Der lange Weg nach Westen
Von Dr. Udo Baron, Hannover
5 Bedrohung von EU und NATO
Nicht nur die EU ist bedroht, auch an die NATO wird bereits die Axt angelegt. Indem Trump die Beistandsverpflichtung der NATO für ihre Mitglieder in Frage stellt, stellt er zugleich das westliche Verteidigungsbündnis auch als Wertegemeinschaft zur Disposition. Ein bislang einmaliger Vorgang. Darüber hinaus droht der NATO an ihrer Ostflanke weitere Gefahr, denn die Türkei entfremdet sich unter ihrem Präsidenten Erdogan kontinuierlich von den Grundsätzen einer liberalen Demokratie westlicher Prägung und wandelt sich zunehmend zu einem Unsicherheitsfaktor auch für die NATO. Die Anbiederungen von Trump und Erdogan – jeder auf seine Art und Weise – an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Despotie in Russland, runden das antiwestliche Bild, das beide Staatsmänner abgeben, ab. Unübersehbar droht mit der Rückkehr von Populismus und Nationalismus ein Ende des „langen Weges nach Westen“ und somit auch ein mögliches Aus des westlichen Gesellschaftsmodells. Dabei scheinen sich die handelnden Akteure ebenso wenig wie weite Teile der Bevölkerungen in den liberalen Demokratien bewusst zu sein, was auf dem Spiel steht. Die liberalen Demokratien und ihre supranationalen Institutionen wie EU und NATO haben seit mehr als siebzig Jahren Kriege, Diktaturen und Hungersnöte weitgehend aus Europa und der westlichen Welt verbannt. Sie haben in ihren Ländern u.a. unbeschränkte Reisefreiheit und eine europaweite freie Wahl des Arbeitsplatzes und des Studienortes ermöglicht. All diese Dinge und noch viel mehr stehen auf dem Spiel, wenn sich die beschriebene Entwicklung der letzten Monate und Jahre fortsetzen sollte.
6 Was wären die Folgen?
Was wäre die Antwort auf die liberale Demokratie westlicher Prägung, auf EU und NATO? Renationalisierung, Protektionismus und Ethnopluralismus? Sind wir wirklich so naiv zu glauben, dass in einer globalisierten Welt die Probleme noch an Landesgrenzen haltmachen? Können wir tatsächlich noch ernsthaft meinen, internationale Probleme ließen sich allein mit nationalen Antworten lösen? Natürlich haben die liberalen Demokratien, haben NATO und vor allem die EU Fehler gemacht. So haben sie es lange nicht vermocht, sich vor allem konzeptionell und strukturell auf die neue Situation nach dem Ende des Kalten Krieges einzustellen. Vor allem hat es Europa versäumt, endlich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auf den Weg zu bringen und insbesondere den nachwachsenden Generationen neue Perspektiven zu bieten – Stichwort Jugendarbeitslosigkeit. Unübersehbar hat zudem die vielfach überhastete Erweiterung von NATO und EU zugleich auch zu ihrer Überdehnung geführt und sie dadurch in ihrem Handeln ein stückweit gelähmt. Länder wie Bulgarien und Rumänien hätten zunächst die Kriminalität und Korruption in ihren eigenen Ländern nachhaltig bekämpfen müssen bevor sie Mitglied der EU geworden wären. Andere Nationen wie Griechenland hätten nie dem Euro-Raum beitreten dürfen. Die liberalen Demokratien müssen zudem wieder lernen, die westlichen Werte besser zu erklären.
7 Verantwortung für die kommenden Generationen
Bei aller (berechtigten) Unzufriedenheit mit der liberalen Demokratie, ihren Einrichtungen und ihren Repräsentanten, sollten wir begreifen, was auf dem Spiel steht, wenn wir das zerstören, was unser Leben in Freiheit und Frieden in den letzten siebzig Jahren ausgemacht hat. Populisten suggerieren, es gäbe einfache Antworten auf die komplizierten Fragen unserer Zeit. Sie meinen, man könnte seine Ansichten auch ohne Kompromisse durchsetzen. Der homogene Nationalstaat ist ihr Ziel. Wir müssen die Gefahren, die von diesen Populisten und Nationalisten ausgehen, klar benennen und diesen Totengräbern des „langen Weges nach Westen“ die rote Karte zeigen. Sachverstand statt Populismus, Fakten statt „Fake News“, die liberale Demokratie und ein einiges Europa in der westlichen Wertegemeinschaft – das müssen wieder die Antworten auf die globalen Herausforderungen unserer Zeit sein. Wir müssen die unübersehbaren Erosionserscheinungen des westlichen Einigungsprojekts stoppen und wieder den Willen aufbringen, die anstehenden Probleme gemeinsam zu lösen. Wir dürfen die liberale Demokratie und ihre transnationalen Einrichtungen nicht aufgeben. Wir haben eine Verantwortung für die kommenden Generationen, denn auch sie haben ein Recht in Freiheit, Frieden und Sicherheit zu leben.
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