„Geh´ mit (k)einem Fremden mit…!“

Kriminalprävention in der Praxis (Teil 2)

3.3 Positivliste

Mit einer Positivliste10 ist die Frage zu klären, mit wem ein Kind immer und unter allen Umständen mitgehen oder mitfahren darf. Auch gilt, dass die festgelegte Person in die Wohnung gelassen werden darf, wenn das Kind alleine zu Hause wäre. Sie umfasst damit alle Vertrauenspersonen, die nach der einheitlich gefundenen Meinung von Kind, Vater und Mutter (oder anderen Erziehungsverantwortlichen) jederzeit das Kind überall alleine abholen dürften oder wenn es alleine in der Wohnung ist, diesen die Tür öffnen darf. Um dem Kind die Aufgabe nicht zu leicht zu machen, sollte es zuerst Namen aufschreiben. Anschließend das eine Elternteil und schließlich, getrennt davon, das andere Elternteil. Kann das Kind noch nicht im erforderlichen Ausmaß lesen und schreiben, dienen Fotos als Hilfe. Sind die Eltern nicht derselben Meinung, ergeben sich daraus Gespräche, warum abweichende Sichtweisen bestehen. Das Kind lernt, dass sich die Erziehungsverantwortlichen sorgen und mit Rat und Tat bereitstehen. Ideen wie: „Nach Absprache“ oder „Ruf mich an“ funktionieren in stressbehafteten Situationen nicht, sind von weiteren Bedingungen wie der Möglichkeit zu telefonieren abhängig und sollten unbedingt vermieden werden. Bei der Erstellung dieser Listen ist zu berücksichtigen, dass neben den Eltern andere Erziehungsverantwortliche existieren, die für das Kind besonders wichtig sind. Sie sollte um Telefonnummern erweitert werden, damit, wenn einmal die bevorzugten Vertrauenspersonen nicht erreicht werden können, weitere Menschen auf der Liste zu finden sind, die als mögliche Helfer zur Verfügung stehen. Dabei sollen die Rufnummern auswendig präsent und nicht nur über eine Kurzwahl oder Kontaktliste abrufbar sein, da ansonsten ohne dieses Gerät die Nummern nicht vorhanden sind. Wir sind immer wieder verwundert, welche großen Zahlenkolonnen gerade von Kindern im Gedächtnis abgespeichert werden können. Ist die Liste erstellt, sollte sie regelmäßig – jedoch immer bei Veränderungen wie Umzug, Schulwechsel, Vereinseintritt oder -austritt oder verändertem Freundeskreis – aktualisiert werden. Hat eine Person auch nur ein „Minus“, sollte sie von der Liste genommen werden und die Frage nach deren Erreichbarkeit erübrigt sich. Die Anpassung der Liste ist damit ein weiterer regelhafter Anlass, mit seinen Kindern über das Thema zu sprechen und es damit im Bewusstsein zu halten. Was und warum ein Kind darf oder nicht, sollte im Kreis verantwortungsvoller Erziehungsberechtigter offen besprochen werden können – im Interesse der Sicherheit des Kindes.




Diese Liste ist dabei nur Teil einer Gesamtkonzeption, bei der alle Erziehungsverantwortlichen in passenden Dosierungen regelmäßig an dem Thema Vorbeugung vor Gewalt arbeiten. Durch begleitende Seminare oder Trainings mit Kindern lassen sich zwar wichtige Impulse setzen – doch so wenig, wie ein zweitägiges Dauertraining einmal im Jahr zum Erhalt oder Steigerung der körperlichen Fitness führt – so wichtig ist die beständige Beschäftigung mit dem Thema Sicherheit. Die Liste führt in der Praxis dazu, dass ein Kind sehr genau weiß, welchem erwachsenen Menschen es vertrauen und damit auch „sich anvertrauen“ kann. Daraus können sich Vertrauensverhältnisse entwickeln, die auch über schwierige Zeiten der Pubertät und Adoleszenz hinweghelfen können. Und das überdies in Eltern-Kind-Themen, bei denen es gerade nicht um Sicherheit oder Umgang mit Gewalt geht.

 



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Anmerkungen

 

  1. Rudi Heimann ist Polizeivizepräsident im PP Südhessen, Kommentator der PDV 100 VS-NfD und Ressortverantwortlicher für die Ausbildung von Gewaltschutztrainern im Deutschen Karate Verband e.V. (DKV); Dr. Jürgen Fritzsche ist technischer Direktor des luxemburgischen Karateverbandes, ehemaliger Bundeslehrwart und wissenschaftlicher Koordinator des DKV.
  2. Wimmer, H. & Perner, J. (1983). Beliefs about beliefs: Representation and constraining function of wrong beliefs in young children’s understanding of deception. Cognition, 13(1) 10-128.
  3. Goswami, U. (2008). Cognitive development. The learning brain. New York: Psychology Press.
  4. Heimann R. & Kullmann K. (2020). Verantwortliche der Erziehung. In R. Heimann & J. Fritzsche (Hrsg.). Gewaltprävention in Erziehung, Schule und Verein. (S. 128 f). Wiesbaden: Springer.
  5. Bussmann, K.-D. (2001). RdJB 2001, 35. S. 52.
  6. Schloss, J. (2009). Does evolution explain human nature? Totally, for a Martian. In Celebrating the bicentenary of the birth of Charles Darwin. Philadelphia: John Templeton Foundation.
  7. Ekman, P. & Friesen, W. V. (1971). Constants across cultures in the face and emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 17(2). 124-129.
  8. Eisenberg, N., Fabes, R. A., Shepard, S. A., Guthrie, I. K., Murphy, B. C. & Reiser, M. (1999). Parental reactions to children‘s negative emotions: Longitudinal relations to quality of children‘s social functioning. Child Development, 70(2), 513-534.
  9. Heimann R. (2021). Gewaltprävention. In R. Heimann & J. Fritzsche (Hrsg.). Gewalt- und Krisenprävention in Beruf und Alltag: Ursachen und Lösungen für Gewalt und Krisen. Wiesbaden: Springer.
  10. Fritzsche J. (2020). Modellseminar. In R. Heimann & J. Fritzsche (Hrsg.). Gewaltprävention in Erziehung, Schule und Verein. (S. 261). Wiesbaden: Springer.

 

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