Kriminalität

Die Päderastenszene

Einblicke in ein geheimnisvolles und wenig wahrgenommenes Kriminalitätsgeschehen

Von Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a. D., Ulm/Donau

Wie Kinder in Deutschland vor sexueller Ausbeutung geschützt – und erbarmungslos im Stich gelassen werden


Ob es nun Nacktaufnahmen, Posing-Fotos (Aufnahmen, bei denen ein Kind aktiv eine bestimmte Körperhaltung oder Position einnimmt und dabei zum Beispiel sein Geschlechtsteil präsentiert) oder kinderpornografische Erzeugnisse sind, die im Fall Edathy bestellt und in Besitz genommen wurden – es gibt weder einen „guten Grund“, Bildmaterial von kleinen, nackten Jungen herzustellen und kommerziell zu vertreiben noch solches von einem dubiosen Anbieter zu beziehen.
Allein der „schlechte Grund“, dass solche Produkte für sexuell motivierte Abnehmer und Konsumenten hergestellt, vertrieben und von solchen erworben werden, ist denkbar und liegt nahe. Und schlecht ist dieser Grund deshalb, weil sich die abgebildeten Kinder bei der Fertigung der Aufnahmen nicht sehr wohl gefühlt haben könnten, weil sie von skrupellosen oder kriminellen Geschäftemachern vielleicht sogar dazu genötigt oder gezwungen worden sind, weil die jungen Menschen nun damit leben müssen, dass ihre nackten Körper auch von perversesten und ihnen völlig fremden Menschen weltweit konsumiert werden, unwiderruflich und auf unabsehbare Zeit.
Schlecht sind Herstellung, Handel und Konsum solcher Bilder auch und vor allem deshalb, weil damit ganz erheblich in die Rechte der betroffenen Kinder oder Jugendlichen eingegriffen wird, gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zum Beispiel, also darauf, selbst zu entscheiden, was mit ihren jungen Körpern in welcher Weise geschieht.
Und diese (Kinder-)Rechte stehen auch den nicht oder nicht ausreichend geschützten Kindern zu. Also auch denen in Indien, in Sri Lanka, Kuba und Kambodscha, denen in den Ghettos von Rumänien und Bulgarien, in den Waisenhäusern Moldawiens und der Ukraine, den Straßenkindern von Rio de Janeiro, und denen von St. Petersburg, den Kids in Moskaus U-Bahnschächten…
Diese Rechte stehen auch all denen zu, die das vierzehnte Lebensjahr bereits überschritten, das achtzehnte aber noch nicht erreicht haben, denn nach der UN-Kinderrechtskonvention stehen Kinder bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres – aus gutem Grunde – unter ganz besonderem Schutz.
Gerade zivilisierte, mit Einfluss und Macht ausgestattete, rechtsstaatlichen Ansprüchen verpflichtete Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland, sollten auf die Einhaltung dieser Kinderrechte achten und bemüht sein, Kinder vor sexueller Ausbeutung zu schützen. Die diesbezüglichen Bemühungen Deutschlands halten sich jedoch in Grenzen. Selbst die eigenen Kinder sind hierzulande noch immer unzureichend vor sexuellen Übergriffen geschützt. Und für die Strafverfolgung deutscher Täter, die im Nachbarland Tschechien, in Thailand, Kambodscha, Russland oder in vielen anderen Staaten und Regionen dieser Welt Kinder sexuell motiviert angreifen, erklärt sich Deutschland zwar zuständig (§ 5 Strafgesetzbuch – Exterritorialprinzip), nimmt diese Zuständigkeit und Verpflichtung jedoch nur völlig unzureichend und nur in wenigen Einzelfällen wahr.
Hinzu kommt, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland eine „Alles ist käuflich-Mentalität“ eingeschlichen und breit gemacht, die dieser Ausbeutung von Kindern zumindest in Teilen der Gesellschaft ein nie gekanntes Maß an Gleichgültigkeit und Normalität einräumt, was die Täter zusätzlich motiviert und einschlägige Kriminalität nicht unwesentlich fördert.

Beispiele für mangelhaften Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung in Deutschland:

