Linke Identitätspolitik und Meinungsfreiheit
Von Dr. Udo Baron, Hannover
5 Ausblick
Im Ergebnis stellen linksidentitäre Bestrebungen eine hochgradig intolerante Strömung der extremen Linken mit Auswirkungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft dar. In Gestalt von Cancel Culture brandmarken sie politisch missliebige Gruppen, Personen und Positionen und verweigern sich dem vernunftgeleiteten kritischen Diskurs. Linksidentitäre versuchen, durch eine ideologisch ausgerichtete Sprachzensur die Meinungsfreiheit auszuhöhlen, schaffen geistige Verbotszonen und bedrohen so auch die Freiheit von Forschung und Lehre an den Hochschulen. Durch ihre einseitige Fixierung auf Identitäten wie Ethnie, Religion oder Gender blenden sie die soziale Frage aus und erweitern so die Trennlinien in der Gesellschaft. Die von ihnen erzeugte Polarisierung kann dadurch zu einer weiteren Verunsicherung der westlichen Gesellschaften führen und somit zu einem Erstarken rechtsextremer Kräfte. Diese Entwicklung wird auch von der bundesrepublikanischen Bevölkerung sehr sensibel und kritisch wahrgenommen. So äußerten laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Mai/Juni 2021 nur noch 45% der Befragten die Ansicht, man könne in Deutschland seine Meinung frei sagen. 44% dagegen gaben an, aus Sorge vor gesellschaftlichen Sanktionen bei Verstößen gegen die „Political Correctness“ mittlerweile lieber vorsichtig zu sein. Seit dem Beginn dieser Erhebung im Jahre 1953 ist das der mit Abstand niedrigste Wert für das Freiheitsgefühl der bundesdeutschen Bürger.20
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ein Engagement für gesellschaftliche Minderheiten ist richtig und wichtig. Diskriminierung und (Alltags-)rassismus haben in demokratischen Gesellschaften nichts zu suchen. Ebenso gehört die Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei aufgearbeitet. Doch wo dieser Einsatz zur Diskriminierung anderer und zur Stigmatisierung von Mehrheiten durch Minderheiten führt, verstößt er gegen die Würde des Einzelnen und somit gegen grundlegende Menschenrechte bzw. grundgesetzlich geschützte Bürgerrechte. Wohin die Forderungen nach homogenen Gemeinschaften führen können, haben wir in der deutschen Geschichte auf grausame Art und Weise erleben müssen. Allein aus diesem Grunde gilt es sowohl Rechts-, aber auch Linksidentitäre mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates zu bekämpfen. An dieser Stelle ist die wehrhafte Demokratie gefordert, die in der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung formulierten grundlegenden Werte wie Menschenrechte, Meinungs-, Presse-, Wissenschafts- und Religionsfreiheit und somit die unantastbare Würde eines jeden Menschen gegen ihre Feinde zu verteidigen. Die Extremismusprävention muss sich des Themas Identitätslinke annehmen und der von ihr ausgehenden freiheitsfeindlichen Zielrichtung durch Information und Aufklärung aktiv entgegenwirken. Es ist traurig, dass man im 21. Jahrhundert noch einmal ausdrücklich an die Werte der Aufklärung, der französischen Revolution und der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung erinnern muss. Aber die offene Gesellschaft und mit ihr die Freiheit des geschriebenen und gesprochenen Wortes müssen täglich neu gegen ihre Feinde von allen Demokraten verteidigt werden.
Anmerkungen
- Der Autor ist seit 2008 als Referent beim Niedersächsischen Verfassungsschutz tätig.
- Vgl. Stillahn, Alina/Benne, Simon: „Man muss auch mal Haltung zeigen“, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1.4.2021, S. 12.
- Vgl. o. A.: Grünen-Politikerin sagt „Indianerhäuptling“ – und empört damit Parteifreunde, in: Focus-Online, 23.3.2021, www.focus.de/politik/deutschland/unreflektierte-kindheitserinnerung-indianer-eklat-spitzenkandidatin-bettina-jarasch-erntet-bei-gruenen-parteitag-kritik_id_13108083.html, Stand: 18.3.2021.
- Vgl. Hilbig, Barbara: Asta lehnt Polizisten als Dozenten ab, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 16.4.2021, S. 19.
- Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Die antiaufklärerische Dimension linker Identitätspolitik, 17.3.2021, in: hans-albert-institut.de/die-antiaufklaererische-dimension-linker-identitaetspolitik, Stand: 11.5.2021.
- Vgl. Meyer, Thomas: Identitätspolitik – worum es geht, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Ausgabe 10/2018, 1.10.2018, www.frankfurter-hefte.de/artikel/identitaetspolitik-worum-es-geht-2572/, Stand: 10.5.2021.
- Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Identitätslinke relativieren Menschenrechte, in: Neue Züricher Zeitung, 13.4.2021, S. 14.
- Vgl. Pfahl-Traugbher, Armin: Die „Identitätslinke“ – was ist das überhaupt?, 22.4.2021, in: hpd.de/artikel/identitaetslinke-ueberhaupt-19210, Stand: 17.5.2021.
- Vgl. Benne, Simon: Neuer Name für „Afrika“-Kekse, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 17.6.2021, S.17.
- Thierse, Wolfgang: Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.2.2021, www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wolfgang-thierse-wie-viel-identitaet-vertraegt-die-gesellschaft-17209407.html, Stand: 3.3.2021.
- Zitiert nach Gujer, Eric: Identitätspolitik hält für Deutschland eine Pointe bereit, in: Neue Züricher Zeitung, 12.3.2021, www.nzz.ch/meinung/wolfgang-thierse-hat-recht-identitaetspolitik-ist-gift-ld.1606241, Stand: 17.3.2021.
- Wagenknecht, Sahra: Die Selbstgerechten: Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt, Frankfurt am Main 2021.
- Textor, Jona: Eine marxistische Kritik der „postmodernen Identitätslinken“ und des identitätspolitischen Antirassismus, 30.7.2020, in: kommunistische.org/diskussion/eine-marxistische-kritik-der-postmodernen-identitaetslinken-und-des-identitaetspolitischen-antirassismus/ , Stand: 14.6.2021.
- Vgl. A Letter on Justice and Open Debate, in Harper´s Magazine, 7.7.2020, in: harpers.org/a-letter-on-justice-and-open-debate/, Stand: 1.6.2021.
- Italienische Linksintellektuelle haben damit einen Buchtitel der italienischen Feministin Carla Lonzi aus dem Jahre 1974 aufgegriffen.
- Vgl. Lüdke, Steffen et al.: Zwischen Poesie und Politik, in: Der Spiegel Nr. 13, 27.3 2021, S. 102-105.
- Vgl. Hesse, Christoph: Sagten Sie „Islam-Linke“?, in: die tageszeitung, 15.3.2021, taz.de/Populismus-und-Islamismus/!57546, Stand: 20.3.2021.
- Vgl. Sandberg, Britta: Alle sind gleich – theoretisch, in: Der Spiegel Nr. 11, 13.3.2021, S. 84.
- Vgl. Pfahl-Traughber, Identitätslinke relativieren Menschenrechte, S.14.
- Petersen, Thomas: Die Mehrheit fühlt sich gegängelt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.6.2021, S. 8.
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