Gelände (Anm. 15).
  24. Ebenda.
  25. Ebenda.
  26. Ende Gelände (Anm. 14), S. 173.
  27. Ebenda, S. 174.
  28. Ebenda.
  29. Ebenda, S. 175.
  30. Ende Gelände, Selbstverständnis, in: www.instagram.com/p/CRqXMN2McWg/ (gelesen am 23.7.2021).
  31. Twitter Account von Ende Gelände #ZADRheinland (21.1.2022), in: www.twitter.com/Ende__Gelaende/ (gelesen am 12.6.2023).
  32. Vgl. Letzte Generation, Forderungen (ohne Datum), in: www.letztegeneration.de (gelesen am 21.4.2023).
  33. Marcus Wadsak, Paula Dorten, Letzte Generation. Das Klimamanifest, Wien 2022, S. 7.
  34. Vgl. ebenda. Wadsak als Experte und Dorten als Aktivistin versuchen in zehn Thesen – hochemotionalisiert – dem Leser die Gefahren des Klimawandels vor Augen zu führen und ihn zum Handeln zu motivieren.
  35. Vgl. Mischa Kreiskott, Undercover bei der „Letzten Generation“. Interview mit Maria-Christina Nimmerfroh (15.3.2023), in: www.ndr.de (gelesen am 22.6.2023).
  36. Vgl. Tom Burggraf, Letzte Generation packt aus, in: die tageszeitung vom 27.3.2023, S. 9.
  37. Letzte Generation, Unser Protestkonsens (ohne Datum), in: www.letztegeneration.de (gelesen am 25.4.2023).
  38. Vgl. Alexander Dinger/Lennart Pfahler, „Letzte Generation“ plant offenbar Gründung einer Partei (21. März 2023), in: www.welt.de (gelesen am 11.4.2023).
  39. Vgl. Lennart Pfahler, „Letzte Generation“ – Das ist der Verein, der Klimaaktivisten Gehälter überweist“, (18.1.2023), in: www.welt.de (gelesen am 23.6.2023).
  40. Vgl. Alexander Dinger/Lennart Pfahler, Politiker bieten der „Letzten Generation“ ihre Hilfe an, in: Welt am Sonntag vom 9.7.2023, S. 1. Neben Bundestagsabgeordneten der SPD, der Grünen, der FDP und der Die Linke fanden u.a. auch Gespräche mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger statt. Bundesweit sollen sich zudem acht Polizisten der LG angeschlossen haben.
  41. Vgl. Dinger/Pfahler (Anm. 38).
  42. Aufruf „Klima schützen ist kein Verbrechen – Solidarität mit der Letzten Generation“ (ohne Datum), in: www.letztegeneration.de/ (gelesen am 12.4.2023). Neben der IL und EG gehört auch uG zu den Unterzeichnern des Solidarisierungsaufrufs.
  43. Vgl. Ohne Autor, Aktivisten beschmieren FDP-Zentrale, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.4.2023, S. 4.
  44. Vgl. Interventionistische Linke, Klima schützen ist kein Verbrechen. Solidarität mit der Letzten Generation, in: www.interventionistische-linke.org/ (gelesen am 20.4.2023). Ob oder wie der AdLG auf die Solidaritätsbekundungen reagierte, ist nicht bekannt.
  45. Vgl. Letzte Generation (Anm. 37).
  46. Vgl. Valentin Dreher/Johanna Schwanitz, Von Spaltung ist keine Rede mehr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.4.2023, S. 3.
  47. Vgl. Benno Schirrmeister, „Apokalyptische Rede stellt eine Chiffre der Dringlichkeit dar“. Interview mit dem Religionswissenschaftler Alexander-Kenneth Nagel, in: die tageszeitung vom 6.2.2023, S. 23.

 



 

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