Für die in § 203 des Strafgesetzbuches (StGB) genannten Berufsgruppen (Ärzte, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Kinderschützer…) gibt es bei Hinweisen auf sexuell motivierte Verbrechen an Kindern noch immer keine Anzeigepflicht. Die Folge: Tausende, dem Kinderschutz verpflichtete Personen und Institutionen wissen in diesem Land von sexuell motivierten Straftaten an Kindern, „verstecken“ sich aber hinter der Datenschutzbestimmung des § 203 StGB und informieren die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden nicht. Die Täter (und sie sind häufig Wiederholungstäter!) bleiben dadurch in hohem Maße unbedrängt und unverfolgt. Und dieser anhaltende Täterschutz wird auch noch mit erforderlichem Opferschutz begründet.
Deutsche Täter reisen seit vielen Jahren in hoher Anzahl in bestimmte Zielgebiete dieser Welt, um sich dort sexuell an Kindern zu vergehen. Trotz der Zuständigkeit deutscher Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden (§ 5 StGB) liegt diese Ausbeutung im Bereich der
Kinderprostitution seit vielen Jahren in einem gigantischen Dunkelfeld. Eine verbreitete „Kultur des Wegschauens und Schweigens“, Gleichgültigkeit verbunden mit dieser“ Alles ist käuflich – Mentalität“, täterfreundliche Strukturen, fehlende Rechtshilfeabkommen, wenig effiziente Rechtshilfewege, bürokratische Hürden und Hindernisse und nicht zuletzt Kostengründe sind einige der Ursachen dafür. Auch die Angebote von Kindern auf deutschen Straßenstrichs nehmen angesichts günstiger Rahmenbedingungen und Tatgelegenheitsstrukturen – scheinbar unaufhaltsam – zu.
Der Bereich
Kinderpornografie ist in Deutschland seit jeher von gesetzlichen „Grauzonen“ geprägt, die wiederum Freiheiten und eine ausgeprägte Risikoarmut für die (potenziellen) Täter zur Folge haben. Solche „Grauzonen“ prägen die Grenzbereiche von Nacktaufnahmen und Kinderpornografie, von Kinderpornografie hin zur Kunst, Literatur und Wissenschaft aber auch die Altersgrenzen (Grenzbereiche Kind – Jugendlich. Jugendlich – Erwachsen).
Vielleicht ist es der eigentliche Skandal im Fall des ehemaligen Abgeordneten Edathy, dass der deutsche Gesetzgeber den betroffenen Kindern ihre Rechte nicht oder nur teilweise einräumt und sie somit nicht oder nicht ausreichend vor sexueller Ausbeutung schützt. Vielleicht ist es der eigentliche Skandal, dass der massenhafte Handel und die Inbesitznahme solcher Bilder in unserer Gesellschaft nicht nur erlaubt sondern auch noch als gutes Recht angesehen und unverfroren eingefordert werden kann.
Es ist jedenfalls gut und notwendig, dass dieser Handel mit Bildern nackter Kinder, mit Posing-Fotos oder mit kinderpornografischen Produkten zumindest gelegentlich und vorübergehend in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt und einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Nur dadurch werden Defizite und wird Handlungsbedarf erkennbar.
Und politischer Handlungsbedarf, eine Anpassung der Gesetze und der zu treffenden Maßnahmen an die exzessive Entwicklungen der Sexmärkte, besteht in Deutschland nicht nur im Bereich von Gewalt- und Kinderpornografie und der Ausweitung und Brutalisierung dieser Märkte.
Menschenverachtende Sexsklaverei – das Ausmaß ist in Deutschland so gigantisch wie das Dunkelfeld – ist ebenso zu einem so viel beklagten wie anhaltend hingenommenen Übel geworden, wie die Übernahme von Rotlichtbezirken durch Gruppierungen und Banden, die der Organisierten Kriminalität (OK) zuzuordnen sind (mit entsprechenden Ausbeutungspraktiken), wie menschenverachtender Flatratesex und die zunehmende Anzahl von Kindern auf den bundesdeutschen Schwulen- oder Babystrichs.
Die Toleranz einschlägigen Geschäftemachern, Milieus und Tätern gegenüber, das anhaltende Ignorieren, Tabuisieren, Dulden oder Verdrängen solcher Entwicklungen und Vorgänge ist seit Jahren unverkennbar und grenzt gelegentlich an Beihilfe durch Unterlassen.
Während Kinderpornografie in weiten Teilen der Öffentlichkeit und auch in verantwortlichen Bereichen vielfach als „Schmuddelkram“ oder Bagatellkriminalität abgetan wird, während der Gesetzgeber die Herstellung, Verbreitung oder den Besitz solcher Produkte noch immer mit einer Strafandrohung versieht, die der des Unerlaubten Entfernens vom Unfallort gleicht, leiden (auch „hart gesottene“) kriminalpolizeiliche Sachbearbeiter zunehmend an Übelkeit, wenn sie Einblick in die Inhalte kinderpornografischen Erzeugnisse der Gegenwart nehmen müssen.
Gefragt und vermehrt auf dem Markt sind Sado-Maso-Filme (Quälen und Quälen lassen) mit entsprechenden Tathandlungen an und mit Kindern, Trash-Filme (in denen all das zusammengefasst ist, was eigentlich herausgeschnitten werden müsste, weil zu brutal) und auch Snuff-Filme (Snuff steht für Auslöschen, Töten, für gefilmte, zumeist qualvolle Tötungshandlungen an einem Kind). Kinderpornografie besteht also zu nicht unwesentlichen Teilen aus Aufzeichnungen von Tathandlungen, bei denen Blut spritzt, bei denen gequält und gefoltert wird, bei denen der Ton aus Angst- oder gar Todesschreien besteht, bei denen unschuldige und hilflose Kinder qualvoll sterben… Und damit sind die Grausamkeiten dieses „Schmuddelkrams“ nicht vollständig beschrieben. Es gibt Produkte auf dem Markt, bei denen sich auch nur eine oberflächliche Beschreibung verbietet.
Und noch immer ist davon auszugehen, dass solchen Aufzeichnungen ein reales Geschehen zugrunde liegt. Nimmt man das zur Kenntnis, werden „Schmuddelkram“ und Bagatellkriminalität plötzlich zur Dokumentation schwerster und scheußlichster Verbrechen, begangen an unschuldigen Kindern!