„Keine hoheitliche Maßnahme kann eine vollkommene Sicherheit gewährleisten!“
Gespräch mit Peter Schaar
Kriminalpolizei: Unter dem Titel „Überstunden für den Gesetzgeber“ sprechen Sie von einem Aktionismus des Gesetzgebers nach Terroranschlägen und fordern eine analytische Normevaluation. Wissen die Sicherheitsbehörden nicht am besten, wo Regelungslücken vorhanden sind?
Peter Schaar: Alle Erfahrungen sprechen dagegen, dass die Behörden hier einen freien Blick haben. Die Institutionen, die durch Maßnahmen gestärkt werden sollen, dürfen nicht zugleich mit der Überprüfung beauftragt werden – da ist einfach eine Befangenheit gegeben. Sicherheitsbehörden unterscheiden sich im Übrigen hier auch nicht von Datenschutzbeauftragten, wie ich gestehen muss. Eine unabhängige Evaluation wäre sehr viel wirksamer. Sie ist auch verfassungsrechtlich geboten, um zu einer neutralen Bewertung zu kommen und einer immer weitergehenden Aufschichtung von überflüssigen Rechtsnormen gezielt entgegen zu wirken. Allein dadurch kann die Effektivität und Effizienz zuverlässig geprüft und die Eingriffstiefe ausgelotet werden, die mit der Anwendung der Bestimmungen verbunden ist.
Kriminalpolizei: Die Halbwertzeit von Rechtsnormen ist in Bund und Ländern zum Teil erstaunlich gering und es entsteht manchmal der Eindruck einer Alibigesetzgebung. Teilen Sie diese Bewertung und wie kann dem entgegengewirkt werden?
Peter Schaar: Ja, dieser Eindruck drängt sich geradezu auf. Wichtig ist nach meiner Einschätzung, dass der Gesetzgeber der Versuchung widersteht, den vermeintlich einfachen Weg zu gehen. Auf Dauer führt es zu einem fatalen Vertrauensverlust, wenn Sicherheitsversprechen erfolgen, die tatsächlich nicht eingehalten werden können. Zudem darf nicht vergessen werden, dass zusätzliche Befugnisse auch wichtige Ressourcen binden, die dann an anderer Stelle fehlen. Neue Rechtsnormen allein bringen im Regelfall keinen Zugewinn an Sicherheit.
Kriminalpolizei: Sie warnen vor einem „Primat der Sicherheit“, welches nach Ihrer Auffassung eine „fatale Dynamik“ auslösen kann. Welche Gefahr sehen Sie konkret?
Peter Schaar: Keine hoheitliche Maßnahme kann eine vollkommene Sicherheit gewährleisten! Gibt es zum Beispiel eine Rechtsgrundlage für den „Lauschangriff“, könnten sich die betroffenen Personen auf andere Weise verständigen. Reagiert der Staat darauf, kommt es zu einer Verdrängung in weniger überwachte Bereiche. Ziehen die Sicherheitsbehörden auch dann nach, entsteht eine Dynamik, die mit einem sich ausweitenden Ölfleck zu vergleichen ist. Mehr Überwachung wird niemals ausreichen, um jeder denkbaren Gefahr zu begegnen! Es werden trotz größter Bemühungen immer „blinde Flecken“ bleiben. Im Ergebnis nähern wir uns so einem Zustand, in dem wir in allen Lebenssituationen überwacht und kontrolliert werden. Je ungezielter eine Maßnahme aber ist, desto mehr geht sie zu Lasten der Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger. Dies wäre mit meiner Vorstellung einer freiheitlichen Demokratie nicht zu vereinbaren.
Kriminalpolizei: Führen mehr erhobene Daten zugleich zu einer höheren Sicherheit für die Bürger?
Peter Schaar: Dies ist ein entscheidender Punkt, denn eine solche Zwangsläufigkeit gibt es eben gerade nicht. Wenn es darum geht, konkrete Gefahren zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ist es sehr leicht möglich, dass Sicherheitsbehörden aufgrund der Fülle vorhandener Daten die eigentlich relevanten Informationen nicht mehr wahrnehmen oder diese falsch deuten. Dies sehe ich gerade in der Terrorismus-Bekämpfung aktuell als das größte Problem an. Der Fall Anis Amri unterstreicht dies eindrucksvoll, denn hier waren Informationen ja bekanntlich in Hülle und Fülle vorhanden.
Kriminalpolizei: Befinden sich Freiheit und Sicherheit in Deutschland heute noch in einem ausgewogen Verhältnis?
Peter Schaar: Nein, diese Ausgewogenheit ist in den letzten 15 Jahren leider weitgehend verloren gegangen. Es gibt zwar immer wieder spektakuläre Einzelentscheidungen des BVerfG und neuerdings auch des EGMR die signalisieren, dass nicht alle gesetzlichen Einschränkungen der Grundrechte kritiklos hingenommen werden. Aber im Ergebnis nimmt die Überwachung weiter zu. Besonders problematisch bewerte ich im Übrigen die Tendenz, dass Sicherheitsbehörden in eine Art Wettbewerb mit Privatunternehmen beim Einsatz neuer Überwachungstechniken treten oder Unternehmen verpflichten, Schwachstellen in ihre Systeme einzubauen, damit sich diese besser überwachen lassen.
Sehr geehrter Herr Schaar, ich bedanke mich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen auch für Ihr künftiges Engagement im Interesse des Grundrechtsschutzes viel Erfolg.
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